Die berühmte Umarmung – Eine Reportage über die deutsch-polnische Aussöhnung

20.11.2014, Krzyżowa | W listopadzie 1989 r. w Krzyżowej doszło do symbolicznego pojednania polsko-niemieckiego. W 25. rocznicę tamtego wydarzenia premier Ewa Kopacz spotkała się w tym samym miejscu z kanclerz Niemiec Angelą Merkel.
Teaser Bild Untertitel
Premierministerin Ewa Kopacz und Bundeskanzlerin Angela Merkel im November 2014 in Krzyżowa

Zum diesjährigen 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags besuchte Tomasz Kwaśniewski das Dorf Krzyżowa (Kreisau), in dem damals das bahnbrechende Friedenstreffen zwischen Premierminister Mazowiecki und Bundeskanzler Kohl stattfand. Welche Erinnerungen haben die Bewohner an das historische Ereignis und wie sehen die Beziehungen zum westlichen Nachbarn heute aus?

Ich gehöre zu denen, die von Regierungen nichts halten. Von Königen. Von Grafen. Ich respektiere sie alle nicht – sagt er, obwohl ich ihn nach etwas Anderem fragte. Er spricht generell von allem, nur von der deutsch-polnischen Aussöhnung nicht, die in seinem Dorf 1989 stattfand.

- Ich hätte gern den Sozialismus zurück. Der Staat war damals sicher. Zwei Gebäude errichtet und alles ohne einen Cent von den Banken. Diese Ungleichheiten kotzen mich echt an!

Dann erzählt er, wie er Mitte der 1980er Jahre eine Bar eröffnete. Sabrina. Wie die vollbusige, italienische Sängerin. Er spricht von Discos mit 300 Leuten in seiner Bar. Darüber, dass er die Bar in den späten 1990er Jahren auflöste, als es mit den Drogen und Schlägereien losging. Er hat übrigens auch Schläge einstecken müssen, genau da, von einem Boxer. Er hatte einen Laden, den er 2006 geschlossen hat. Eine Planierraupe, einen Bagger und eine Baufirma. Und dann kam die Steuerprüfung.

Von wegen Mehrwertsteuer ...

– Und was ist mit der deutsch-polnischen Aussöhnung?

– Gleich eine Aussöhnung. Gegen die Deutschen habe ich nichts. Sie haben weder mir, noch meiner Familie was getan. Genau wie die Russen.

Mit den Russen habe ich in Schweidnitz (Świdnica) Handelsgeschäfte abgewickelt. Warum die Polen den Russen nicht verzeihen können, keine Ahnung.

– Können Sie sich überhaupt an die Versöhnungsmesse erinnern?

– Warum sollte ich mich nicht erinnern, ich verkaufte damals eine ganze LKW-Ladung Bier. 6.000 Flaschen. Die Leute haben das Bier kartonweise gekauft. Ich erzähle Ihnen noch was über Balcerowicz ...

– Ich will nichts über Balcerowicz hören, sondern darüber, was hier damals passierte.

– Vom Dach meines Ladens aus habe ich alles beobachtet. Als Kohl ankam, alles habe ich gesehen. Und dann war da die Messe und sie umarmten sich. Mazowiecki mit Kohl. Ehrlich gesagt, ich dachte, es wäre nur eine Show. Damals waren die Russen immer noch bei uns, nicht wahr? Und sie haben die Messe abgehalten, um ihnen zu zeigen, wir hätten jetzt andere Freunde. Aber zurück zur Mehrwertsteuer ...

– Ich hätte lieber gewusst, was Sie von den deutsch-polnischen Beziehungen halten.

– Alles war gut, bis die Stiftung für Verständigung ihre Bar in Betrieb nahm. Zuvor kamen die Deutschen zu mir. Wissen Sie, bis wie viel Uhr ich mit ihnen saß? Bis vier am Morgen. Meine Frau war schon sauer. Ich schlief ein, sie saßen weiter.

