Zwischen Wasserkraft und Petrodollar: Energie-Governance in Peru

Solange über Energiefragen und Ressourcen nur von den Zentralregierungen entschieden wird, bleiben die Auswirkungen auf die Bevölkerung und nachhaltigere Nutzungsmöglichkeiten unberücksichtigt. Damit sich das ändert, muss der Aufbau von demokratischen Governance-Strukturen vorangetrieben werden.

Peru ist kein Energieerzeuger von weltweiter oder regionaler Bedeutung. Dennoch verfügt das Land über eine große Vielfalt an Energiequellen, darunter Erdöl, Gas und Wasserkraft, sowie ein beträchtliches Potenzial für den Ausbau nicht konventioneller erneuerbarer Energien wie Kleinwasserkraft, Wind- und Sonnenenergie. Bei all diesen Optionen stehen strategische Entscheidungen darüber an, wozu und für wen diese Energiequellen nutzbar gemacht und von wem sie verwaltet werden sollen.

Im vergangenen Jahrzehnt ist der Gesamtenergieverbrauch in Peru von 450.000 TJ auf etwas über 700.000 TJ angestiegen (TJ= Terajoule, Maßeinheit für Energie. 1 TJ ≈ 278 Megawattstunden). Gründe hierfür sind das allgemeine Wirtschaftswachstum und die Ausweitung der Energieversorgung auf neue – vor allem ländliche – Gebiete, die bisher davon ausgeschlossen waren.

Mit der Zunahme des Energieverbrauchs veränderte sich auch der Energiemix. Die fossilen Energieträger Öl und Gas spielen nach wie vor eine zentrale Rolle, doch vor allem Gas nimmt mittlerweile einen erheblich höheren Stellenwert ein: 2014 entfielen 13 Prozent des Endverbrauchs auf diesen Energieträger; bis 2025 soll sein Anteil auf 35 Prozent ansteigen. Gas wird noch wichtiger, wenn man bedenkt, dass ein Großteil des Stroms (19 Prozent des Endverbrauchs nach Energieträger) dadurch erzeugt wird. Demgegenüber verlieren Erdölderivate wie Diesel, Motorenbenzin, Turbinenkraftstoff und Schweröl sowie traditionellere Energieträger wie Brennholz, Holzkohle und Bagasse an Bedeutung.

Zwar sinkt der prozentuale Anteil des Erdöls an der Energieerzeugung sowie der Erdölderivate am Energieendverbrauch, doch in absoluten Zahlen steigt der Konsum weiterhin an. Um Importe zu vermeiden, haben die letzten peruanischen Regierungen eine ausgesprochen aggressive Konzessionspolitik für Erkundungs- und Ausbeutungsvorhaben verfolgt, so dass mittlerweile bereits 27 Millionen Hektar Land an Erdölfirmen vergeben sind. Dies entspricht fast einem Fünftel der Gesamtfläche des Landes (einschließlich eines Großteils von Amazonien). Die Ausweitung der für die Erdölerkundung konzessionierten Flächen hat zu zahlreichen Konflikten mit der indigenen Bevölkerung der Amazonasregion und auch mit Bevölkerungsgruppen an der Küste geführt.

Große Entscheidungen stehen an

In diesem energiepolitischen Kontext steht Peru vor einigen zentralen Entscheidungen, die für die Governance des Landes eine große Herausforderung darstellen.

  • Erdgas aus dem Camisea-Projekt

Derzeit wird die Hälfte des Camisea-Gases zur Erzeugung von Energie für den Binnenmarkt genutzt, die andere Hälfte wird exportiert. Gleichzeitig wird offen darüber debattiert, was in Zukunft mit diesem Gas geschehen und ob die Ausfuhr weiterhin erlaubt sein soll. Allem Anschein nach möchte die Regierung alle gegenwärtigen und potenziellen Nachfrager befriedigen. So versucht sie, weiterhin Energie für Lima bereitzustellen und das Stromnetz zu beliefern. Gleichzeitig soll der Export fortgesetzt und die Gaspipeline im Süden zur Versorgung der südlichen Andenregion gebaut werden. Petrochemische Großprojekte und Wärmekraftwerke zur Stromerzeugung und -ausfuhr in die großen Bergbauregionen im Norden Chiles sollen ebenfalls abgedeckt werden.

