Finanzbudgets lokaler Bildungslandschaften

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In der vorliegenden Studie werden die Ausgaben für das Schulsystem i.w.S. sowie für die Kinder und Jugendhilfe betrachtet, um einen Eindruck darüber zu erhalten, welche Budgets im Rahmen lokaler Bildungslandschaften zur Verfügung stehen könnten. Eine Untersuchung von Dr. Dieter Dohmen,Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie – FiBS im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung.


Vorwort

Um die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und für größere Bildungschancen für alle zu sorgen, sind lokale Bildungslandschaften ein vielversprechendes Instrument. Sie sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie vor Ort bei den Akteurinnen und Akteuren und den konkreten Begebenheiten ansetzen. Gerade Kinder und Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten, Gefährdungssituationen oder Benachteiligungen können von ihnen profitieren, wenn alle an Bildungsprozessen Beteiligten zusammenarbeiten und bemüht sind, ihre Kooperation zu optimieren. Für die Heinrich-Böll-Stiftung ist das Thema nicht neu. Sie hat bereits im Jahr 2011 ein Dossier zu Bildungslandschaften erstellen lassen. Dies war eine Konsequenz aus den Empfehlungen „Bildungsgerechtigkeit im Lebenslauf: Wie Bildungsarmut nicht weitervererbt wird“ von 2009.

Die nun vorgelegte Analyse von Finanzbudgets lokaler Bildungslandschaften bildet einen weiteren Baustein und eröffnet zugleich ein hoch komplexes Feld. Nicht nur, dass schon der Begriff „Bildungslandschaft“ für sehr unterschiedliche Aktionsräume und Zielsetzungen steht, er umfasst auch ein höchst diffuses Konglomerat von privaten, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Der Begriff Bildungslandschaft wird höchst unterschiedlich verwendet. Sowohl für die Beschreibung von vertikalen Vernetzungen der Bildungseinrichtungen, die Übergänge in Bildungsbiografien erleichtern sollen, wird er gebraucht als auch für horizontale Verbünde von Bildungseinrichtungen, die durch Zusammenarbeit ihre Qualität steigern wollen. Verbreitet ist der Begriff, wenn der Sozialraum gemeint ist, in dem Einrichtungen der Jugendhilfe, der sozialen Dienste, Kita und Schule zusammenarbeiten sollen oder außerschulische Lernorte (Kultur, Natur, etc.) einbezogen werden. Darüber hinaus wird er verwendet, wenn auf bestimmte Schwerpunkte fokussiert wird, z.B. den Übergang von der Schule in den Beruf und verbesserte Ausbildungssituationen von Jugendlichen oder auch die Förderung von lebenslangen Lernprozessen. Im Sinne der Partizipation von Kindern und Jugendlichen im regionalen Umfeld wird ebenfalls von Bildungslandschaften gesprochen, in denen Jugendliche agieren sollen. Nicht zuletzt wird er verwendet, wenn es um den Aufbau von Ganztagsschulangeboten geht oder deren qualitative Weiterentwicklung.

Die Bearbeitung von Bildungslandschaften in einzelnen oder mehreren der oben genannten Deutungen ist Gegenstand vielfältiger bildungspolitischer Bemühungen der letzten Jahre und der Arbeit zahlreicher Stiftungen. Eines der prominentesten Projekte war „Lernen vor Ort“, aus dem jetzt die Transferagenturen hervorgegangen sind, die die Überleitung in die reguläre kommunale Arbeit leisten sollen.

Wenn man sich die vielfältigen Programme, Initiativen und lokalen Varianten ansieht, fällt auf, dass eine Realisierung von Kooperationen häufig nur dadurch erreicht wird, dass neue und zusätzliche Verwaltungsstrukturen, Gremien, Lenkungsgruppen oder Koordinierungskreise gebildet werden, deren Kontinuität jedoch nicht immer gesichert ist. Mitunter ist auch zu beobachten, dass die Realisierung an der großen Vielzahl der beteiligten Akteure scheitert oder dass die Entscheidungsbefugnisse und die Ressourcenbewirtschaftung stark versäult sind. Eine Ausweitung erfolgreicher Modelle in die Fläche erweist sich zuweilen als schwierig, weil deren Funktionieren oft eng mit lokalen Begebenheiten oder Personenkonstellationen verknüpft ist, die nicht ohne weiteres andernorts reproduzierbar sind. Dennoch sind Bildungslandschaften wegen ihrer Vielfalt, Variabilität und Anpassungsfähigkeit ein vielversprechendes Instrumentarium, um mit aktuellen Herausforderungen in der Schulentwicklung umzugehen. Es ist daher hilfreich, die unterschiedlichen Formen, Facetten und Wirkmechanismen von Bildungslandschaften eingehender zu analysieren. Die nachfolgende Analyse soll hierzu einen Beitrag leisten.

