Deutschland und Frankreich in der Flüchtlingskrise: Einsam statt gemeinsam

Geflüchtete am Grenzübergang Gevgelija, Mazedonien (24.08.2015)
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Geflüchtete am Grenzübergang Gevgelija, Mazedonien (24.08.2015)

In Paris wünscht man sich, dass Flüchtlinge nach Deutschland gehen, während Frankreich in Syrien die Ursachen der Flucht militärisch bekämpft. Kann eine solche Arbeitsteilung aber auf Dauer funktionieren?

Ist die Flüchtlingskrise eine deutsche Krise? Während sie wie kein anderes Thema seit 2015 die Debatte in Deutschland beherrscht, spielt die Problemsituation in Frankreich eine untergeordnete Rolle. Dort stehen andere Probleme im Mittelpunkt: Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus einerseits und die desolate wirtschaftliche Lage andererseits. Auch die direkten Auswirkungen auf den einzelnen sind geringer als in Deutschland – keine Überraschung angesichts der Zahlen: Haben in Deutschland 2015 rund 440.000 Menschen Asyl beantragt, so waren es in Frankreich nur etwa 70.000. Französische Politikerinnen und Politiker kritisierten in den letzten Monaten unverhohlen die deutsche Flüchtlingspolitik; Berlin wiederum war irritiert von der geringen Unterstützung durch Paris. Wie kam es zu dieser so unterschiedlichen Sicht? Wie wird die Rolle des Nachbarn jeweils bewertet?

Unterschiedliche Prioritäten in Frankreich und Deutschland

Bereits die Begrifflichkeiten verweisen auf die Unterschiede: Statt von Flüchtlingen, die gemäß der Genfer Konvention des besonderen Schutzes bedürfen, ist in Frankreich meist von Migranten die Rede („crise migratoire“ oder „crise des migrants“). Die Menschen, die aus dem Nahen Osten vor Krieg und Gewalt fliehen, erinnern an die deutsche Geschichte mit ihren Erfahrungen von Flucht und Exil und rufen so bei der Mehrheit der Deutschen Mitgefühl hervor. Flüchtlinge aufzunehmen gilt den meisten als humanitäre Pflicht. Den „Migranten“, wie sie in Frankreich zumeist genannt werden, hingegen begegnen viele Französinnen und Franzosen mit Misstrauen. Das eigene Land zu verlassen, weil man sich anderswo ein besseres Leben verspricht, gilt für viele in Frankreich nicht als legitimer Aufnahmegrund. Diese Ablehnung hat auch etwas mit dem gesellschaftlichen Klima in Frankreich zu tun, das einen idealen Nährboden für Fremdenfeindlichkeit bildet.

Noch immer stagniert die französische Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote beträgt über zehn Prozent, worunter besonders die Jugendlichen leiden. Viele Französinnen und Franzosen sehen ihre Zukunft in Gefahr. Hinzu kommt, dass Paris im Januar und November 2015 gleich zwei Mal das Ziel islamistischer Terrorangriffe war. Diskussionen über die verfehlte Integration von Einwanderern blieben nicht aus. Doch wurde der islamische Terror viel häufiger unter dem sicherheitspolitischen Gesichtspunkt diskutiert. Genauso wie die Flüchtlingspolitik. Denn viele befürchten, dass mehr Flüchtlinge unweigerlich mehr Terror bedeutet. Nicht zuletzt gibt es den rechtspopulistischen Front National, der mit den Themen Sicherheit und Immigration auf Stimmenfang geht und damit sehr erfolgreich ist. Um dies zu verhindern, versuchen die etablierten Parteien jeder Debatte über eine französische und europäische Flüchtlingspolitik auszuweichen.

„Mama Merkel“ statt „eiserne Kanzlerin“

In beiden Ländern kümmerte sich die politische Spitze lange nicht um die steigenden Flüchtlingszahlen, waren Immigration und Integration doch Reizthemen, die man lieber vermied. Deutschlands Wende im Sommer 2015, die deutsche „Willkommenskultur“, war für Frankreich verwirrend, und das umso mehr, als sich Frankreichs Parteien nun nicht mehr wie gewohnt an der deutschen Kanzlerin abarbeiten konnten. Die französische Linke, für die Merkel zuvor die neoliberale „eiserne Kanzlerin“ war, feierte sie nun ob ihrer Menschlichkeit als „Mama Merkel“. Die Konservativen hingegen verloren ihre Referenz, ihr „modèle allemand“, welches sie der sozialistischen Regierung regelmäßig als Gegenbild vorgehalten hatten.

Neu war auch, dass auf einmal Deutschland der Bittsteller war und in der Flüchtlingskrise bei Frankreich und anderen EU-Staaten um Unterstützung warb. Weite Teile der französischen Politik empfanden hierüber eine gewisse Schadenfreude, hatte man doch angesichts von Deutschlands wirtschaftlicher Übermacht und in der Eurokrise lange schon den Eindruck, kein gleichberechtigter Partner mehr zu sein. Daneben bemühte man jedoch auch alte Klischees von einem Deutschland, das kalkulierend und überheblich handelt. Der Nachbar, so war zu hören, erhebe den „moralischen Zeigefinger“, dabei wolle er doch aus den Einwanderern nur demographisch wie wirtschaftlich Kapital schlagen.

Gelungene Arbeitsteilung oder fehlende Solidarität?

Auch in Paris hatte die deutsche Regierung mit dem Vorschlag, Flüchtlinge nach einem EU-weiten Schlüssel umzuverteilen, nur bedingt Erfolg. Zwar versprach im Sommer 2015 François Hollande, man werde 30.000 Flüchtlinge aufnehmen, doch lehnt Premierminister Manuel Valls entschieden jede drüber hinausgehende verbindliche Umverteilung ab. In Paris setzt man eher auf eine andere Arbeitsteilung: Deutschland solle die Flüchtlinge aufnehmen, während Frankreich in Syrien die Ursachen der Flucht militärisch bekämpfe. Daneben will Frankreich verstärkt die EU-Außengrenzen im Mittelmeer sichern und, im Rahmen des Abkommens mit der Türkei, Polizisten nach Griechenland entsenden.

Kann eine solche Arbeitsteilung auf Dauer funktionieren? Zwar fehlt es nicht an Bekenntnissen von deutscher wie französischer Seite, man sei sich in allen wichtigen Fragen einig. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einigkeit eher symbolisch ist und es tatsächlich keine gemeinsame Politik gibt. Was fehlt sind gemeinsame Vorstöße, beispielsweise um das Schengen-Abkommen zu reformieren oder für ein Vorstoß für eine gemeinsame EU-Asylpolitik. Deutschland und Frankreich haben es verpasst, bei der Flüchtlingskrise auf europäische Werte und eine europäische Lösung zu setzen. Es ist deshalb schwierig, gemeinsam und nachhaltig auf Flucht und Migration zu reagieren. Entsprechend wenig handlungsfähig zeigt sich die EU insgesamt.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Grenzerfahrung - Flüchtlingspolitik in Europa".