Wie in Makoko Schwächen zu Stärken werden

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Die Bauarbeiten am ersten Neighbourhood Hot Spot in Makoko hat begonnen

In der Fischersiedlung Makoko haben die Menschen gelernt, mit und auf dem Wasser zu leben. Nun werden dort Häuser gebaut, die die Lebensbedingungen der Menschen erheblich verbessern sollen.

Lagos, das wichtigste Wirtschaftszentrum Westafrikas, hat ehrgeizige Ziele. Lebenswert und vielfältig will es sein, und es hat sich vorgenommen das "afrikanische Vorbild einer Megacity" zu werden, umfassende Investitionen aus dem Ausland anzuziehen und einen modernen Lebensstil zu bieten.[1]

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg: Lagos ist bereits ein großer Ballungsraum. Wenn er weiter so rasant wächst, werden damit auch die Probleme größer: Immer mehr Menschen werden aufgrund des steigenden Lebensstandards einen höheren Energieverbrauch haben. Die Nachfrage nach Mobilität wird steigen und die bestehende Infrastruktur an ihre Grenzen bringen. Und es ist zu erwarten, dass die Abfallproduktion pro Kopf dramatisch steigen wird. Die Schäden an der Umwelt werden sich auf das Wirtschaftspotenzial einer Region auswirken: Zuwanderer werden sich in attraktiven Gebieten niederlassen und belastete meiden. In Europa und den USA werden Flüsse oder andere ökologisch empfindliche Gebiete  renaturiert. Die Schaffung und Erhaltung von Naherholungsgebieten wurden zu zentralen Schwerpunkten in der Stadtplanung – besonders in jenen Städten, die mit einer attraktiven Umwelt qualifizierte Arbeitskräfte anziehen wollen.

Lagos hat mit seiner Lage knapp über dem Meeresspiegel an sich schon eine große Herausforderung zu bewältigen. Weltweit geht man davon aus, dass der Meeresspiegel bis ins Jahr 2100 jährlich um mehr als einen Millimeter ansteigen wird. Dieses globale Phänomen wird lokal noch dadurch verstärkt, dass entwickelte und reiche Länder über viele versiegelte Flächen verfügen. Dies erhöht die Sturmwassergefahr erheblich. Dies trifft auch für Lagos zu, wo es in der Lagune und an den Küsten auch noch umstrittene Projekte zur Landgewinnung gibt. Diese Vorhaben könnten den Meeresspiegel vor Ort zusätzlich erhöhen und die jahreszeitlich bedingten Überschwemmungen verschlimmern. Diese Probleme mit öffentlichen Gütern werden breit diskutiert und führen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. In einer Sache sind sich aber alle einig: Die Bewohnerinnen und Bewohner von Lagos werden mit großer Wahrscheinlichkeit von den steigenden Meeresspiegeln betroffen sein – und die Ärmsten wird es am härtesten treffen. Wie aber können Überschwemmungen verhindert werden? Die Antwort ist: Man kann sie nicht verhindern. Ist man mit einer so starken Naturgewalt wie Wasser konfrontiert, hat man eigentlich nur eine Wahl: Man muss lernen, mit ihr zu leben. Genauso muss man lernen, mit Überschwemmungen und gegebenen klimatischen Bedingungen zu leben.

Dies führt zu der Frage: Wie kann man eine Stadt lebenswerter gestalten, sie wirtschaftlich wettbewerbsfähig machen und gleichzeitig dafür sorgen, dass ihre Siedlungen nicht regelmäßig durch Überschwemmungen zerstört werden? Dies ist von großer Bedeutung für Lagos, wo wir es mit einem enormen informellen Sektor und seinen Folgen zu tun haben: nämlich Barackensiedlungen und Armutsvierteln. Etwa zwei Drittel der Menschen in Lagos und Nigeria leben in Slums[2], illegalen Siedlungen oder Barackenvierteln. Während ihr Anteil prozentual abnimmt, steigt ihre absolute Zahl.[3]

Slums verfügen über unglaubliches Innovationspotenzial

Lagos hat bis heute kein Konzept für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Slums entwickelt. Pläne hierzu wurden allerdings in den größten Städten Brasiliens in den letzten zehn Jahren erfolgreich umgesetzt. Städte wie São Paolo und Rio de Janeiro sind, was die Größe und das dynamische Wachstum der Bevölkerung angeht, mit Lagos vergleichbar. Sie können als Vorbild dienen: nicht nur weil die Lebensbedingungen in den Armutsvierteln verbessert wurden, sondern weil deren Bewohnerinnen und Bewohner auch Rechte erhielten und Eigentümer ihrer Häuser wurden oder Land pachten konnten.

