Die deutsche Ägyptenpolitik – im Widerspruch mit der öffentlichen Meinung

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Foto während der Präsidentschaftswahl im Mai 2014

Sollten die Berater des ägyptischen Präsidenten Abd al-Fatah as-Sisis gehofft haben, dass der Staatsbesuch in Deutschland wie die Besuche Ende letzten Jahres in Italien und Frankreich dabei helfen würde, Ägyptens Image in Europa zu verbessern, haben sie sich getäuscht. In Paris konnte as-Sisi in der Nationalversammlung sprechen, ohne starker Kritik ausgesetzt zu sein. Knapp ein halbes Jahr später könnte in der deutschen Öffentlichkeit die Beurteilung as-Sisis als Vertreter eines korrupten Militärregimes kaum deutlicher ausfallen. Der Besuch in Berlin wächst sich für die ägyptische Führung zu einem PR-Desaster aus. Ebenso steht das Kanzleramt in der Kritik, weil es eine pragmatische, an deutschen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen orientierte Politik nicht mit Bedingungen zur Einhaltung von demokratischen und rechtsstaatlichen Minimalstandards versieht.

Die lange Vorgeschichte des Besuchs verdeutlicht das Dilemma der deutschen und europäischen Ägypten-Politik. Zunächst wurde der ägyptische Präsident im September 2014 zu einem Staatsbesuch nach Deutschland eingeladen. Über ein Jahr nach dem von ihm angeführten Militärputsch und ein halbes Jahr, nachdem er in einer Wahl ohne demokratische Mindeststandards und bei einer Wahlbeteiligung von gerade einmal 47 Prozent mit erstaunlichen 97 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde. Um der Einladung ihre unkritische Positionierung gegenüber einem Militärregime zu nehmen, dessen offene Menschenrechtsverletzungen Amnesty International und Human Rights Watch am 10. Juni 2014 in einer gemeinsamen Erklärung anlässlich der Amtsübernahme as-Sisis als beispiellos in der ägyptischen Geschichte bezeichnet haben, wurde die deutsche Einladung nachträglich mit einer Bedingung versehen. Präsident as-Sisi sei in Deutschland willkommen, sobald Ägypten die in der sogenannten Transitional Road Map vorgesehen Parlamentswahlen abgehalten habe.

Transitional Road Map - unter diesem Mitte 2013 noch populären Slogan hat as-Sisi sein politisches Programm vorgestellt, dass direkt nach dem Militärputsch von einem breiten Konsens, inklusive der salafistischen Nour Partei, der koptischen Kirche sowie der al-Azhar Moschee unterstützt wurde. Diese Bedingung an die Adresse eines offen autoritär regierenden Regimes, das, wenn überhaupt eine Transition, dann eine zur Festigung von Militärherrschaft in Politik und Wirtschaft vollzog, mag oberflächlich als ein Druckmittel erscheinen. Es stellte sich jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt die Frage, welche korrigierende Bedeutung Wahlen in einer Diktatur haben können, deren Legitimität auf der Kriminalisierung  der Opposition beruht und sich durch drastische Einschränkungen von Freiheits- und massiver Missachtung von Menschenrechten auszeichnet. Dennoch korrespondierte diese Forderung mit Diskussionen in der ägyptischen Opposition, sowohl in den noch agierenden politischen Parteien, als auch in der verbliebenen Menschenrechts- und Demokratieszene.

Neu formierte Militärdiktatur

Die neu formierte Militärdiktatur mit Präsident as-Sisi als Kultfigur war ein Fakt, der nicht durch prinzipielle Fundamentalopposition herausgefordert werden konnte. Die Eroberung von kleineren Nischen im System, so die Überlegung vieler Aktivist/innen und Kritiker/innen, mag Freiräume für spätere freiheitlichere Entwicklungen schaffen. Dies war die Erfahrung der letzten Jahre unter Mubarak. Das Regime hatte damals einen stärker hybriden Charakter angenommen, Grauzonen geschaffen, in denen gegenteilige Interessen verhandelt werden konnten, sofern diese keine Gefährdung für das etablierte System darstellten. In den Parlamentswahlen 2005 und 2010 wurden Oppositionskandidaten zu gelassen, die etwa 20 Prozent der Parlamentssitze erringen konnten. Dadurch bekam das Parlament einen gewissen, wenn auch sehr begrenzten Handlungsspielraum.

