Vom Schlachtfeld zum Marktplatz und zurück

Kachin Soldat in Myanmar
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Ein Kachin Soldat in Myanmar

Myanmars Demokratisierung soll endlich Frieden bringen. Doch ein Ende des mehr als 60 Jahre alten Konflikts des Staates mit zwei Dutzend bewaffneten Rebellengruppen ist nicht in Sicht.

Vor sechs Jahren noch keuchte ein gealterter Sylvester Stallone den Salweenfluss im Dschungeldickicht zwischen Myanmar und Thailand entlang. Mit Hilfe von Freiheitskämpfern der ethnischen Karen-Minderheit versuchte der berüchtigte Rambo, christliche Missionare aus den Fängen der unbarmherzigen myanmarischen Armee zu befreien. Wie problematisch dieses moralische Schubladendenken auch sein mag, war es nichtsdestotrotz ein verlockender Gedanke, ein Land, das von einer brutalen Militärjunta beherrscht wird, so einfach in „Gut“ und „Böse“ unterteilen zu können.

In der Zwischenzeit haben diese vereinfachten Schablonen jedoch ausgedient. Im Jahr 2011 begann der ehemalige Diktator Than Shwe, sein Land grundlegend zu reformieren: Er schwor eine halbwegs zivile Regierung ein, ließ politische Gefangene frei und erlaubte es der langjährigen Oppositionspartei National League for Democracy (NLD), sich legal zu registrieren. Außerdem wurde das Recht auf Versammlungsfreiheit gesetzlich verankert. Internationale Medien und westliche Politiker priesen die neue quasi-zivile Regierung für ihre Bemühungen, ihr Land zu reformieren, das nach Jahrzehnten von Diktatur, Armut und Bürgerkrieg am Boden liegt. Präsident Barak Obama besuchte sogar als erster US-amerikanisches Staatsoberhaupt das Land, dessen Reformprozess er als einen seiner größten außenpolitischen Erfolge erachtet.

Obwohl Myanmar niemals so komplett isoliert war, wie oft im Westen angenommen wird, hat die neue Regierung unter Präsident U Thein Sein das Land politisch und ökonomisch immens geöffnet. Dies lässt auf einen dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwung im ärmsten Land Südostasiens hoffen. Oft wird die Demokratisierung des Landes aber auch als friedenspolitisches Wundermittel gehandelt, das auf direktem Wege den mehr als 60 Jahre alten bewaffneten Konflikt mit knapp zwei Dutzend bewaffneten Rebellengruppen beenden wird. Die Annäherung zwischen Naypyidaw und der Karen National Union (KNU) scheint diese optimistische Auffassung zu unterstützen.

Die älteste ethnische Rebellenbewegung des Landes war lange Zeit am wenigsten gewillt, mit Myanmars Zentralregierung Kompromisse zu schließen. Selbst als sich viele andere aufständische Minderheiten mit der Militärjunta Anfang der 1990er Jahre auf mehr oder minder stabile Waffenstillstandsabkommen einigten, kämpften die Karen im Osten des Landes verbissen weiter. Anfang 2012 hat die KNU jedoch eine eigene Waffenruhe mit den neuen Herrschern in Naypyidaw ausgehandelt. Seitdem plädieren die einstigen "Hardliner" für einen nationalen Friedensprozess.

 

Drache im Licht: Ein Bernstein aus dem Kachin-Staat

Im Norden des Landes sieht die Lage jedoch weniger rosig aus. Nur wenige Wochen nach Beginn des Reformprozesses brach ein 17 Jahre lang währender Waffenstillstand mit einer anderen jahrzehntealten Rebellenbewegung, der Kachin Independence Organisation (KIO), zusammen. Seitdem toben erbitterte Kämpfe zwischen Kachin-Guerillas und der myanmarischen  Armee, der sogenannten Tatmadaw. Bei deren anhaltenden Offensiven gegen Stellungen der Aufständischen wurden bislang mehr als hunderttausend Zivilisten vertrieben. In einer Zeit der Reformen und der Hoffnung erscheint die plötzliche Eskalation des lange eingefrorenen Konfliktes sehr rätselhaft, vor allem da die Anführer der Kachin sich jahrelang gut mit Myanmars Militärherrschern arrangiert hatten und generell als eher pragmatisch galten.

