Modi in den USA: Große Hoffnungen, bescheidene Erwartungen

Narendra Modi und Barack Obama im Gespräch
Teaser Bild Untertitel
Der indische Premierminister Narendra Modi im Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama

Der indische Premierminister Narendra Modi nutzte die UN-Vollversammlung Ende September 2014 für seinen ersten Staatsbesuch in den USA. Am 26. Januar wird US-Präsident Barack Obama Indien besuchen.

Ende September – die Regierungschefs weltweit waren mit den sich zuspitzenden Krisen im Nahen Osten beschäftigt und die US-Amerikaner fieberten ihren Zwischenwahlen entgegen – nutzte der neue indische Premierminister Narendra Modi die UN-Vollversammlung für seinen ersten Staatsbesuch in den USA. Während seines mit Terminen vollgepackten und sehr genau beobachteten Besuchs traf Modi Präsident Barack Obama, Vizepräsident Joe Biden und U.S. Secretary of State John Kerry und sprach vor 19.000 Menschen im Madison Square Garden.

Der Besuch, der für die Zukunft der indisch-US-amerikanischen Beziehungen von größter Bedeutung war, schuf einen positiven Grundton. Die beiden Regierungschef werden sich diesen  Monat erneut treffen, dieses Mal in Indien, wenn Präsident Obama der erste US-amerikanische Präsident sein wird, der an den Feierlichkeiten zum indischen Tag der Republik (26. Januar) teilnimmt und der erste US-Präsident, der während seiner Amtszeit Indien zweimal besucht.

Vor Modis USA-Reise hörte man zahlreich kritische Äußerungen, die die Tragfähigkeit der indisch-US-amerikanischen Beziehungen in Frage stellten. Als potenzielle Stolpersteine gelten dabei die langen und engen militärischen Beziehungen Indiens zu Russland, die protektionistische Politik gegenüber ausländischen Investitionen und die umständlichen Exportkontrollen der USA. Doch in all diesen Bereichen wurden bedeutende Fortschritte erzielt. Präsident Obama und Premier Modi nutzten den September-Besuch geschickt, um den Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie deutlich machten, dass sie die Partnerschaft der beiden Länder auf eine neue Ebene heben wollen.

Auch wenn es keine bahnbrechenden Verlautbarungen gab, so signalisierten doch beide Regierungschefs ihre Absicht, dauerhafte und substanzielle Verpflichtungen zu einer Reihe von Sicherheits-, wirtschaftlichen und politischen Fragen einzugehen, unter anderem gemeinsame Bemühungen, Terrornetzwerken keinen Zufluchtsort zu gewähren, den bilateralen Handel von derzeit 100 Milliarden US-Dollar auf 500 Milliarden US-Dollar auszuweiten und eine bilaterale Task Force einzusetzen, die im Rahmen der internationalen Klimaverhandlungen eine gemeinsame Reduzierung der HFC-Gase (hochpotente Klimagase) angehen soll.

Da die nationalen Prioritäten Indiens und der USA in vielen Bereichen deckungsgleich sind, erscheint eine natürliche Partnerschaft zwischen den beiden Ländern häufig zwingend und der Rummel, der die jüngsten Ereignisse begleitete, lässt die Anhänger enger indisch-US-amerikanischer Beziehungen optimistisch in die Zukunft blicken. Dennoch: Indien und die USA gehen meist unterschiedliche, manchmal auch gegensätzliche Wege, sogar in Richtung derselbe Ziele. Zurzeit konzentrieren sich beide Regierungschefs auf die Innenpolitik. Sie möchten ihren Bürgern gegenüber, die Angst vor der Zukunft haben, ihre Versprechungen einlösen. In den USA setzt sich die die konjunkturelle Erholung fort, die zwar auf der Makroebene stark aussieht, sich aber noch nicht positiv auf das Leben der Normalbürger ausgewirkt hat, die für gleichbleibende oder gar sinkende Löhne immer mehr arbeiten. Indien hofft, sich aus dem Konjunkturtal herausarbeiten zu können, aber die Wachstumszahlen sprechen eine andere Sprache. Das bedeutet, dass beide Regierungschefs einerseits ein Wirtschaftswachstum fördern müssen, von dem die Mittelschicht profitiert, andererseits aber die steigende Nachfrage nach Ressourcen decken und gleichzeitig Klimafragen angehen müssen. Jeder dieser Bereiche bietet das Potenzial für eine enge, partnerschaftliche und nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Indien und den USA, von der die Menschen beider Länder profitieren.