Um all diesen Interessen gerecht zu werden, wird immer mehr Gas benötigt. Die Regierung ist deshalb bestrebt, die Erkundung nach fossilen Brennstoffen in der Amazonasregion zu erleichtern, indem sie Umweltbestimmungen lockert und Regierungsbeamte zum Rücktritt zwingt, wenn diese die Politik nicht mittragen. So geschehen im Fall des Vizeministers für interkulturelle Fragen Pablo Vilca: Er hatte 83 Stellungnahmen zur Umweltverträglichkeitsstudie über die geplante Ausweitung der Gaserkundung im Block 88 des Camisea-Feldes durch den argentinischen Ölkonzern Pluspetrol eingereicht. Von diesem Vorhaben sind insbesondere noch nicht entdeckte und zurückgezogen lebende indigene Völker betroffen. Der Vizeminister wurde jedoch von der Regierungsspitze derart unter Druck gesetzt und zur Änderung des Gutachtens gedrängt, dass er schließlich zurücktrat. Mit ihm ging auch Justizminister Luis Peirano. Die Nachfolger brachten einen neuen Bericht heraus, der den Interessen von Pluspetrol wesentlich weiter entgegenkam.

Insgesamt wurden und werden noch immer Entscheidungen zum Camisea-Gas getroffen, die sich auf ein ganzes Spektrum gesellschaftlicher Gruppen und Regierungsinstanzen in verschiedenen Territorien des Landes auswirken: indigene Völker, die in den gegenwärtigen und potenziellen Gasfördergebieten leben; Bevölkerungsgruppen der südlichen Andenregion, die in erster Linie von dieser sauberen und kostengünstigen Energie profitieren sollten, jedoch nach wie vor keinerlei Nutzen daraus ziehen; die Bewohner Limas und anderer Großstädte, die aus der aggressiven Ausweitung der Gasförderung Vorteile ziehen könnten, indem sie Zugang zu billigerer Energie erhalten und die Luftverschmutzung verringert wird; die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Stromrechnungen die staatlichen Garantien für die Unternehmen finanzieren, um deren Profitrate abzusichern; Regional- und Lokalregierungen der Gebiete, in denen Gas und seine Derivate produziert, transportiert und genutzt werden. Sie tragen die Verantwortung für das, was in ihren Territorien geschieht bzw. nicht geschieht, und sie können von den erzielten Gewinnen profitieren oder auch nicht.

Alle diesbezüglichen Entscheidungen wurden jedoch von der Regierungsspitze hinter verschlossenen Türen in direkten Verhandlungen mit den Großunternehmen des Camisea-Konsortiums getroffen, die bereits an dem Vorhaben beteiligt bzw. potenziell interessiert sind. Kein einziges Mal wurden die indigenen Völker, die Regional- und Lokalregierungen, die armen Bevölkerungsgruppen der südlichen Anden, die Bewohner/innen der Städte und ihre Behörden oder die Stromverbraucher/innen zur Entscheidung darüber aufgefordert, was am besten mit dem Gas getan werden sollte. Die Spitzenverhandlungen bleiben wie immer undurchsichtig, und die Bevölkerung erfährt lediglich von den Ergebnissen, wenn die Entscheidungen längst gefallen sind.

  • Wasserkraft

Peru verfügt an beiden Hängen der Anden über ein großes Potenzial zur Erzeugung hydroelektrischer Energie. Hier stehen zwei Optionen zur Wahl: Entweder das Land wird zu einem Nettoexporteur von hydroelektrischer Energie gemacht, um den Bedarf der Nachbarländer, insbesondere Brasiliens, zu decken. Oder es wird in direkter Ausrichtung auf den lokalen und regionalen Energiebedarf massiv in kleine, umweltfreundliche und sozialverträgliche Wasserkraftwerke investiert.

Offensichtlich handelt die peruanische Regierung nach der ersten Option. So unterzeichnete beispielsweise Präsident Alan García 2010 ein Energieabkommen mit der brasilianischen Regierung. Dort sind der Bau des Inambari-Staudamms und weitere hydroenergetische Großprojekte am Osthang der peruanischen Anden vorgesehen, um Brasilien mit Strom zu versorgen.