Slums verfügen über ein unglaubliches Innovationspotenzial, auf viele Fragen von Stadtplanern können dort Antworten gefunden werden. Durch das Leben in Armut, entwickeln die Bewohnerinnen und Bewohner von Slums in vielen Bereichen effiziente Maßnahmen: Sie nutzen oft gemeinsam Kochstellen und sanitäre Anlagen, für die sie lediglich ein geringes Entgelt aufbringen müssen. Sie haben einen kleinen ökologischen Fußabdruck, denn je weniger Menschen konsumieren, desto geringer fällt auch der Umweltschaden aus, den sie verursachen. Die Bevölkerungsdichte in Armutsvierteln ist groß und den Menschen dort steht wenig Platz zur Verfügung. Sie besitzen in der Regel kein Fahrzeug und gehen meist zu Fuß oder nutzen öffentliche oder informelle Verkehrsmittel, sofern diese für sie erschwinglich sind.

Ein Beispiel für eine solche informelle Siedlung ist Makoko. Der Großteil der Siedlung liegt in der Lagune – also direkt im Wasser. Sie ist von der Third Mainland Bridge aus, eine der Hauptverkehrsadern in Lagos, gut erkennbar. Die Behausungen in Makoko sind größtenteils Pfahlbauten aus Holz. Wissenschaftler sind sich uneins, ob es sich dabei um eine traditionelle Bauweise aus dem 19. Jahrhundert handelt oder ob die Häuser auf Stelzen ein neueres Phänomen aus den letzten Jahrzehnten sind. Betrachtet man die natürlichen Gegebenheiten in Großraum von Lagos, mit seinen zwei Lagunenmündungen, seinen bis ins Hinterland führenden großen und kleinen Flüssen, den Sumpfgebieten und Mangrovenwäldern, scheint diese Bauart für das Leben in der Lagune naheliegend zu sein. Ungeachtet der Gründe, aus denen sich Menschen in der Lagune niederließen: Sie haben Wege gefunden, um mit dem Wasser zu leben.

Ein Leben im Wasser

Die Kehrseite ist, dass es in den Stelzenhäusern keine sanitären Einrichtungen gibt, das trifft besonders Frauen hart. Es gibt keine Sicherheit für Grundbesitz, und es herrscht große Armut. Mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner von Makoko lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze und von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag. Viele Menschen sind verschuldet und versuchen mit ihren Kleinstunternehmen zu überleben. Oftmals sind diese noch nicht einmal rentabel, was die Schulden der Menschen noch vergrößert und den Teufelskreis der Armut aufrecht erhält. Die Tatsache, dass die Menschen über kein oder ein nur sehr geringes Einkommen verfügen und es keine stabilen Einnahmequellen gibt, gehört zu den drängendsten Problemen in Makoko.

Was die Gefahren durch Überschwemmungen angeht, könnten die Menschen in Makoko bereits „auf der Lösung“ leben. Überschwemmungen zerstören Infrastrukturen und Bauten, wenn diese nicht maßgeschneidert und flexibel genug konstruiert sind. In Makoko haben die Menschen gelernt, mit den unterschiedlichen Auswirkungen des Wassers zu leben. Sie haben einen alternativen Lebensstil entwickelt, der ihre Art zu bauen und Handel zu treiben sowie ihre Mobilität prägt. Die meisten arbeiten in der Fischerei oder damit verbundenen Gewerben. Das einzige Fortbewegungs- und Transportmittel für sie ist das Boot.