Außerdem scheint die Annäherung zwischen Naypyidaw und den Karen den Entwicklungen im Kachin-Staat zu widersprechen.

Bei genauer Betrachtung treten jedoch Parallelen zu Tage. Diese hängen vor allem mit den erheblichen ökonomischen Interessen zusammen, die Myanmars ehemalige Peripherie seit mehreren Jahren von Grund auf verändern. Da Myanmar seit einiger Zeit unter Investoren als letzter unentschlossener "Frontiermarkt" Südostasiens gehandelt wird, ist es unabdingbar, dass die derzeitigen und künftigen Machthaber in Naypyidaw wie auch die internatio-nale Gemeinschaft aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Nur dann hat der Friedensprozess in Myanmar Aussicht auf Erfolg.

Ökonomische Transformation der Grenzregionen

Der langwährende Pragmatismus der KIO und anderer Rebellengruppen ist unter anderem auf neue ökonomische Interessen zurückzuführen, die seit der Annäherung Myanmars an seine Nachbarn China und Thailand Ende der 1980er Jahre in den kriegszerstörten Grenzregionen des Landes Einzug hielten. Anstatt wie im Kalten Krieg verschiedene ethnische Aufständische als Proxy-Armeen für die eigenen sicherheitspolitischen Agenden zu unterstützen, interessierte man sich in Peking und Bangkok mehr und mehr für die reichen Bodenschatzvorkommen des ärmlichen Nachbarn und seinen unerschlossenen, aber relativ großen Absatzmarkt.

Darüber hinaus bietet sich Myanmars strategische Lage optimal für den Aufbau von Handels- und Energieinfrastruktur an, um die eigenen unterentwickelten Nachbarregionen Chinas und Thailands voranzubringen. Der frühere thailändische Ministerpräsident Chatchai Choonhavan beschrieb diesen Strategiewechsel, als er versprach Südostasiens "Schlachtfelder in Marktplätze" zu verwandeln. Die abgelegenen Berge und Wälder zwischen Myanmar, Thailand und China sind seitdem ins Zentrum der regionalen Geopolitik gerückt, vor allem weil private und staatliche Investoren aus allen drei Ländern versuchten, aus Stabilität und Frieden ein lukratives Geschäft zu machen.

Aus Sicht der Generäle boten die neuen Investitionen mehrere Vorteile. Nach den blutig niedergeschlagenen Studentenprotesten von 1988 drohte die Gefahr einer Allianz zwischen einer zunehmend militarisierten Demokratiebewegung und ethnischer Rebellen. Die Junta versuchte sich deshalb in einer anderen Strategie der Aufstandsbekämpfung. Statt weiterhin auf rohe militärische Gewalt zu setzen, bot sie einzelnen bewaffneten Gruppen Waffenstillstand an. Die Generäle versuchten das Angebot den Rebellenführern schmackhaft zu machen, indem sie ihnen erlaubten, ihre Waffen und Teile ihrer Territorien zu behalten. Außerdem wurden sie dazu angehalten, im Wettlauf um die lokalen Ressourcen mitzumachen. Das führte zur ökonomischen Transformation ehemals peripherer Grenzregionen.

Beobachter bezeichneten dies als "Waffenstillstandskapitalismus". Zwischen 1989 und 2014 flossen 65 Prozent der 44 Milliarden US-Dollar, die in Myanmar investiert wurden, in die Grenzregionen des Landes, 25 Prozent davon in den Kachin-Staat an der Grenze zu China. Offizielle Daten lassen jedoch nur die Spitze des Eisbergs erahnen. Der größte Teil der Investitionen sowie des Grenzhandel tauchen in keiner Statistik auf. Schätzungen des Ash Center for Democratic Governance and Innovation an der Harvard Kennedy Law School zufolge exportierte Myanmar Jadesteine im Wert von mehr als acht Milliarden USDollar im Jahr 2011. Laut Regierungsbüchern verließ im gleichen Zeitraum jedoch nur Jade im Wert von 34 Millionen US-Dollar das Land.

