Xenophobe Gewalt in Südafrika

Protest in Soweto, 2012
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Proteste am Menschenrechtstag in Soweto, Johannesburg, 2012

"Läuse", "Flöhe", Sündenböcke: Die Ausländerfeindlichkeit in Südafrika nimmt seit Jahren zu. Gerade in Townships wachsen die Angriffe. Doch woher kommt die Gewalt? Ein Erklärungsversuch.

Im April dieses Jahres mussten viele Südafrikaner/innen mit ansehen, wie Teile der Bevölkerung Ausländer/innen mit Drohungen und offener Gewalt aus dem Land zu vertreiben versuchten. Sieben Menschen wurden getötet, tausende vertrieben. Südafrikas Nachbarstaaten und ein Großteil der südafrikanischen Bevölkerung verurteilten die Angriffe zwar schnell. Doch obwohl die sichtbare Gewalt zurückgegangen ist, lassen die Reaktionen in Politik und Teilen der Bevölkerung vermuten, dass sie nur unter der Oberfläche brodelt und jeder Zeit wieder ausbrechen kann.

Die Gewalt der vergangenen Wochen kam für viele Beobachter nicht überraschend. Vor allem in den Townships werden ausländische Mitbürger/innen anhaltend verteufelt und erniedrigt. Obschon die Weltöffentlichkeit erst durch die Unruhen im Mai 2008 von der tödlichen Mischung aus Gewalt und Ausländerfeindlichkeit in Südafrika erfuhr, begannen die Angriffe auf Ausländer/innen nicht erst in 2008, noch endeten sie zu diesem Zeitpunkt. Seit 2008 wurden Hunderte in vereinzelten Vorfällen oder lokal organisierten Unruhen getötet. Bis heute wurde jedoch nur eine Person in Zusammenhang mit den Angriffen rechtskräftig wegen Mordes verurteilt.

Fremdenhass ist klassenlos

Von vielen wird dies als "Afrophobie" bezeichnet – eine Art Selbsthass oder Misstrauen gegenüber anderen Afrikaner/innen – geschürt durch Generationen von Apartheid-geprägter Bildung und sozialer Kontrolle. Es existiert durchaus ein Erbe der südafrikanischen Vergangenheit, das diese Gewalt mit beeinflusst und gestaltet hat. Schaut man sich jedoch den Charakter und die Angriffsziele der Attacken genauer an, so werden schnell die Grenzen dieser Argumentation sichtbar: Nicht alle Afrikaner/innen werden verachtet und nicht alle Opfer sind Afrikaner/innen. Zehntausende afrikanische Immigrant/innen leben in Einklang mit ihren südafrikanischen Nachbar/innen, von denen einige ihr Leben riskiert haben, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Darüber hinaus befanden sich unter den Todesopfern der letzten Jahre viele Immigrant/innen aus China oder dem südlichen Asien. Auch Südafrikaner/innen, die sich auf der "falschen Seite" der Gesellschaft befinden, wurden von wütenden Mobs gelyncht.

Wir sollten auch berücksichtigen, dass starke ausländerfeindliche Gefühle über alle Gruppen hinweg stark sind - egal ob schwarz oder weiß, reich oder arm. Es gibt genauso viele Gründe für diese Gefühle, wie es Menschen gibt. Dennoch fordert Migration Gruppen und Klassen auf unterschiedliche Weise heraus. Reiche Weiße konstruieren Albträume von einer scheinbar unendlichen Zahl verarmter Immigrant/innen, die eine Gefahr für ihre makellosen Städte und Privilegien darstellen.