Um im Einklang mit dem Wasser leben zu können, müssen Häuser perfekt an die Umwelt angepasst werden. Die meisten Häuser in Makoko sind das nicht. Das liegt an der großen Armut: Oftmals fehlen einfach die richtigen Materialien für einen sicheren Bau der Stelzenhäuser. Das Leben der Menschen in Makoko mit seinen widrigen Bedingungen, war der Ausgangspunkt für ein wegweisendes Projekt: Lokale und internationale Architekt/innen und Stadtplaner/innen erarbeiteten gemeinsam mit den Bewohner/innen von Makoko einen Bebauungsplan: den „Makoko-Iwaya Waterfront Regeneration Plan“. Er wurde 2013 dem Amt für Planung- und Stadtentwicklung im Bundesministerium von Lagos übergeben. Ziel des Plans war es, die Schwächen und die Fragilität der Lebensräume in Makoko und Iwaya in Stärken und Chancen zu verwandeln. Er sah nicht nur eine Aufwertung der Viertel vor, sondern ihre grundlegende Veränderung.

Entscheidend für eine solche Veränderung ist, dass lokal vorhandenes, traditionelles Wissen mit einer auf einheimischen Ressourcen basierenden Wirtschaft verknüpft wird. Dann könnten die Menschen innerhalb der besonderen örtlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten am Wasser leben und wirtschaftlich tätig werden: Handel treiben und an einem zukunftsfähigen Lebensmodell arbeiten.

Der Klimawandel – so die allgemeine Annahme – wird zu einer Zunahme von Überschwemmungen und dauerhaft gefluteten Gebieten führen. Dieses Szenario trifft genau auf die Erwartungen für Makoko zu. Doch Makoko sollte nicht nur als Problemkind gesehen werden – es könnte eben auch zum Inbegriff einer zukunftsfähigen Lösung werden. So wie Makoko strukturiert und organisiert ist, besitzt es die Fähigkeit, sich an den Klimawandel und die zu erwartenden Folgen anzupassen. Kurzum: Es könnte mit den zunehmenden Wassermengen durchaus klarkommen. Die Menschen in Makoko waren bislang bereits sehr erfinderisch und pragmatisch, wenn es darum ging, mit den ständigen Überflutungen zu leben. Diese Realität könnte bald Alltag im Leben vieler Menschen in Lagos werden. Die Stärke und Besonderheit der Lebensart von Makoko besteht darin, dass die Art und Weise wie die Behausungen und die Versorgung organisiert sind, fast autark funktionieren und recht widerstandsfähig sind. Verbesserte Lebensbedingungen könnten dort mit einer maßgeschneiderten Infrastruktur erreicht werden, die flexibel, kostensparend und unabhängig über das ganze Jahr hinweg funktioniert.

Hot Spots: Schwimmende Energie- und Versorgungszentralen

Nur wenn die bereits bekannten Mängel beseitigt werden und es sichere und stabile Einkommensquellen, Infrastrukturen für Müllentsorgung, Energieversorgung und sanitäre Einrichtungen gibt, können auch Kleinstunternehmen entstehen. Dann können die Menschen vor Ort auch auskömmlich am und mit dem Wasser leben. Ein zentral gesteuertes System entspräche der Logik einer Siedlung am Wasser allerdings nicht und könnten deren Anforderungen auch nicht genügen. Eine bessere Lösung stellen kleine, einfach konstruierte Biogasanlagen auf dem Wasser dar, die mit dem vor Ort entstehenden organischen Abfall betrieben werden könnten. Die Bewohner könnten diese Biogasanlagen bewirtschaften und als Kooperative gemeinsam erwerben, sodass mit der Produktion eine Basis für die lokale Wirtschaft geschaffen wäre. Den Betriebsstrom für die kleinen Kraftwerke liefert die Sonne, von der in Lagos ja reichlich vorhanden ist. Die Anlagen könnten in speziellen Pfahlbauten untergebracht werden, die auch als gemeinschaftlicher Handelsplatz und Nachbarschaftszentren fungieren: Sie könnten Biogas liefern, mit dem gekocht und Fisch geräuchert wird. Auf ihnen könnte man Obst und Gemüse anbauen. Sie könnten auch als Regenwasser-Sammelanlage fungieren, sowie Wasserfiltersysteme, Toiletten und Duschen oder eine Arztpraxis beherbergen. Und einen Namen gibt es für die Tausendsassas auch: „Neighbourhood Hotspots“. Diese Nachbarschaftszentren auf Stelzen bieten eine große Bandbreite von Dienstleistungen an und sind gewissermaßen auch das Gehirn und Herzstück einer neuen Bio-Müllwirtschaft. Die Biogastechnologie besticht mit einem einfachen System, das robust, einfach einzurichten und zu bedienen ist. So kann Biogas in einer geschlossen Kreislaufwirtschaft produziert werden, und aus Abfall entsteht erneuerbare Energie („waste-to-value“). Das Ausgangsmaterial, der organische Abfall, ist lokal verfügbar und besteht aus menschlichen Exkrementen, Fischerei- und Haushaltsabfällen. Die Hotspots sind dabei gemeinnützige Einrichtungen, in denen gelernt und gearbeitet werden kann, in denen Initiativen und Austausch entstehen und wirtschaftliche Aktivitäten stattfinden können.

