Myanmar vor den Wahlen 2015: Der Stand der Reformen

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Einführung

Myanmar bereitet sich auf die zweiten Wahlen innerhalb von 25 Jahren vor. Während mit den Wahlen vor fünf Jahren eine semizivile Regierung an die Macht kam, die eine wesentliche politische Öffnung auf den Weg brachte, wird im November über die künftige Demokratisierung des Landes entschieden. Auch wenn das Militär nach wie vor der Blockierer par excellence ist und eine beherrschende Rolle in der sich entwickelnden semidemokratischen Ordnung spielt, werden die Wahlen einen entscheidenden Einfluss auf das Machtgefüge zwischen reformistischen und konservativen Kräften im Land – und damit auf die Zukunft des Wandels in Myanmar – haben. Der vorliegende Artikel präsentiert den aktuellen Status des Demokratisierungsprozesses in Myanmar anhand der Ergebnisse der Transformationsforschung. Er beleuchtet sowohl einige strukturelle Kernbedingungen, die im Wesentlichen bestimmen, „was unter den gegebenen Umständen möglich ist“[1] als auch die Strategien der beteiligten Hauptakteure. Basierend auf der Analyse der Entscheidungen, die die Akteure getroffen haben, werden die Herausforderungen des Öffnungsprozesses in Myanmar aufgezeigt. Abschließend werden die Perspektiven für die Demokratisierung in den nächsten Jahren skizziert.

Myanmar: Stark bewölkte Demokratie-Aussichten

Die strukturellen Voraussetzungen für die Ausbildung einer stabilen Demokratie sind eher trübe. Je nach Modernisierungstheorie fehlen in Myanmar bestimmte Vorbedingungen, die eine widerstandsfähige Demokratie begünstigen, etwa eine große und unabhängige Mittelschicht, eine niedrige Armutsquote und hohes Wirtschaftswachstum. Mit einer Brutto-Armutsgrenze von 915 USD/Jahr ist Myanmar eines der ärmsten Länder Asiens und nach 50 Jahren repressiver Militärherrschaft Jahrzehnte hinter den meisten seiner Nachbarn zurück. Da die Wirtschaft Myanmars stark von Öl und Gas abhängig ist, besteht die Gefahr, dass das Land Opfer des „Ressourcenfluchs“[2] wird.

Die größten Hindernisse jedoch, die einer Demokratisierung im Wege stehen, sind das Fehlen eines funktionierenden Staats und die mangelnde Identifizierung aller ethnischen Gruppen mit dem Staat. Seit der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich im Jahr 1948 wurde der burmesische Staat immer wieder von kommunistischen und ethnischen Rebellionen herausgefordert. Insbesondere nachdem U Nu im Jahre 1961 versucht hatte, den Buddhismus als Staatsreligion zu etablieren, entschieden fast alle ethnischen Gruppen, im bewaffneten Kampf die Loslösung von der Union zu erzwingen. Das Militär unter General Ne Win trat auf den Plan, um den Zerfall des Landes zu verhindern. In den 1960er und 1970er Jahren[3] ging das Militär immer wieder massiv gegen die ethnischen Gruppen vor, die große Teile des Landes beherrschten. Nach dem Zerfall des kommunistischen Widerstands Ende der 1980er Jahre konnte das Militärregime die Front der ethnischen Gruppen durch getrennte Waffenstillstandsvereinbarungen fragmentieren und in der Folge bedeutende Gebietsgewinne verzeichnen. In jüngster Zeit erlangte die burmesische Armee die Kontrolle über Gebiete im Kachin-Staat im Norden des Landes ebenso zurück wie über den Shan-Staat. Mehrere – auch beträchtliche – Gebiete an der Grenze zu China und Thailand befinden sich noch unter der Kontrolle bewaffneter ethnischer Gruppen, vor allem der Armee des Wa-Staats (United Wa State Army – UWSA) und der Kachin-Unabhängigkeitsarmee.

