Auf dem Weg zu einem Einwanderungsgesetz

Ein langer Weg

Der demografische Wandel kann nur durch Migration abgemildert werden. Eine Einwanderungsgesellschaft muss Geflüchtete und Zugewanderte getrennt behandeln, aber gemeinsam denken. Ein Bericht zu unserer Gesprächsreihe "Zukunftswerkstatt Deutschland".

Deutschland, das nach den ersten Anstrengungen der Süssmuth-Kommission 15 Jahre gebraucht hat, sich als Einwanderungsgesellschaft zu akzeptieren, benötigt ein neues Einwanderungsgesetz. Daran ließ Malti Taneja aus dem Aufsichtsrat der Heinrich-Böll-Stiftung und Expertin für Migration, Flüchtlinge und Integration, in ihrer Einfüh-rung in die zweite Gesprächsrunde keinen Zweifel.

Dabei hat das hohe Maß an Zuwanderung durchaus Potential, die Spannung in der Gesellschaft zu erhöhen: enormes zivilgesellschaftliches Engagement auf der einen Seite, Ablehnung der Schutzsuchenden durch rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien andererseits. „Wir haben ein Kommunikationsproblem vor allem in jene Schichten hinein, die Deutschland nicht als Einwanderungsland begreifen“, sagte Taneja. Mit dem Integrationsgesetz sollte ein neues Einwanderungsgesetz vorbereitet werden. Das aber sei bisher nicht gelungen.

Eckpunkte für Einwanderungsgesetz

Den Impuls für die Diskussion gab Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Bundestagesabgeordnete und Sprecherin ihrer Partei für Flüchtlingspolitik. Sie skizzierte die Eckpunkte für ein dringend benötigtes neues Einwanderungsgesetz. Dies sei schon deshalb nötig, weil das bestehende Zuwanderungsgesetz bereits im ersten Satz das Ziel formuliere, den Zuzug zu begrenzen. Mit Hilfe eines neuen Einwanderungsgesetzes will ihre Partei die Vorschriften zur Arbeitsmigration systematisieren, liberalisieren und entbürokratisieren.

Mit dem neuen Gesetz sollten die Potentiale der Menschen berücksichtigt und besser gefördert werden. Das schließe auch einen Statuswechsel vom Asylverfahren in die Spur der Fachkräfteeinwanderung nicht aus. Dieser müsse künftig möglich sein. In das neue Gesetz gehören ihrer Meinung nach auch menschenrechtliche Schutzstandards, darunter der Familienzuzug, der Ausbau des Geburtsrechts sowie die Anerkennung von Abschlüssen, Qualifizierungen, soziale Kompetenzen und persönliche Ziele der Zuwanderer.

Dabei ist sich auch das Bündnis90/Die Grünen der Ambivalenz eines solchen Gesetzesvorhabens bewusst: die Abwerbung von Fachkräften aus Entwicklungsländern, die eigentlich dringend auf diese angewiesen sind. Amtsberg forderte deshalb eine Erleichterung der Rückkehr dieser Zuwanderer in ihre Heimatländer. Dabei sollen deutsche Aufenthaltstitel mit einem längeren Verbleib im Heimatland nicht automatisch verloren gehen.

 

Demografische Herausforderung

Sie bestand auf dem Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten. Für die Flüchtlinge, die Schutz und daher Asyl suchten, sei das Grundgesetz zuständig, nicht das Einwanderungsgesetz. „Niemals darf es so weit kommen, dass ein Flüchtling nur als Arbeitskraft angesehen wird. Dann würden wir unsere Werte verraten“, sagte die Politikern.

