Orwellsche Welt – Plakataktion gegen Soros in Ungarn

Seit Monaten laufen Orbáns Kampagnen gegen die liberale Demokratie und die kritische Zivilgesellschaft Ungarns. Doch mit der Hetzkampagnen gegen den Milliardär George Soros findet die ungarische Regierung noch eine Steigerungsform.

Wand mit Schriftzug "1984"
Teaser Bild Untertitel
Orbáns Hasskampagnen gegen Soros erinnern an die Feindbildpropaganda in Orwells dystopischen Roman „1984“

Fährt man vom Budapester Flughafen in die Stadt, wird man vom teuflischen Grinsen eines Mannes begrüßt. Ein Plakat zeigt den US-Milliardär George Soros[1] vor einem EU-blauen Hintergrund. Über ihm steht geschrieben: „99 Prozent der Ungarn lehnen die illegale Einwanderung ab.“ Daneben ist zu lesen: „Lassen wir nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!“

Ein Jahr vor den Parlamentswahlen in Ungarn braucht Premier Viktor Orbán Feindbilder mehr denn je – „Feinde“, vor denen er Ungarn angeblich retten muss. Darum hielt seine Regierung zwischen März und Mai 2017 eine „Nationale Konsultation“ gegen die EU und die Einwanderung mit dem Titel „Stoppt Brüssel!” ab. Dabei handelte es sich um einen rechtlich nicht bindenden Fragebogen, der den wahlberechtigten Ungarn geschickt wurde, mit suggestiven Fragen wie etwa: „Was sollte Ungarn tun, wenn Brüssel es zwingen will, illegale Einwanderer ins Land zu lassen – trotz der jüngsten Serie von Terrorangriffen in Europa?“ Als Antwort bestand die Wahl zwischen „Wir sollten illegalen Einwanderern erlauben, sich frei im Land zu bewegen“ und „Illegale Einwanderer müssen überwacht werden, bis die Behörden über ihren Fall entscheiden“.

„So eine staatliche Kampagne gegen George Soros macht mich sprachlos"

Die Regierung beruft sich in der aktuellen Plakatkampagne auf die Ergebnisse der „Nationalen Konsultation“. Allerdings haben nur ein Fünftel aller wahlberechtigten Bürger die Umfrage zurückgeschickt. Bereits 2015 hatte eine ähnliche Befragung mit dem Schwerpunkt „Einwanderung und Terrorismus“ stattgefunden. Die aktuelle, millionenschwere Werbekampagne soll diese Feindbilder lebendig halten, und attackiert den 86-jährigen amerikanisch-ungarischen Philanthropen und Finanzier George Soros, den Orbán in seinen Verschwörungstheorien als mächtigen Strippenzieher zeichnet, der Ungarn schaden möchte.

Michael Roth, Mitglied des Deutschen Bundestags und Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, war anlässlich des Christopher Street Day am 8. Juli in Budapest und tat seinem Entsetzen über Facebook kund: „So eine staatliche Kampagne gegen George Soros macht mich sprachlos. Dieses Plakat hängt überall in Budapest :-(((“

„Ungarn ist für uns derzeit ein schwieriger Partner.“, postete der Staatsminister. „In der Flüchtlingspolitik, bei der Wissenschaftsfreiheit, der Unabhängigkeit von Nichtregierungsorganisationen und der Medien sowie Fragen der Rechtsstaatlichkeit gibt es unterschiedliche Auffassungen. Gerade deshalb ist es wichtig, miteinander und nicht nur übereinander zu sprechen.“

Roth traf unter anderem die Direktorin von Amnesty International Ungarn, Júlia Iván, die ich für die Heinrich-Böll-Stiftung vor kurzem interviewt habe. Auch diese Organisation gehört zu den NGOs, die von der Regierungskampagne als „Soros-Agenten“ bezeichnet werden, und von der Novelle vom April 2017 betroffen sind. Seitdem müssen sich NGOs, die von ausländischen Sponsoren mehr als rund 23.000 Euro erhalten, als „aus dem Ausland finanzierte Organisationen” registrieren und das auch in all ihren Veröffentlichungen sichtbar vermerken.