Wissen Sie, warum ein Deutscher sein Bier sehr kalt bestellt? Bis er sein Bier austrinkt, würde es kochen. Sie saßen und saßen. Aber immerhin zahlten sie auch. Nicht wie die Unseren, die alles anschreiben lassen.

Schloss

Kreisau (Krzyżowa). Einige Dutzend Häuser, eine Kirche, ein Laden und eine Bushaltestelle. 250 Seelen, wie es später die Gemeindevorsteherin sagen wird. Und keine Kuh.

Aber zurück zu den Menschen – die meisten von ihnen beziehen Rente oder Pension. Dazu viele Arbeitslose. Wenige junge Leute. Sie liefen davon. In die Städte, ins Ausland. Landwirte mit größeren Betrieben gibt es in Kreisau vier an der Zahl. Das Haus des Dynamischsten, ich komme gleich auf ihn zurück, steht direkt vor dem Schloss. Denn in Kreisau gibt es ein Schloss. Im Grunde ein Schloss mit Gutshof – vor dem Krieg gehörte es der Familie von Moltke, nach dem Krieg wurde es verstaatlicht und gehörte dem volkseigenen Gut, jetzt befindet es sich im Besitz der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung.

In den restaurierten Gebäuden, dazu gehören unter anderem das Schloss, die Stallungen und die Remise, befindet sich heute ein internationales Konferenzzentrum.

Im Restaurant „U Hrabiego“ [Beim Grafen] bestelle ich eine Sauersuppe, setze mich an einen Tisch unter einem Sonnenschirm und blicke auf einen großen, mit getrimmten Rasen bedeckten Hof. Genau hier, am 12. November 1989, hat der polnische Premierminister Mazowiecki während der von Erzbischof Alfons Nossol zelebrierten Messe den deutschen Bundeskanzler Kohl umarmt. Und umgekehrt.

Die Sauersuppe ist vorzüglich. Ich lege den Löffel zur Seite, bereite das Diktafon vor und lege los.

Ein Kreis und eine Messe

Dominik Kretschmann erwische ich im Schloss, im Zimmer von Dorothy von Moltke, der  Mutter von Helmut James Graf von Moltke, dem Begründer des Kreisauer Kreises.

Er ist 43 Jahre alt, ein Rechtsanwalt, aus Frankfurt am Main gebürtig. Seine Eltern wurden in Lidzbark Warmiński, damals noch Heilsberg, geboren. Sie flohen vor der Roten Armee nach Deutschland. Dominik kam zum ersten Mal im Jahre 1982 im Rahmen eines deutsch-polnischen Treffens nach Polen. Später hat er dann Polen Jahr für Jahr besucht. Er ist mit einer Polin verheiratet und spricht hervorragend Polnisch. Nach Kreisau kam er zum ersten Mal vor acht Jahren, er leitet die Gedenkstätte. Menschen, die diesen Ort besuchen, erzählt er von zwei Dingen. Das erste Thema ist die Messe der Versöhnung.

– Mehrere tausend Menschen waren gekommen, darunter die deutsche Minderheit. Von vielen Menschen hörte ich, die Atmosphäre sei zu Beginn eisig gewesen. Als ob sich zwei verschiedene Gruppen gegenüberstehen würden. Und dann umarmten sich der Kanzler und der Premierminister, und auf einmal schien das Eis gebrochen zu sein.

Die Legende besagt, dass der Bär Kohl, der größere der beiden, den schwächlichen Mazowiecki umarmt habe. Wenn aber genauer hinschaut, dann sah es überhaupt nicht so aus.

Das zweite  erinnerungspolitische Thema ist der Kreisauer Kreis.

– Auf Deutsch würde ich sagen: Es war eine Widerstandsgruppe. Auf Deutsch, weil das, was sie getan haben, zur polnischen Definition nicht passt. Und das deshalb, weil sie in erster Linie mental aktiv waren. Sie waren der Überzeugung, dass der Nationalsozialismus, als etwas, was auf Gewalt basiert, nicht lange überdauern kann. Man muss sich also dafür wappnen, was danach kommt. In Berlin trafen sie sich mehr als hundert Mal, in Kreisau drei Mal – im Haus am Hügel.

