Syrien: Die Diskussion über eine Flugverbotszone

Strassenbeschriftung: Stop

Mit einer Flugverbotszone lässt sich der Konflikt in Syrien nicht lösen, dennoch ist sie ein wichtiger Schritt, auf dem Weg dies zu erreichen.

Extrem laut und unheimlich überhört

In Syrien kann man auf vielerlei Art sterben: Still, durch Unterernährung, da das Regime versucht, die Opposition auszuhungern, oder weil das Gesundheitssystem, das immer wieder gezielt angegriffen wird, am Boden liegt. Sichtbar, wie die Opfer von ISIS, denn diese Organisation will zeigen, dass sie völlig rücksichtslos und äußerst brutal vorgeht. Oder unerhört laut, wenn auch kaum bemerkt, denn fast täglich fliegt das Regime Luftangriffe.

Niemand weiß genau, wie viele Luftangriffe das Regime pro Tag fliegen lässt. Manchmal konzentrieren sie sich auf eine bestimmte Stadt, ein Gebiet und andere Gegenden bleiben verschont. Ein andermal ziehen die Flugzeuge nur vorbei, werfen keine Bomben ab. Da die Menschen seit drei Jahren hautnah erleben, was ihre tödliche Fracht anrichtet, sorgt allein das Geräusch der Maschinen für Angst und Panik. Es steht außer Frage, die meisten Menschen in Syrien – und besonders Zivilisten – sterben bei Luftangriffen.
 
Am verheerendsten sind die Angriffe mit Fassbomben. Obgleich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Anfang 2014 – mit Zustimmung Chinas und Russlands – die UN-Resolution 2139 verabschiedete, die u.a. fordert, keine Fassbomben einzusetzen, sind seither über 2.000 der tödlichen Fässer abgeworfen worden. Da die Fassbomben nicht als taktische Waffe eingesetzt werden, sind die Opfer ganz überwiegend Zivilisten. Konkrete Ziele lassen sich mit diesen Waffen kaum treffen, handelt es sich doch um nicht konventionell fabrizierte Waffen, deren Ziel es ist, ein Höchstmaß an Zerstörung anzurichten. Die allermeisten Fassbomben werden entsprechend über Wohngebieten abgeworfen.

Durch Fassbomben wurden ganze Stadtviertel zerstört. Mit Fassbomben wurde dafür gesorgt, dass viele Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge nicht in ihre Häuser zurückkehren können. Für den Einsatz von Fassbomben gibt es viele Belege – zahlreiche internationale und syrische Menschenrechtsorganisationen haben die Aussagen von Bürgerinnen und Bürgern, die Augenzeugen waren, dokumentiert. Zudem gibt es Videos, aufgenommen in Hubschraubern, die jubelnde Soldaten beim Abwurf der Bomben zeigen.

In einem Interview mit der BBC vom Februar 2015 sagte Baschar al-Assad, in Syrien gäbe es keine Fassbomben – eine Behauptung, die so widersinnig ist, dass keiner sie ernst nahm. Dennoch herrscht, was die UN-Resolution 2139 angeht, beredtes Schweigen, ein Schweigen, das an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ denken lässt, in welchem niemand wagt, eine offensichtliche Lüge als solche zu benennen – nicht weil man den Diktator schätzt, sondern aus Angst, man müsse den Worten dann Taten folgen lassen.

„Was zulässig ist, bestimmt Assad – und nicht das humanitäre Völkerrecht, nicht internationale Regeln und Verträge“

Was seit 2011 geschehen ist, erinnert an ein einvernehmlich durchgeführtes Manöver. Der Diktator richtet die Welt darauf ab, seine Gräueltaten hinzunehmen. Die Welt ihrerseits sagt Assad zu – und damit jedem Diktator in spe –, man werde ihm alles durchgehen lassen, vorausgesetzt, er bedroht sie nicht unmittelbar. Diese quasi einvernehmliche Lösung geht auf Kosten der Menschen in Syrien. Das Regime hat für eine rasante Eskalation gesorgt: Erst erschoss man 2011, während der friedlichen Proteste, einige Demonstranten, dann verschärfte sich Schritt für Schritt die Gangart – erst fuhren in den Städten Panzer auf, dann kamen die Hubschrauber, die Flugzeuge, und schließlich beschoss man Städte im eigenen Land mit Scud-Raketen. Auf die Bomben folgten die Fassbomben, und als sich zeigte, dass die Welt darauf nur mit geharnischten Worten reagierte, setzte Assads Luftwaffe auch Brandbomben ein, Streubomben und schließlich chemische Waffen. Was zulässig ist, bestimmt Assad – und nicht das humanitäre Völkerrecht, nicht internationale Regeln und Verträge.