Die drei Bereiche mit dem größten kooperationspotenzial sind Klima und Energie, Verteidigung und globale Sicherheit sowie Handel und Innovation.

Klima und Energie

Die USA und Indien können gemeinsame saubere Energiequellen aufbauen, um so die Abhängigkeit vom Mittleren Osten zu reduzieren und den wachsenden Energiebedarf zu decken und gleichzeitig die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern. Indien ließ stillschweigend den geplanten Anti-Dumpingzoll von 11 bis 81 Cent pro Watt auf Solarzellen fallen, die aus den USA, China, Taiwan oder Malaysia importiert werden – ein bedeutender Schritt in Richtung Abbau der Schranken für den Eintritt hochwertiger sauberer Technologien auf den indischen Markt. Premierminister Modi versprach, bis zum Jahr 2019 400 Millionen Inder, die derzeit noch ohne Elektrizität leben, mit Strom zu versorgen und gleichzeitig die Zuverlässigkeit des Stromnetzes zu verbessern. Insbesondere mit Letzterem wäre eine wesentliche Beeinträchtigung der indischen Wirtschaft behoben. Um dieses Versprechen einhalten zu können, baut Modi stark auf Solarenergie, die derzeit lediglich ein Prozent des indischen Energieangebots ausmacht. Im Vergleich dazu: 60 Prozent des Stroms kommt aus Kohle.

US-amerikanische und indische Firmen – sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor – können gemeinsam Indiens grüne Infrastruktur aufbauen. Laut dem Solar-Beratungsunternehmen Bridge to India könnten Solarzellen auf 0,5 Prozent der Fläche Indiens den anderthalbfachen aktuellen jährlichen Energiebedarf des Landes decken.

Eine solche Infrastruktur wäre nicht nur eine langfristige Lösung der Energieknappheit in Indien, sondern könnte in erweiterter Form Hunderte von Millionen neue Kunden mit Strom versorgen. Gemeinsame Bemühungen der USA und Indiens, das Problem der Energiearmut anzugehen und innovative Wege zu finden, wie die Energie außerhalb des unzuverlässigen indischen Netzes verteilt werden kann, können in beiden Länder die wirtschaftliche Mobilität erleichtern, die Gesundheit und Lebensqualität von Millionen von Menschen verbessern und Auslandsinvestitionen, insbesondere aus den USA, und wirtschaftliche Beziehungen stärken. Während des Septemberbesuchs wurden kleine, aber bedeutende Schritte in Richtung Lösung der indischen Energiefrage unternommen. So gab die Obama-Regierung grünes Licht für ein Darlehen der U.S. Export-Import Bank in Höhe von einer Milliarde US-Dollar, mit dem Indien amerikanische Technologie für seine grünen Energieprojekte einkaufen kann und ein neues Forum zur Finanzierung sauberer Energie einrichten wird.

Verteidigung und globale Sicherheit

Die enge Verteidigungszusammenarbeit der beiden Länder lässt sich an einer Zahl ablesen: In den vergangenen sechs Jahren generierte der bilaterale Handel der beiden Länder mit Rüstungsgütern einen Umsatz von mehr als 9 Milliarden US-Dollar – ein Umsatz, der vor zehn Jahren schlicht nicht bestand. Darüber hinaus nahmen beide Länder an gemeinsamen Manövern teil, wobei Indien in diesem Jahr zum ersten Mal vollständiger Teilnehmer von RIMPAC war, dem weltweit größten Seemanöver, an dem sich 23 Länder des pazifischen Raums beteiligen. Die Herausforderung für beide Länder – Indien und die USA – liegt allerdings darin, breiter und tiefer über die Verteidigungs- und Sicherheitszusammenarbeit nachzudenken.