Dies hält sie jedoch nicht davon ab, diese Zuwanderer/innen als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Für schwarze Südafrikaner/innen, die ihre Zukunft in Vorstandsetagen und Banken sehen, stellt die Migration einer afrikanischen Elite - gut gebildet und mit internationaler Erfahrung - eine Gefahr für die eigene Karriere dar. Doch sie können sich mit Gesetzen, Politik oder – wenn alle Stricke reißen - mit privater Polizei vor der bedrohlichen Konkurrenz schützen. Die gewalttätigsten Bedrohungen gehen von der Gruppe der ärmsten Arbeitssuchenden aus. Seit Generationen, durch ein ausbeuterisches System von Arbeitsmigration darauf "konditioniert", Ausländer/innen zu verachten, liefert deren Anwesenheit eine einfache, wenn auch unzutreffende Erklärung für die hohe Arbeitslosenzahl und die wirtschaftliche Stagnation des Landes.

Die Dämonisierung des Fremden

Die diesjährigen Ausschreitungen hatten begonnen, nachdem Zulu-Monarch Zwelithini Ausländer/innen zur Ausreise aufgerufen hatte und diese als "Läuse" und "Flöhe" bezeichnete. Es sind starke und enttäuschende Worte eines Führers, der von vielen hoch angesehen wird, und umso verstörender, als sie an die  menschenverachtende und gewaltfördernde Rhetorik des Genozids in Ruanda in 1994 erinnern. Dennoch, der Zulu-Monarch ist mit seinen Aussagen nicht alleine. Seit dem Ende der Apartheid dämonisieren Politiker und Offizielle Ausländer/innen immer wieder und bringen sie mit den horrenden Kriminalitätsraten, unterschiedlichen Epidemien, der immer schlechter werdenden Situation auf dem Arbeitsmarkt und der desolaten Bereitstellung von Dienstleistungen in Verbindung.

Solche Anschuldigungen beschränken sich weder auf Südafrika, noch sind sie zutreffend. Wie in Europa, wo außereuropäische Migration oft als existentielle Bedrohung für die wirtschaftliche und physische Sicherheit verstanden wird, finden die Anschuldigungen der politischen Elite auch in Südafrika Gehör. Die Wörter finden insbesondere bei denjenigen Anklang, die so arm sind wie nie zuvor.
Nichtsdestoweniger gibt es keinen direkten und offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Hassreden oder der Suche nach einem Sündenbock und der Gewalt.

Trotz eines unzureichenden Bildungssystems und einer zu Weilen verantwortungslosen Berichterstattung der südafrikanischen Boulevardpresse, sind Südafrikaner durchaus in der Lage, vorgeschobene Schuldzuweisungen - externe Akteure seien für die Situation im Land verantwortlich - zu durchschauen. Zu argumentieren, die Bevölkerung würde mechanisch auf Anstiftung und ökonomische Bedingungen reagieren, ist herablassend und falsch. Wenn man Bilder und Eindrücke der Attacken in den Jahren 2008 und 2015 festhalten will, dann sollte man auch an diejenigen erinnern, die ihr eigenes Leben in Gefahr brachten, um der Gewalt die Stirn zu bieten – darunter auch viele Menschen aus den ärmsten Gesellschaftsgruppen.

Dennoch tragen fremdenfeindliche Stellungnahmen von Führern in traditionellen und demokratisch-gewählten Positionen dazu bei, Brandherde von Ressentiments zu kreieren, aus denen Politiker, Gangster und Andere immer wieder schöpfen können, um Hass zu mobilisieren. Hass, der ihnen dann wiederum wirtschaftlichen und politischen Nutzen bringt.

Die Ökonomie der Gewalt

Die tieferen Wurzeln der Attacken mögen in Generationen von Diskriminierung, dem System der Arbeitsmigration oder anhaltender Armut liegen. Dennoch werden viele Orte - darunter viele südafrikanische Städte und Townships - mit diesen Herausforderungen konfrontiert, ohne dass dort Gewalt ausbricht. Gewalt bricht dort aus, wo das Regierungssystem versagt. Ein Teil des Problems liegt darin, wie Südafrika seine Führer auswählt und unterstützt. Stadtbezirks-Vorsitzende, zumindest einige von ihnen, sind die einzig direkt gewählten Offiziellen (der Rest taucht nur auf Parteilisten auf). Als solche sind sie die einzigen, die ihren Wählerinnen und Wählern in Person gegenübertreten und Rede und Antwort stehen müssen.