Aus diesem Abkommen ergeben sich mehrere Probleme: So sind unter anderem Bau und Betrieb dieser Megaprojekte mit schwerwiegenden sozialen und ökologischen Folgen für die betroffenen Gebiete verbunden. Der Löwenanteil des Gewinns bleibt überdies in Brasilien (Brasilien stellt das notwendige Kapital bereit, brasilianische Unternehmen übernehmen Bau und Verwaltung; Peru bezahlt und trägt das Erbe veralteter Staudämme und Systeme nach jahrzehntelanger Nutzung); das Land verliert seine Souveränität (Verzicht auf
Neuverhandlung der Verträge) und die Vorhaben sind in keine Strategie zur Energiesicherheit eingebettet etc.

Auch wenn dieses Abkommen durch die Proteste von Regional- und Lokalregierungen und zivilgesellschaftlichen Netzwerken gestoppt werden konnte, wurden die Erstverhandlungen von der peruanischen und brasilianischen Regierung und sicherlich auch von den interessierten brasilianischen Unternehmen betrieben. Weder die für die fraglichen Territorien zuständigen subnationalen Behörden noch die von diesen Maßnahmen direkt betroffene lokale Bevölkerung – darunter mehrere indigene Völker – wurden auch nur ein einziges Mal gefragt.

  • Petroperú

Anfang der 1990er Jahre wurde das Staatsunternehmen Petroperú teilprivatisiert. Nur der Betrieb der Ölpipeline, die Talara- Raffinerie und die für die Privatinvestoren unattraktive Vermarktung von Benzin und anderen Derivaten blieben in staatlicher Hand. Für die großen Wirtschaftsunternehmen und die politische Rechte in Peru besteht kein Zweifel daran, dass die Privatisierungsentscheidung richtig war und sogar alles hätte privatisiert werden sollen, denn in ihren Augen sind Staatsbetriebe per se abzulehnen.

Viele Fachleute und Staatsbedienstete hingegen sind anderer Meinung. Sie stützen sich dabei auf die Tatsache, dass sowohl in der Region als auch weltweit die meisten Länder staatliche Unternehmen besitzen und diese einen Großteil der Produktion und Vermarktung kontrollieren. Um in nicht allzu weiter Ferne und auch nicht nur nach Beispielen fortschrittlicher Regierungen zu suchen: Kolumbien besitzt das Staatsunternehmen Ecopetrol und Chile – mit seiner nur geringen Produktion – ENAP, abgesehen natürlich von dem staatlichen Kupferunternehmen CODELCO.

Die peruanische Regierung unter Präsident Humala hat in diesem Bereich einen politischen Schlingerkurs verfolgt. Die jüngste Entscheidung der Aktionärsversammlung des Unternehmens, den Zusammenschluss mit dem Privatunternehmen Graña y Montero zur Ausbeutung von Ölquellen an der Nordküste nicht zu genehmigen, deutet jedoch darauf hin, dass sich die Gegner von Petroperú durchgesetzt haben. Das Staatsunternehmen wird sich in Zukunft darauf beschränken müssen, die Modernisierung der Talara-Raffinerie voranzutreiben.

Abgesehen vom Ausgang dieses Konflikts ist und bleibt es ein Konflikt an der obersten Führungsspitze. Wieder einmal wurde keine Regional- oder Lokalregierung und keine gesellschaftliche Organisation aus den Gebieten, in denen Petroperú möglicherweise tätig wird, auch nur ein einziges Mal zu diesen Beschlüssen befragt.

  • Gesamte Amazonasregion

Viele Entscheidungen, die zum Thema Energie getroffen werden (und ebenso auch zum Bergbau, zu agroindustriellen Plantagen oder Verkehrsgroßprojekten), zeugen von Unkenntnis oder – schlimmer noch – von mangelndem Interesse an den möglichen Auswirkungen auf die Amazonasregion und die dort lebenden Menschen, insbesondere die indigene Bevölkerung. Auch werden bestehende, nachhaltigere Nutzungsmöglichkeiten für die in der Region vorhandenen Ressourcen kaum in Betracht gezogen.

In den Entscheidungen des peruanischen Staates und der einheimischen und ausländischen Unternehmereliten dominiert die Vorstellung von Amazonien als reinem Energielieferanten (und Lieferanten von Mineralien und Agrarrohstoffen) sowie als Quelle staatlichen Profits. Da die indigene Bevölkerung mit ihren Tätigkeiten kaum den Interessen des Großkapitals entspricht und auch keine nennenswerten Steuerzahlungen leistet, bleiben ihre Rechte, ihre Interessen und ihre Existenz an sich unbeachtet. Da die Biodiversität heute weder der Privatwirtschaft noch dem Staat große Einnahmen verschafft, werden Aktivitäten vorangetrieben, die sofortige Gewinne abwerfen, auch wenn dabei die Amazonasregion als solche und die dort lebenden Menschen gefährdet werden.

