Flüchtlinge aus Syrien: “Es geht darum, Empathie und Solidarität zu zeigen”

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Syrian Refugee Lebanon
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Eine syrische Mutter registriert sich mit ihren Kindern in einem Flüchtlingslager des UNHCR in Tripolis

In den vergangenen drei Jahren sind dem Konflikt in Syrien Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte weit mehr als 100.000 Menschen zum Opfer gefallen; Millionen von Syrerinnen und Syrern sind auf der Flucht. Zum bundesweiten Flüchtlingstag sprach Maria Kind mit Carol Mansour über die aktuelle Situation der Flüchtlinge, die Rolle von Kindern und Frauen in Konflikten und Europas Umgang mit dieser Problematik. In ihrem Dokumentarfilm „Not who we are“ porträtiert die bekannte libanesische Regisseurin fünf syrische Frauen, die in den Libanon geflüchtet sind und dort versuchen, ein neues Leben im Exil aufzubauen.

Die Situation in Syrien verschlechtert sich zunehmend. Erst letzte Woche flohen 70.000 Kurden von Syrien in die Türkei. Ihr Film „Not who we are“ porträtiert Frauen aus Syrien, die in den Libanon geflohen sind. 2013 wurde er erstmals gezeigt – was kann man heute sagen?

Wenn man einen Dokumentarfilm produziert, porträtiert man meist eine Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt. Man hat immer die Sorge, dass der eigene Film innerhalb eines oder zwei Jahren bereits an Relevanz verliert. Leider ist „Not who we are” noch genauso relevant wie bei seiner Erstaustrahlung vor einem Jahr. Es wird geschätzt, dass wöchentlich bis zu 9.000 Menschen die Grenzen von Syrien in den Libanon überqueren. Mit den Luftangriffen hat sich die Situation noch verschlechtert. In der Tat sind die Themen, die der Film aufgreift so relevant wie nie zuvor und die Probleme, mit denen die syrischen Flüchtlinge – und insbesondere die Frauen – konfrontiert werden, haben sich zunehmend verschlimmert und sind auswegsloser geworden. Flüchtlinge machen mittlerweile fast 25 Prozent der libanesischen Bevölkerung aus. Von außen jedoch kommt kaum Hilfe, um dem Libanon dabei zu unterstützen mit diesem katastrophalen Zusturm zurecht zu kommen. Wir werden Zeuge zunehmender Ressentiments der Aufnahmegesellschaft und einer zunehmenden Marginalisierung der Flüchtlinge. Wenn es darum geht Empathie und Solidarität zu zeigen, dann ist es notwendiger als je zuvor, die Realitäten von Flüchtlingsfrauen aufzuzeigen – insbesondere das emotionale und soziale Leiden.

 

Not Who We Are - Trailer - Forward Film Production

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Wenn wir über Flüchtlinge sprechen, geht es meist um Zahlen und nur selten um Menschen und individuelle Geschichten. Was hat Sie als Filmemacherin am meisten getroffen, als Sie versuchten dies zu ändern?

Als ich mit der Arbeit an dem Film begonnen habe, bin ich mit meinem Auto von Lager zu Lager gefahren, um mit eigenen Augen zu sehen, was es bedeutet als ein weiblicher Flüchtling zu leben. Nach einigen Treffen und Gesprächen mit diesen Frauen begann ich zu verstehen, dass die realen Sorgen der Flüchtlingsfrauen die gleichen sind wie bei jeder anderen Frau. Natürlich ist ihr Leben aus materieller Sicht schwieriger, aber das hindert sie nicht daran, zu träumen und eigenen Zielen nachzugehen. Oder sich um ihre Weiblichkeit und Intimität zu sorgen. Dies ist eines der Themen, das ich besonders herausstellen wollte; ein Flüchtling zu werden bedeutet nicht, nicht mehr als Individuum zu gelten oder dass die eigene, „ursprüngliche” menschliche Identität und Würde verloren geht.

Ich bin froh, dass ich sagen kann, dass diese Nachricht bisher bei allen ankam, die den Film gesehen haben. Nach jeder Aufführung kommen Leute auf mich zu und sagen „danke, dass Sie uns daran erinnert haben, dass diese Frauen genau so sind wie wir” und „danke, dass Sie uns geholfen haben die Flüchtlinge auf der Straße als Individuen mit einem eigenen Leben und einer eigenen Geschichte zu sehen und nicht nur als Bettler und Last.” Darauf bin ich schon ein wenig stolz.

Tragen Frauen und Kinder die größte Last in solchen Konfliktsituationen?

Ganz bestimmt. Frauen werden oft von der ganzen Härte von Verlust und Vertreibung getroffen, während sie sich zur gleichen Zeit unter schwierigsten Umständen um die Familie kümmern müssen. Viele Frauen finden sich plötzlich als Kopf des Haushaltes wieder – und das mit all der Verantwortung, die das impliziert. Manchmal wachsen sie sogar an dieser Herausforderung, aber es ist immer eine schwere Last. Dazu kommt, dass der Hauptteil der weiblichen Flüchtlinge aus Syrien aus wenig-gebildeten, ländlichen Gemeinschaften kommt. Das ist von Nachteil, wenn sie sich in einem fremden Umfeld bewegen müssen, ohne ihre Familie und Gemeinschaftsnetzwerke.

Auch die syrischen Kinder sind im Nachteil. Viele von ihnen haben eins, zwei oder sogar noch mehr Schuljahre verpasst. Sie wachsen in Armut und mit sehr eingeschränkten Ressourcen für Bildung und Spiel auf. Das wird ihre Entwicklung und ihre Zukunft zwangsläufig beeinflussen.

Die meisten syrischen Flüchtlinge fliehen innerhalb des Landes oder in die Nachbarländer. Was kann und müsste Europa Ihrer Meinung nach tun?

Wenn man mit “Europa”, die europäischen Bürger/innen meint, dann glaube ich, dass sie die Möglichkeit haben, Druck auf ihre Regierungen und ihre Repräsentanten auszuüben und für einen Wandel einzutreten. Sie können aktiv an Lösungsvorschlägen mitarbeiten oder Hilfsprogramme einfordern.

Eine weitere Option wäre, dass europäische Länder noch mehr Asylsuchende aus Syrien aufnehmen. Meiner Meinung nach ist es jedoch sehr kontrovers, Menschen zum Verlassen der eigenen Länder zu motivieren. Hier muss noch umfassender diskutiert werden. Jedoch sollte es eine Option für all diejenigen sein, die zu Hause alles verloren haben.

Das wichtigste ist jedoch, dass Europa nicht abstumpft, wenn es um den Konflikt in Syrien geht. Europa darf nicht müde werden! Die Europäer sollten weiterhin versuchen, ihre Mitmenschen in Syrien zu unterstützen. Der erste Schritt hierzu ist es, sich zu informieren und ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen.

 

 

Carol Mansour

Carol Mansour ist eine kanadisch-libanesische Regisseurin mit palästinensischen Wurzeln. Zu ihren Werken zählt neben „Not who we are“ unter anderem „Maid in Lebanon“, über die Arbeitsmigrantinnen im Libanon, „100 % Asphalt“ über Straßenkinder und der preisgekrönte Film „A Summer Not to Forget“.

Der Film „Not who we are" wird am 7. Oktober um 21 Uhr im Berliner Kino Arsenal im Beisein der Regisseurin gezeigt. Die Vorführung mit anschließender Diskussion ist Teil der Filmtage über Flucht und Migration, die die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Kino Arsenal vom 6. bis zum 9. Oktober veranstaltet (Programm-Flyer).