Unvermeidbare Krisen - Unvermeidliche Antworten?

Der Nato-Gipfel in Newport, 4. September 2014

Auftaktveranstaltung am 15.12.2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen der Reihe „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“


Warum diese Veranstaltungsreihe?

Am Abend des 15.12.2014 begrüßte Gregor Enste, Referent für Außen- und Sicherheitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung, über 80 interessierte Zuhörer zur Veranstaltung Unvermeidbare Krisen - Unvermeidliche Antworten? Geladen war zu einem friedenspolitischen Rückblick auf das Krisenjahr 2014, welches den Krieg nach Europa zurück brachte.

Ausgerechnet im Jahr 2014, in dem des Ausbruchs des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren und dem Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren gedacht wird, ist zu konstatieren, dass mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine die über die letzten Jahrzehnte errichteten Säulen der europäischen Friedensordnung in Trümmern liegen. Dazu stehen in Syrien und im Irak neue Kriege vor der europäischen Haustür, die uns mit bislang unbekannten Formen der Menschenrechtsverletzungen herausfordern, ja vielleicht sogar überfordern. Alte Gewissheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik scheinen ins Wanken zu geraten. Bisherige Ansätze und Instrumente der Friedenspolitik vielleicht auch?

Die Verunsicherung ist gerade in den deutschen Diskussionen über Krieg und Frieden tagtäglich zu spüren, von erbitterten Auseinandersetzungen auch im grünen Umfeld ganz zu schweigen. Die Verunsicherung reicht bis weit in die Gesellschaft, vielleicht auch in die Kreise der Beratungsinstitute und Parlamente.

Das erklärt, warum das Thema der Heinrich-Böll-Stiftung so wichtig ist und sie deshalb eine Veranstaltungsreihe dazu auflegt, die im vierteljährlichen Abstand verschiedene Facetten rund um das Thema Krisenprävention beleuchten wird.

Moderator der Reihe ist der Geschäftsführer des Forums Ziviler Friedensdienst Oliver Knabe, der sie in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung konzipiert hat.


Kluft zwischen Rhetorik und Realität?

Eine Bundestagsdebatte am 6. Februar 2015 setzte ein Zeichen für die Wichtigkeit und Aktualität wirksamer Krisenprävention und Friedensförderung, zeigte aber auch, wie schwierig und fordernd sie ist. Diskutiert wurde im Parlament erstmalig der Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des seit 2004 existierenden Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung.

Bereits Mitte Dezember 2014 Tage betonte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem taz-Interview: „Für mich ist Außenpolitik vor allem Konfliktentschärfung und Konfliktlösung.“ Dem können wohl die meisten ungeachtet einer politischen Orientierung zustimmen. Daher stellt sich die Frage, warum sich Krisenprävention in der Außenpolitik so schwer tut.

Am Abend des 15. Dezember gingen folgende Diskutanten diesem Thema auf den Grund: Dr. Franziska Brantner (MdB, Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzende des Unterausschusses Zivile Krisenprävention), Dr. Matthias Ries (Programmleiter Ziviler Friedensdienst, GIZ) und Dr. Sylke Tempel (Chefredakteurin Internationale Politik, DGAP).

Im Verlauf der Diskussion wurde immer wieder deutlich, dass bei der Forderung nach ziviler Krisenprävention eine grundsätzliche und lagerübergreifende Einigkeit besteht, die tatsächliche Umsetzung aber vielfach auf der Strecke bleibt. Kofi Annan brachte diese Diskrepanz bereits im Jahr 2006 mit folgender Einschätzung auf den Punkt „…an unacceptable gap remains between rhetoric and reality in the area of conflict prevention.“ – es verbleibt eine unakzeptable Kluft zwischen der Rhetorik und der Realität im Bereich der zivilen Krisenprävention.


Jahr 2014: Lessons learnt?