An den Treffen nahmen Vertreter von Arbeitern, Sozialdemokraten, Christdemokraten, Nationalisten, Aristokraten und Kirchen teil. Also alle Gruppen, die sich damals untereinander nicht so einfach verständigen konnten.

1944, nach dem Attentat auf Hitler, nahm sich die Gestapo der Gruppe an. Am Ende wurden zehn Personen aus dem inneren Kreis vor Gericht gestellt, neun davon erhielten die Todesstrafe, acht wurden schließlich getötet. Und jetzt interessieren sich die Deutschen, die Kreisau besuchen, am meisten für den Kreisauer Kreis. Die Polen hingegen interessieren sich für die Versöhnungsmesse. Unsere Mission ist es, die Aufmerksamkeit in die jeweils andere Richtung zu lenken.

– Warum wurde die Messe genau hier abgehalten?

– Am Anfang sollte sie am St.-Anna-Berg stattfinden, der nicht nur ein Wallfahrtsort ist, sondern auch Ort der Kämpfe um die Zugehörigkeit von Schlesien. In den Zeiten des Nationalsozialismus wurde dort ein großes Denkmal zu Ehren jener Menschen errichtet, die darum gekämpft hatten, dass die Deutschen in Oberschlesien bleiben konnten. 1945 wurde das Denkmal abgerissen, man begann mit dem Bau eines anderen, gleichermaßen provokanten Denkmals zu Ehren der Menschen, die darum kämpften, dass die Polen dort bleiben konnten – dies war nicht der beste Ort für das Treffen von Kohl mit der deutschen Minderheit, die es offiziell bis 1989 in Polen nicht gab.

– Aber warum Kreisau?

– Es gibt verschiedene Versionen. Eine besagt, dass Mazowiecki an die antifaschistische Tradition anknüpfen und zeigen wollte, welches Deutschland sich Polen als Kooperationspartner wünscht. Was Kohl angeht, sollte dies auf einer gegenseitigen Achtung basieren. Denn Polen existierte bereits in den Nachkriegsplänen des Kreisauer Kreises.

– Und die Umarmung war so geplant, oder es kam, wie es kam?

– Ich glaube schon, dass es spontan war.

Echt super.

Die Türen stehen offen, hier stehen die Türen fast in jedem Haus offen, ich bleibe auf der Veranda stehen und sage: – Guten Tag!

Die Gemeindevorsteherin, schon in ihren dritten Amtszeit, lädt mich ein, hereinzukommen. Sie kam gerade von der Stiftung zurück, sie arbeitet dort in der Küche. Sie wurde in Kreisau geboren. Neben der Aufgabe als Gemeindevorsteherin engagiert sie sich im Pfarreirat.

– Können Sie sich daran erinnern, was 1989 hier geschehen ist?

– Sicher, ich war damals 22 Jahre alt. In den ersten Tagen, als bekannt wurde, dass die Messe hier abgehalten werden sollte, ging‘s hier richtig rund. Alle liefen herum, räumten auf, dort auf der Seite stand ein altes Haus, es wurde hergerichtet und gestrichen, sodass es nicht mehr so abschreckend aussah. An der Ecke, bei den Nachbarn, rieselte der Putz. Man hat ihnen das Haus gestrichen. Die Armee richtete alles her. Ich war dort mit meiner Tochter, sie war damals noch kein Jahr alt. Es waren Unmengen von Menschen. Die Busse fuhren die ganze Nacht über. Die Messe schaffte ich nicht, es wurde kalt, das Kind fröstelte, ich habe also die berühmte Umarmung nicht gesehen. Das heißt schon, aber erst später, im Fernsehen. Und als es zu Ende ging, haben wir auf den Treppen, am Altar, Fotos gemacht. Es war ein Erlebnis, das muss ich schon zugeben.

Irgendwelche Deutschen kamen. Denn als wir noch den Pfarrer Kałuża hier hatten, Gott sei seiner Seele gnädig, hat er Kontakte zum Klub der katholischen Intelligenz in Breslau gepflegt. Er hat sie immer wieder hierher gebracht, Kreisau gezeigt, dieses Schloss, diese Bruchbude. Damals war es nur eine Ruine. In diesen Stallungen, wo jetzt der Speisesaal ist, standen Kühe ...

