Eröffnungsrede der Kiewer Gespräche 2016: Die Ukraine braucht eine europäische Perspektive!

Am 20. und 21. Juni 2016 finden die Kiewer Gespräche in Berlin statt
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Wandel ist das zentrale Thema der Kiewer Gespräche 2016

In seiner Eröffnungsrede zu den Kiewer Gesprächen 2016 geht Ralf Fücks auf die aktuelle Situation der Ukraine im Konflikt mit Russland ein. Gleichzeitig würdigt er die Fortschritte, die die Ukraine seit dem Maidan vor zweieinhalb Jahren gemacht hat.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

ein herzliches Willkommen zur Eröffnung der 12. Kiewer Gespräche. Wir freuen uns sehr, auch Herrn Botschafter Melnyk und den Leiter der „Support Group for Ukraine“ der Europäischen Kommission, Herrn Wagner, unter den Teilnehmer/innen begrüßen können. Ganz besonders begrüße ich die aus der Ukraine angereisten Gäste als Repräsentant/innen der Politik und Zivilgesellschaft ihres Landes. Schön, dass Sie hier sind.

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Maidan bewegen uns die Geschehnisse in der Ukraine. Der Kreml hat mit der Annexion der Krim und dem hybriden Krieg im Donbas nicht nur die Ukraine getroffen, sondern die Sicherheitsordnung für ganz Europa ins Wanken gebracht.
Nach Tausenden von Toten und bis zu 2 Millionen Flüchtlingen ist entlang der Frontlinie noch immer keine Waffenruhe eingekehrt. In den letzten Wochen werden wieder vermehrt Kämpfe gemeldet. Die Opferzahlen sind wieder gestiegen. Daran können und wollen wir uns nicht gewöhnen.

Die OSZE-Monitoring-Mission wird in den Separatistengebieten massiv in ihrer Arbeit behindert. Dennoch steigt der Druck auf die Ukraine, den selbst erklärten "Republiken" von Luhansk und Donezk einen verfassungsmäßigen Sonderstatus einzuräumen und Wahlen vorzubereiten.

Der Westen muss sich klar positionieren

Ob ein solches Zugeständnis die Sicherheit der Ukraine erhöht und die Lage stabilisiert, ist höchst ungewiss. Ebenso zweifelhaft ist, ob Russland und die Separatist/innen ihren Teil der Minsker Vereinbarungen umsetzen werden, sobald Kiew in Vorleistung geht. Freie und faire Wahlen in Donezk und Luhansk sind gegenwärtig so unwahrscheinlich wie die Rückkehr der Kontrolle über die Grenze zu Russland in die Hand der Ukraine.

So lange Moskau seine Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen nicht umsetzt, gibt es auch keinen Anlass für die Aufhebung von Sanktionen, die an diese Verpflichtungen geknüpft sind. Der Westen sollte Putin nicht signalisieren, dass er beides zugleich haben kann: die Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen sowie die Zerstückelung und Destabilisierung der Ukraine.

Umso bemerkenswerter ist es, dass das Land in den letzten zwei Jahren trotz  Krieg, Wirtschaftskrise und andauernder Unsicherheit über die Zukunft einige bemerkenswerte Fortschritte erreicht hat. Ob im Energiesektor oder bei den Banken, bei der Polizei oder beim Beschaffungswesen - an vielen Stellen ist mehr Transparenz eingezogen. Die Staatsfinanzen sind heute in einem besseren Zustand als unter Yanukowytsch. Es gibt eine wache Öffentlichkeit und eine lebendige Zivilgesellschaft.

Zivilgesellschaftliche Initiativen verdienen unsere Solidarität

Bei allen kritischen Vorbehalten, die man auch anführen muss - viele hatten der Ukraine solche Fortschritte nicht zugetraut.
Zu verdanken haben wir den Wandel in erster Linie dem bewundernswerten Widerstandsgeist und dem hohen Maß an zivilgesellschaftlicher Initiative, das wir in der Ukraine vorfinden. Das ist es, was unsere große Solidarität verdient. Ohne den unablässigen Druck von unten, ohne das Monitoring der Staatsorgane durch Nichtregierungsorganisationen, ohne engagierten Journalismus und die außerparlamentarische Begleitung der Gesetzgebung ist ein demokratischer Wandel gegen die immer noch mächtigen Profiteure der alten Ordnung nicht durchsetzbar.

Umso mehr freue ich mich, dass die Kiewer Gespräche in diesem Jahr wieder bei uns zu Gast sind und genau diesen Wandel zum Thema machen. Der Titel unserer Tagung trifft einen zentralen Punkt: „Neu gegen Alt“ beschreibt den Kampf der neuen, reformerischen, europäisch orientierten Kräfte in der Ukraine gegen die alten Strukturen und Seilschaften. Niemand sollte erwarten, dass die alten, korrupten Eliten sang- und klanglos abtreten.

Dabei geht es nicht nur um die Neubesetzung von Positionen in Politik und Verwaltung. Es geht um einen tiefgreifenden Kulturwandel, um Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte und  Transparenz. Dafür braucht es internationale Unterstützung mit einer Mischung aus klaren Erwartungen und strategischer Geduld.

Visafreiheut für ukrainische Bürgerinnen und Bürger

Die Europäische Union ist gegenwärtig sehr mit sich selbst beschäftigt. Das darf keine Ausrede sein, um gegenüber unseren östlichen Nachbarn die Zugbrücken hochzuziehen und die Ukraine ins Niemandsland zwischen der EU und Russland zu verbannen. Die Ukraine gehört zu Europa, und sie braucht eine klare Beitrittsperspektive, um den schwierigen Reformprozess zu unterstützen. Die transformative Kraft des Beitrittsprozesses kann durch nichts anderes ersetzt werden. Niemand macht sich Illusionen, dass dieser Weg noch lange dauern wird. Aber das Ziel sollte für beide Seiten klar sein.

Auf diesem Weg gibt es einen wichtigen Zwischenschritt: die Visafreiheit für ukrainische Bürgerinnen und Bürger, die in die EU reisen wollen. Das gilt insbesondere für junge Leute, Wissenschaftler/innen, Künstler/innen, zivilgesellschaftliche Akteur/innen – wir sollten alles tun, um Begegnungen und Kontakte zu fördern.

Die Kiewer Gespräche sind ein wunderbares Forum, um im Kreis von Freund/innen der Ukraine die Schwierigkeiten bei der Erneuerung des Landes besser verständlich zu machen und Möglichkeiten der Unterstützung zu diskutieren. In diesem Sinne wünsche ich uns allen spannende Diskussionen und gute Gespräche.