25 Jahre Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung

Archiv Grünes Gedächtnis

Vor 25 Jahren, am 13. Februar 1992, hat der Vorstand des damaligen Stiftungsverbandes Regenbogen einen Vertrag mit den Grünen unterschrieben, durch den das „Grüne Gedächtnis“ an die Stiftung überging. Wir können also auf 25 Jahre Grünes Gedächtnis in der Heinrich-Böll-Stiftung zurückblicken. In der letzten Teamsitzung haben wir dies zum Anlass genommen, zurückzublicken.

Die einschneidende Zäsur in diesem Vierteljahrhundert war der Umzug des Archivs vom Bornheimer Ortsteil Widdig in Nordrhein-Westfalen nach Berlin-Friedrichshain. Vor zwei Wochen, am 30. Januar 2017, hätten wir den 15. Jahrestag der Wiedereröffnung des Archivs an seinem neuen Standort in der Eldenaer Straße feiern können. Steffi Rönnefarth hat damals für uns das Umzugsmanagement in die Hand genommen. Stück für Stück wurde festgelegt, in welcher Reihenfolge die Zigtausend einzelnen Archivmappen und -schachteln aus den damals drei Archivstandorten – neben dem Widdiger Archiv gab es Außenlager in der Kölner Altstadt und im Berliner Stadtteil Biesdorf – im neuen Magazin aufzustellen waren. Noch immer zeigen diverse bunte Zettel zwischen den Archivschachteln, wo welcher Container auszupacken war.

Neben dem eigenen Umzug hat vor allem der Umzug der Bundestagsfraktion 1999 seinen Platz im kollektiven Gedächtnis der damaligen Archivmitarbeiter/innen gefunden. Dafür hat nicht zuletzt ein Foto gesorgt, das aufgenommen worden ist, als der letzte Karton mit Akten, die nicht an die Fraktion nach Berlin, sondern ins Archiv gehen sollten, fertig gepackt war.

Archivbenutzer/innen und andere Besucher/innen kamen ziemlich selten nach Widdig ins Archiv, sodass der Rhythmus des Arbeitsalltags ganz vom Aktenverzeichnen bestimmt war. Bearbeitet wurden vor allem die Unterlagen der Bundestagsfraktion von 1983 bis 1990 und der Nachlass von Petra Kelly. Unter den damaligen Nutzer/innen sticht einer hervor, weil er über zwei Jahrzehnte immer wieder den Weg ins Archiv gefunden hat, Prof. E. Gene Frankland von der Ball State University in Muncie, Indiana. Er ist Autor der ersten großen US-amerikanischen Studie über die Grünen und von Dutzenden weiteren Aufsätzen und Konferenzbeiträgen, die – chronologisch gelesen – selbst schon die Geschichte der Grünen dokumentieren. 
 
Die Wiedereröffnung des Archivs am 30. Januar 2002 in der Eldenaer Straße – mit dem Festvortrag von Prof. Richard Stöss und den Reden von Claudia Roth, Lukas Beckmann, Ralf Fücks, Günter Buchstab und Tina Krone – war in der Tat nicht nur die Eröffnung an einem neuen Standort, sondern die Öffnung in neue Dimensionen des Archivalltags. Der Umzug nach Berlin war ein Stück weit so etwas wie eine Neugründung. Das lässt sich an einigen Punkten gut festmachen. Wenn Prof. Stöss an der Berliner FU einen zwei-semestrigen politikwissenschaftlichen Projektkurs zu den Grünen und ihren Verhältnissen zu den neuen sozialen Bewegungen durchführte, und das explizit auf der Basis unserer Archivbestände, dann sind allein dadurch mehr Nutzer/innen ins Archiv gekommen als in zehn Jahren Widdig zusammen genommen. Dass einige im Anschluss ihre Projektkursarbeit zu einer Diplomarbeit ausbauten und so dem Archiv als Nutzer/innen erhalten blieben, versteht sich. Richard Stöss blieb nicht der einzige Berliner Hochschullehrer, der mit dem ganzen Seminar ins Archiv kam, auch die Berliner Zeithistoriker/innen kamen, um ihre Studierenden mit der Archivforschung vertraut zu machen.

Jetzt begriffen wir, dass der Archivumzug zum richtigen Zeitpunkt erfolgt war, denn seitdem unter Historiker/innen der Strukturbruch der 1970er Jahre diskutiert wurde, waren die Grünen als neue Partei signifikanter Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels geworden. Damit waren die Grünen in der Zeitgeschichte angekommen. Das bescherte dem Archiv Forscherinnen und Forscher, die ihre Dissertationen auf ihre Interpretation „unserer“ Quellen stützten. Zwei von ihnen seien stellvertretend für alle anderen genannt, Silke Mende, die über die Gründungskonstellation der Grünen geforscht hat, und Saskia Richter († 22. August 2015), Autorin einer Studie über Petra Kelly. Saskia Richters Forschungen stehen aber auch stellvertretend für das ungebrochene wissenschaftliche und gesellschaftliche Interesse an der Person Petra Kelly. Es gibt keinen anderen Archivbestand, der so kontinuierlich ein so vielfältiges Interesse auf sich zieht wie der Nachlass von Petra Kelly.