– Guten Tag – sagen wir zu Bronisława, der Mutter der Gemeindevorsteherin. Sie kommt gerade aus der Schlossküche, wo sie etwas zu ihrer Rente dazu verdient.

Frau Bronisława mischt sich sofort ein. – Ich war ein Jahr alt, als ich mit meinen Eltern nach Kreisau kam. 1946. Aus Stanisławów. Und wir trieben uns im Schloss herum. Es gab dort besondere Bücher. Verschiedenes Geld, aus der Vorkriegszeit. Auf dem Dachboden. In den Kellern. Heute weiß ich, welchen Wert das alles hatte, aber damals haben wir es zerrissen und weggeworfen.

– Und was denken Sie über die Deutschen?

Gemeindevorsteherin: – Ich habe nie gedacht, dass Deutschland  unser Feind sei. Ich wuchs in anderen Zeiten auf. Mama hat auch nie etwas Schlechtes über sie gesagt.

Bronisława: – Als wir hier angekommen sind, hat in diesem Haus eine Deutsche gelebt. Martha. Sie wurde schon schief angesehen, aber mein Vater sprach Deutsch und freundete sich mit ihr an. Und sie halfen sich gegenseitig. Später fuhr sie weg und kam dann 1975 zurück. Sie brachte meinem Vater Geschenke, sie pflückte Kirschen und sagte, es wäre wie damals. Damals, als sie fortging, hat sie sich fest an das Haus gedrückt. Und später schickte sie uns ein Paket.

Gemeindevorsteherin: – Sie kamen mit Taxis aus Breslau hierher und die Leute hatten Angst, nicht wahr? Sie hatten Angst, dass ihnen jemand das Haus wegnimmt. Wenn heute jemand auf der Straße Deutsch spricht, interessiert das niemanden mehr. Obwohl, ehrlich gesagt, sie hätten schon ein wenig Polnisch lernen können. „Dziękuję“. „Dzień dobry“. Es ist ganz einfach nett, wenn sie es versuchen.

– Welchen Vorteil habt ihr aus dem damaligen Ereignis?

Bronisława: – Sobald wir erfahren haben, dass die Messe der Versöhnung hier abgehalten werden soll, war die Freude groß. Wir wussten, uns wird es besser gehen. Und tatsächlich,  sofort wurden Telefonleitungen verlegt. Straßen wurden gebaut. Gehsteige. Und dann haben die, die im Schloss des volkseigenen Gutes wohnten, Wohnungen bekommen. Wenigsten auf ihre alten Jahre.

Gemeindevorsteherin: – Wir wollten eine Klärgrube bauen, aber sie haben im Schloss eine Kläranlage gebaut, dann haben wir uns da angeschlossen. Die Leute begannen, ihre Häuser zu pflegen. Wenn jemand kommt, dann sollte es schön aussehen, nicht wahr? Also, wir kommen voran. Wie man so sagt: 21. Jahrhundert.

Es ist gut

Zbigniew, 64 Jahre alt, sitzt vor der Scheune und telefoniert. Also warte ich. Und dann frage ich nach der Messe.

– Im Fernsehen habe ich es mir angesehen. Ich hätte es auch hier gekonnt, meine Mutter wohnte in dem kleinen Haus auf dem Hof. Nur es waren einfach so viele Menschen. Die zwei, also Kohl und Mazowiecki, saßen auf einem Podest, später kam dann die Rede, sie froren wohl auch, Mazowiecki hatte einen Schwächeanfall ....

– Den Schwächeanfall hatte er im Parlament.

– Hier auch.

Damals lebte hier noch die alte Heilerin, Wójcik, und sie sagte zu ihm: „Komm, ich mache dir einen Tee, da wärmst Du Dich auf“. Sie wollte ihn mit in ihre Wohnung nehmen.

