
Gestern, am 28. April 2016, griffen russische Nationalisten die u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung und ihrer Partnerorganisation Memorial unterstützte Preisverleihung eines Schülerwettbewerbs im Moskauer Haus des Kinos an und spritzten der Autorin Ljudmila Ulizkaja Flüssigkeit ins Gesicht. Vor dem Gebäude hatten sich über zwanzig „Aktivisten“ der „Nationalen Befreiungsbewegung“ (NOD) und der „eurasischen Jugendorganisation“ versammelt.
Die mit sowjetischen Fahnen, Georgsbändern und Militäruniformen ausgestatteten Störer beschimpften insbesondere ältere Personen mit Parolen wie „Faschisten“ und „Nationalverräter“. Sie bespritzten die Ankommenden - u.a. die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, die Leiterin der Jury, und einen der skandinavischen Projektpartner - mit grüner Flüssigkeit, einer weiteren, übelriechenden Substanz und mit Salmiakgeist. Die Störer protestierten gegen den Geschichtswettbewerb, da er ihrer Auffassung nach die russische Geschichte verfälscht und aus dem Ausland finanziert wird.
Memorial führt den Schülerwettbewerb „Der Mensch in der Geschichte – Russland im 20. Jahrhundert“ seit etlichen Jahren u.a. mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung durch. Zu den Sponsoren des Schülerwettbewerbs gehören jedoch auch die Stadt Moskau und der Präsidentenfonds.
Auch in diesem Jahr fand die Preisverleihung unter großer Beteiligung statt: Internationale Gäste und 40 Schülerinnen und Schüler aus 28 russischen Regionen waren angereist. Von den Schüler/innen kam niemand zu Schaden, da sie sich bereits im Gebäude befanden. Die Polizei schritt erst spät und nur halbherzig ein. Es kam zu einer Festnahme - gegen den Mann, der mehrere Personen mit grüner Flüssigkeit begossen hatte, wird wegen geringfügigen Hooliganismus ermittelt.
Der russische Menschenrechtsrat hat sich aus diesem Anlass an das russische Innenministerium gewandt. Er fordert eine sorgfältige, objektive Aufklärung des Vorfalls.
„Der Angriff auf die Teilnehmer des Schüler-Geschichtswettbewerbs spiegelt das intolerante und aggressive Klima wieder, unter dem derzeit viele in Russland leiden“, erklärte gestern Abend der Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Johannes Voswinkel. „Eine Vielfalt der Meinungen und ihre Diskussion passen offenbar nicht in die politische Hauptströmung in Russland. Radikale Gruppen greifen das auf und versuchen, ihre Denk- und Redeverbote auf der Straße umzusetzen. Wo aber Eierwürfe und Gewalt Argumente ersetzen und der Staat dem nicht Einhalt bietet, endet eine offene, demokratische und entwicklungsfähige Gesellschaft.“, so Voswinkel weiter.