Die Regierung dämonisiert Engagement für Geflüchtete

Júlia Iván arbeitete früher für das Ungarische Helsinki Komitee. Diese Menschenrechtsorganisation unterstützt Geflüchtete in rechtlichen Fragen. Die Organisation hatte unter anderem im Namen von zwei Geflüchteten aus Bangladesch den ungarischen Staat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verklagt – und gewonnen. Die Richter sprachen von einer „Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention“ und erklärten die Internierung der Betroffenen an der serbisch-ungarischen Grenze bei Röszke in Ungarn für rechtswidrig. Des Weiteren sprachen sie ihnen staatliche Entschädigung zu. Das ist der Grund dafür, warum diese NGO in der offiziellen Regierungskommunikation als Teil des internationalen „Migrantenbusiness“ bezeichnet wurde, das von George Soros finanziert sei.

Soros hatte in der Vergangenheit über die gesamteuropäische Verantwortung gegenüber der Fluchtsuchenden geschrieben und über die Möglichkeit einer geregelten, legalen Einwanderung in die EU, die zur Senkung der illegalen und lebensgefährlichen Fluchtversuche führen könnte. Er riet Europa außerdem zu überlegen, Wirtschaftsflüchtlinge aufzunehmen, um den Bedarf der Arbeitsmärkte zu stillen.

Diese Aussagen werden von Viktor Orbán verzerrt wiedergegeben. In einem Spot, der zurzeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Werbung mit einem sogenannten „gesellschaftlich relevanten Zweck“ läuft, heißt es, George Soros, der einflussreichste Milliardär der Welt, unterstütze die illegale Einwanderung und wolle die Grenzen auflösen. Dazu werden Bilder von Migranten gezeigt, die Steine gegen den von der Polizei kontrollierten ungarischen Grenzzaun werfen.

Orbán benutzt Soros als omnipräsentes Feindbild

Der politische Analyst Gábor Török fühlt sich durch die Hasstirade gegen Soros an George Orwells dystopischen Roman „1984“ erinnert. Der Roman beschreibt ein tägliches Ritual, zwei Minuten Hass, bei dem Mitglieder der Partei der fiktionalen Gesellschaft Ozeaniens einen Film über die Feinde der Partei, hauptsächlich über Emmanuel Goldstein, ansehen müssen. Dabei können sie sich der Wirkung des Rituals nicht entziehen. Er zitiert:

„…außerdem weckte der Anblick oder auch nur der Gedanke an Goldstein schon automatisch Abscheu und Zorn. Er war ein dauerhafteres Hassobjekt […] Das merkwürdige aber war, daß Goldsteins Einfluß, wenn er auch von jedermann gehasst und verachtet wurde, wenn auch tagtäglich und tausendmal am Tag auf Rednertribünen, durch den Televisor, in Zeitungen, in Büchern seine Theorien verdammt, zerpflückt, lächerlich gemacht, der Allgemeinheit als der jammervolle Unsinn, der sie waren, vor Augen gehalten wurde – daß trotz alledem dieser Einfluß nie abzunehmen schien. Immer wieder warteten neue Opfer darauf, von ihm verführt zu werden. Nie verging ein Tag, an dem nicht nach seinen Weisungen tätige Spione und Saboteure von der Gedankenpolizei entlarvt wurden."

Der Landesverband jüdischer Gemeinden in Ungarn (MAZSIHISZ) forderte Orbán vergangene Woche in einem Brief auf, die Kampagne gegen Soros, die an dunkle Zeiten der Geschichte erinnere, weil sie den Hass gegen Juden schüren könne, zu beenden. Tatsächlich wurden Plakate von Soros bereits mit „Judensau“ bemalt. Orbán erwiderte, er erwarte keinen Dank dafür, dass er Europa und Ungarn vor der illegalen Einwanderung und dadurch vor dem Terrorismus verteidige, sich aber über ein wenig Unterstützung von der jüdischen Gemeinschaft freuen würde.

Vom Liberalen zum Feind der offenen Gesellschaft

Diesen Zynismus kritisierte auch die Leiterin von Amnesty International. Das NGO-Gesetz wurde unter anderem von der Venedig Kommission des Europarats als übertrieben und unverhältnismäßig kritisiert. Júlia Iván erklärt, dass nicht bei jeder NGO mit gleichem Maß gemessen werde. Politische Parteien, Religions-, Sport- und Minderheitsvereine bildeten eine Ausnahme vom Gesetz und müssten sich nicht als „aus dem Ausland finanziert” registrieren. Dabei solle die Novelle gerade zu mehr Transparenz in der Finanzierung führen – diese Organisationen auszulassen sei völlig absurd.