– Und wie ist Ihre Einstellung zu den Deutschen?

– Ich habe nichts gegen die Deutschen. Da, da hat sogar einer von ihnen ein Haus gebaut. Und er wohnt hier. Wir haben uns sogar ein wenig angefreundet.

– Manche sagen, sie werden kommen und alles aufkaufen.

– Sie werden nicht mehr kaufen können. Es  wurde ein Gesetz verabschiedet, das dies nicht mehr zulässt. Und überhaupt, sie haben gar nichts aufgekauft, sondern die Kirche. Und dann hat sie große Handelsgeschäfte damit gemacht.

– Darf ich was dazu sagen? – mischt sich Rysiek, der Cousin von Zbigniew, ein.

Z.: – Erzähle dem Herrn über die Messe, du warst doch dort.

R.: – Ich wohnte dort. Unten Traktoren, ich oben ...

Z.: – Erzähle über Kohl!

R.: – Ich arbeitete bis drei in der Früh, ich kam sehr müde zurück, und bei mir zu Hause die Polizei. Das heißt der Sicherheitsdienst. Sie wollten mich nicht rein lassen. Ich sagte: „Ich wohne doch hier. Ich möchte etwas schlafen.“ Als ich wach wurde, haben mir die vom Sicherheitsdienst den Kaffee gemacht. Und dann, wissen Sie, wir hatten ein Flachdach ... Also, rauf mit uns, dann sehen wir besser. Der Sicherheitsdienst erwiderte: Da hast du eine Kamera, wozu aufs Dach?

Z.: – Weil sie alles mit Kameras beobachteten.

R.: – Und sie hatten etwas Angst, man weiß ja nie. Ich ging doch aufs Dach.

– Was meinen Sie, warum haben sich Kohl und Mazowiecki umarmt?

R.: – Wir schuldeten ihnen Geld. Kredite, oder so etwas. Kohl sagte damals, wir Polen sollten die Gebäude renovieren, das heißt das Schloss, und sie werden uns im Gegenzug die Schulden erlassen. Sie haben dann mit den Sanierungsarbeiten begonnen und wir wurden umgesiedelt.

– Sie haben das Haus bekommen?

R.: – Nicht ganz, zehn Familien wurden hier eingepfercht.

Z.: – Vier.

R.: – Was für vier? Sechs.

– Wie schätzen Sie die deutsch-polnischen Verhältnisse heute ein?

R.: – Ich habe in Deutschland gearbeitet, in Tschechien war ich auch, ich beschwere mich nicht über sie. Und wenn sie hierher kommen, grüßen wir uns. „Morgen“, oder wie sie es halt sagen. Meiner Ansicht nach sind sie gut.

Mein Herz kann ich hergeben, aber das Land nicht

– Als sie 1989 kamen, wohnte ich nicht hier. Nur meine Frau. Soll ich sie rufen? – Marcin, 35 Jahre alt, versucht mich und mein Diktafon loszuwerden. Solange sie nicht da ist, sagt er, dass seiner Meinung nach die deutsch-polnischen Beziehungen heute sehr gut sind. – Die Älteren, die sich an den Krieg erinnern, an die schrecklichen Dinge, sie sind alle schon gestorben. Wie mein Großvater. Oder meine Großmutter. Oh, meine Frau kommt.

Wir setzen uns auf eine Bank. Zünden uns eine Zigarette an. Edyta beginnt zu erzählen. Ihre Mutter stammt aus Makowice, wenige Kilometer von hier entfernt, ihr Vater aus Kreisau. Die Großmutter stammte aus Litauen. Sie kam gleich nach dem Krieg hierher, bekam eine Stelle beim volkseigenen Gut und eine Wohnung, die zum Gutshof des Hauses am Hügel gehörte.

– In Litauen hatte Oma Felder, Wälder und sogar einen Grafentitel. Nach dem ersten Mann hieß sie Dunajewska, später wurde daraus Dunaj, und vom zweiten Mann übernahm sie den Namen Rusiecka. Sie selbst stammte von der Familie Poczobut ab.

– Sie stammen also auch von der Familie Poczobut ab.

