Perspectives 3/2017: Afrikas Ikonen im Wandel der Zeit

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Welche afrikanischen Führer/innen gelten als Ikone? Das mag schon immer eine kontroverse Frage gewesen sein, war aber vor 25 Jahren dennoch sehr viel leichter zu beantworten. Die Erinnerung an panafrikanische Helden wie Kwame Nkrumah und Julius Nyerere war noch frisch, Nelson Mandela gerade aus dem Gefängnis gekommen und Robert Mugabe noch ein weithin angesehener Staatschef. Heute erscheinen Listen wie „Die 100 bedeutendsten Afrikaner aller Zeiten“, von New African veröffentlicht, in denen diese Namen immer noch die ersten vier Plätze belegten, ein wenig abgegriffen. Abgesehen von berühmten Musikern, Künstlern und Autoren scheint die Zeit des einfachen Konsens darüber, wer eine „afrikanische Ikone“ ist, vorbei. Der Boden auf dem die politischen Ikonen von einst erichtet wurden, verschiebt sich allmählich.

Afrikas Jugend fühlt sich betrogen. Die #RhodesMustFall-Proteste von 2015 in Südafrika legen Zeugnis davon ab. Was mit einem Studenten begann, der an der Universität von Kapstadt Fäkalien auf eine Statue des Bergbaumagnaten und Kolonialisten Cecil Rhodes warf, führte zu landesweiten Forderungen nach einer „Entkolonialisierung“ der Universitäten und kostenloser Hochschulbildung. Wie Zethu Matebeni, Wissenschaftlerin an der Universität, beschreibt, forderten die Proteste damit auch die bestehende Campus-Kultur heraus, durch die sich viele schwarze Studenten immer noch ausgegrenzt fühlen. Der Zorn der Studenten richtete sich jedoch nicht nur gegen Rhodes als Symbol der kolonialen Unterdrückung. Sie stellten auch das Vermächtnis von Nelson Mandela und die ausgehandelte demokratische Transition des Landes in Frage, die vor allem nationale Versöhnung und politische Transformation betonte. Richard Poplak legt diese Dynamik weiter offen im Kontext einer tief gespaltenen Gesellschaft, in der die Wut über die hohe Einkommensdiskrepanz, die nach wie vor entlang der Rassengrenzen verläuft, wächst.

Der Stellenwert vergangener Helden des Befreiungskampfes ist auch in anderen afrikanischen Ländern umstritten. In seiner Darstellung des Vermächtnisses Robert Mugabes zeigt Brian Raftopoulos auf, wie aus einem einst gefeierten Befreier ein zutiefst polarisierender Diktator wurde, der Bewunderung und Verachtung gleichermaßen hervorruft. Im Gegensatz dazu spiegelt Henning Melbers Essay über einen namibischen Kämpfer, den Wunsch nach Führungspersönlichkeiten, die ihren Prinzipien treu bleiben, wider. Er beschreibt wie Ikonografie den Menschen dabei dienlich sein kann, sich gegen von oben herab diktierte Mythen aufzulehnen.

Takura Zhangazha hebt den hegemonialen Einfluss der westlichen Massenmedien hervor, der die Aufmerksamkeit junger Menschen von afrikanischen politischen Ikonen zu neuen Gallionsfiguren gelenkt hat, vor allem in der Musik und im Sport. Abseits des globalen Blickwinkels erschafft die zeitgenössische afrikanische Politik und Populärkultur jedoch weiterhin eine Vielzahl von Ikonen bzw. erhält sie am Leben. Fatoumata Bintou Kandé stellt einige der Nationalhelden Senegals vor sowie einige weibliche Ikonen, deren Geschichten im öffentlichen Gedächtnis des Landes bisher kaum in Erscheinung getreten sind. In seinem Aufsatz über den Schriftsteller, Dichter, Ethnologen, Numerologen und spirituellen Führer Amadou Hampâté Bâ präsentiert Abdourahman A. Waberi eine weitere herausragende Persönlichkeit Afrikas, die ungeachtet ihrer historischen Bedeutung relativ unbekannt geblieben ist.

Mary C. Curtis stellt fest, dass obwohl es weltweit üblich ist, Länder auf negative Stereotypen und positive Ausnahmen zu reduzieren, sich dieser Ansatz in Hinsicht auf den afrikanischen Kontinent besonders hartnäckig hält. Mũkoma wa Ngũgi sieht jedoch Hoffnung darin, dass den neuen horizontalen sozialen Bewegungen eine neue Ikonographie entspringen könnte, die über den individuellen und entpolitisierten „Retter“ hinausgeht. In Wirklichkeit sind weder die Geschichte noch die Kultur des Kontinents stagnant. Wie Ngũgi es ausdrückt: „Wir müssen Afrika erlauben, vieles gleichzeitig zu sein, alte, neue und wachsende kulturelle und politische Traditionen für sich zu beanspruchen.“

In dieser Ausgabe von Perspectives soll die Bedeutung „afrikanischer Ikonen“ kritisch hinterfragt und die sich verändernden Betrachtungsweisen vergangener Ikonen und der Themen, die sie aufdecken oder verschleiern, erforscht werden. Hierbei laden wir die Leser/innen dazu ein, einen unverbrauchten und fantasievolleren Blick auf den Kontinent zu werfen.

 

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Veröffentlichungsdatum
Dezember 2017
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
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