Integrationserfolg an Hochschulen

Schon im Kommentar zu diesem Impuls von IW-Wissenschaftler Axel Plünnecke (hier die Präsentation als PDF) wurde deutlich, dass die Trennung von Flüchtlingen und Migranten nicht ganz so einfach ist und Flüchtlinge natürlich auch potenzielle Arbeitskräfte sind. Plünnecke betont aber ebenso, dass Flüchtlingsmigration aus humanitärer Sicht zu bewerten ist und begreift primär die qualifizierte Zuwanderung als ein Mittel zur Fachkräftesicherung. Vor allem im dualen Ausbildungssegment der technischen Berufe sei die Lücke groß. Dass langfristig die Fachkräftesicherung durch Zuwanderung gut funktionieren kann, belegte er mit Zahlen zur Entwicklung einer deutlich steigenden Beschäftigung von Ausländern im MINT-Segment seit 2012. „In den vergangenen Jahren hat die Zuwanderung die Wirtschaftskraft Deutschlands erhalten“, sagte er.

Plünnecke sieht dringenden Handlungsbedarf auf folgenden Feldern: Im Rahmen der Erwerbsmigration müsse der Zugang für Qualifizierte deutlich erleichtert werden. Der Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche müsse ausgebaut werden. Bei der Zuwanderung über das Bildungssystem müsse der Zugang zu einer Ausbildung deutlich vereinfacht wer-den – auch durch Vorkurse für eine betriebliche Ausbildung. Besonders wichtig seien Transparenz und die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsprozessen. „Dabei muss die Staatsbürgerschaft eine Perspektive sein“, forderte der Wissenschaftler. „Für die Integration bringt das einen enormen Zusatzschub.“

Transparenz bei Entscheidungen

Die Diskussion entzündete sich zunächst an den Vorstellungen von Luise Amtsberg, bei der Beurteilung von Qualifikation und Eignung auch die persönlichen Zielvorstellungen von Flüchtlingen und Migrant/innen einzubeziehen. Wie solle das bewerkstelligt und gemessen werden – vor allem vor dem Hintergrund einer immer wieder geforder-ten Transparenz der Entscheidungsprozesse?

Der von Amtsberg angedachte Spur- oder Statuswechseln bei der Einwanderung wurde unter den Teilnehmern begrüßt. Allerdings dürfe der Weg für einen Flüchtling über die Schiene der Arbeitsmigration dann nicht einfacher sein als für „echte“ Arbeitsmigranten aus Drittstaaten.

 

Zuwanderung über Hochschule

Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Roundtables herrschte weitgehend Einigkeit, dass eine Integration in die deutsche Gesellschaft am besten und wahrscheinlich auch zügigsten über den Arbeitsmarkt funktioniert. Vorsicht sei gleichwohl geboten, wenn man die Grenzen zwischen Flucht und Migration nicht klar ziehe. Durch die Wirtschaft könne nach Einschätzung einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann Druck auf die Flüchtlingszahlen ausgeübt werden, weil die Wirtschaft die Flüchtlinge natürlich primär als Arbeitskräftepotenzial begreife. Doch Flüchtlinge müssten auch dann Akzeptanz bekommen, wenn sie nicht „nützlich“ seien.

Zuwanderung über Netzwerke

Eine der weiteren Fragen, die sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern stellte, war die Tatsache, dass viele Hochqualifizierte einen großen Bogen um Deutschland machten. Warum eigentlich? Eine Liberalisierung der Gesetze würde wohl kaum ausreichen, um Abhilfe zu schaffen. Dass Deutschland sich bis vor gar nicht langer Zeit gerade nicht als Zuwanderungsland begriffen habe, wirke sich bis heute aus, hieß es. Deshalb hätten sich hier – anders als in anderen Ländern – noch nicht viele „Communities“ und Netzwerke ausgebildet, die ihrerseits Zuwanderung von Hochqualifizierten generieren könnten.



Ebenso beschäftigte die Runde der mögliche Brain-Drain, der entsteht, wenn Deutschland sich mit einem klareren Gesetz, verbesserter Kommunikation und höherer behördlicher Transparenz attraktiver darstelle. Noch einmal wurde von verschiedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Podiums darauf hingewiesen, dass erstens der Brain-Drain durch die Herabsetzung der Hürden des Rückkehrs verhindert werden kann und zweitens in Ländern, in denen an bestimmten Fachkräften schon deutlicher Mangel herrschte, von deutscher Seite nicht geworben werde.

 

 

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Berichts "Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe" aus unserer Gesprächsreihe "Zukunftswerkstatt Deutschland".