Während nur wenige Bürger/innen ihre Abgeordneten persönlich oder zumindest mit Namen kennen, kennt man Stadträte oder andere lokale Vertreter meist persönlich. Somit stehen sie in direkter Schusslinie öffentlicher Unzufriedenheit, haben jedoch kaum die Ressourcen und politische Macht, den Unmut ihrer Wähler/innen adressieren zu können. Praktisch ohne Budget und legislativer Autorität, werden sie für Probleme verantwortlich gemacht, die sie kaum lösen werden können. Konfrontiert mit anhaltenden Defiziten in Dienstleistungen, Wohnungen und Jobs erscheint es vielen kaum verwunderlich, dass lokale Führer die Identifizierung von Sündenböcken und die Aneignung ausländischer Geschäfte, Häuser und Waren nicht nur zulassen, sondern auch aktiv vorantreiben. Mit neuen Ressourcen, die verteilt werden können und einem Dämonen, den man für alles verantwortlich machen kann, werden sie zu Gewinnern. Da gesetzliche Sanktionen nicht zu erwarten sind, ist ein derartiges Vorgehen für sie noch attraktiver.

Fremdenfeindlichkeit wird zum Mainstream

Leider helfen die Reaktionen südafrikanischer Bürger und Politiker auf die fremdenfeindliche Gewalt wenig, um die strukturellen und institutionellen Bedingungen zu adressieren, die der Gewalt einen Nährboden bieten. Der Polizei muss bei den jüngsten Vorfällen  zu Gute gehalten werden, dass sie den Ausschreitungen wesentlich schneller Einhalt gebot als noch 2008. Auch Südafrikas führende Politiker beeilten sich, die Gewalt öffentlich zu verurteilen - und gaben somit indirekt zu, dass es sich hierbei um mehr als "bloße Kleinkriminalität" handelt.

Doch unter der Oberfläche dieser Gemengelage  lässt sich eine weitaus besorgniserregendere Entwicklung ausmachen: Die Sprache der Gangster und Mörder von 2008 ist zum Mainstream geworden. Unter den Appellen an Toleranz, befinden sich auch Rufe nach Abschottung: ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe spricht sich für Flüchtlingscamps aus. Andere fordern schärfere Grenzkontrollen, ein Verbot ausländischer Betriebe und ausländischen Landbesitzes oder sogar ein generelles Bleiberechtsverbot für Ausländer/innen. Selbst Präsident Zuma sprach vorsichtig davon, dass man diejenigen respektieren sollte, die sich "legal" im Land aufhalten.

Somit ließ er Spielraum für die „Jagd“ auf die anderen. In den Tagen nach den Gewaltausschreitungen startete die Regierung  eine öffentliche und überall sichtbare Anti-Kriminalitätskampagne unter dem Namen "Operation Fiela". Vordergründig dafür geschaffen, gefährliche Elemente der Gesellschaft aufzufinden, wurde die Operation bewusst in einer Nachbarschaft mit einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund durchgeführt. Über siebenhundert Menschen wurden zur Abschiebung festgenommen, jedoch nur 150 Anklagen wegen krimineller Handlungen erhoben.

Intelligenter politischer Schachzug

Während Xenophobie schon lange Teil eines nationalen Diskurses im Lande ist, bedeuten die Vorteile, die die Ausschreitungen 2008 mit sich brachten - in Form angeeigneter Geschäfte und Häuser; Positionen in lokaler Politik und der Regierung und öffentlicher Legitmität - einen großen Anreiz für eine in Armut lebende Bevölkerung und das Führungspersonal, das sie repräsentiert. Dieses hat die Botschaft verinnerlicht, dass die Suche nach Sündenböcken und fremdenfeindliche Angriffe Vorteile bringen.