Auch wenn der Bürgerkrieg etwas abgekühlt ist, wirkt er sich immer noch auf die Staatsbildung aus. Erstens misstrauen die ethnischen Gruppen sowohl der Zentralregierung als auch dem Militär stark. Sie lehnen den Staat in seiner jetzigen Form ab und fühlen sich politisch und kulturell diskriminiert. Sie verlangen weitreichende Verfassungsreformen, „echten Föderalismus“ oder zumindest Garantien, die ihre Autonomie schützen. Zweitens haben die Waffenstillstände den ethnischen Rebellen eine Atempause verschafft, die manche von ihnen nutzten, um einige Regionen wirtschaftlich zu entwickeln – meist hin zu illegalen Geschäften wie Drogenschmuggel und Waffenhandel. Daher ist es durchaus vorstellbar, dass einige der Rebellengruppen, wie die UWSA, stärker an der Erhaltung des Status quo interessiert sind als an einem nachhaltigen Frieden.

Eng mit der Frage der Staatsbildung verbunden ist die bereits seit der Unabhängigkeit praktizierte Einmischung des Militärs (Tatmadaw) in politische Angelegenheiten. Das Militär sieht seine wesentliche Aufgabe im „Erhalt der Souveränität“ und in der „Verhinderung des Zerfalls der Union“. Da das Vertrauen der militärischen Führung in die zivilen Politiker nach wie vor sehr gering ist, hat die frühere Militärjunta vorsorglich ein politisches System etabliert, in dem das Militär eine beherrschende Rolle spielt.[4] Schlüsselministerien sind dem Militär vorbehalten, das auch eine Mehrheit im National- und Sicherheitsrat hat. Darüber hinaus erhält das Militär 25 Prozent der Sitze im Parlament. So versteht sich das Militär als „Vermittler“ zwischen den konkurrierenden gesellschaftlichen Kräften.[5]

Der Wandel in Myanmar – ein komplexer Prozess

Manche Wissenschaftler konzentrieren sich weniger auf Hintergrundbedingungen als auf die bewussten Entscheidungen der strategischen Akteure. So beschreiben Schmitter und O’Donnell Wandel als eine strategische Entscheidung zwischen der Regierung und der Opposition, bei der Hardliner und Softliner in Regierung und Opposition einen Pakt schließen, der die Spielregeln der Politik neu definiert. Allerdings war die Öffnung in Myanmar nicht das Ergebnis eines Machtkampfs innerhalb des Militärs, vielmehr wurde sie von einem Teil der Generalität aus einer Position der Stärke heraus initiiert. Nachdem sie die Vorrechte des Militärs gesichert und Machtwechsel herbeigeführt hatte, fühlte sich die zweite Garde unter Präsident U Thein Sein stark genug für eine Öffnung des politischen Systems. Neben diesen internen Faktoren sind noch verschiedene externe Faktoren zu beachten, etwa die schwindende Abhängigkeit von China oder die Rückständigkeit Myanmars im Vergleich zu anderen südostasiatischen Ländern.

Die Öffnung ist eine fragile Entwicklung, in der die Hardliner gegen die Softliner stehen und in der dem Friedensprozess immense Bedeutung zukommt.[6] Das heißt, das Ausmaß der Liberalisierung in Myanmar war das Ergebnis zahlreicher Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Stakeholdern wie Präsident, Militär, konservativen und reformistischen Gruppen im Parlament, Mitgliedern der Opposition, Zivilgesellschaft und verschiedenen Bündnissen ethnischer Gruppen.[7] Auch wenn das Militär im Parlament nicht einheitlich agierte – es sei denn, es ging um militärische Interessen –, so ist es seinem Anspruch immer gerecht geworden: Es spielt eine aktive „nationale Führungsrolle im Staat“, genau wie in der Verfassung vorgesehen.

Burgfrieden mit der NLD und die Freilassung politischer Gefangener

Die Öffnung setzte in Myanmar ein, als Präsident U Thein Sein Gespräche mit der Vorsitzenden der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD), Daw Aung San Suu Kyi, aufnahm, einen gewissen Grad der Pressefreiheit zuließ, politische Gefangene amnestierte und Gesetzesänderungen zustimmte, die der NLD wieder einen rechtlichen Status verliehen. Die NLD nahm im April 2012 an den Nachwahlen teil, was die internationale Gemeinschaft als einen bedeutenden Glaubwürdigkeitstest der Regierung wertete. Auch wenn diese Nachwahlen einen durchaus wichtigen Schritt darstellten, so war ihre politische Bedeutung eher gering, denn nur wenige Sitze waren zu besetzen, und das Ergebnis konnte die Machtverhältnisse im Parlament, das nach wie vor von der Solidaritäts- und Entwicklungspartei (USDP) beherrscht wird, nicht wesentlich verändern.

