Am Ausstieg aus der Braunkohle führt kein Weg vorbei

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Ein wegen nahgelegener Braunkohleförderung verlassener Ort im Kreis Heinsberg

Kein Industrieland hat bisher freiwillig riesige Vorkommen billiger Ressourcen im Boden gelassen. Bei der Braunkohle wird  klimapolitisch kein Weg daran vorbeiführen. Das Zögern des Bundeswirtschaftsministers verschleppt nur den unvermeidlichen Strukturwandel.

Fasziniert schaut die Welt auf die deutsche Energiewende. Dass ein Industrieland wie die Bundesrepublik aus der Atomenergie aussteigt und zügig auf Wind- und Sonnenkraft umstellt, findet viel Anerkennung. Doch internationale Beobachter sind irritiert, wenn sie von neuen Rekorden beim Kohle-Strom hören. Das passt mit der Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz nicht zusammen. Dass zuletzt immer mehr Strom aus Kohlekraftwerken produziert wurde, liegt an den gewaltigen Überkapazitäten auf dem deutschen Strommarkt.

Erstens haben Stromkonzerne und Stadtwerke seit Mitte der 2000er Jahre kräftig in neue Gas- und Kohlekraftwerke investiert. Die Strommarktliberalisierung und der Emissionshandel hatten dafür die entscheidenden Anreize gesetzt. Und zweitens sind die erneuerbaren Energien viel schneller gewachsen, als von den meisten gedacht.

Allen voran der Ausbau der Photovoltaik wurde massiv unterschätzt. Noch vor sechs Jahren hatte der Branchenverband der Stromwirtschaft prognostiziert, dass Solarstrom bis 2014 auf 9 Gigawatt anwachsen würde. Doch sind heute zwischen Nordsee und Alpen schon 38 Gigawatt PV installiert – vier Mal mehr, als das, was der Verband seinen Mitgliedern vorausgesagt hatte. Fehleinschätzungen wie diese führten dazu, dass Stromversorger viel Geld in die falschen Kraftwerke investierten.

Stromexport als Rettungsanker für deutsche Kohlekraftwerke

Die Folgen der Überkapazitäten sehen wir heute: Die Strompreise an der Börse sind im Keller, Kraftwerksbetreiber schreiben rote Zahlen; klimaverträglichere Gaskraftwerke, die als flexible Ergänzung zu den erneuerbaren Energien dringend gebraucht werden, werden aus dem Markt gedrängt; Braunkohle-Kraftwerke dagegen laufen auf Hochtouren und lassen das Klimaziel in weite Ferne rücken.

Zu allem Überfluss wird immer mehr Strom exportiert. Wenn in den nächsten Jahren die Kuppelstellen ins benachbarte Ausland erweitert werden, dürften die Exporte auf neue Rekordmarken steigen. Damit drohen die Stromexporte zum Rettungsanker deutscher Kohlekraftwerke zu werden, wie eine aktuelle Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aufzeigt.

Die Situation auf dem Strommarkt ist nicht nachhaltig - weder für die Kraftwerksbetreiber noch für den Klimaschutz. Es verwundert daher, wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel behauptet, alles könne so bleiben wie es ist, der Markt würde die Sache schon regeln.

Damit macht er sich einen schlanken Fuß. Denn die Frage ist nicht, ob Kraftwerke vom Netz gehen, sondern welche. Ohne die lenkende Hand der Politik würden gerade die ältesten, klimaschädlichsten Kohlekraftwerke am Netz bleiben. Moderne Gaskraftwerke hingegen würden in den Ruhestand geschickt werden – und mit ihnen die dort Beschäftigten. Die Börsenstrompreise blieben auf Ramschniveau und würden keine Anreize setzen, um Investitionen in neue Kapazitäten zu lenken, die zum Ende des Atomausstiegs kommen müssen.

Diesen energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Irrsinn zu verhindern, ist die Aufgabe der Politik. Die Braunkohle ist mit ihren Vorkommen in Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik die größte verbliebene fossile Energieressource innerhalb der EU. Kein Industrieland der Welt hat jemals freiwillig riesige Vorkommen an billiger, fossiler Energie im Boden gelassen. Doch am schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle führt klimapolitisch kein Weg vorbei. Die unbequeme Wahrheit ist, dass die Braunkohle-Regionen vor einem einschneidenden Umbruch stehen. Je länger wir mit dem Strukturwandel warten, desto schmerzhafter und ruckartiger wird er für die Menschen vor Ort.

Der Strukturwandel kommt – je später, desto schmerzhafter

Für einen Wirtschaftsminister, der sich für eine Kanzlerkandidatur warmläuft und Führungsqualitäten demonstrieren will, ist das eine große Chance. Investitionen in neue Infrastrukturen, die Schaffung regionaler Erholungsräume, eine aktive Weiterbildung der Beschäftigen - ein gestaltender Strukturwandel, so wie er zum Beispiel im Ruhrgebiet erfolgreich umgesetzt wird, bietet für die Menschen in den Regionen neue Perspektiven. Wer, wenn nicht ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister könnte dafür sorgen, dass dieser Strukturwandel sozial abgefedert wird und regionale Besonderheiten berücksichtigt?

In vier Wochen trifft sich die internationale Staatengemeinschaft in Lima, um einen neuen Klimavertrag auszuhandeln. Die beiden Klimaschwergewichte USA und China haben vorgelegt und angekündigt, ihre Emissionen nach 2025 weiter zu reduzieren. Doch die Bundesregierung läuft Gefahr, mit leeren Händen anzureisen. Ihr Ziel, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu drücken, ist wegen der Braunkohle in weite Ferne gerückt. Sie ist der Irrläufer der deutschen Energiewende. Ohne die Abschaltung der ältesten Kohlemeiler wird die Bundesregierung ihr Ziel verfehlen. Es ist Zeit, dass auch der Wirtschaftsminister dieser Tatsache ins Auge blickt.

Dieser Text erschien zuerst in dem Magazin klimaretter.info.