Der Rückblick auf das Jahr 2014 gerät durchwachsen. Angesichts der Vielzahl der internationalen Krisen und der nicht wahrgenommenen Konflikte fällt die Bilanz zunächst eher negativ aus. Die jüngst ausgebrochenen Konflikte zeigen zudem den großen Trugschluss nach 1989: Zunächst ging man davon aus, dass die Globalisierung in den sich entwickelnden Staaten zu Prozessen führen werde, die eine Stärkung der Zivilgesellschaften zur Folge haben und so Tendenzen zur Demokratisierung und zum Pluralismus fördern. In Anlehnung an Francis Fukuyama sei Demokratisierung also die logische Folge auf den Fall des Eisernen Vorhangs. Nicht zuletzt verdeutlichen die kriegerischen Ereignisse des Jahres 2014 jedoch, dass dies eine Fehleinschätzung war. Zudem mangelt es dem Westen aktuell nicht nur an genauen Informationen über politische und gesellschaftliche Vorgänge, sondern auch an der Fähigkeit, diese zu interpretieren und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Es gibt aber auch ermutigende Entwicklungen, die sich abseits der Medienaufmerksamkeit ergeben haben: Der Reformprozess des Zivilen Friedensdienstes wurde erfolgreich beendet und hat ein Gemeinschaftswerk von Friedensakteuren aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen hervorgebracht. Damit kann zukünftig eine gemeinsame Strategie verfolgt und die vorhandenen unterschiedlichen Zugänge zur Gesellschaft effektiver genutzt werden.

Aus dem Unterausschuss Zivile Krisenprävention berichtete Franziska Brantner, dass ein vorausschauendes Wirken zur Vermeidung von Krisen im Mittelpunkt der Arbeit stand, um so Konflikte bereits im Vorfeld zu erkennen. Daher wurde zum Beispiel zu Ländern wie Kamerun und Kenia gearbeitet, die (noch) nicht auf der Krisenliste stehen. Nötig ist aber mehr Druck von außen und ein funktionierender early warning and action mechanism, in dem das Auswärtige Amt und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Akteure aus Kultur und Wirtschaft mitwirken, um somit auf noch nicht eskalierte Konflikte aufmerksam zu machen.


Krisenprävention muss konkreter werden!

Über das Wie? ziviler Krisenprävention gehen die Meinungen weit auseinander. Eingangs ist zu bedenken, dass Sicherheit, die auf militärischer Gewalt basiert, keine wirkliche Sicherheit ist, wenngleich diese häufig noch immer militärisch gedacht wird. Vielmehr besteht zunächst die Notwendigkeit, detailliertes Wissen über eine Situation und die politischen Zusammenhänge zu erlangen, dieses dann richtig einzuordnen und darauf aufbauend in angemessener Weise auf Entwicklungen zu reagieren. Ein langfristiges Engagement und eine bessere Ausstattung mit Ressourcen ist eine der Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Krisenprävention.

Außerdem muss unterschieden werden: Einige Konflikte brechen nach bestimmten Fehlentwicklungen auf, die vorhersehbar sind. Das eröffnet die Chance, durch frühzeitiges und gezieltes Eingreifen einen Gewaltausbruch zu verhindern. Andere Konflikte, wie aktuell in der Ost-Ukraine, lassen sich nur schwer verhindern, auch wenn sie vorhersehbar sind. Dem entgegen stehen stabile Diktaturen, die ungeachtet der Einhaltung der Menschenrechte zunächst für längere Zeiträume Frieden sicherstellen, bei denen aber gewaltsame Konflikte absehbar sind, sobald die herrschenden Machtstrukturen zusammenbrechen.

Eine große Herausforderung stellt in jedem Krisenfall die Einbindung aller relevanten Konfliktparteien in einen Dialogprozess dar. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, miteinander zu reden, was auch wechselseitiges Verstehen und Anerkennen unterschiedlicher Wirklichkeiten bedeutet und damit auch eine Form der Wiederherstellung von Würde ist. Die Konfliktvergangenheit, die Jahrzehnte zurückreichen kann, ist von enorm großer Bedeutung.