Der Frieden mit der Opposition konnte nur mit der Freilassung der politischen Gefangenen erzielt werden. Zahlen der Assistance Association for Political Prisoners Burma von Ende 2013 zeigen, dass die Regierung 1002 politische Gefangene amnestiert hat.[8] Nach weiteren Amnestien in den Jahren 2013 und 2014 erklärte das Präsidentenbüro, in Myanmar gebe es nun keine politischen Gefangenen mehr. Tatsächlich konnten mehrere ehemalige politische Gefangene Parteien beitreten oder sich aktiv in die Zivilgesellschaft und den Reformprozess einbringen. Menschenrechtsgruppen jedoch verwiesen wiederholt auf die steigende Anzahl der Verhaftungen, seit das neue „Gesetz über friedliche Versammlungen“ in Kraft getreten ist. Sie betrachten die verhafteten Demonstranten als politische Gefangene – eine Grauzone, da die Verhafteten gegen das sehr restriktive „Gesetz über friedliche Versammlungen“ oder gegen ältere Gesetze verstießen. Im Juni 2015 wurden 169 politische Gefangene verzeichnet, und 446 Aktivisten warten auf ihre Prozesse aufgrund politischer Aktionen.[9]

Pressefreiheit

Eine der bedeutendsten Veränderungen war die Erweiterung der Pressefreiheit. 2014 führte Reporter ohne Grenzen Myanmar auf Platz 145 von 179 Ländern, in den Jahren davor hatte das Land die Plätze 151 (2013), 169 (2012) und 174 (2011) belegt. Internetkontrolle und Zensur wurden bereits 2011 gelockert. Im August 2012 erklärte die Regierung die Abschaffung der Vorzensur und die Auflösung der Abteilung „Pressekontrolle und Registrierung“. Allerdings widersetzten sich die Bürokraten im Informationsministerium hartnäckig dieser Öffnung. Das Ministerium bemühte sich, seine Macht zurückzugewinnen, und versuchte, die Pressefreiheit einzuschränken. Im Februar 2013 präsentierte die Regierung eine Novellierung des Druck- und Veröffentlichungsgesetzes, die neue Zensurleitlinien vorsah. Der Entwurf der Neufassung war hinter verschlossenen Türen entstanden und traf die Medien wie ein Schlag. Unverzüglich begannen sie in beiden Kammern des Parlaments intensiv für eine Überarbeitung des Entwurfs zu werben. Nach einem Jahr Lobbyarbeit verabschiedete das Parlament ein wesentlich weniger restriktives Gesetz, das gemeinsam mit einem neuen Mediengesetz in Kraft trat, das mit Input von Mitgliedern des Presserats formuliert worden war.

Es bestehen noch ältere Gesetze, die Gefängnisstrafen für all jene vorsehen, die bestimmte Arten von Informationen veröffentlichen und vertreiben, die als Gefahr für die nationale Sicherheit, den Landesfrieden oder die ethnische Harmonie gelten; für alle, die über Korruption oder ethnische Politik berichten oder die die Regierung in einem negativen Licht darstellen.[10] Die Regierung hat ihre Macht, die Pressefreiheit aufzuheben, immer genutzt, wenn sie der Ansicht war, die Presse habe diese Regeln verletzt. Zudem erhielten im Juli 2012 die Zeitschriften The Voice und Envoy vorübergehendes Erscheinungsverbot, weil sie über eine mögliche Kabinettsumbildung berichtet hatten. Im Februar 2014 ließ die Regierung fünf Journalisten verhaften und verbot das in Privatbesitz befindliche Unity Journal wegen angeblichen „Verrats von Staatsgeheimnissen“, nachdem das Magazin über den Bau einer Chemiewaffenfabrik in Zentral-Myanmar berichtet hatte. Die Reporter wurden aufgrund des Staatsgeheimnisgesetzes aus dem Jahr 1923 zu sieben Jahren Haft verurteilt. Diese Vorgänge zeigen, dass es noch ein weiter Weg zur freien Presse ist.