Indien und die USA führen ihre Partnerschaft im Rahmen der U.S.-India Defense Trade and Technology Initiative (DTTI) fort. Diese Initiative hat das Potenzial, die bürokratischen Hindernisse, die den Handel mit Rüstungsgütern behindern, abzubauen und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit der beiden Länder in der Entwicklung, Fertigung und dem Transfer von Technologie zu eröffnen. Die Tatsache, dass einerseits die Modi-Regierung die Höchstgrenze von ausländischen Investitionen im Rüstungsbereich auf 49 Prozent angehoben hat und dass andererseits Washington konkrete Kooperationsprojekte in der Entwicklung und Fertigung angeboten hat, zeigt, dass hier beide Parteien an Fortschritt interessiert sind. Allerdings müssen sich die Bemühungen intensivieren, wenn die Investitionen der Privatwirtschaft in den indischen Verteidigungssektor signifikant steigen sollen. Konkret muss Indien die öffentlichen Rüstungsunternehmen reformieren, indem mehr privatwirtschaftliche Initiativen integriert werden; darüber hinaus muss Indien seine Regelungen für Kompensationsgeschäfte lockern, damit die Zusammenarbeit für stärker international ausgerichtete Unternehmen wirtschaftlich interessant wird. Der indische Rüstungssektor hat ungeheures Potenzial und die USA sind der perfekte Partner, der Indien auf wirtschaftlich lukrative Weise helfen kann, sein Militär zu modernisieren. Die Ernennung von Ashton Carter, der die DTTI von Beginn an geführt hat und der Indien sehr genau kennt, als neuer US-Verteidigungsminister sollte von allen begrüßt werden, die eine Weiterentwicklung der Verteidigungspartnerschaft wünschen.

Ebenso wichtig wie die Weiterführung der DTTI ist die Erneuerung und Erweiterung des 2005 New Framework for the US-India Defense Relationship, ein Rahmenabkommen für die Verteidigungszusammenarbeit, das theoretisch 2015 ausläuft. Die Entscheidung, die augenscheinlich während des jüngsten Besuchs getroffen wurde, das Rahmenabkommen aus dem Jahr 2005 nicht zu verändern, ist eine Enttäuschung und eine verpasste Gelegenheit. Das bestehende Forum, das 2005 ins Leben gerufen wurde, um zentrale Fragen des Rüstungshandels und der Beschaffung sowie gemeinsame Manöver und Projekte sowie kritische Bedrohungen zu diskutieren, funktioniert zwar, aber nach zehn Jahren wäre eine Anpassung durchaus möglich gewesen. Eine aktualisierte Rahmenvereinbarung würde auf der neuen Normalität der US-indischen Verteidigungsbeziehungen aufbauen und jüngere Initiativen, einschließlich DTTI, die außerhalb des Rahmens aus dem Jahr 2005 bestehen, formalisieren. Die US-indische Verteidigungszusammenarbeit muss optimiert werden: Sie sollte die USA und Indien zu einer stärker tri- und multilateral ausgerichteten Kooperation verpflichten und den Aktionsradius erweitern, d. h. neue Bedrohungen wie Cybersicherheit, Migration und Destabilisierung durch den Klimawandel sowie internationale Verpflichtungen zu Freiheit der Schifffahrt und maritimer Sicherheit mit einbeziehen.

All das ist durchaus noch möglich, aber eine Ankündigung der Regierungschefs, dass sie den Rahmen aktualisieren möchten, würde den Bemühungen beider Seiten enormen Auftrieb geben.

Handel und Innovation

Ein Blick auf das Besuchsprogramm von Premierminister Modi in den USA lässt keinen Zweifel: Der Mann ist pragmatisch und wirtschaftsfreundlich, sein Prioritäten sind Wirtschaftsreformen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Modi hat hohe Erwartungen geweckt, dass er die indische Wirtschaft revitalisiert, doch viele seiner Pläne kann er nur verwirklichen, wenn Indien sich stärker für Handel und Auslandsinvestitionen öffnet. Indiens historisches Wirtschaftswachstum der frühen 1990er Jahre – das letzte Mal, dass Indien formell Wirtschaftsreformen verabschiedete – war beispiellos, mit einem BIP-Wachstum, das von 1,1 Prozent im Jahr 1991 auf 7,5 Prozent im Jahr 1996 stieg. Trotz des Abschwungs der vergangenen Jahre sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Indien nach wie vor eng. Im vergangenen Jahrzehnt haben zahlreiche indische Unternehmen, zum Beispiel die Tata Group, bei der etwa 19.000 Amerikaner beschäftigt sind, insgesamt etwa 5,2 Milliarden US-Dollar in US-amerikanische High-Tech-, Pharmazie- und Fertigungsunternehmen investiert.