Darüber hinaus hat sich die Vielfalt der Archivbestände, ihre Bearbeitung und Benutzung seit dem Archivumzug rasant entwickelt. Dahinter steckt, dass im politischen Prozess und generell in der politischen Kommunikation nicht nur Akten entstehen, die schließlich archiviert werden, sondern zugleich Publikationen und audiovisuelle Materialien unterschiedlichster Art, die ebenfalls als historische Quelle genutzt werden können. Gleichzeitig hat sich in den letzten 25 Jahren auf dem Gebiet der politischen Kommunikation alles geändert, was man sich nur denken kann – und dadurch das Archivieren grundlegend verändert. Das gilt für alle Arbeitsbereiche im Archiv. Längst gibt es mehr elektronische Publikationen der Grünen und der Heinrich-Böll-Stiftung als traditionelle Buchformate. Schreibmaschinen, Rollfilme, Ton- und Filmkassetten usw., Dinge, mit denen vor zwei Jahrzehnten jede und jeder im Alltag hantiert hat, gibt es nicht mehr und sind durch digitale Techniken ersetzt worden. Also sind auch die neuen archivischen Überreste digital. Glücklicherweise hat das Grüne Gedächtnis als Kind der 1990er Jahre von vornherein mit einer digitalen Archivdatenbank gearbeitet, aber es dauerte bis 2004, dass der erste Einstieg in die digitale Archivierung vollzogen wurde. Seit diesem Jahr archivieren wir digitale Objekte, nämlich die Internetseiten der Grünen. Digitale Fotos und Filme folgten, Plakate wurden digitalisiert und inzwischen beschäftigen wir uns mit der Archivierung digitaler Dateiablagen aus den Geschäftsstellen der Grünen und ihrer Fraktionen. Auch der Europabestand, der seit 20 Jahren wächst, ist ein hybrider Bestand aus Aktenordnern und Dateiablagen. Aktuell sind wir mitten dabei, Erfahrungen mit digitalen Ablagen zu sammeln, uns mit anderen Archiven auszutauschen und in Archivkonzepte umzusetzen. Aber die Erwartung mancher Nutzerinnen und Nutzer, dass nun alles digital sei, dass die historischen Quellen mit OCR-Technik durchsucht werden könnten, diese Erwartung erfüllt sich noch nicht.

Ein weiteres Jubiläum im Jubiläum betrifft das Jahrbuch „Grünes Gedächtnis“, welches wir seit inzwischen zehn Jahren herausgeben und welches seit zehn Jahren von Anne Vechtel redigiert wird. Hier finden sich neben Berichten über einzelne Archivbestände und Archivprojekte zeitgeschichtliche Aufsätze, historische Dokumente der Grünen und Besprechungen zu aktuellen einschlägigen Veröffentlichungen. Eine Spezialität des Jahrbuchs ist seit einigen Jahren die Veröffentlichung von Interviews, die wir mit grünen Politikerinnen und Politikern als Zeitzeug/innen geführt haben.

Das meiste, was das Archiv in den letzten 25 Jahren geleistet hat, ist nur auf der Basis der freundlichen Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Archiven und mit wissenschaftlichen Einrichtungen möglich gewesen. Außer an die Kolleginnen und Kollegen geht der Dank dabei insbesondere an die Studierenden und Lehrenden im Studiengang Archivwesen der Fachhochschule Potsdam. Die Zahl der Studierenden, die in Praktika und Übungen daran mitgearbeitet haben, unsere Archivalien für die künftige Nutzung zu erschließen, geht in die Hunderte. Nicht minder substanziell ist der Beitrag der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, die die Fraktionssitzungen der grünen Bundestagsfraktionen von 1983 bis 1990 einschließlich der wichtigsten Sitzungsunterlagen in vier starken Bänden sowie einer CD-ROM ediert hat. Erst durch diese Edition lässt sich die Menge der im Grünen Gedächtnis überlieferten Papiere auf den politischen Diskussions- und Entscheidungsprozess der Fraktion beziehen und damit verstehen. Wir haben den Wunsch und die Hoffnung, dass diese Edition durch die folgenden Wahlperioden fortgeführt wird.  Hoffnungsvoll ist auch die Zusammenarbeit mit anderen grünen und Ökologiearchiven in Europa. Momentan sind es fünf Archive, die in der Trägerschaft der grünen politischen Stiftungen geführt werden. Weitere gehören zu Universitäten und staatlichen Archivverwaltungen. Es wäre doch schön, wenn alle grünen Parteien in Europa die Zusammenarbeit mit einem Archiv pflegten, damit die Geschichte der Grünen überall überliefert wird und erforscht werden kann.

Dieser Ausflug in die Geschichte des Grünen Gedächtnisses in seinen ersten 25 Jahren hat uns viel Spaß gemacht. Wir sind gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass das Archiv eine fantastische Entwicklung genommen hat, auf die wir stolz sind.