Die atompolitische Doppelmoral

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Soll 2018 ans Netz gehen: Das Atomkraftwerk Angra III in Brasilien

Vergangene Woche hat die Große Koalition für die Fortsetzung der Atomkooperation mit Brasilien gestimmt. An dem Widerspruch, im eigenen Land aus der Atomkraft auszusteigen, andere Länder aber aktiv beim Ausbau der Atomkraft zu unterstützen,  stört sich nur die Opposition.

Zum 18.11.2014 wäre turnusgemäß die Kündigung des 1975 unterzeichneten deutsch-brasilianischen Atomvertrages möglich. Grüne und Linke im Bundestag sowie Umweltorganisationen dies- und jenseits des Atlantiks fordern die deutsche Bundesregierung seit Jahren auf, diesen unzeitgemäßen Vertrag endlich zu kündigen. Doch dazu kam es einmal mehr nicht: die Große Koalition votierte vergangene Woche für die Fortsetzung der Atomkooperation.

Anfragen der Grünen Bundestagsfraktion von Anfang diesen Jahres hatten bereits offenbart, dass die schwarz-rote Bundesregierung an dem bilateralen Atomabkommen mit Brasilien festhalten wollte. Ihr zentrales Argument: das Atomabkommen bringe Sicherheit. Schließlich fänden im jährlichen Turnus Sicherheits-Workshops zwischen deutschen und brasilianischen Atombehörden statt. Außerdem wolle man keine diplomatischen Verstimmungen riskieren. Brasilien sei eine Demokratie, der man nicht verbieten könne, weiter auf Atomkraft zu setzen.

Letztlich geht es aber wohl vor allem darum, der deutschen Atomwirtschaft weiter Geschäfte im Ausland zu ermöglichen. Entsprechend äußerte sich Andreas Lämmel von der Unionsfraktion in der Debatte. Er betonte, dass Deutschland einen wichtigen Beitrag dazu leisten könne, die Atomanlagen weltweit sicherer zu machen:

„Wir wären doch eigentlich verrückt, wenn wir jetzt nicht die Möglichkeiten über dieses Abkommen nutzen würden, um unser Know-how, unsere Erfahrungen den Brasilianern beim Betrieb der Atomkraftwerke beziehungsweise bei der Aufrüstung in sicherheitstechnischen Anlagen weiter zu vermitteln.”

Dies war auch vor zehn Jahren unter Rot-Grün die Begründung gewesen, mit der sich Wirtschaftspolitiker der SPD, allen voran der damalige Wirtschaftsminister Clement, durchgesetzt hatten, um die von grünen Politikern vorangetriebene turnusgemäße Kündigung der Atomkooperation in letzter Sekunde zu verhindern.

In der aktuellen Debatte zeigte sich die SPD zunächst zurückhaltener. SPD-Politikerin Nina Scheer gab zu, dass

„wir das 1975 geschlossene Atomabkommen so nicht mehr für gut heißen können. Konsequenterweise muss dann natürlich eine Betrachtung des Atomabkommens aus heutiger Sicht bedeuten, dass es so nicht aufrecht erhalten werden kann, beziehungsweise auf den Prüfstand gestellt werden muss.“

Auf Mediennachfrage teilte dazu das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium jedoch mit, dass derzeit keine Nachverhandlungen des Atomabkommens mit Brasilien geplant seien.

Die deutsch-brasilianische Atomkooperation seit den 70ern

Die vorgetragenen Sicherheitsargumente überzeugen die Gegner dieses Abkommens wenig. Schließlich bauen die Brasilianer aktuell mit deutschem Know-how ein Atomkraftwerk, Angra 3, das schon beim Bau technisch veraltet ist und dem Niveau von AKWs entspricht, die in Deutschland gerade abgeschaltet werden. Außerdem steht das Projekt massiv in der Kritik, weil es in einem Erdrutschgebiet an der Atlantikküste, nur knapp 100 km entfernt von Rio de Janeiro, liegt, und zudem über nur rudimentäre Notfallpläne verfügt. Der einzige Fluchtweg, die Küstenstraße BR 101, wird in der Regenzeit immer wieder durch massive Erdrutsche beeinträchtigt.

Nach Meinung von Experten ist die Bilanz der bisherigen deutsch-brasilianischen Atomkooperation ein „Paradebeispiel” dafür, „wie Technologietransfer nicht aussehen sollte”.