– So sieht es aus, wir sind allerdings nur um mehrere Ecken verwandt. Auf jeden Fall wurde Oma von den Russen vertrieben.

– Waren Sie bei der Messe dabei?

– Wir waren damals junge Mädels, haben uns schick gemacht und sind alleine dorthin. Wir sahen alles. Auch, wie sie sich umarmten.

– Was dachten Sie damals dabei?

– Ach was weiß ich. Wir dachten damals nichts Besonderes, ich war eine Jugendliche, was hätte ich denn denken sollen? Ich wollte es sehen. Heute denke ich, sie haben es getan, um die Tragödie ungeschehen zu machen, die sie uns angetan haben. Obwohl, jetzt scheint es so zu sein, als hätten wir ihnen etwas angetan. Wir erinnern uns daran, dass sie in Auschwitz Juden und Polen verbannten, heute spricht man bei ihnen davon, dass wir, die Polen, das getan hätten.

– Wo sagt man denn so etwas?

– An verschiedenen Orten, sie posten es auf Facebook. Aber mit der Tragödie damals, ich weiß nicht, wie ich es nennen sollte, war es doch eine klare Sache und sie wollten es beschwichtigen. Wie dem auch sei, sie begannen schon früher damit, hierher zu kommen. Vor der Veranstaltung, noch vorher, gab es hier Arbeitslager. Ich meine Workcamps. Wohnwagen haben hier gestanden und sie, die Jugendlichen aus der ganzen Welt, haben hier aufgeräumt. Sie organisierten verschiedene Abendveranstaltungen, grillten und haben uns eingeladen.

– Haben Sie sich in keinen der Deutschen verliebt?

– Da waren schon ein paar Jungs dabei, man ging mit ihnen auf die Erntedankfeier, auf Feste. Ich kann ja überhaupt kein Englisch, aber mit einem Wörterbuch, mit Händen und Füßen ... irgendwie ging es schon.

– Und wenn Sie hören, dass sich die Deutschen in der Europäischen Union wichtig machen?

– Sie machen sich jetzt generell auch in Polen so wichtig. Sie wollen zu ihren früheren Ländereien zurückkehren. Ich habe eigentlich nichts gegen sie, mir wäre es jedoch lieber, sie blieben bei sich zu Hause. Es kann später wieder so sein, wie es schon einmal war, sie werden sich ausbreiten, schalten und walten und unsere Schulen germanisieren.

– Und wie sind Sie zu den Work Camps gegangen?

– Als junges Mädchen war es für mich normal. Ich lernte Freunde und Freundinnen kennen, wir spielten, lachten, ich lernte ein wenig ihre Sprache, es war schön.

– Haben Sie sich vorstellen können, einen Deutschen zu heiraten?

– Ich denke, es hätte mich nicht gestört.

– Aber das Land wollen Sie ihnen nicht verkaufen?

– Weil es unser polnisches Land ist, man muss es verteidigen und Schluss.

Meine Cousine hat einen Deutschen geheiratet.

Der größte Landwirt in Kreisau wohnt gegenüber dem Schloss. Drei Männer sitzen am Tisch. Großvater, Vater und Sohn. Der Vater in der Mitte. Auf einer Schaukelbank.

– Ich habe gehört, Sie züchten Schweine. So sagte es mir jedenfalls die Gemeindevorsteherin – versuche ich, ein Gespräch aufzunehmen.

Vater: – Für 3 Zloty?! Schlachtvieh?! Als der freie Markt kam, lag der Preis bei 5,60. Damals gab es eine Menge kleinerer Schlachthöfe, aber nachdem wir der EU beigetreten sind, musste man alles schließen. Im letzten Jahr gab ich auf. Als die Sanktionen gegen Russland verhängt wurden.

– Was ist Ihnen geblieben?

Vater: – Getreide baue ich an. Rüben. Raps. Fast 200 Hektar. Rüben allerdings das letzte Jahr. Man weiß es nicht, ob es nicht genauso wie mit der Milch enden wird. Milch hat sich noch bis zum letzten Jahr rentiert. Als die Milchquoten wegfielen, fiel der Preis von 1,60 Zloty auf 90 Groszy.

