Die Überlieferung der Neuen Sozialen Bewegungen im Grünen Gedächtnis

Transparente bei den Anti-Atom-Protesten in Whyl (Auschnitt)
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Transparente bei den Anti-Atom-Protesten in Wyhl (Auschnitt)

Das Thema der archivischen Überlieferung der Neuen Sozialen Bewegungen im Archiv Grünes Gedächtnis ist auf den ersten Blick eine Frage des Sammlungsprofils und der Sammlungsstrategie des Archivs und wird, sofern es sich um soziale Bewegungen von überregionaler Bedeutung handelt, positiv beantwortet. Das Archiv Grünes Gedächtnis sieht hierbei seine Rolle nicht anders als die anderen Archive der Politischen Stiftungen, die nicht nur die ihnen jeweils nahestehende Partei als Organisation, sondern die Partei im weiteren Zusammenhang der politischen Grundströmung archivieren.

In diesem Sinne schließt das 2013 veröffentlichte gemeinsame Dokumentations- und Sammlungsprofil der politischen Stiftungsarchive
explizit die Archivierung eigenständiger Organisationen ein, die der jeweiligen politischen Grundströmung zuzurechnen sind. Damit sind nicht nur die in den Statuten der Partei verankerten Organisationen gemeint, sondern die breitere organisatorische Vielfalt, die eine politische Grundströmung ausmacht.

Was die Grünen betrifft, wären hier beispielhaft die Organisationen und Initiativen der Anti-Atom-Bewegung und der Friedensbewegung zu nennen, deren Unabhängigkeit nicht bestritten werden kann und die dennoch einen wesentlichen Teil der politischen Grundströmung der Grünen bilden. In der Theorie ließen sich also christliche und gewerkschaftliche Organisationen mit Initiativen der Neuen Sozialen Bewegungen vergleichen und die einen den christdemokratischen und sozialdemokratischen Grundströmungen zuordnen, die anderen der grünen Grundströmung.

In der Praxis gibt es allerdings keine entsprechende Strategie der Überlieferungsbildung der Neuen Sozialen Bewegungen, vielmehr bedarf es der kollektiven und solidarischen Anstrengung seitens der zahlreichen Bewegungsarchive und gewiss nicht einer bestimmten Archivstrategie eines Parteiarchivs. Es wird deshalb im Folgenden auch nicht um Fragen der Archivstrategie gehen.

In diesem Beitrag möchte ich die Archivierung der Neuen Sozialen Bewegungen, wie sie sich aus der Sicht des Grünen-Archivs stellt, von zwei Seiten betrachten. Zum einen werde ich danach fragen, unter welchen Umständen die im Grünen Gedächtnis aufbewahrten Bewegungsbestände ins Archiv gelangt sind, zum anderen interessiert mich ihre spezifische Qualität als Dokumente sozialer Bewegungen. Die erste Frage betrifft also die Provenienz, die zweite die Pertinenz der Bewegungsbestände im Archiv Grünes Gedächtnis.

Das Archiv Grünes Gedächtnis als Bewegungsarchiv

Ich möchte mit einem Blick auf die inzwischen mehr als 20-jährige Geschichte des Grünen Gedächtnisses beginnen. Das Archiv Grünes Gedächtnis ist sowohl das Archiv der Heinrich-Böll-Stiftung als auch das politische Archiv der Partei Bündnis 90/Die Grünen. In der Bundesrepublik Deutschland sind die politischen Stiftungen der Bundestagsparteien üblicherweise die Trägerinnen der Parteiarchive. Diese
Regelung bietet jenseits der finanziellen Sicherheit weitere Vorteile: Die Stiftungen garantieren die Unabhängigkeit der Archive. Die Nutzung der Archivalien wird nicht durch tagespolitische Haltungen beeinträchtigt.

