
Pressefreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Trotzdem wird auch hier die Freiheit von Journalist/innen beschnitten. Dieses Thema diskutierten die Stipendiat/innen von „Medienvielfalt, anders“ auf einem Seminar mit Leuten vom Fach.
Es ist an einem Freitagnachmittag im November. Im Büro von „Reporter ohne Grenzen“ sitzen wir, zwölf Stipendiatinnen und ein Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir verbringen zwei Tage mit einem Motto: Keine Freiheit ohne Pressefreiheit. So heißt das Seminar im Programm „Medienvielfalt, anders“ an diesem Wochenende, das von Gemma Pörzgen geleitet wird. Pörzgen ist freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt und Vorstandsmitglied bei der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG).
Die Organisation setzt sich weltweit für Presse- und Informationsfreiheit ein. Die Journalistinnen und Journalisten dort dokumentieren und veröffentlichen Verstöße gegen die Pressefreiheit und erstellen eine jährliche Rangliste „Pressefreiheit weltweit“. Das Nothilfe-Referat unterstützt verfolgte Journalistinnen und Journalisten und ihre Familien. Außerdem gibt das Referat juristische Unterstützung und Hilfe bei Ersatz von zerstörter Ausrüstung.
Vor uns an der Wand hängt eine Weltkarte, auf der die Länder in rote, gelbe, schwarze, orangefarbene und weiße Zonen eingeteilt sind. Deutschland ist ein weißer Fleck. Das ist ein gutes Zeichen, denn weiß bedeutet gute Lage. In Deutschland ist die Pressefreiheit ein hohes Gut. Und doch gibt es Einschränkungen. So ist das „Recht auf Vergessen werden“ im Internet nicht in jedem Fall umgesetzt. Es wird über das Verbot anlassloser Massenüberwachung, über das Asyl für Edward Snowden und den Whistleblower-Schutz debattiert., Der Journalist und RoG-Vorstand Matthias Spielkamp rät, stärker auf verschlüsselte Kommunikation zu setzen und anonym im Internet surfen, auch wenn man nichts zu verbergen habe.
Nicht mehr an Ort und Stelle
Doch nicht nur die Pressefreiheit ist Thema des Seminars. In Zeiten, in denen die Auflagen von Tages- und Wochenzeitungen schrumpfen und die Menschen zunehmend die Informationen aus dem Internet beziehen, verfestigt sich eine Kostenlos-Mentalität. Wie wirkt sich das auf Printmedien aus? Wie auf Informationsquellen im Internet? Wie verstehen Journalistinnen und Journalisten künftig ihre Rolle? Darüber reden wir am Samstag.
Besonders kompliziert ist die Lage von Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten. Immer mehr Verlage stellen immer weniger eigene Reporter vor Ort. Manche Redaktionen verlangen von Freischreibenden einen Deutschlandbezug beim Vorschlag der Auslandsthemen und haben selbst immer weniger eigene Auslandsexpertise. Dabei sollte die Leserschaft in Deutschland, einem Exportweltmeister, in Zeiten der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung an den hochqualitativen Informationen aus dem Ausland interessiert sein.
Und noch eine Frage beschäftigt uns: Sind Journalistinnen und Journalisten auch Aktivisten? Viele von uns sind politisch oder gesellschaftlich aktiv. So können wir uns nicht einigen, was richtig oder falsch ist: Mitmachen oder nur Chronist von Ereignissen sein? Doch zumindest können wir uns darauf verständigen, dass Journalist/innen auch Bürger/innen sind und deshalb politisch aktiv sein dürfen.
Die Zahl der Beschwerden steigt
In Deutschland gibt es keine Zensur. Stattdessen eine freiwillige Selbstkontrolle, die durch den Presserat, ein eingetragener Verein der Verleger- und Journalistenorganisationen, reguliert wird. Dort kann man eine Beschwerde einreichen, falls ein Medium den Pressekodex zu verletzten scheint. Dafür kann man eine Rüge oder eine Missbilligung vom Presserat kassieren. Die Zahl der Beschwerden steigt: 2013 gab es etwa 1500, in diesem Jahr bereits mehr als 2000 Beschwerden.
Bald bekommt der Presserat noch mehr zu tun. Denn auch wir werden uns gegen die Verstöße der publizistischen Grundsätze wehren: Diskriminierung, Vorverurteilung, Verletzung der Persönlichkeitsrechte sind nicht zu dulden! Hier schließt sich der Kreis: Nicht nur die Presse wird in ihren Freiheiten und ihren Informations- und Rechercherechten beschnitten, sondern kann selbst die Rechte anderer gefährden.
Auch die Stipendiatin Anna Nguyen war auf dem Seminar. Ihren Bericht finden Sie hier (pdf).