Seit Längerem galt Myanmar in Expertenkreisen als Beispiel, dass die konventionelle Geschichte vom "Fluch des Rohstoffreichtums" auf den Kopf gestellt werden kann. Laut ihnen zeigten die Waffenstillstände, wie ökonomische Interessen in ressourcenreichen Gebieten auch zu pragmatischer Kooperation zwischen verfeindeten Parteien führen können. In der Tat stabilisierte die Waffenstillstandsökonomie die chinesisch-myanmarischen Grenze für viele Jahre. Die erneuten Gewaltausbrüche mit Rebellen verschiedener ethnischer Minderheiten – darunter Kachin, Palaung, und Kokang – sowie die zunehmenden Spannungen mit bewaffneten Gruppen der Shan und Wa in den letzten Jahren widersprechen jedoch der Erfolgsbilanz dieser ökonomistischen Aufstandsbekämpfung. Wie die Entwicklungen im Kachin-Staat deutlich zeigen, war die Reichweite früherer Friedensinitiativen sehr begrenzt. Die politische Ökonomie der Waffenstillstände ist außerdem direkt für die neueste Runde des Bürgerkriegs mitverantwortlich.

Der Wandel von Rebellen zu Geschäftsleuten und wieder zurück

Um zu verstehen, warum bewaffnete Gruppen, die lange Jahre eher an Profit als an Revolution interessiert zu sein schienen, plötzlich ihre revolutionären Ambitionen wieder entdecken, reicht es nicht aus, sich einen Bürgerkrieg als binären Konflikt zwischen Rebellen und dem Staat vorzustellen. In der Realität haben Rebellenbewegungen weder einheitliche Interessen noch verfolgen sie diese mit ausschließlich strategischem Kalkül. Aung Naung Oo ist stellvertretender Direktor des Myanmar Peace Center, einem Beratungsgremium der Regierung Myanmars.

Wenn er über das Verhalten der verschiedenen Rebellengruppierungen seines Landes spricht, geht es in der Tat um ganz andere Dynamiken. Seiner Erfahrung nach spielen komplexe Allianzen sowie Loyalitäten und Fehden, entlang der Stammeszugehörigkeit oder Sippschaft, eine große Rolle. Dazu kommen territoriale Interessen, politische Ideologien, unterschiedliche Verhandlungskulturen, die vertrackte Kriegsökonomie und jahrzehntelange Gewalterfahrungen. Der Versuch, eine Rebellenbewegung einfach mit ökonomischen Anreizen zu korrumpieren, wirkt sich auf eben diese komplexen Dynamiken aus, was unvorhersehbare Auswirkungen haben kann.

 

Der Kachin-Staat in Myanmar

Genau dies ist im Kachin-Staat passiert. In dem 17 Jahre währenden Waffenstillstand versuchte die KIO, ihr verarmtes und kriegsgebeuteltes Territorium ökonomisch voranzubringen. Sie setzte dabei vor allem auf Infrastruktur und baute Straßen und Wasserkraftwerke. Entwicklung und Wohlstand kamen jedoch nicht bei der einfachen Bevölkerung an. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass sich viele Rebellenkader vor allem in die eigene Tasche wirtschafteten, indem sie zusammen mit den Generälen der Tatmadaw und chinesischen Firmen die lokalen Bodenschätze ausbeuteten.

Dieses nepotistische Unternehmertum entfachte interne Machtkämpfe zwischen verschiedenen Anführern der Guerillas und ihren Familienclans. Hauptstreitpunkt waren die Schürfrechte in der profitablen Jadeindustrie. Anfang der 2000er gipfelte dies in mehreren Putschen und Attentaten innerhalb der Kachin-Führungsriege. Dies wirkte sich besonders gravierend auf die Kachin Independence Army (KIA), den bewaffneten Flügel der Organisation, aus: Ohne glaubhaft revolutionäre Agenda desertierten hunderte seiner Fußsoldaten.