Foto der Präsidentschaftswahlkampagne as-Sisis Mai 2014. Das Poster ist eine Abwandlung des in Palästina ikonischen Bildes „der Lastenträger“. Ursprünglich schultert auf diesem ein abgerissener, barfüßiger Träger die Jerusalemer Altstadt samt Felsendom. Auf den Transparenten in der Kairoer Altstadt ist es Sisi in Militärstiefeln, der nicht nur den Felsendom als Symbol des Islams im Tragriemen hat, sondern auch noch symbolhaft das Schicksal Ägyptens in Form von Pyramiden und der Zitadelle

Doch dass sich dies 2015 nicht wiederholen würde, machte spätestens der Entwurf des neuen ägyptischen Wahlgesetzes klar. Der sieht vor, dass 75 Prozent der 596 Parlamentssitze unabhängigen Kandidaten vorbehalten sind. Diese gelten gemeinhin als lokale Klientel des zentralistischen Systems as-Sisis. Nur 20 Prozent der Sitze können von Parteien oder Listen errungen werden und 5 Prozent sollen direkt durch den Präsidenten ernannt werden. Zudem hat as-Sisi alle zugelassenen Parteien aufgefordert, sich ungeachtet ihrer ideologischen Ausrichtung zu einer Liste zu formieren, die dann die per Quote zugestandenen 20 Prozent der Sitze erringen könnte. Parteien mit religiösem Bezug sind dabei ausgenommen, ein Ausschlusskriterium für politische Kräfte, die der als Terrororganisation eingestuften Muslimbruderschaft nahestehen.

Siemens sichert sich Aufträge in Milliardenhöhe

Obwohl dem Gesetz entsprechend durchgeführte Parlamentswahlen aller Wahrscheinlichkeit nach das System as-Sisis weiter legitimiert hätten, wurde der Gesetzesentwurf von dem Obersten Gerichtshof als nicht verfassungskonform zurückgewiesen. Die Wahlen fanden bisher nicht statt. Dennoch hat die Bundesregierung ihre Einladung durch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erneuert. Sicherlich war der Investitionsgipfel in Sharm al Shaikh im März diesen Jahres einer der Gründe. Mit dem Gipfel hat as-Sisi versucht, gigantische Megaprojekte, auf denen seine Wirtschaftspolitik basiert, in Gang zu bringen. Diese bieten enorme Investitionsmöglichkeiten, nicht nur für die Golfstaaten Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die entscheidend den Aufstieg as-Sisis und die erneute Festigung der Militärherrschaft in Ägypten finanziert haben, sondern auch für deutsche Unternehmen. Allein Siemens hat Aufträge in Milliardenhöhe im Energiesektor abgeschlossen, offensichtlich mit Unterstützung der Bundesregierung.

Es scheint dennoch zweifelhaft, dass die Aussicht auf wirtschaftliche Kooperationen die einzige Überlegung für den Verzicht auf politische Bedingungen in der  Ägyptenpolitik gewesen ist. Eine grundsätzlichere Überlegung geht auf die jahrelange Rolle Ägyptens unter Mubarak und dem ehemaligen Geheimdienstchef Omar Suleiman zurück. Während der zehn Jahre des so genannten Kriegs gegen den Terror war das ägyptische Regime ein wichtiger Verbündeter bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Dieser fand jenseits jeder Rechtsstaatlichkeit statt. Das Ziel war Stabilität. Sowohl Stabilität des Staates und seiner inneren Sicherheit, als auch Sicherheit der Grenzen, nicht zuletzt der Grenze zu Israel und ab 2006 auch der 14 Kilometer langen Grenzbefestigungen zum Gaza-Streifen. Darüber hinaus galt Ägypten als Garant der regionalen Ordnung, auch wenn die ägyptische Rolle häufig überschätzt wurde. Nach dem arabischen Frühling ist nicht zu leugnen, dass diese Politik gescheitert ist. Ein Regime, dass nicht in der Lage ist, wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf den Weg zu bringen und seine Bevölkerung systematisch ihrer Freiheitsrechte beraubt, kann nur sehr bedingt und vor allem nicht nachhaltig Stabilität herstellen.

Stabilität unter Missachtung von Rechtsstaatlichkeit

Dennoch scheint genau dieses vermeintliche Stabilitätsversprechen der Hauptgrund hinter der Rücknahme von Bedingungen in der deutschen Ägyptenpolitik zu sein. Angesichts der Ausbreitung des Islamischen Staates, des Zerfalls der irakischen Staatsstruktur und der ungewissen Zukunft Libyens, wächst die Befürchtung Ägypten könnte die staatliche Kontrolle über ganze Regionen des Landes verlieren, z.B. auf der Sinai Halbinsel oder in den Wüstengegenden an der Grenze zu Libyen. Das System as-Sisi geht gegen diese Entwicklung mit dem gesamten Arsenal militärischer und geheimdienstlicher Repressionsmaßnahmen vor. Der offene Brief von fünf Menschenrechtsorganisationen an die Bundeskanzlerin nimmt auch darauf Bezug. Nichts deutet gegenwärtig darauf hin, dass das Regime Interesse an einer politischen Lösung der inneren Konflikte entwickelt. Im Gegenteil, die geheimdienstliche und polizeistaatliche Kontrolle der Bevölkerung wird ausgeweitet und die Militäroperationen intensiviert. In dem Land wird eine Atmosphäre kollektiver Bedrohung und Paranoia vor ausländischer Einmischung geschürt, die gemeinsam mit absurden Verboten an Manipulationsinstrumente totalitäre Regime erinnert. Es ist offensichtlich, dass diese Art von Stabilität nur mittelfristig wirken und unter Missachtung von Rechtsstaatlichkeit erzeugt werden kann.