Darüber hinaus hat sich die Pressefreiheit als zweischneidiges Schwert für die Öffnung in Myanmar erwiesen. Einerseits ermöglichte sie eine freiere Debatte über politische Reformen. Andererseits löste sie einen buddhistisch-nationalistischen Diskurs und die Agitation durch eine ultranationalistische Bewegung aus, die Intoleranz und Gewalt gegen die islamische Gemeinde des Landes predigte. Fremdenfeindliches, nationalistisches und antiislamisches Gedankengut wurde über das Internet und die sozialen Medien verbreitet.

Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit

2011 und 2012 begann die Regierung mit der Ausarbeitung von Gesetzen zur Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit. Das „Gesetz über friedliche Versammlungen“, das 2011 in Kraft trat, erlaubte friedliche Demonstrationen nur unter sehr genau definierten Bedingungen: Die Organisatoren müssen bei den Behörden fünf Tage vorher eine „Genehmigung“ beantragen. Darüber hinaus sieht das Gesetz eine Gefängnisstrafe von einem Jahr für Versammlungen ohne Genehmigung vor. Das Gesetz hat die Freizügigkeit wesentlich erweitert, was zu einem Anstieg der Zahl an Demonstrationen führte. Allerdings wurden auch mehrere Genehmigungen verweigert, unter anderem ein Antrag der NLD im Jahr 2012, den Tag der Märtyrer feiern zu dürfen, und der Wunsch der Studentenvereinigung, den 50. Jahrestag der Studentenproteste an der Yangon Universität zu begehen. Auch wenn der Bewegungsspielraum der Zivilgesellschaft erweitert wurde, so wurden zahlreiche Aktivisten wegen Demonstrationen ohne Genehmigung angeklagt. Im November 2012 lösten die Behörden gewaltsam einen Protest von Dorfbewohnern gegen die Erweiterung des Kupferbergwerks in Letpadaung auf. Mehr als 70 Demonstranten wurden verletzt, als die Bereitschaftspolizei die Proteste niederschlug, und mehrere Teilnehmer wurden verhaftet. Diese Episode illustriert zwei Entwicklungen: Einerseits haben zivilgesellschaftliche Aktivisten bedeutend mehr Raum für die Mobilisierung und für Lobbyarbeit im Parlament und in der Regierung – sie können sich durchaus Gehör verschaffen. Andererseits aber nutzen die Behörden und bestimmte einflussreiche Personen – mit konkreten Interessen – das Gesetz weiterhin, um öffentlichen Protest mundtot zu machen. Das „Gesetz über friedliche Versammlungen“ wurde zwar im März 2014 ergänzt, dennoch bietet es den Behörden weiterhin eine Grundlage, um die Freizügigkeit von Personen einzuschränken. Die Behörden haben dabei vor allem Aktivisten, Bauern und all jene im Blick, die sich um Themen wie Landbesitz und Landrechte organisieren.

Der Friedensprozess

Obgleich es der Thein-Sein-Regierung gelang, verschiedene Waffenstillstände mit mehr als einem Dutzend bewaffneter ethnischer Gruppen zu verhandeln, erweist sich die Unterzeichnung eines landesweiten Waffenstillstands als sehr schwierig. Der Mangel an Vertrauen ist dabei ein zentrales Hindernis. Auf beiden Seiten sind Wirtschaftsinteressen im Spiel, und wichtige Missstände müssen anerkannt werden, zum Beispiel die negativen Folgen (militärischer) Entwicklungsprojekte für lokale Gemeinschaften, etwa Konfiszierung von Grund und Boden und die ökologischen und sozialen Folgen von wirtschaftlichen Projekten, Wettbewerb über die Kontrolle von natürlichen Ressourcen, Armut und Unterentwicklung. Darüber hinaus muss die Zentralregierung, um die wesentliche Forderung der ethnischen Gruppen nach einem föderalen Staat zu erfüllen, eine politische Lösung in Form einer Verfassungsänderung anbieten. Das ist bis jetzt nicht geschehen. Der Friedensprozess wird immer wieder von Kämpfen zwischen dem Militär und einigen bewaffneten ethnischen Gruppen überschattet.