Darüber hinaus führte der zunehmend autoritäre Führungsstil und die schamlose Selbstbereicherung mancher Anführer zu einer immer größeren Distanz zwischen den Anführern und der lokalen Bevölkerung. Dies hatte jedoch nicht den kompletten Niedergang der Organisation zur Folge. Stattdessen bargen diese Entwicklungen die Brutstätte einer neuen Generation junger Rebellenoffiziere, die sich weniger verhandlungsbereit oder gar korrumpierbar zeigen.

In den letzten Jahren hat die KIO zurück zu ihren revolutionären Wurzeln gefunden. Ein Mitbegründer des Jugendflügels der Bewegung - der Education and Economic Development for Youth (EEDY) - erklärt dazu in einer von Rebellen kontrollierten Kleinstadt an der Grenze zu Chinas Provinz Yunnan:

"Die jungen Offiziere hatten folgende Idee: Sie mobilisierten Studenten an lokalen Universitäten und gründeten den EEDY. Danach bauten sie eine Offiziersschule auf. Deshalb sind die meisten unserer Offiziere heute gebildete Leute. Sie kommen von den Universitäten zum EEDY und gehen dann an die neue Offiziersschule. Damit haben wir es auch geschafft unsere alten Anführer zu verändern."

In Zusammenarbeit mit den mächtigen christlichen Kirchen im Kachin-Staat und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen haben die aufstrebenden Kader es so geschafft, die verloren gegangene Legitimation unter der Lokalbevölkerung wiederherzustellen. Ein lokaler Journalist erzählt dies, während er auf einem Zigarrenstumpen kaut:

"Früher hatten die Menschen in Myitkyina [der regierungskontrollierten Provinzhauptstadt] Angst vor der KIA. Obwohl sie auch Kachin sind hatten sie Angst [...], weil sich die meisten KIA-Anführer damals wie Mafiosi verhielten. Aber jetzt ist alles wieder anders."

Trotz jahrelanger Waffenruhe hat der myanmarische Staat stets versucht, seine Grenzgebiete unter direkte Kontrolle zu bringen. Im Jahr 2008 hat die Regierung verschiedene bewaffnete Gruppen dazu angehalten, sich von ihren politischen Ambitionen zu lösen und sich als Milizionäre der sogenannten Border Guard Force (BGF) der Kontrolle von Tatmadaw-Generälen zu unterstellen. Während aus den Reihen der älteren KIO-Anführer wenig Widerhall verlautete, sahen die aufstrebenden jungen Offiziere dies als Kampfansage an. Zu diesem Zeitpunkt besetzten ihre eigenen Gefolgsleute schon die Schlüsselpositionen in der KIA.

Außerdem konnten sie auf die breite Unterstützung der lokalen Bevölkerung zählen, die mit den kriminellen Machenschaften und Menschrechtsverbrechen verschiedener Regierungsmilizen häufig die schlechtesten Erfahrungen gemacht haben. Die jungen Offiziere hielten außerdem öffentliche Konsultationsversammlungen ab und ermöglichten es den alten Anführern, ohne Gesichtsverlust abzutreten. Daraufhin übernahmen sie selbst die Führung und bereiteten sich auf eine unausweichlich scheinende Konfrontation mit der Tatmadaw vor, die auch alsbald kommen sollte.

Mehr als dreieinhalb Jahre nachdem die Kämpfe im Kachin-Staat erneut ausgebrochen sind, ist die KIO populärer als je zuvor. In den Augen vieler KIO-Unterstützer kämpft die Bewegung endlich wieder gegen politischen Missstände und Unterdrückung. Selbst in Gebieten anderer ethnischer Minderheiten wird die KIO dieser Tage als letztes Symbol des Widerstands gefeiert. In von der Regierung kontrollierten Städten sieht man junge Kachin, die mit Stolz die Symbole der Rebellen auf T-Shirts und Handytaschen tragen.