Ein Blick zurück: Mit deutscher Hilfe wollte die Militärdiktatur Brasiliens in den 70er Jahren ein ambitioniertes Atomprogramm starten. Die vor 39 Jahren gestartete Kooperation sah die gemeinschaftliche Errichtung von acht Atomkraftwerken, einer Reaktorfabrik, einer Urananreicherungsanlage, einer Wiederaufbereitungsanlage sowie die Erschließung, Förderung und Vermarktung der brasilianischen Uranvorkommen vor. Die brasilianischen Militärs trieben dieses Vorhaben damals voran, weil sie selbst Atombomben bauen, sich so eine Vormachtstellung in Südamerika sichern und zum erlesenen Kreis der Atommächte gehören wollten.

Realisiert wurde von diesen hochtrabenden Plänen bisher vor allem ein Atomkraftwerk: Angra 2 ging im Jahr 2000 nach 23 Jahren Bauzeit ans Netz. Das seit 2010 im Bau befindliche Angra 3 soll 2018 ans Netz gehen. Wesentliche Teile der Ausrüstungsgegenstände für Angra 2 und 3 wurden bzw. werden aktuell aus Deutschland geliefert. Angra 2 erhielt zudem staatliche Schützenhilfe mittels einer Hermesbürgschaft, einem Instrument der Exportförderung. Damit können sich deutsche Unternehmen bei Exporten dagegen absichern, dass der Importeur nicht zahlt.

Auch für Angra 3 sollte eine solche Hermesbürgschaft gewährt werden. Dies konnte jedoch nach jahrelangen Kampagnen von Umweltorganisationen dies- und jenseits des Atlantiks sowie parlamentarischen Initiativen verhindert werden. Im Juni 2014 führte die Große Koalition das unter Rot-Grün schon einmal geltende Kriterium, keine Hermesbürgschaften für den Neubau von Atomanlagen zu gewähren, wieder ein und beendete somit die Debatte um eine deutsche Hermesbürgschaft für Angra 3.

Atomfreie Energieversorgung - nur im eigenen Land?

In der aktuellen Debatte zum Thema forderten grüne und linke Parlamentarier die deutsche Regierung nach dem Kursschwenk bei den Atombürgschaften auch zu einem Kurswechsel beim Thema Atomkooperation auf. Deutschland solle endlich seine „doppelten Standards” in Sachen Atomenergie überwinden, im eigenen Land aus der Atomkraft auszusteigen, andere Länder aber weiter aktiv beim Ausbau der Atomkraft zu unterstützen, hieß es.

Die brasilianische Zivilgesellschaft hatte nach dem nein zu Hermesbürgschaften für AKW-Neubauten im Juni 2014 gehofft, dass die Bundesregierung konsequenterweise auch der bilateralen Atomkooperation ein Ende setze. Die automatische Verlängerung schwächt nunmehr die Bemühungen der Umweltorganisationen vor Ort in Brasilien, die für eine sichere und atomfreie Energieversorgung im eigenen Land streiten. In einem Brief hatten Dutzende von Organisationen sich in der vergangenen Woche nochmals an die deutschen Parlamentarier gewandt und die Kündigung dieses extrem unzeitgemäßen Abkommens eingefordert.

Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, mahnte daher in der Bundestagsdebatte auch an:

„Unser Verhalten kommt dort als Doppelmoral an. (...) In Deutschland hat die Zivilgesellschaft den Atomausstieg erreicht. Helfen sie, helfen wir alle der brasilianischen Zivilgesellschaft, die nach britischen Studien zu 67 Prozent den Atomausstieg will, mit der Kündigung dieses antiquierten Abkommens.“

Dem Umgang mit diesem bilateralen Atomvertrag kommt des Weiteren eine zentrale Bedeutung zu, weil es noch zahlreiche, ähnliche bilaterale Atomverträge gibt, z.B. mit Ländern wie Ägypten, China, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien oder Südkorea und Russland.

Trotz des deutschen Atomausstiegs wurde in der Vergangenheit nur einer dieser Verträge -der mit dem Iran - gekündigt. Heute, 28 Jahre nach Tschernobyl und drei Jahre nach Fukushima, müssen derartige Good-Will-Erklärungen, auf die sich die Regierungen in den Schwellenländern immer noch gerne beziehen, definitiv aufgekündigt werden.