Dem Unternehmensberater Deloitte zufolge wird Indien im Jahr 2020 nach China und den USA die weltweit drittgrößte Mittelschicht haben. Global agierende Unternehmen erkennen dieses enorme Marktpotenzial und insbesondere US-amerikanische Unternehmen können von der Tatsache profitieren, dass Premierminister Modi Maßnahmen ergreift, die Millionen von Indern mithilfe von Technologie und Innovationen der nächsten Generation in die Mittelschicht bringen sollen. So kündigte Google im September an, Android One in Indien anzubieten – ein Test für die Vermarktung qualitativ hochwertiger, preisgünstige Telefone in einem Land mit mehr als 900 Millionen Handynutzern.

Die USA können im Gegenzug von Indien lernen, wie man kostengünstige Technologie produziert, zum Beispiel die indische Marssonde, die Indien nicht nur zum ersten asiatischen Land machte, das den Mars erreichte, sondern auch zum einzigen Land weltweit, dem dies beim ersten Versuch glückte. Mit 74 Millionen US-Dollar kostete die indische „Mangalyaan“ nur einen Bruchteil der 671 Millionen US-Dollar, die die NASA für ihre Sonde ausgab, die drei Tage früher den roten Planten erreichte. Die USA und Indien sollten in den Bereichen Datensammlung und Forschung zusammenarbeiten, da sich die beiden Sonden in der Marsumlaufbahn treffen. Auch Weltraumforschung und die bemannte Raumfahrt sind Themen, die sich in den kommenden Jahren für eine Kooperation anbieten.

Im Nachgang zu dem Septemberbesuch wurden auch Indiens Bedenken hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit angesprochen, die bereits die jüngste Runde der WTO-Verhandlungen zum Scheitern gebracht hatten. Darüber hinaus kündigte Premierminister Modi die Bildung eines neuen Ausschusses an, der die Umsetzung der US-amerikanischen Investitionsvorschläge beschleunigen und Hindernisse aus dem Weg räumen soll. Diese Maßnahme ist unerlässlich für den Erfolg der Modi-Initiativen „Make in India” und „100 Smart Cities“, die beide US-amerikanisches Geld und Technologien benötigen.

Fazit

Es gibt noch reichlich ungelöste Probleme in den indisch-US-amerikanischen Beziehungen: Da wären zum Beispiel die Einwanderungsreform der USA oder die Visa-Vorschriften der USA, die in amerikanischen Unternehmen und bei indischen High-Tech-Arbeitnehmern immer wieder eine Quelle der Frustration sind, das ins Stocken geratene zivile Kernkraftprojekt oder die US-amerikanischen Bedenken hinsichtlich der Haltung Indiens zu geistigen Eigentumsrechten. Skeptiker untermauern mit Verweis auf diese potenziellen Stolpersteine gerne ihre Meinung, die indisch-US-amerikanischen Beziehungen werden auch in Zukunft nie das halten, was sie versprechen. Was seit Modis USA-Besuch passiert ist, mag zum großen Teil Kosmetik gewesen sein, aber es gab durchaus auch Deals mit echtem Fortschrittspotenzial, wie etwa in Bezug auf die WTO. Premierminister Modi und Präsident Obama können die historischen Schranken überwinden. Um ihr neues Beziehungsmantra „Chalein Saath Saath: Gemeinsam vorwärts“ zu leben, muss jeder für sich zunächst definieren, wie er Wohlstand, bürgerliche Freiheitsrechte und Sicherheit für sein Volk garantiert – um dann gemeinsam zu überlegen, wie die indisch-US-amerikanische Zusammenarbeit zu diesen Zielen beitragen kann.