Die vorgeschlagene, flexible Ausgestaltung der Infrastruktur in den Hotspots ermöglicht eine ressourcen-orientierte Wirtschaft mit unterschiedlichen Jobmöglichkeiten, die von einer Biogas-Kooperative koordiniert werden können. Die Einnahmen der Hostpots bzw. der Biogas-Kooperative reichen aus, um jede/n Arbeiter/in angemessen zu entlohnen und darüber hinaus ausreichend Finanzmittel für die Instandhaltung und den Betrieb der Anlage zu erwirtschaften. Die Hotspots können auch erweitert werden: mit zwei schwimmenden Recycling-Anlagen, die sich in Zusammenarbeit mit örtlichen Gesellschaften um alle Feststoffabfälle (vor allem Plastik) kümmern.

Revitalisierung als Jobmotor

Die Verknüpfung der bestehenden Lebensweise mit neuen Infrastrukturen kann nicht nur den Bewohner/innen von Makoko helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern. Ein modernisiertes Makoko könnte zeigen, wie Lagos seine Energieversorgung dezentralisieren kann. Und dass es seine Probleme mit den wachsenden Müllbergen und Abwässern in den Griff bekommen kann, wenn es nachbarschaftliche Strukturen stärkt und die Kommunen die Menschen vor Ort in die Politik einbezieht. Die Kombination aus Pfahlbauten und flexibler Infrastruktur mit erneuerbaren Energiequellen öffnet Türen für zusätzliche Einnahmequellen. Die Vorstellung, Makoko zum „Venedig Nigerias“ zu machen, wird durchaus greifbarer, wenn sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Menschen verbessern und die Umwelt regeneriert. Mit einem weichen, grünen Tourismus für Einheimische und ausländische Geschäftsreisende könnte Makoko ein öffentliches, grünes Naherholungsgebiet im Herzen von Lagos werden. Fischrestaurants, Märkte, Beauty-Salons, einfache Bed-and-Breakfast-Hotels kombiniert mit Bootstouren könnten das touristische Erlebnis vervollständigen. Makoko könnte über Transportmittel auf dem Wasser mit anderen Siedlungen in Lagos Island, Victoria Island oder anderen Fischerdörfern in der Lagune von Badgary verbunden werden.

Ein modernisiertes Makoko könnte etwas zu der bunten Vielfalt von Lagos beitragen. Eine Aufwertung der Lebensverhältnisse in den Slums wie Makoko setzt nicht nur ein soziales Zeichen, sie ist auch ein Akt der Menschlichkeit und ermöglicht die wirtschaftliche Integration von Millionen von Menschen. Makoko könnte die Transformation vom hässlichen Armenviertel zum nachhaltigen Naherholungsgebiet schaffen und ein Leitbild werden für eine inklusives, grünes, nachhaltiges und lebenswertes Lagos.

 

Der Originaltext stammt aus der Publikation "Lagos – A Climate Resilient Megacity" und wurde für dieses Dossier von Jelena Nikolic aus dem Englischen übersetzt und aufbereitet.

 

Referenzen:
[1] Lagos State Investor Handbook. A guide to business and investment in Lagos State, 2012.
[2] UN-HABITAT definiert den Begriff Slum als „Siedlung, in der mehr als die Hälfte der Einwohner in unzumutbaren Unterkünften ohne grundlegende Versorgungseinrichtungen leben“. Slumbewohner leben demnach „ohne Eigentumsrechte, Zugang zu sauberem Wasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und ohne ausreichenden Wohnraum“. Beinahe jeder sechste Mensch lebt in einem der Elendsviertel der Erde, in dem Armut, Krankheit und Diskriminierung herrschen. Quelle: Wikipedia, 2015.  
[3] Index mundi, United Nations Statistics Devision (retrieved data from data base in December 2013).