Genauso absurd wie die Gratwanderung von Viktor Orbán, der 1989 als junger liberaler Politiker selbst Soros-Stipendiat in Oxford war und seine Abschlussarbeit über „Die Idee der Zivilgesellschaft in der Europäischen Politischen Philosophie“ geschrieben hat. Dass er nun dreißig Jahre später ein Feind der offenen Gesellschaft geworden ist, entsetzt auch Politikerinnen und Politiker des Europaparlaments, die die Gesetzesänderungen, die sich gegen die ungarische regierungskritische Zivilgesellschaft und George Soros richten, heftig kritisieren.

Trotz des internationalen Entsetzens wurden diese von der ungarischen Regierung verabschiedet, die im ungarischen Parlament über eine absolute Mehrheit der Mandate verfügt. Das NGO-Gesetz wird von einigen Betroffenen vorerst boykottiert.

Neue Begründung für Lex CEU

Die andere Novelle, die Änderung des Hochschulgesetzes, wurde allgemein als Lex CEU bekannt. Dadurch versucht die ungarische Regierung die renommierte Central European University (CEU) zu schließen und greift so die akademische Freiheit an. Kabinettschef János Lázár erklärte letzte Woche: „Wir haben hier in den letzten Jahren in Frieden gelebt, CEU und die FIDESZ-Regierung. Die Veränderung kam als George Soros ein Programm verkündet hat, laut dem die Grenzen Europas geöffnet werden müssen und jährlich eine Millionen Migranten nach Europa eingeladen werden sollen.“

Seine Äußerung steht im Kontrast zu der Regierungskommunikation der letzten Monate im Falle CEU. Es hieß nämlich, das Ziel der Gesetzesänderung sei es, die Qualität des ungarischen Bildungssystems zu sichern. In der Praxis aber schreibt es der CEU vor, dass sie ab Januar 2018 auch in den Vereinigten Staaten einen Campus betreiben und der Status der Universität durch ein Regierungsabkommen zwischen den USA und Ungarn geregelt werden muss – auch wenn Hochschulbildung in den USA Angelegenheit der Bundesstaaten und nicht der Bundesregierung ist, und letztere in diesem Zusammenhang gar kein Abkommen schließen kann.

Wegen der unsicheren Lage kann die Universität nicht planen, ob sie für das akademische Jahr 2018-2019 Studenten rekrutieren kann. Im Moment steht nur fest, dass die Kurse ab diesem September weitergehen. Nach monatelangem Schweigen von Regierungsseite und gescheiterten Kommunikationsversuchen der CEU wurde schließlich am 24. Juni ein Regierungsvertreter in die USA geschickt, um mit dem Gouverneur des Staates New York, Andrew M. Cuomo, über die Zukunft der CEU zu verhandeln. Laut der Ankündigung des Gouverneurs ist das Treffen positiv verlaufen, Details weiß die Universität allerdings nicht.

Mittlerweile hat George Soros auf die Kampagne reagiert und warf der ungarischen Regierung vor, mit antisemitischen Stereotypen zu spielen. Laut Hochrechnungen betragen die Kosten der Diffamierungsaktion ungefähr 19 Millionen Euro – Steuergelder, die zum Beispiel im maroden Gesundheitssystem und im Bildungssektor eingesetzt werden könnten. Soros bedankte sich bei den Tausenden von Ungarn, die einige der Plakate als Protest abgerissen haben. Die Prognosen bleiben allerdings schlecht: auch wenn die Plakate für die ab 14. bis zum 30. Juli in Budapest gehaltene Schwimm-Weltmeisterschaft zumindest teilweise entfernt werden sollten, wird die Kampagne ab Herbst wieder auf Hochtouren laufen, als Finale vor der Parlamentswahl im Frühling 2018.

 

[1] Der amerikanisch-ungarischen Philanthrop und Finanzier George Soros unterstützt mit der von ihm gegründeten Open Society Stiftung zahlreiche ungarische Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO) und gründete auch die Central European University in Budapest