Ebola und das Versagen der Staaten

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Kailahun, Sierra Leone
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Ein Epizentrum der Ebola-Epidemie: Kailahun, im Osten von Sierra Leone

Bis zu 1.000 Teilnehmer werden zur Ebola-Konferenz vom 19. bis zum 22. Oktober in Berlin erwartet. Die Forderungen nach internationalen Geldern reichen bis zu einer Milliarde Euro. In Westafrika fehlt währenddessen vor allem Personal - und auf grausame Weise wird das Fehlen von staatlichen Strukturen deutlich.

Die mehreren bestätigten Direktinfektionen in Spanien und Texas, USA, sowie die zahlreichen Verdachtsfälle der letzten Tage sollten nun auch den Adrenalinspiegel der internationalen Gemeinschaft in die Höhe treiben. Die Angstmomente sind in Westafrika nur zu gut bekannt, seit die Epidemie in Guinea Conakry begann.

In Nigeria scheint die Lage jedoch vollständig unter Kontrolle zu sein. Nach acht Toten und fast tausend untersuchten Kontakten ist Nigeria nun offiziell frei von Ebola. Vorbei die Tage, an denen Begrüßungsrituale wie ein Händedruck von vorsichtigem Zuwinken ersetzt wurde - nun wird sich auch wieder auf die Schulter geklopft und das bislang obligatorische Fiebermessen vor jedem Meeting wurde ebenfalls mit Erleichterung aufgegeben. Nigerias Präsident Goodluck Jonathan ließ sich sogar zu der siegessicheren Aussage hinreißen, dass nun der Terror von Boko Haram in einer ähnlich erfolgreichen Weise angegangen und bekämpft würde.

Dabei hat die ganze Region in Westafrika eigentlich keinen Anlass zum Aufatmen. Vom galoppierenden Anstieg der Ebolafälle in Liberia und Sierra Leone, und der damit einhergehenden Implosion dieser Staaten, sind auch sämtliche Nachbarländer weiterhin betroffen. Obwohl die Kontrollen an allen Flughäfen und auch auf den offiziellen Landwegen und Grenzpunkten verschärft wurden, lassen sich die Wege und Kontakte der Bevölkerung über die kolonial und künstlich gezogenen Grenzen nicht kontrollieren.

Allerdings hat Nigeria in gewisser Weise den richtigen Weg aufgezeigt: Schnelle Reaktionszeiten und die Vernetzung der Behandlung der ersten Ebolafälle im Land waren beispielhaft. Das Bundesland Lagos, in dem der als Indexfall identifizierte Liberianer Patrick Sawyer am Flughafen fiebernd zusammenbrach, reagierte relativ schnell mit einem Appell an die internationale Gemeinschaft und erhielt innerhalb von wenigen Tagen Training und Hilfe. In ihrem bewegenden Blog berichtet eine Ärztin, die ihre Ebola-Erkrankung in Folge der Behandlung von Sawyer überlebte, wie sie nach nur wenigen Tagen in einem baufälligen Gebäude – nur von einem australischen Arzt besucht - in eine moderne und für Ebola ausgerüstete Isolierstation gebracht wurde. Selbst dort dauerte es noch 12 Stunden, bis der tote Körper einer Kollegin aus dem gleichen Krankenhaus geborgen und beerdigt wurde.

Zu oft haben Regierungsinitiativen alles schlechter gemacht

Die Ebola-Epidemie macht den Bürgern vieler Staaten Westafrikas wie kaum ein anderes Ereignis seit der Unabhängigkeit auf eindrückliche und zugleich grausame Weise deutlich, dass man ohne staatliche Strukturen nicht weiterkommt. Zahlreiche Studien haben schon in der Vergangenheit den empirischen Nachweis geliefert, dass Korruption und Ineffizienz viele Menschenleben kosten. Bisher waren das zumeist technokratische, abstrakte Untersuchungen, deren Inhalt und Ergebnisse weder Bürger/innen noch Nichtregierungsorganisationen ohne weiteres zu vermitteln waren. Zuweilen ist in dem größten Land Westafrikas sogar ein gewisser Stolz auf den „Nigeria Factor“ zu verspüren und Ausländer/innen werden geprüft, ob sie der „Nigeria Factor“ schockiert: Wer zuckt zusammen, wenn sie oder er erfährt, dass sie/er keinen Arzt zu sehen bekommt, ohne Bargeld auf den Tisch zu legen? Wem klappt die Kinnlade herunter angesichts zahlreicher eigenartiger Geschäfte, die Politiker und Unternehmer mit Regierungsgeldern treiben? Wen wundert’s, wenn alle Soldaten überraschenderweise Handschuhe bekommen, nur weil ein gewiefter Lieferant hierzu einen Vertrag platzieren konnte?