Das ist, politisch gesehen, ein intelligenter Schachzug. Einer Regierung, die  die Unterstützung der ärmsten Bevölkerungsteile nicht verlieren will, verhilft ein derartiges populistisches Manöver dazu, die Aufmerksamkeit von struktureller Ungleichheit und Arbeitslosigkeit abzulenken. Würden die geforderten Einschränkungen für Ausländer implementiert werden, würden sie wenig zu einer Verbesserung  der Gehälter oder der Situation auf dem Stellenmarkt beitragen - wahrscheinlich führen sie eher zum Gegenteil. Aber sich geschlossen hinter solche populistische Forderungen zu stellen ist sowohl politisch nützlich wie –zumindest scheinbar- gänzlich rational. So wird auch die Gewalt interpretiert, die das Land in den vergangenen Wochen erschüttert hat.

Migranten als Ressourcen sehen

Nur indem wir die institutionellen und politischen Motivationen neu ausrichten, können wir effektiv gegen Exklusion und ausländerfeindliche Gewalt vorgehen. Es existieren zwar verfassungsrechtliche Grenzen für eine Reform des Wahlsystems, aber es gibt konkrete Wege, wie wir lokale Autoritäten ermutigen können, diverse Bevölkerungsgruppen innerhalb ihrer Gemeinschaften mit einzuplanen und zu integrieren. Ein finanzielles Polster für die Wahlbezirke, die neue Migrant/innen registrieren - inländisch und international - bedeutet, dass Neuankömmlinge Ressourcen und nicht Konkurrenz produzieren. So wie es jetzt ist, können Bevölkerungsdynamiken nur schwer vorhergesagt werden und finanzielle Unterstützung aus den öffentlichen Haushalten existiert praktisch nicht.

Partizipative Haushalte und Planung ist wertvoll und demokratisch, aber sie tendiert dazu, Neuankömmlinge oder marginalisierte Gruppen auszuschließen. Eine verbesserte Erhebung und Einbeziehung von Bevölkerungsstatistiken in Planungsprozesse ermöglichen präzisere Vorhersagen darüber, welche Unterkünfte und Dienstleistungen wann benötigt werden. So kann schneller reagiert werden - noch bevor Proteste erstehen. Indem lokale Führungspersönlichkeiten, die Menschen auf Grundlage von Nationalität, Rasse, Gender oder Sprache aus ihren Gemeinden proaktiv ausgrenzen, identifiziert, strafrechtlich verfolgt oder zumindest an den Rand gedrängt werden, kann schnell gegen die Gewalt vorgegangen werden.
 
Das bloße Reden über institutionelle und technokratische Reformen erleichtert nicht unser kollektives Bewusstsein. Um dies zu erreichen, können wir unsere Märsche, öffentliche Kampagnen und leidenschaftlichen Reden fortsetzen. Eine Verurteilung der Nachbarstaaten und reicher Südafrikaner mögen die Regierung durch Handelssanktionen verletzen. Solche Schritte riskieren aber auch den politischen Wert von exklusiven populistischen Nationalismus zu erhöhen, indem Grenzen zwischen Klassen und Nationen verhärtet werden.

Ernsthaft gegen Xenophobie zu kämpfen, bedeutet über solche Appelle hinaus zu gehen. Stattdessen müssen wir die institutionellen Anreize angehen, die den Konflikt aufheizen. Das mag schwierigere Arbeit sein, aber es sollte uns ermutigen. Die Menschen, mit denen wir es zu tun haben sind rational, aber auch wütend. Wenn die Anreize verändert werden, ändert sich auch das Handeln. Während engmaschigere Grenzkontrollen und die Einrichtung von Lagern nur inoffizielle oder illegale Ökonomien fördern und die soziale Kluft verhärten, werden institutionelle Reformen wesentlich angenehmere Nebeneffekte haben: eine verbesserte Leistungsfähigkeit, eine verbesserte Bereitstellung von Dienstleistungen und letztendlich sichere Gemeinden – für alle Beteiligten.