Am 6. März 2015 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine weitere Syrien-Resolution, in welcher Chlorgas als chemische Waffe definiert wurde und Syrien mit militärischem Eingreifen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gedroht wurde, sollte es weiter gegen die Chemiewaffenkonvention verstoßen, der das Land auf internationalen Druck im Herbst 2013 beigetreten war. Zwar berichten die Medien und in Syrien aktive Menschenrechtsgruppen, aus Hubschraubern würden weiterhin auch Fässer mit Chlorgas abgeworfen, von politischer Seite herrscht zu dieser Resolution jedoch beredtes Schweigen. Der Westen hat Syrien einem Diktator ausgeliefert, den weder das Schicksal seines Landes noch das der Menschen dort interessiert.

Je länger der Konflikt andauert, umso düsterer die Aussichten, ihn zu lösen. Der Westen sucht nach einer „mustergültigen“ Oppositionsgruppe, die friedlich, gemäßigt und demokratisch ist, und übersieht dabei, dass Viele, auf die dies zutrifft, bereits beerdigt oder verhaftet wurden. Ohne Sicherheiten dafür, ein zukünftiges Syrien werde demokratisch, krisenfest und besser sein, als das Syrien unter Assad, mag sich der Westen nicht für eine Intervention entscheiden. Solche Sicherheiten gibt es jedoch nicht – es gab sie nie. Sicher ist nur, alles wird schlimmer werden, je länger Assad in Damaskus regiert und dort tun kann, was er will.

Assads Luftwaffe hat das Land zugrunde gerichtet. Ein äußerst wichtiger Aspekt wird dabei meist übersehen: Neben den vielen Opfern und der zerstörten Infrastruktur, haben die permanenten Luftangriffe auch verhindert, dass sich im Norden Syriens, den das Regime nicht kontrolliert, Verwaltungs- und Regierungsstrukturen bilden können. Das gilt nicht für die kurdischen Gebiete, wo man mit dem Aufbau staatlicher Strukturen vorankommt (nicht nur, aber auch, weil hier der tagtägliche Schrecken der Luftangriffe ausbleibt).

Selbst zu einer Zeit als es keinen Extremismus, keine radikale Bewegung gab, behauptete Assad, er kämpfe gegen den Terrorismus. Während all dieser Jahre des angeblichen Kampfs gegen Terroristen, gelang es diesen erstmals, in Syrien Fuß zu fassen. Statt sich also zu fragen, ob Assad beim Kampf gegen ISIS als Partner tauge, sollte man fragen, warum er alles nur Mögliche getan hat, um die Gruppe aufzubauen. Selbst heute geht er gegen ISIS nur dann vor, wenn diese ihn angreift. Hinzu kommt, Assads Luftwaffe hat nachweislich in einer Reihe von Fällen Rebellengruppen, die ISIS bekämpften, angegriffen. Der Journalist Christoph Reuter sprach davon, ISIS habe ‚eine Leih-Luftwaffe’, denn einer eigenen bedürfe die Gruppe nicht, griffen doch für sie die Truppen Assads die anderen Rebellen an.

Eine politische Lösung des Konflikts wird viel Arbeit und Zeit brauchen. Um jedoch bis dahin wenigstens etwas gegen das Leiden und den sinnlosen Tod, den Woche für Woche Hunderte Zivilisten sterben, zu tun, wäre es sehr wichtig, Assads Luftangriffen ein Ende zu setzen. Keine andere Maßnahme hätte für große Teile des Landes vergleichbar positive Folgen. Keine andere Maßnahme könnte das tägliche Leben zahlreicher Männer, Frauen und Kinder stärker verbessern. Mit einer Flugverbotszone lässt sich der Konflikt in Syrien nicht lösen, dennoch ist sie ein wichtiger, ein entscheidender Schritt, auf dem Weg dies zu erreichen.
 

Übersetzung: Bernd Herrmann.

Der Artikel ist in der englischen Version zuerst erschienen unter: http://www.nfz-debate.org/2015/06/incredibly-loud-and-extremely-ignored.html