Verfassungsreformen und nationaler Dialog: Die Suche nach einem neuen Kompromiss

Aung San Suu Kyi hat im Laufe der letzten Jahre versucht, eine Einigung mit dem Militär zu erzielen. Sie hat das Militär hofiert, wiederholt seine Rolle gepriesen und im Jahr 2013 am Tag der Streitkräfte einer Militärparade in der Hauptstadt beigewohnt. Das Militär hat jedoch wenig positiv auf diese Zeichen des guten Willens reagiert. Angeblich hatte sie eine Vereinbarung mit dem Sprecher des Unterhauses Shwe Mann getroffen, dem sie angeblich nahestand. Dessen Entfernung aus dem Amt des Vorsitzenden der USDP im August 2015 – unterstützt von den Sicherheitskräften – wirft die Frage auf, wie die Chancen für eine breitere Demokratisierung des Landes tatsächlich stehen.

Die NLD hat sich bemüht, die offizielle Änderung der Verfassung aus dem Jahr 2008 zu beeinflussen. Die Forderung nach einer Verfassungsänderung gewann im März 2013 neue Dynamik, als Mitglieder der USDP vorschlugen, einen Ausschuss zur Prüfung der Verfassung einzurichten. Zwischen August 2013 und Oktober 2014 diskutierten zwei parlamentarische Ausschüsse mögliche Verfassungsänderungen und nahmen dazu Vorschläge der Öffentlichkeit, der politischen Parteien und Regierungsstellen entgegen. Im Juni und Juli 2015 wurden dem Parlament zwei Entwürfe vorgelegt. Die Militärs im Parlament schmetterten jedoch die meisten Vorschläge ab.[11] Zunächst blockierten sie die Senkung der 75-Prozent-Mehrheit für Verfassungsänderungen auf 70 Prozent (§ 436), da dies die Vetomacht des Militärs geschwächt hätte. Zweitens verhinderte der Militärblock die Direktwahl der regionalen Verwaltungschefs, obgleich er den subnationalen Regierungen neue gesetzgebende und Haushaltsrechte einräumte. Diese Dezentralisierung ist wesentlich weniger, als die ethnischen Gruppen erhofft hatten, und sie wird auch in den kommenden Jahren Zankapfel bleiben. Daw Aung San Suu Kyi zeigte sich vom Ausgang der Verfassungsänderung genervt: „Das ist kein eigentümliches Ergebnis, nichts, das einen überraschen müsste … Die von der USDP vorgeschlagenen Änderungen reichen für eine [demokratische Reform] nicht aus. Und [das Militär] will noch nicht einmal diese Änderungen akzeptieren. Wir können nur annehmen, dass es nicht für eine Reform ist.“[12]

Im Einklang mit ihrer Reformstrategie hat Daw Suu Kyi seit Juli 2013 wiederholt Präsident U Thein Sein, den Sprecher des Unterhauses Shwe Mann und den Kommandeur der Streitkräfte Min Aung Hlaing zu Gesprächen aufgefordert, um zu einer informellen Einigung zu gelangen. Jedoch haben dies alle mit Verweis auf die laufende formale Überprüfung der Verfassung abgelehnt. Ende Oktober 2014 lud Präsident U Thein Sein die führenden politischen Persönlichkeiten zu einem Gespräch über den politischen Wandel ein. Das Treffen – ob als „enttäuschend“ (Aung San Suu Kyi) oder als „Beginn einer neuen politischen Kultur“ (Präsident Thein Sein) gewertet – muss als vertrauensbildende Maßnahme und als weiterer Schritt in einem langen Öffnungsprozess gesehen werden, der sich über die nächsten Jahre hinziehen wird.