Die gleichen Zivilisten, die sich noch vor zehn Jahren vor der KIO gefürchtet haben, jubeln nun den Unterhändlern der Rebellen zu, wenn sie für Verhandlungen in die Provinzhauptstadt kommen. Auch wenn es auf den ersten Blick schwer verständlich scheint, sind viele Kachin sogar gegen einen neuen Waffenstillstand, obwohl sie direkt vom Konflikt betroffen sind. Ein fünffacher Vater, der Schwierigkeiten hat, seine Familie in einem überfüllten Camp für interne Vertriebene durchzubringen, erklärt dazu:

"In den letzten zwanzig Jahren haben uns Regierungssoldaten mehr als zehn Mal vertrieben. Waffenstillstand oder nicht, sie kommen und verjagen uns, während große Firmen auf unserem Land Staudämme bauen und nach Gold oder Jade schürfen."

Ein Baum ohne Wurzeln

Eine ähnliche Stimmung schlägt einem im Karen-Staat an der Grenze zu Thailand entgegen. Ohne Zweifel sind die meisten Karen erleichtert, dass sich der längste anhaltende Bürgerkrieg der Welt mit dem Waffenstillstand zwischen der KNU und der Regierung seit drei Jahren erstmals beruhigt zu haben scheint. Dem Friedensprozess wird dennoch vor allem mit Skepsis und Zynismus begegnet. Bei einem Aufenthalt erzählte mir ein Bauer: „Heute können wir uns viel freier bewegen, ohne Angst haben zu müssen, gleich erschossen zu werden.”

Durch seine vom Betelnusskauen rotgefärbten Zähne klagte er jedoch:

"Regierungstruppen und Milizen kommen regelmäßig in unsere Dörfer und besetzen unsere Felder, um darauf Baracken zu bauen. Sie sagen zwar, dass wir einen Waffenstillstand ha-ben, aber seitdem die KNU nicht mehr kämpft, ist die Tatmadaw in jeder Ecke von unserem Kawthoolei [Karen-Staat] und macht, was sie will."

Wie anderswo in Myanmar gehen Militarisierung und Landraub Hand in Hand. Die Enteignungen im Karen-Staat hängen vor allem mit dem  Ansturm auf Tropenholz, Gold, Zinn und Wolfram zusammen. Außerdem breitet sich das Militär entlang sich im Bau befindlicher oder geplanter Infrastrukturprojekte aus. Darunter sind mehrere große Staudämme am Salweenfluss und die Fernstraße, die einen zukünftigen Tiefseehafen samt Sonderwirtschaftszone in Südmyanmar mit Thailand verbinden soll. Die gewaltsame Territorialisierung hat eine lange Geschichte in der Region. Ende der 1990er Jahren hat der französische Energiegigant Total zweifelhaften Ruhm erlangt, als er mit Hilfe der Tatmadaw und hunderten von Zwangsarbeitern die Yadana Erdgaspipeline nach Thailand baute und dabei ganze Dörfer vertrieb. In einem klimatisierten Büro in Chiang Mai drückt ein gut informierter Karen-Aktivist seine Sorgen über diese Entwicklungen aus:

"Heutzutage machen Regierungsfirmen und private Investoren mehr und mehr Druck, um ihre wirtschaftlichen Projekte auszuweiten. Jetzt wird ja nicht mehr gekämpft, nicht wahr? Und die KNU? Die neuen Anführer machen mit. Sie treffen sich viel mit ausländischen Fir-men und der Regierung… aber über was sie genau reden? Das wissen wir nicht."

Es ist also nicht verwunderlich, dass die Freundschaft, die seit neuestem zwischen Naypyidaw und der KNU zu herrschen scheint, von vielen Karen mit Argwohn beäugt wird. Auch innerhalb der Rebellenbewegung hegen viele Mitglieder Misstrauen gegenüber ihrer derzeitigen Vorgesetzten. Die Geschwindigkeit, mit der sich beide Delegationen Anfang 2012 auf einen Waffenstillstand geeinigt haben, hat sogar einige der Karen-Anführer selbst überrascht.