Die Heinrich-Böll-Stiftung wird nicht die vielfältigen Facetten von Bildungslandschaften zu ihrem Themenfeld machen können. Sie wird sich auf die Frage konzentrieren, die auch der Leitgedanke bei „Bildungsgerechtigkeit im Lebenslauf“ war: Wie können vor allem die Risiken beim Aufwachsen benachteiligter Kinder und Jugendlicher dadurch verringert werden, dass die beteiligten Akteure frühzeitig und präventiv zusammenwirken?

Sie wird vor allem angesichts der obigen Einschätzung die eigene Fragestellung eingrenzen und das Blickfeld auf einen kleineren Kreis von Akteuren einschränken und auch die Frage, wie der starken Versäulung entgegengewirkt werden kann. Ziel wird es sein, Empfehlungen für Governancestrategien zu erarbeiten, die es dauerhaft ermöglichen, dass die beteiligten Erzieher/innen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter/innen, Verwaltungsfachmenschen und ggfs. noch weitere Akteure besser zusammenarbeiten und diese Zusammenarbeit nicht als zusätzliche Anforderung wahrgnommen wird, sondern in die Alltagsroutine übergeht.

In der hier vorgelegten Analyse geht es ausschließlich um die Frage, welche und wie viele Finanzen in einen ausgewählten Sozialraum fließen. Diese Frage war von vielen, die sich mit Bildungslandschaften befassen, als außerordentlich relevant eingeschätzt worden. Auch bei den Gesprächen mit Akteuren aus „Lernen vor Ort“ hatten Kommunalvertreterinnen und -vertreter den Wunsch geäußert, dass eine veränderte Bewirtschaftung von Ressourcen, die für Kita, Schule, Jugendhilfe etc. zur Verfügung stünden, eine große Hilfe sein könnte. Die sozialräumliche Bewirtschaftung wird häufig gefordert. Hierfür wollen wir eine Hilfestellung liefern.

Bei der Inangriffnahme dieses hehren Zieles haben sich allerdings vielfältige Schwierigkeiten aufgetan. Es ist nicht einfach, die Mittel eindeutig zu identifizieren, die z.B. in einen Bezirk in Berlin fließen. Dies liegt vor allem daran, dass die verschiedenen Ebenen, von denen Gelder kommen, die Zuordnung oft schwierig werden lassen. Es gibt Bundesprogramme, die nicht einfach regional erfasst werden können, z.B. fehlen die Mittel aus „soziale Stadt“ und weiteren Programmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Am einfachsten sind noch die Landes- und die bezirklichen Mittel zu definieren. Deshalb muss die hier vorliegende Analyse als ein Versuch angesehen werden, einen Anstoß dazu zu geben, dass Nachfolger solche Erhebungen verbessern können.

Der vorliegende Bericht ist deswegen nicht vollständig, arbeitet häufig mit zeitlich unterschiedlichen Bezügen und hat deswegen nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Auch die Auswahl des Bezirks Marzahn-Hellersdorf erfolgte nicht aus systematischen Erwägungen, zumal seine Ausgaben für „Hilfen zur Erziehung“ (HzE) atypisch hoch sind. Die Wahl des Bezirks bot sich pragmatisch aufgrund der Bereitschaft der handelnden Personen an, denen an dieser Stelle auch für ihre Kooperation gedankt sei. Gerade weil die HzE-Ausgaben in Marzahn-Hellersdorf mit rund jährlich 56 Mio. Euro sehr hoch sind, stellt sich die Frage nach den erreichten Effekten umso mehr. Dies ist Anlass, die Finanzen in den Bereichen Schule und Jugend detaillierter anzusehen und die Idee einer sozialräumlichen Bewirtschaftung zu verfolgen.