Der Name des Archivs «Grünes Gedächtnis» geht auf eine Tagung im Jahr 1988 zurück, mit der das «Projekt Grünes Gedächtnis» angestoßen werden sollte. Ehe es jedoch zur intendierten Gründung eines Archivs der Grünen kam, trat am 2. Dezember 1990 der archivische Ernstfall ein. Die Grünen verloren bei der Bundestagswahl an diesem Tag ihre parlamentarische Repräsentation im Deutschen
Bundestag. In den folgenden Wochen wurden Akten und Sammlungen der aufgelösten Bundestagsfraktion gesichert und die Entscheidungen für den Aufbau eines Archivs getroffen. Als 1991 das erste Archivgebäude bezogen wurde, brachte die Bundespartei
auch die eigenen Altakten, soweit sie für das politische Tagesgeschäft nicht mehr benötigt wurden, in dieses Archiv ein. Aus den Referaten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Parteigeschäftsstelle und der Bundestagsfraktion kamen Foto- und Plakatsammlungen dazu. Bücher und Zeitschriften, Flyer, Wahlkampfobjekte und anderes mehr rundeten die Sammlungen des Archivs ab. 1992 übernahm die Stiftung die Trägerschaft.

Petra Kelly, die in ihrem Bonner Abgeordnetenbüro ein umfangreiches Archiv aufgebaut hatte und dieses nach der Wahlniederlage von 1990 eingelagert hatte, bereitete seine Übergabe an das Grüne Gedächtnis vor. Nach ihrem Tod 1992 kam es zusammen mit ihrem Nachlass als Petra-Kelly-Archiv in das Grüne Gedächtnis. Außer dem Archiv ihres Bundestagsbüros enthält das Petra-Kelly-Archiv Sondersammlungen zu Tibet und zu Krebserkrankungen bei Kindern. Ihr weltweites Engagement in der Friedens-, Ökologie- und Frauenbewegung seit den 1970 er Jahren, ihre Rolle als Sprecherin des Bundesvorstands der Grünen und des ersten Fraktionsvorstands
im Bundestag sind ebenso dokumentiert wie ihre zahlreichen Auslandsreisen, Reden und Korrespondenzen. Petra Kelly war immer mehr Protagonistin der Bewegung als der Partei.

Bündnis 90/Die Grünen war zurzeit der Bundestagswahl 1990 der Name des Wahlbündnisses aus Bürgerbewegungen und Grüner Partei in der früheren DDR. Dieses Wahlbündnis hatte anders als die Grünen aus der BRD die 5%-Hürde gemeistert und war mit acht Abgeordneten im Bundestag präsent. Einer ihrer zukunftweisenden Beschlüsse war, dass sie die im Westen entstandene Stiftungskonstruktion, und damit das Archiv, als ihre politische Stiftung anerkannten. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft bereits zwei Archive der Bürgerbewegungen unterhielt. Politisch machten sich die Bundestagsabgeordneten der Bürgerbewegungen – neben vielen anderen Fragen – mit Verve für eine grundlegende Aktualisierung des Grundgesetzes der alten Bundesrepublik als gemeinsamer Verfassung des wiedervereinten Deutschlands stark.

Außerparlamentarische Organisationen, mit denen sie dabei eng zusammenarbeiteten, waren u.a. das Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder und die «Initiative Demokratie entwickeln». Mit beiden Organisationen war vereinbart, dass sie ihre Arbeitsunterlagen im Anschluss an die Verfassungskampagne an das Grüne Gedächtnis abgeben würden. Damit war zu diesem frühen Zeitpunkt der erste Schritt auch zu einer Archivierung außerparlamentarischer Organisationen getan.

Das Jahr 1994 legte mit dem Wiedereinzug der inzwischen vereinigten Partei Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag die Grundlage für die weitere Existenz der Stiftung und des Archivs. Jetzt erst waren die materiellen Voraussetzungen gegeben, um sich über die langfristigen Ziele des Archivs zu verständigen. Den größten Archivierungsbedarf hatten inzwischen die Landesverbände in den alten Bundesländern. Innerhalb der nächsten Jahre haben die meisten Landesverbände und Landtagsfraktionen, aber auch die transnationale Fraktion im Europäischen Parlament ihre Altakten, soweit sie für die politische Arbeit nicht mehr gebraucht wurden, an das Archiv abgegeben.

Bei der Stiftungsreform 1996 /97 wurden die drei unter dem Dach des Stiftungsverbandes Regenbogen arbeitenden Einzelstiftungen zur neuen Heinrich-Böll-Stiftung verschmolzen. Die nicht mehr benötigten Akten der Altstiftungen wanderten ins Grüne Gedächtnis, das seitdem nicht nur formal, sondern auch inhaltlich ein Stiftungsarchiv ist. Historisch-materiell spiegeln die Stiftungsunterlagen die zivilgesellschaftliche Verankerung der Grünen in einer Weise wider, die sich von der der Partei und der Fraktion unterscheidet. Insbesondere verstand sich die Frauen-Anstiftung als Teil der westdeutschen Frauenbewegung. Das Archiv der Frauen-Anstiftung
ist Stiftungsarchiv und Archiv der Frauenbewegung in einem.

