"Die Chancen auf Nachverhandlungen liegen bei Null"

Iran Talks in Vienna

Im Nachgang des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), der am 14. Juli 2015 zwischen den P5+1 und dem Iran besiegelt wurden, hat sich in den USA eine hitzige Debatte über die Vor- und Nachteile des Nuklearabkommens mit dem Iran entsponnen. Der republikanisch dominierte Kongress wird im September über das Abkommen abstimmen. Barbara Slavin, Nonresident Senior Fellow beim Atlantic Council in Washington D.C., hat uns die Dynamik der politischen Debatte zwischen den Befürwortern und den Gegnern des Abkommens erklärt.

Heinrich-Böll-Stiftung: In der hitzigen Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) werden in den USA momentan zehntausende US-Dollar für Werbung und Lobby-Aktivitäten ausgegeben. Können Sie sich erinnern, wann ein außenpolitisches Thema in Washington zuletzt eine ähnlich intensive Debatte ausgelöst hat?

Barbara Slavin: Nein, ehrlich gesagt kann ich das nicht. Es hat in den vergangenen Jahren viele hitzige Debatten gegeben, zum Beispiel über umstrittene Abrüstungsabkommen mit Russland, aber nichts kommt der heutigen Stimmung gleich. Ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der die Befürworter und Gegner einer bestimmten Entscheidung der US-Regierung einen solchen politischen Druck aufgebaut haben.

Präsident Obama hat den Gegnern des Abkommens vorgeworfen, dass viele von ihnen bereits vor der Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses am 14. Juli ihre Position festgelegt hätten. Welche Rolle spielen ihrer Einschätzung nach parteipolitische Überlegungen und der nahende Präsidentschaftswahlkampf in der aktuellen Debatte?

Ich denke, beide spielen eine große Rolle. Nun gibt es Leute, die dem Iran generell nicht trauen und überhaupt kein Abkommen wollen. Aber ich bin besonders enttäuscht von einigen republikanischen Senatoren, von denen ich zunächst annahm, dass sie für das Abkommen stimmen würden und die letztlich dagegen votieren werde. Ehrlichgesagt glaube ich, dass sie das aufgrund von politischem Druck aus der republikanischen Partei tun und aus Sorge um Spenden für ihre Wahlkampagne von reichen Individuen, die gegen das Abkommen sind.  

Die amerikanischen Verhandlungsführer/innen haben den JCPOA zusammen mit den anderen Mitgliedern der P5+1 verhandelt. Sollten die USA sich einseitig aus dem Abkommen zurückziehen, würden sie sich damit von den anderen fünf Mitgliedern des Verhandlungsteams isolieren. Wie erklären Sie sich, dass solch bündnispolitischen Überlegungen von den Gegnern des Abkommens kaum in Betracht gezogen werden?

Ich glaube, dass es sehr wohl einige Leute gibt, die die multilateralen Charakter des Abkommens verstehen und wissen, dass die USA das Abkommen nicht alleine neuverhandeln können. Europa wird uns nicht folgen und die Russen und Chinesen werden uns erst recht nicht folgen. Einige Gegner des Abkommens bringen allerdings das Argument an, dass die Europäer sich gezwungen sehen werden, den USA zu folgen, wenn wir bestimmte ökonomische Sanktionen aufrecht erhalten, vor allem im Finanzsektor. Ich glaube nicht, dass dies der Fall sein würde. Dieser Zug ist bereits abgefahren. Aber es ist schwierig, diese Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Allein eine Situation, in der die USA das Abkommen ablehnen und Europa trotzdem den Handel mit dem Iran und iranischen Banken wieder aufnimmt, würde die Ineffektivität unilateraler amerikanischer Sanktionen beweisen. In der jetzigen Situation allerdings ist es schwer, diese Leute zu überzeugen.

Viele Skeptiker haben Obamas Aussage zurückgewiesen, dass die einzig realistische Alternative zum Iran Deal ein militärischer Angriff sei. Stattdessen fordern sie die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, das Abkommen nachzuverhandeln?

Ich denke die Chancen liegen bei Null, absolute Null. Das ist ein Prozess, der vor über einem Jahrzehnt von den E3 ins Leben gerufen wurde [A.d.R: Die E3 setzen sich aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen]. Wie hatten vor einigen Monaten eine ausgezeichnete Konferenz beim Atlantic Council mit den Botschaftern der E3, bei der die lange Geschichte der Verhandlungen zur Sprache kam. Die USA haben sich erst nach dem Amtsantritt Obamas ernsthaft an dem Prozess beteiligt. Aber die letzten zwei Jahre waren so intensiv und es wurde so viel Zeit in die Verhandlung investiert- nicht nur von den Außenministern der Verhandlungsstaaten sondern von den gesamten Regierungen. Es ist schlichtweg absurd zu denken, dass wir das Abkommen nun neu verhandeln könnten.  

Der JCPOA markiert lediglich den Anfang einer langen und zähen Umsetzung. Wenn Sie die vielen Risiken auf dem Weg abwägen, denken Sie, dass die Umsetzung des Abkommens eher an den amerikanischen oder den iranischen Hardlinern scheitern könnte?

Das ist schwer zu sagen. Solange Barack Obama Präsident der USA ist, werden die amerikanischen Gegner des Abkommens denke ich nicht in der Lage sein, dessen Umsetzung zu verhindern. Ich sorge mich eher darum, was geschehen wird, wenn ein republikanischer Präsidentschaftskandidat gewählt und der Kongress weiterhin von einer republikanischen Mehrheit regiert werden sollte. Selbst in diesem Fall sorge ich mich allerdings weniger um das Abkommen an sich als um die Bestrebungen, unter dem Vorwand der Ahndung anderer iranischer Handlungen die Sanktionen wieder einzuführen. Dann kämen wir in eine spiegelbildliche Situation: Sollten die USA die Sanktionen wieder hochfahren, werden die iranischen Hardliner umgehend entsprechend antworten - entweder durch das Parlament oder durch andere Handlungen in der Region.  

Viele iranische Dissidenten haben sich gegen den JCPOA ausgesprochen. Was würden sie dem Argument entgegensetzen, dass das Abkommen ultimativ das repressive iranische Regime stärken wird?

Nun ja, es gibt auch viele iranische Dissidenten, die sich für den JCPOA ausgesprochen haben. In meinen Augen ist es wahrscheinlicher, dass die iranische Regierung repressiver wird, wenn es kein Abkommen gibt. Ich denke, dass das Abkommen den Iran für mehr internationalen Handel und mehr Ausländer im Land öffnet. Selbst wenn die Regierung diese Art von Intervention oder Einmischung- wie immer man es nennen will- zu verhindern sucht, wird das unmöglich sein. Der Iran ist schon jetzt sehr offen für westliche Einflüsse, das wird sich durch ein Abkommen noch verstärken. Letztlich wird sich das positiv auswirken für die iranische Zivilgesellschaft und für Leute, die wollen, dass der Iran demokratischer wird. Deswegen glaube ich, dass das Abkommen positiv für die iranische Zivilgesellschaft sein wird, auch wenn wir natürlich über Nacht keine Wunder erwarten sollten. Leider werden wir bis auf weiteres Menschenrechtsverletzungen im Iran erleben.  

Das Interview wurde am 21. August von Charlotte Beck, Programmdirektorin für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Henrich-Böll-Stiftung Nordamerika, geführt und ist erstmals auf der Webseite des Auslandsbüros erschienen.