– Können Sie sich erinnern, was am 12. November 1989 geschehen ist?

Sohn: – Mich gab‘s damals noch nicht.

Vater: – Ich war 34 und wir saßen auf dem Dach. Kohl stieg an der Zufahrt zum Dorf aus, dort, wo die Gabelung ist, und lief zwischen den Menschen. Und vor zwei Jahren, als am Jahrestag der Messe die Premierministerin Kopacz mit Angela Merkel kam, wussten wir nicht einmal, in welchem Auto sie sitzt. Sie kamen mit den Fahrzeugen und fuhren wieder fort. Kohl lief und lief.

Großvater: – Und es gab damals keine Attentate, nichts.

Vater: – Und es waren viele Menschen hier. Die polnischen Deutschen, wie wir es sagen, aus Oppeln.
– Von wo woher stammen Sie denn?

Großvater: – Aus der Krakauer Region.

Vater: – Der Großvater kam im Mai 1945 hierher, um dieses Land zu besiedeln.

Großvater: – Ich war damals 14 Jahre alt.

Das Landgut war in russischen Händen. In den Häusern wohnten Deutsche. Sie schmissen sie nicht sofort raus. Sie wurden hier zwischenzeitlich untergebracht, Baracken haben sie am Dorfrand gebaut, dort haben sie sie hingeschafft. Aber zuvor wohnten wir zusammen. Einen Laden gab es auch nicht, wo man sich hätte etwas zum Essen kaufen können. Und Geld auch nicht.

Unser Deutscher dachte, wir seien gekommen, um bei ihm zu arbeiten. Ein echter Nazi. Sein Kinn war sehr ausgeprägt. Er jagte uns zur Arbeit, sonst würde er uns nichts zu Essen geben. Mutter hatte Angst, weil mein Vater erst etwas später kam. Was sollte man tun?

Mein Bruder versuchte, unweit von hier, in Boleścin, eine Kneipe aufzumachen. Mutter ist mit der Bitte um Hilfe zu ihm gegangen, er hatte Kontakte zur Geheimpolizei. Dann sind zwei Mann gekommen, auf Fahrrädern. Zwei Tage haben sie ihn festgehalten, als er zurückkam, mussten wir nichts mehr tun, er rief uns nur zum Essen.

– Und dann haben sie ihn sowieso abtransportiert?

Großvater: – Ich selbst habe ihn abtransportiert. Mit Frau und Kindern.

– Als sich Kohl und Mazowiecki während der Messe umarmten, was haben Sie da gedacht?

Großvater: – Es war eine Versöhnung.

Vater: – Früher haben die Bischöfe bereits die Versöhnung eingeleitet. Dieser berühmte Brief. Damals fand das allerdings ohne die Regierung statt. Hier war es dann offiziell. Auf jeden Fall haben wir uns damals geöffnet und kaum sind wir im Alter irgendwo hingefahren, da möchte uns die neue Regierung schon wieder einsperren.

Großvater: – Und wozu nun das alles, damals?

– Denken Sie, die Versöhnung ist gelungen?

Vater: – Ihnen ist es gelungen, weil wie Sie sehen können, wenn die Jugendlichen herkommen, ist der eine Deutsche schwarz und der andere Deutsche ein Türke.

– Und uns?

Vater: – Uns auch, wir haben jetzt auch Familie in Deutschland. Die Cousine hat einen Deutschen geheiratet.

– Bringt das Schloss irgendwelche Vorteile?

Sohn: – Wissen Sie, seit 1998, nach der Renovierung, gab es dort ein Fitnessstudio, eine Sauna und Billard und man konnte das alles nutzen. Später kamen dort dann aber verschiedene Sachen abhanden. Weil man aber über Gäste kein böses Wort sagen darf, machte man uns zum Sündenbock. Verboten haben sie es uns nicht, aber wir mussten seither zahlen.