Kurzum, die strukturelle Misere dieser Art des Staatsversagens wurde oft weggelacht oder ignoriert, schlicht aus purer Not. Stolz und Resignation gegenüber der Unmöglichkeit, die Korruption und Ineffizienz zu besiegen, sind die Leitplanken eines hektischen Alltags, in dem Arbeit und Ernährung oberste Priorität haben.

Die Ebola-Katastrophe hat schlagartig verdeutlicht, welche direkte Bedrohung die Abwesenheit von staatlichen Strukturen darstellt: Minister laufen weg, Krankenpfleger/innen weisen Ebolakranke ab, Plastikhandschuhe fehlen, Betten auch. Dies mag einige der irrationalen Reaktionen in den betroffenen Ländern zumindest nachvollziehbar machen, wie z.B. die Attacke auf eine Ebola-Isolierstation im Stadtteil West Cape der liberianischen Hauptstadt Monrovia (Einwohner des Viertels hatten die Station gestürmt, weil dort Patienten aus anderen Stadtteilen untergebracht worden waren).

Am deutlichsten wurde das Versagen der staatlichen Systeme im Fall der Morde an sieben Regierungsvertretern und Gesundheitsexperten in einem Dorf in Guinea. Die Dorfbewohner vermuteten, dass die Expertengruppe ihnen den Tod durch Ebola bringen würde. Dass hier tatsächlich staatliche Aufklärung und Hilfe angeboten werden sollte, überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Zu oft sind in der Vergangenheit in den Staaten Westafrikas Regierungsvertreter oder -berater durch die Dörfer gezogen, um immer neue Regierungsinitiativen (zu Saatgut, Dünger oder gesundheitlichen Maßnahmen) zu verkünden – und zu oft mit dem Resultat, dass die Bewohner/innen schlechter dastanden als zuvor. Entweder hatten sie den Ratschlägen folgend unverkäufliche Ware angebaut, oder sie erhielten Säcke mit Sand statt dem versprochenen Chemiedünger.

ECOWAS muss als Schaltstelle aktiv werden

Die Erwartungen an die internationale Hilfe sind daher hoch. Doch auch hier kann Erwartung schnell in Frustration und Wut umschlagen. Bislang breitet sich die Epidemie schneller aus als die Bekämpfungsstrategien umgesetzt werden können. Zweifelsohne muss der internationale Beitrag zur Bekämpfung der Seuche massiv und vor allem schnell erhöht werden - was nach den ersten Fällen in Europa und den USA vielleicht sogar geschehen könnte.

Aus westafrikanischer Perspektive muss die Regionalorganisation ECOWAS viel stärker als Koordinationsstruktur agieren. ECOWAS verfügt über eine militärische stand-by-Truppe, die nun auch gegen Ebola eingesetzt werden soll. Dies sollte sofort passieren, auch mit internationaler Hilfe, denn zur Zeit fliegt nur noch eine Fluglinie Liberia an.

Bei Logistik und Transport sollte auch die militärische Hilfe ansetzen. Dass ECOWAS verschiedenen Quellen zufolge 3 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt hat, kann schwerlich beeindrucken; wenn ECOWAS aber endlich als Koordinierungs- und Schaltstelle aktiv wird, kann Afrika der Welt zeigen, dass es sich selbst hilft. Wollen die westafrikanischen Staaten es tatsächlich den US-Truppen überlassen, die notwendigen Betten in Liberia aufzustellen?

Zwar interessiert zur Zeit offenkundig niemanden, wann genau diese Truppen wieder abziehen sollen. Diese Frage wird sich spätestens im kommenden Jahr stellen, wenn der Epidemie Einhalt geboten worden ist. Bislang verfügt Liberia nur über circa 25 Prozent der benötigten Betten für Ebola-Patienten. Doch Geld alleine kann hier nicht helfen. Vor Ort werden vor allem Experten und Hilfspersonal benötigt. Von zentraler Bedeutung ist eine westafrikanische Koordinierung. Dabei kann ECOWAS über die bestehenden Ansatzpunkte der Kooperation mit deutschen Geberorganisation wie der GIZ eine entscheidende Rolle zukommen.