Naw Zipporah Zein, die damalige Generalsekretärin der KNU, bestritt sogar zuerst, dass überhaupt eine Waffenruhe vereinbart wurde. Insidern zufolge wollten sie und ihre Anhängerschaft zu diesem Zeitpunkt kein Waffenstillstandsabkommen, sondern bestanden darauf, zuerst klare Territorien abzustecken sowie Truppen zu demobilisieren. Die Verhandlungsdelegation bestand jedoch aus Vertrauten des jetzigen KNU Anführers General Mutu Sae Po und überschritt ihr eigentliches Mandat als sie das Abkommen unterschrieb. Diese rivalisierende Fraktion übernahm noch im selben Jahr offiziell die Führung über die Karenbewegung.

Andere Stimmen sind jedoch nicht ganz verhallt. General Baw Kyaw Heh der Karen National Liberation Army (KNLA) – des bewaffneten Arms der KNU – hat wiederholt seiner Besorgnis über die Art der Geschäftemacherei ohne substanziellen politischen Dialog öffentlich Aus-druck verliehen. Während ihm seine schwer bewaffneten Leibwächter im Hauptquartier der Karenrebellen sein Mittagessen zubereiten, erklärt der General seine Sicht der Dinge:

"Wenn wir mit all den Geschäftsleuten, die hierherkommen, zusammenarbeiten, machen wir uns selbst zu Geschäftsleuten. Ich meine, wir sind doch der bewaffnete Widerstand. Wir sollten uns nicht an zu viel Business beteiligen. Das ist unsere Sorge."

Zusammen mit anderen der abgesetzten ehemaligen Anführer bildet er die interne Opposi-tion der Karenbewegung. Diese wird von den schlagkräftigsten und am besten organisiertesten Einheiten der Guerillaarmee unterstützt. Manche Experten haben schon vor einer möglichen Spaltung der KNU gewarnt.

Fürs Erste scheint die KNU, die schon früher von Zerwürfnissen und Bruderkämpfen geplagt war, aber gewillt zu sein zusammenzuhalten. Inwieweit dies eine gangbare Lösung ist, hängt von den aktuellen Friedensverhandlungen ab und vor allem davon wie die Friedensdividende unter der KNU aufgeteilt wird und der lokalen Bevölkerung zu Gute kommt. Letztere bleibt jedoch vorerst pessimistisch. Ein lokaler Lehrer, der für seine Arbeit in Schulen der Rebellen durch verschiedene Gebieten des Karen-Staats reist, drückt dies so aus:

"Der Waffenstillstand hier ist wie ein Baum dessen Wurzeln abgeschnitten wurden. Die gan-ze Welt denkt, dass der Baum sehr hübsch ist. Das ist aber nur von außen so. Innen ist er schon tot und es wird nicht mehr lange dauern, bis alle das sehen."

Der Weg zum Frieden

Gemeinhin wird angenommen, dass sich die neuen Machthaber in Naypyidaw einem aufrichtigen Friedensprozess verschrieben haben. Die Entwicklungen vor Ort belegen jedoch, dass sich nicht viel im Umgang mit den ethnischen Rebellengruppen getan hat. Der Waffenstillstand mit den Karen weist in der Tat besorgniserregende Parallelen mit den mangelhaften Abkommen der 1990er Jahre auf. Laut lokaler Meinung kann das Herauskaufen von Rebellen über wirtschaftliche Anreize zu keinem nachhaltigen Frieden führen. Ein Aktivist, der für soziale und ökologische Gerechtigkeit kämpft, gibt zu bedenken:

"Dies ist nur ein negativer Frieden, in dem nicht gekämpft wird und keine Kugeln fliegen. Aber fundamentale strukturelle Probleme werden nicht gelöst. Die meisten dieser Waffen-stillstände enden wieder im Krieg."

Die aktuelle Lage im Kachin-Staat veranschaulicht seine Prophezeiungen sehr eindringlich. In einem Versuch, Rebelleneinheiten aus dem Gebiet des von China gebauten und betriebenen Tarpein-Staudamms zu vertreiben, provozierte die Regierung eine neue Eskalation des Konflikts. Jahrelange Korruption und Ausbeutung haben jedoch auch eine neue Führungsriege der Kachinrebellen in Stellung gebracht. Nach den Erfahrungen des vorherigen Waffenstillstands, der Tür und Tor für die Plünderung der lokalen Ressourcen geöffnet hatte und zur Delegitimierung der Rebellenarmee führte, betrachten Aufständische und Zivilisten jegliche erneuten Annäherungsversuche der Regierung mit großem Argwohn. Diese Wahrnehmungen lassen wenig Raum für Verhandlungen.