Vater: – Jetzt macht jeder seins, es gibt nur das Problem, dass wenn die da Veranstaltungen machen, da fahren hier so viele Fahrzeuge rum, dass man mit den eigenen Geräten nicht aus dem Haus kommt. Die Baugenehmigung für einen Getreideturm haben sie mir auch verweigert.

Sohn: – Der Denkmalschützer war nicht einverstanden, wegen dem Schloss.

Großvater: – Wie soll man da expandieren?

Vater: – Gott sei Dank, machen sie keine Hochzeiten mehr.

– Heute wird es eine geben.

Vater: – Sehr ärgerlich. Man will schlafen, und sie machen ein Feuerwerk um Mitternacht. Und das fragt keiner nach einer Genehmigung.

Homo versus hetero

Am Ende muss der Chef das Wort haben. Bitte sehr, Rafał Borkowski, seit vier Wochen der Vorstandsvorsitzende der Kreisauer Stiftung. 47 Jahre alt, er studierte angewandte Mathematik. In der Stiftung begann er vor 26 Jahren als Freiwilliger.

– Die Versöhnungsmesse?

– Ich war nicht dabei. Damals habe ich mich nicht dafür interessiert. Ich kam immer wieder zu den Workcamps. Wir räumten auf, bauten den ersten Info-Kiosk für Touristen auf. Aus Deutschland kamen die ersten Busse. Am wichtigsten war es, dass wir zusammen gearbeitet haben.

Dies war die Zeit, als der Eiserne Vorhang fiel, wir hatten jedoch nicht genug Geld, um zu reisen, und hierher kamen Leute aus zehn verschiedenen Ländern. Polen, Litauer, Weißrussen, Ukrainer, Russen. Aber auch Amerikaner, Schweizer, Iren, Deutsche und Niederländer. Wir arbeiteten und diskutierten. 1994 haben wir die ersten drei Konferenzräume und ein Hotel mit 60 Plätzen eröffnet, und so wächst es weiter.

– Irgendwelche Barrieren?

– Ich habe den Eindruck, als ob die Deutschen Polen immer noch ein wenig als Dritte Welt betrachten würden. Schließlich werden viele Aktionen, die an uns gerichtet sind, als Entwicklungshilfe betrachtet. Dies führt dann dazu, dass sie im Hinterkopf haben, dass ein Pole weniger verdienen kann, wenn wir mit ihnen irgendetwas geschäftlich zusammen machen. Letztendlich helfen sie uns doch. Ich habe den Eindruck, dass wenn wir uns querstellen würden und sagen: Ab jetzt gleiche Regeln für alle, wir richten uns von den Knien auf, nehmen an keinem Projekt mehr teil, bei dem Polen und Deutsche unterschiedlich vergütet werden, keine Gleichberechtigung bei der Vergabe von Funktionen herrscht, dann hätten wir nichts mehr machen können. Weil der Löwenanteil des Geldes, das für diverse deutsch-polnische Projekte bestimmt ist, eben aus Deutschland kommt.

Von den Knien erhebt man sich am besten mit Bedacht. Also langsam. Wir machen das seit 26 Jahren so.

– Sonst noch etwas?

– Es gibt ein ständig wachsendes Problem. Ich meine hierbei die Homogenität und Heterogenität der Gesellschaften.

Wir sind sehr homo – es gibt keine nationalen Minderheiten, keine religiösen Minderheiten. Da liegt der Unterschied. Die Deutschen sind hetero. Eindeutig. Sie machen sich Sorgen, dass wir so sehr homo bleiben wollen. Dass wir gegen die Flüchtlinge und gegen die Solidarität sind. Und gegen die Unterstützung Notleidender.
 

Die Reportage von Tomasz Kwaśniewski ist am 16. Juni 2016 in der Jubiläumsausgabe des Magazins „Duży Format“ [Großformat] erschienen. Die Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung entstanden ist, war den Beziehungen zwischen Polen und Deutschland anlässlich des 25. Jahrestags der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrags gewidmet.

Der Text stellt die persönliche Meinung des Autors dar und spiegelt nicht unbedingt die Position der Stiftung wider.