Zum Abschluss der Edition der Fraktionssitzungen Die Grünen im Bundestag 1983 bis 1990

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Screenshot des Buch-Covers "Die Grünen im Bundestag"

Die Fraktionssitzungsprotokolle der zweiten Grünen Bundestagsfraktion (1987-1990) liegen jetzt editiert vor. Zusammen mit der Edition der Protokolle der ersten Fraktion stehen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Parteigeschichte der 1980er Jahre nun die grundlegenden Quellen zur Verfügung. Aus Anlass der Publikation haben die Parlamentarismuskommission und das Archiv Grünes Gedächtnis im April zur Veranstaltung "Grüne Utopien und Realpolitik" eingeladen. Politiker/innen und Zeithistoriker/innen diskutierten über ihre Erinnerungen an die ersten beiden Bundestagsfraktionen.

1983 war das Jahr, in dem Die Grünen in den Bundestag eingezogen sind. In der Geschichte der Grünen bedeutete dieser Erfolg einen entscheidenden Wendepunkt. Das innerparteiliche Gewicht der neuen Fraktion übertraf bei weitem das aller bisherigen Landtagsfraktionen. Dafür sorgten schon die schieren Zahlen. Die neue Bundestagsfraktion bestand aufgrund der Rotationsregel aus 58 stimmberechtigten Mitgliedern, nämlich den 27 gewählten MdBs und einem Abgeordneten aus Berlin, aus ebenso vielen Nachrückern sowie aus je einem/r Vertreter/in aus Bremen und dem Saarland. Die Bundespartei profitierte davon einerseits, andererseits musste sie sich jedoch nunmehr in vielen tagespolitischen Fragen damit begnügen, die zweite Geige zu spielen. Bei der Bundestagswahl vier Jahre später konnten Die Grünen ihren Erfolg noch steigern, doch scheiterten sie 1990 knapp an der 5-%-Hürde. Dadurch bildete die knapp acht Jahre vom März 1983 bis zum Dezember 1990 bestehende Fraktion Die Grünen im Bundestag, vor allem wenn man sie mit den späteren Fraktionen vergleicht, eine Einheit.

Die Bundestagsfraktion im Gefüge der Grünen

Die Bundestagsfraktion war der mächtigste politische Akteur der Grünen in diesem Zeitraum, aber nicht der einzige: der Bundesvorstand und der Bundeshauptausschuss, die Landesverbände und Landtagsfraktionen, die Bundesarbeitsgemeinschaften, aber auch die sozialen Bewegungen, die zu vertreten Die Grünen bei den Wahlen angetreten waren, waren weitere Akteure im politischen Feld der Grünen. Die Bundestagsfraktion war unter all diesen Akteuren derjenige, der sich am meisten professionalisierte und der in vielen Zusammenhängen eine Schlüsselrolle einnahm, was die künftige Entwicklung der Grünen betraf.

Dabei war die Bundestagsfraktion ein kollektiver Akteur, die Politik der Bundestagsfraktion mehr als die Addition des politischen Engagements der einzelnen Mitglieder. Und schon die kontinuierliche Aufmerksamkeit, die der Bundestag und die Bundestagsfraktion auf sich zogen, sorgte für eine kritische Begleitung der Bundestagsfraktion durch die vielen Akteure innerhalb der grünen Partei, die, was in den 1980er Jahren wichtig war, gemäß den grünen Regeln überwiegend nicht so professionalisiert sein konnten. Dass alles hebt die Bedeutung der Bundestagsfraktion im Zusammenhang der Grünen überhaupt hervor, und begründet, was einer Edition der Bundestagsfraktion die Bedeutung als historische Quelle verleiht, die sie in der Tat hat.