Natürlich spiegelt diese Vorstellung die Sicht der Großunternehmer und des Rentenstaates wider. Sie wurde aber niemals mit den subnationalen Behörden und erst recht nicht mit den indigenen Völkern diskutiert, obwohl aus einigen subnationalen Räumen der Amazonasregion "Entwicklungs"-Strategien erarbeitet wurden, bei denen die
Förderung extraktiver Aktivitäten vermieden wird.

Die Herausforderung: demokratische Ressourcen-Governance in den Territorien

Alles in allem besteht in Peru ein ernstes Problem bei der Governance von Energie und Naturressourcen. Worum geht es? Es geht darum, dass man hartnäckig an einem System festhält, in dem die Entscheidungsfindung auf einige wenige Bereiche der Zentralregierung konzentriert bleibt, das andere Sektoren dieser Zentralregierung ignoriert oder aber zu Vasallen macht. Dies gilt auch für die subnationalen Regierungen und die Bevölkerungsgruppen, die in den von diesen Entscheidungen betroffenen Gebieten leben.

Sowohl die Unternehmen als auch die politischen Eliten in Peru stützen sich bei Entscheidungen über Energiefragen und Naturressourcen nach wie vor auf einen institutionellen Rahmen, der in den 1990er Jahren von der Fujimori-Regierung geschaffen wurde. Hierbei lagen die Entscheidungsbefugnisse über extraktivistische Aktivitäten und auch die Verhandlung und Kontrolle der vereinbarten Bedingungen in den Händen der Spitzenbehörden des Energie- und Bergbauministeriums sowie des Wirtschafts- und Finanzministeriums.

Die politische Rechte, die Privatwirtschaft und die neoliberalen Technokraten verweigern sich mit ihrem hartnäckigen Festhalten an diesem zentralistischen institutionellen Rahmen der Einsicht, dass es heute das Umwelt- und auch das Justizministerium gibt (einschließlich des Vizeministeriums für interkulturelle Fragen, das die Rechte der indigenen Völker zu wahren hat). Sie ignorieren auch, dass es Regional- und Lokalregierungen gibt und ein Dezentralisierungsprozess im Gange ist. Ferner dass ein Konsultationsgesetz verabschiedet und Beteiligungsverfahren geschaffen wurden. Sie weigern sich also zu verstehen, dass diese sektoralen und subnationalen Instanzen und auch die direkt betroffenen Bevölkerungsgruppen ein Recht auf Beteiligung an den Entscheidungen zu den Themen Energie und Naturressourcen haben.

Damit solche Entscheidungen dem allgemeinen Interesse dienen, muss der Aufbau von Governance-Strukturen mit breit gefächerten Sektoren, Ebenen und Akteuren vorangetrieben werden. Es geht also darum, ein Entscheidungssystem zur Energie- und Ressourcenpolitik aufzubauen, das über das Gestaltungskonzept von 1990 hinausgeht und die Ministerien für Umwelt und Justiz, die Regional- und Lokalregierungen und ebenso auch die lokale Bevölkerung mit einbezieht. Nur dann kann von demokratischer Governance mit territorialer Perspektive die Rede sein, wenn alle Akteure und Institutionen eines betroffenen Territoriums beteiligt sind, d. h. alle, die in dem jeweiligen Gebiet leben, oder die dafür Verantwortung tragen und/oder von den Auswirkungen der Ausbeutung der Rohstoffe betroffen sind (Vgl. Monge, Carlos (2013): Las Industrias Extractivas y la Gobernanza Democrática de los Territorios, in: Quehacer N° 190, April-Juni, Lima.)

Demokratische Governance mit territorialer Perspektive – hierin liegt für Peru die zentrale Herausforderung für das Energie- und Ressourcenmanagement im 21. Jahrhundert.

 

Übersetzung aus dem Spanischen: Beate Engelhardt. Überarbeitet durch die Heinrich-Böll-Stiftung. Dieser Artikel erschien in „Perspectivas Lateinamerika: Jenseits des Raubbaus. Lateinamerikanische Alternativen zum Extraktivismus“.