Wir haben uns trotz all dieser Einschränkungen für die Veröffentlichung der Analyse entschieden, da die Dimensionen deutlich werden, in denen sich die Ressourcen für Schule und Jugend in einem Sozialraum bewegen.

Es geht uns nicht um Einsparungsvorschläge, was häufig befürchtet wird, sondern um die Suche nach Möglichkeiten zu größerer Effizienz in der Bewirtschaftung, um zu erzielende Synergieeffekte. Effizienzgewinne sollten den lokalen Bildungslandschaften erhalten bleiben, denn nur so kann eine Bereitschaft, sie überhaupt zu erzielen erreicht, werden. Leitende Fragestellungen sind dabei: Wie kann mit vorhandenem Geld besser umgegangen werden? Wie kann mit den Mitteln möglicherweise bei verstärkt präventivem Einsatz mehr zum Wohle von Kindern und Jugendlichen erreicht werden ‒ unbeschadet der Forderungen nach mehr Ressourcen?

Ziel ist es auch, Empfehlungen zu erarbeiten, wie traditionelle Verwaltungsstrukturen und Entscheidungskompetenzen, möglicherweise aber auch Rechtsgrundlagen so geändert werden sollten, damit sich die Bedingungen des Aufwachsens für viele Kinder und Jugendliche verbessern.

Eine systematische Erfassung der Finanzvolumina in lokalen Bildungslandschaften oder in einer räumlich definierten Region lohnt sich für bildungs- und sozialpolitische Akteure. Obwohl sie aufwendig, komplex und streckenweise unvollständig sein mag, wird erst durch sie  eine Transparenz über Größenordnungen und Relationen in und zwischen unterschiedlichen Bereichen und Institutionen rund um die Einrichtung Schule und das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen hergestellt. Aufbauend auf diesen datengestützten Wissensbeständen lassen sich neue, systematische Politikansätze erst entwickeln. Dass das funktionieren und wie weit man kommen kann, veranschaulicht die vorliegende Analyse, aus der zugleich deutlich wird, dass die Instrumente der Erfassung von Daten verfeinert und aufeinander abgestimmt werden müssten, um zu besseren Erkenntnissen und valideren Schlussfolgerungen kommen zu können.

Wir möchten Dr. Dieter Dohmen sehr herzlich für die vorgelegte Studie danken und hoffen auf viel konstruktive Kritik.

Sybille Volkholz                                                                    Philipp Antony
Berliner Bildungssenatorin a.D.                                        Referent für Bildung und Wissenschaft                                                                        Heinrich-Böll-Stiftung

» Zum Dossier: Bildung im Sozialraum
 

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
Oktober 2015
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung, Referat Bildung und Wissenschaft
Seitenzahl
44
Sprache der Publikation
deutsch
Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung

Einleitung und Vorbemerkungen

1. Inhaltliche und definitorische Ein und Abgrenzung

2. Ziele und Intentionen lokaler Bildungslandschaft

2.2    Bildungsrelevante Prozesse und „Kostenträger“

2.3    Bildungsausgaben zwischen Bildungsrelevanz und Ausgabenstatistik

2.4    Zusammenfassender Überblick

3. Bildungsausgaben i.w.S. auf Landesebene

3.1    Schulausgaben im Land Berlin

3.2    Kinder und Jugendhilfe

3.3    Ausgaben für Kooperation Schule  Jugendhilfe

3.4    Programm „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“

3.5    Weitere Ausgaben

3.6    Zusammenfassung

4. Bildungs und Jugendhilfeausgaben am Beispiel des Bezirks MarzahnHellersdorf

4.1    „Regelausgaben“ für Schulen

4.2    Bildungsausgaben i.w.S.

4.2.1   Inklusion

4.2.2   Kinder und Jugendhilfe

4.2.3   Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Familienhilfe

4.3    Gesamtausgaben für den Bereich „Schule und Jugendhilfe“ in MarzahnHellersdorf

5. Zusammenfassung und Fazit

Literatur
Anhang 1: Nachrichtlich erfasste Bereiche und weitere Positionen
Anhang 2: Fiskalische Effekte einer Umsteuerung im Bildungsbereich

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