Edition Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle und Anlagen

Die inzwischen vollständig vorliegende Edition bietet Aufschluss über die innere Organisation und die programmatische Entwicklung der Fraktion, auch im Kontext der Entwicklung der grünen Partei und der überparteilichen politischen Bewegungen, die zu vertreten Die Grünen angetreten waren. Sie besteht bei der Fraktion von 1983 bis 1987 aus zwei starken Halbbänden mit den Fraktionssitzungsprotokollen, einer Auswahl der Protokolle der Fraktionsvorstandssitzungen und den wichtigsten Anlagen, die Gegenstand der Beratung in der Fraktion waren. Die Edition der Fraktion von 1987 bis 1990 ist keine Auswahl, sondern vollständig. Die beiden wiederum starken Halbbände enthalten sämtliche Sitzungsprotokolle der Fraktion samt der Anlagen, die beigefügte CD-ROM die Protokolle sämtlicher Fraktionsvorstandssitzungen.

Die Besonderheit der Edition besteht vor allem darin, dass außer den Protokollen die wichtigsten Papieren, über die in der Fraktion diskutiert und entschieden wurde, wiedergegeben sind. Gerade sie machen die Edition zu einem spannenden Leseabenteuer, denn sie präsentieren die grünen Projekte viel eindrücklicher als es die ausschließliche Wiedergabe der Protokolle, wie in den Fraktionssitzungen über diese Projekte diskutiert worden ist, vermocht hätte. Für die grüne Geschichte der 1980er Jahre liegen damit die wichtigsten grünen Inhalte zusammen mit den Entscheidungsprozessen über diese Inhalte vor, was erst die kritische Bewertung der Dokumente ermöglicht, ohne die eine kritische Geschichte der Grünen nicht geschrieben werden kann.

Grüne Utopie und Realpolitik

Die Edition ist eine wissenschaftliche Leistung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Die Bearbeiter während des fast fünfzehn Jahre langen Editionsprojektes waren Josef Boyer, Helge Heidemeyer, Tim Peters, Paul Kraatz und Wolfgang Hölscher. Das Archiv Grünes Gedächtnis ist in der Rolle als Mitherausgeber. Inzwischen ist die Edition der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist. Bei der Präsentation am 12. April 2016 haben sich Steffi Lemke (Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen), Peter Tauber (MdB, Generalsekretär der CDU), Prof. Marie-Luise Recker (Präsidentin der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien) und Prof. Axel Schildt (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) den Fragen der Moderatorin Florentine Fritzen (Frankfurter Allgemeine Zeitung) gestellt.

Bei dieser Podiumsdiskussion war auffällig, dass auch gestandene Historiker/innen, die zugleich noch Zeitzeug/inn/en der Gründung der Grünen waren, eine sehr unmittelbare Erinnerung an die frühen Grünen bewahrt haben. Prof. Axel Schildt von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte hatte beispielsweise eine lebhafte Erinnerung an das legere Auftreten des Hamburger Abgeordneten Thomas Ebermann, das so deutlich mit dem der etablierten Parteien kontrastierte. Er berichtete auch von seinem Erstaunen, beim Durchblättern der Editionsbände festgestellt zu haben, welch großen Umfang die fraktionsinterne Debatte 1990 über die mit der deutschen Einheit zusammenhängenden Fragen eingenommen hatte, obwohl in der öffentlichen Erinnerung feststeht, dass die folgende Wahlniederlage der Grünen nicht zuletzt dadurch begründet sei, dass sie an den Wähler/innen vorbei eine klimapolitische Kampagne geführt hätten. Daran wird die Bedeutung von Editionen wie dieser deutlich, dass sie helfen, an den persönlich geprägten Erinnerungen und den verbreiteten Klischees vorbei zu einer begründeten Auseinandersetzung über die Sachfragen führen.

 

Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle 1983-1987. 2 Halbbände. Düsseldorf 2008.
Die Grünen im Bundestag. Sitzungsprotokolle und Anlagen 1987 bis 1990. 2 Halbbände mit einer CD-ROM. Düsseldorf 2015.