Obwohl die nationalen Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres die Nagelprobe für Myanmars demokratischen Wandel sein werden, ist es unwahrscheinlich, dass sie zu einem grundlegenden Umdenken in Fragen der Minderheitenpolitik führen werden. Die viel gelobte Daw Aung San Suu Kyi hat sich zu den erneuten Gewaltausbrüchen bislang überraschend bedeckt gehalten, wofür sie viel Kritik von Seiten der ethnischen Minderheiten geerntet hat. Ihr jüngstes Umgarnen der Tatmadaw, die sie als die Armee ihres Vaters bezeichnet, hat viele ihrer ehemaligen Unterstützer unter den Minderheiten weiter verschreckt. Während die "Lady" und ihre Partei, die NLD, versuchen, Artikel 59(f) der burmesischen Verfassung zu ändern (der Artikel verbietet Suu Kyi für das Präsidentenamt zu kandidieren, da sie mit einem Ausländer verheiratet ist), ist das Voranbringen der Demokratie für Repräsentanten der ethnischen Minderheiten nur ein untergeordnetes Ziel.

Viel wichtiger für sie sind föderale Reformen und das Festschreiben von Minderheitsrechten. Sie fürchten, dass Demokratie ohne solche Zusätze nur zu einem weiteren Unterdrückungsinstrument der ethnischen Bevölkerungsmehrheit der Bamar gegenüber Myanmars zahlreichen Minderheiten verkommt. Die landläufige Meinung besagt, dass die Demokratisierung Myanmars eine Voraussetzung für die Beendigung des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist. Das Gegenteil scheint jedoch wahr zu sein. Solange die Konflikte nicht gelöst sind, werden die Grenzregionen des Landes weiterhin unter Kriegsrecht stehen. Dies wiederum erhält die Machtbasis der Tatmadaw-Generäle und ihren aufgeblähten Militärapparat. Es ist zu bezweifeln, dass demokratische Wahlen oder Verfassungsänderungen dies grundlegend verändern können.

Um Vertrauen unter den Kachin, den Karen und anderen ethnischen Minderheiten sowie ihren diversen Rebellengruppierungen für einen erneuten Friedensprozess zu schaffen, muss Naypyidaw seine langjährige Waffenstillstandspolitik überdenken. Anstatt Waffenstillstände zu nutzen, um ehemals unzugängliche Gebiete militärisch zu territorialisieren und riesige Infrastrukturprojekte zu errichten, benötigt es einen Verhaltenskodex für die Waffenruhen, indem Territorien demarkiert und Truppen demobilisiert werden. Außerdem muss über grundlegende politische Veränderungen verhandelt werden.

Dabei müssen föderale Verfassungsreformen, die Neugestaltung sowie zivile Kontrolle des Sicherheitsapparates, die Festschreibung von Landrechten und Strategien für ein gerechteres Wirtschaften im Zentrum stehen. Obwohl der bisherige Ansatz der wirtschaftlichen Entwicklung ohne politische Reformen nicht zum Frieden führen kann, ist die Lösung wirtschaftlicher Probleme trotzdem grundlegend, da die Wurzeln des Bürgerkriegs genauso viel mit sozioökonomischer Marginalisierung wie mit Ethnizität zu tun haben. Dafür muss jedoch eine nachhaltige ökonomische Entwicklung angestrebt werden, die die Missstände der lokalen Bevölkerung behebt, anstatt eine kleine Clique von Kriegsprofiteuren zu bereichern.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in Himal Southasian. Himal Southasian’s ist ein überregionales Magazin für politische und kulturelle Themen. Mit kritischen und fundierten Analysen, bemüht sich Himal Southasian das Verständnis über die Region zu stärken und Stimmen aus Südasien in Asien und weltweit verfügbar zu machen.