Krisenprävention muss konkreter werden, fordert Franziska Brantner. Dazu gehört auch, den Aktionsplan der Bundesregierung Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung zu präzisieren.


Die Medien versus Bürgerpflicht zur Information

Die Medien spielen im Hinblick auf das Verstehen der politischen Zusammenhänge in Konfliktfällen eine große Rolle und müssen daher kritisch hinterfragt werden. Einerseits kann ihnen eine geringe Präsenz außenpolitischer Themen vorgeworfen werden, andererseits sieht Sylke Tempel aber auch eine „Pflicht des Bürgers, sich zu informieren“.

Unverzichtbar ist eine differenziertere Betrachtung von Entwicklungen. Die Politik hat dabei die Aufgabe, Interessen und Strategien besser zu erklären. Argumentationen, die Vorgehensweisen als alternativlos darstellen, sind dabei nicht hilfreich.

Im Hinblick auf den „Kampf um Hearts and Minds“ ist ein kurzfristiges und kostenfixiertes Vorgehen, das sich zum Beispiel in einer Reduzierung des Engagement der Deutschen Welle zeigt, während andere Akteure wie ISIS oder Russia Today Mitarbeiter rekrutieren, kontraproduktiv.

Deutschland und die OSZE als internationale Vermittler

Deutschland gewinnt als internationaler Vermittler zunehmend an Bedeutung. Um das Auftreten transparenter zu gestalten, sollte aber das Mandat durch die Offenlegung der eigenen Interessen klarer gefasst werden. Sylke Tempel kritisierte in diesem Zusammenhang den häufig konstruierten Gegensatz zwischen unseren Interessen und unseren Werten. Sie sieht eine Deckungsgleichheit zwischen dem obersten Interesse, ein regelbasiertes, rechtsgestütztes Ordnungssystem zu schaffen, und den demokratischen Werten.

Weiterhin ist eine Rückbesinnung auf die Korrekturfähigkeit des Westens notwendig. Im Hinblick auf Ungarn gilt zudem, dass rechtsstaatliche Prinzipien auch innerhalb der Europäischen Union wieder stärker zu verteidigen sind und dies nicht nur im Beitrittsprozess einzufordern ist.

Auf internationaler Ebene könnte zudem die OSZE von größerer Bedeutung sein. Der 4. Umsetzungsbericht des Aktionsplanes Zivile Krisenprävention der Bundesregierung beschreibt sie „als einzigartiges Krisen- und Frühwarnsystem“. Tatsächlich wird die Organisation derzeit in der Praxis kaum wahrgenommen, weil sie die Politik in den letzten Jahren vernachlässigt hat. Anlässlich des angestrebten deutschen Vorsitzes im Jahr 2016 plädiert Franziska Brantner daher dafür, die OSZE mit einer breiteren Ausrichtung wieder zum Leben erwecken und dabei auch die diversen frozen conflicts stärker in das Blickfeld zu nehmen.

Wie weiter in der Ukraine?

Die Lösung des Konflikts in der Ost-Ukraine kann nur gelingen, wenn man einerseits Kiew direkter beteiligt und so von der bisherigen Fokussierung auf das Verhältnis zu Russland wegkommt. Andererseits muss stärker auf die unterschiedlichen Wirklichkeiten in Russland und dem Westen eingegangen werden. Letztere resultierten aus den gegensätzlichen Entwicklungen der letzten Jahre: Während der Westen die Demokratisierung osteuropäischer Staaten förderte und die NATO-Osterweiterung durch Entscheidungen dieser souveränen Staaten legitimiert sieht, wird sie in Russland als aggressive Ausbreitung und Bedrohung interpretiert.

In den 1990er Jahren war die Strategie der Regierung Kohl, die die NATO-Osterweiterung an die Einrichtung des NATO-Russland-Rates koppelte, zunächst erfolgreich. Unter der Präsidentschaft von George Bush wurde diese Kooperationsform nach dem Jahr 2000 allerdings stark vernachlässigt, so dass der Westen in der Folgezeit Anzeichen einer gegensätzlichen Entwicklung in Russland zu wenig wahrnahm. Heute befinden sich Russland und der Westen nach Sylke Tempel auf „unterschiedlichen Wahrnehmungsplaneten“, was den gegenseitigen Austausch erschwert.