Fazit

Die Öffnung Myanmars hat immense politische Veränderungen mit sich gebracht. Die Repression wurde gelockert, und die Teilnahmemöglichkeiten in den Institutionen, die das Militärregime in den vorausgegangenen Jahrzehnten eingerichtet hatte, wurden ausgeweitet. Doch ist es nach wie vor das Militär, das das Ausmaß des derzeitigen Wandels definiert und das vor den Wahlen substanzielle Verfassungsänderungen immer wieder blockiert hat. Daher wird die Öffnung in Myanmar lediglich eine Art Hybridregime hervorbringen. Da die Liberalisierung die Bürger- und politischen Rechte nicht voll und ganz gewährleistet, wird die sich entwickelnde politische Ordnung bestenfalls semidemokratisch und durch die massive Einmischung des Militärs in politische Angelegenheiten gekennzeichnet sein. Die Pressefreiheit bleibt eingeschränkt, und trotz eines Entwurfs eines nationalen Friedensvertrags gehen in manchen Landesteilen die Kämpfe weiter, was zu anhaltendem Misstrauen beiträgt und die Forderung nach strukturellen politischen Veränderungen aufrechterhält.

Die Wahlen werden die Machtverhältnisse zwischen Opposition, ethnischen Gruppen und Militär entscheidend beeinflussen. Manche Beobachter rechnen mit einem Sieg der NLD – obwohl jetzt klar ist, dass die Vorsitzende der NLD Aung San Suu Kyi nicht Präsidentin werden kann. Die Entfernung von Thura Shwe Mann aus dem Amt des USDP-Vorsitzenden kurz vor den Wahlen mindert die Aussichten auf eine Einigung zwischen der herrschenden Partei und der Opposition. Angeblich hat er für eine Schwächung der Rolle des Militärs plädiert. Aufgrund des traditionell repressiven Charakters des aktuellen autoritären Regimes und der Institutionalisierung der Militärherrschaft im Laufe des vergangenen Jahrzehnts kann der lange Prozess des Wandels noch weitere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauern. Die oppositionellen Kräfte werden noch einige Herausforderungen zu überwinden haben, bis eine Liberalisierung des Regimes Wirklichkeit geworden ist.[13] Rückschläge und Phasen des Stillstands sind in der Zukunft nicht auszuschließen.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers zu den Wahlen in Myanmar.

 

Fußnoten:

[1] Adam Przeworski, Some Problems in the Study of the Transition to Democracy, in: Transitions from Authoritarian Rule: Comparative Perspectives, Guillermo O’Donnell, Philippe C. Schmitter und Laurence Whitehead, Hrsg. (Baltimore: John Hopkins University Press, 1986), 47–63.

[2] Sean Turnell, Burma’s Insatiable State, Asian Survey 48:6 (2008): 958–976.

[3] Martin Smith, Insurgency and the Politics of Ethnicity (London: Zed Books, 1991).

[4] Marco Bünte, (2014): Burma’s Transition to Quasi-Military Rule: From Rulers to Guardians?, Armed Forces and Society 40:4 (2014): 742–762.

[5] Renaud Egreteau, Patterns of Military Behavior in Myanmar’s New Legislature, Asia Pacific Bulletin 33 (2013): 1–4.

[6] Kyaw Yin Hlaing, Understanding Recent Political Changes in Burma, Contemporary Southeast Asia 34:2 (2012): 197–216.

[7] Thomas Kean, Myanmar’s Parliament: From Scorn to Significance, in: Debating Myanmar’s Democratization, Nick Cheesman, Nicholas Farrely und Trevor Wilson, Hrsg. (Singapur, 2014), 43–75.

[8] Association of Political Prisoners, 56 Political Prisoners Freed in 12th Presidential Release, Pressemitteilung der Assistance Association of Political Prisoners, 11. November 2013, abrufbar unter: http://www.aappb.org (abgerufen am 5. Januar 2014).

[9] Association of Political Prisoners, Monthly Chronology, Juni 2015, abrufbar unter: http://aappb.org/2015/07/monthly-chronology-of-june-2015 (abgerufen am 9. Juli 2015).

[10] Reporters without Borders, Burmese Media Spring, in: Reporters without Borders 2012, 38, abrufbar unter: http://en.rsf.org/IMGpdf/rsf_rapport_birmanie-gb-bd_2_.pdf (abgerufen am 14. Oktober 2013).

[11] GNLM, Pyidaungsu Hluttaw Votes Down 5 of 6 Changes to Constitution, Global New Light of Myanmar, 26. Juni 2015.

[12] Myanmar Times, NLD Leader Says Military Has Shown People Who to Vote For, 26. Juni 2015.

[13] Marco Bünte, Myanmar’s Protracted Transition: Arenas, Actors, Outcomes, in: Asian Survey (in Druck).