Wer ist schuld an ISIS und Co?

Der Westen muss sich vorwerfen lassen, dass er Anzeichen für die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten übersehen hat bzw. nicht sehen wollte, und es so zu Fehlern im Hinblick auf die bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak sowie auf das Erstarken des ISIS kam. Während die zersplitterte und schnellen Änderungen unterliegende Akteursstruktur eine Vorhersage über die Entwicklung von ISIS erschwerte, war eine grundsätzliche Radikalisierung durchaus absehbar. Sylke Tempel sieht einen Teil der Verantwortung auch bei der ehemaligen irakischen Regierung unter al-Maliki, die mit Duldung des Westens die Sunniten systematisch von der Macht ausgeschlossen und marginalisiert hat.

Die aktuelle Situation Kurdistans gleicht einem „Leben in wilder Ehe mit dem Staat“, weil das Verhältnis zur irakischen Regierung ungeklärt ist. Vor einem verschiedentlich diskutierten Streben nach formaler Unabhängigkeit kann nur gewarnt werden, weil es erhebliche Schockwellen in die Nachbarländer mit kurdischen Minderheiten aussenden würde.

Mit Blick auf den zuvor angesprochenen „Kampf um Hearts and Minds“ wies Franziska  Brantner zudem auf die humanitäre Hilfe hin, die in der Region durch weniger demokratische Akteure geleistet wird, und die die Leistungen des Westens deutlich übersteigen. Auch dessen politische Unterstützung für bedrohte Bevölkerungsgruppen und moderate Vertreter, die immer mehr in die Defensive geraten, ist dringend verbesserungswürdig. Zur Lösung des Konflikts ist darüber hinaus die Einbeziehung des Irans ebenso notwendig und wie ein entschiedeneres politisches Vorgehen gegen Baschar al-Asad.

Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen droht zudem eine Ausweitung auf den Libanon. Dort gibt es die Befürchtung, von einer Entwicklung von außen überrollt zu werden. Matthias Ries plädiert deswegen trotz der schwierigen Rahmenbedingungen für eine westliche Präsenz vor Ort, um die Zivilgesellschaft zu unterstützen.


2015 – ein starkes Jahr der Prävention?

Gibt es Mittel und Wege, das Thema Krisenprävention im Jahr 2015 zu stärken? Ja, ist die einhellige Antwort auf dem Podium - indem zum Beispiel bestimmte Prozesse und Entwicklungen klar analysiert werden. Zu warnen ist dabei vor vorschnellem Verstehen und holzschnittartigen Argumentationen, die einen zielgerichteten Einsatz von Mitteln und Ressourcen behindern. Der Diskurs um die Themen Konfliktprävention und Friedenssicherung muss fortgesetzt werden, so Matthias Ries, der ebenso auf das unterschiedliche Verständnis von zentralen Begriffen durch Akteure in Deutschland und die Partner in den Zielländern hinwies. Er forderte, ihnen mehr Gehör zu geben, ihre Wirklichkeiten zu verstehen und Konstrukte zu respektieren, die nicht mit unseren deckungsgleich sind, aber Gewalt eindämmen können und somit Perspektiven für die Betroffenen bieten.
Franziska Brantner forderte mehr Lobbyarbeit für die präventive Konfliktvermeidung und plädierte für eine Stärkung internationaler Organisationen. Außerdem schlägt sie ein Nachdenken über neue Formen von Netzwerken vor, um so die internationale Ordnung wieder zu etablieren. Umfassende Einigkeit besteht zudem in dem Ruf nach einer Stärkung der zivilen Konfliktprävention und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen.


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Bild entfernt.

Eine Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Forum Ziviler Friedensdienst im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“.