In den weiteren Erwerbungen wird dieser Doppelcharakter des Grünen Gedächtnisses noch deutlicher. Seit der Mitte der 1990er Jahre übernahm das Archiv Dokumentationen von Initiativen der Internationalen Solidaritätsbewegung, der Anti-Atom-Bewegung, der Frauenbewegung sowie von politikwissenschaftlichen Instituten, die die Entstehung der Grünen aus den Neuen Sozialen Bewegungen
erforscht und dokumentiert hatten. Dabei handelte es sich in allen Fällen um sogenannte Rettungsaktionen. Die Initiativen und Archive, deren Unterlagen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ins Grüne Gedächtnis gelangten, hatten ihre Tätigkeit inzwischen eingestellt.

Aber auch Initiativen, die weiterhin eine aktive Rolle spielen wollen, stehen nach einigen Jahren vor der Entscheidung, ob sie ein Archiv aufbauen oder die Zusammenarbeit mit einem bestehenden Archiv suchen sollen. Im Übrigen spricht aus der Sicht der historischen Überlieferung alles für die Trennung von operativem Tagesgeschäft und Archivfunktion. Aus dem Spektrum der Ökologie-, Frauen-, Friedens und Dritte-Welt-Bewegungen hat das Grüne Gedächtnis verschiedentlich derartige Anfragen von überregional tätigen Initiativen und Organisationen erhalten, die in einigen Fällen zu Vereinbarungen über die laufende Archivierung dieser Initiativen und Organisationen geführt haben. Dabei handelt es sich um das Netzwerk Friedenskooperative, das Netzwerk Friedenssteuer, die Grüne Liga – Netzwerk ökologischer Bewegungen, das in Hannover ansässige Ökologie-Institut Gruppe Ökologie und die Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

Schließlich trennten sich zahlreiche Bundestagsabgeordnete und andere Aktive von Aktenbergen, die sie nicht mehr zuhause aufbewahren wollten oder konnten. Die Zahl dieser Depositarbestände ist kontinuierlich gewachsen und beträgt inzwischen ca. 200. Soweit eine sehr geraffte Darstellung der Entwicklung des Archivs mit Berücksichtigung der Archivierung sozialer Bewegungen. Seit den Anfängen sind immer wieder Archive sozialer Bewegungen in das Grüne Gedächtnis gelangt. Und es sind diese Archive von Initiativen und Netzwerken, an die man meist zuerst denkt, wenn die Rede ist von Archivbeständen der sozialen Bewegungen im Archiv Grünes Gedächtnis. Tatsächlich sind es insgesamt lediglich ca. 20.

Offensichtlich spielen die Archive der sozialen Bewegungen in Relation zum Grünen Gedächtnis insgesamt weder hinsichtlich ihrer Anzahl noch hinsichtlich ihres Umfangs eine herausragende Rolle. Das Grüne Gedächtnis ist zuallererst ein Archiv der Grünen. Ferner beruhten
die konkreten Entscheidungen zur Archivierung von Unterlagen sozialer Bewegungen sehr viel weniger, als man meinen könnte oder unterstellt wird, auf einer strategischen Absicht, sondern auf der nicht zuletzt finanziellen Bereitschaft der Heinrich-Böll-Stiftung, in konkreten, nicht weiter beeinflussbaren Situationen Archive der sozialen Bewegungen für die Zukunft zu sichern. In sämtlichen Fällen war es so, dass am Anfang eine Anfrage an das Archiv stand, ob es interessiert und in der Lage wäre, das in Frage stehende Archiv aufzunehmen und zu sichern. In vielen einzelnen Fällen hat die Heinrich-Böll-Stiftung dann bei den Geldgebern zugunsten der betroffenen
Archive interveniert.

Wenn es eine politische Linie der Heinrich-Böll-Stiftung gab und gibt, dann ist es die Aufrechterhaltung der vielfältigen alternativen Archivlandschaft. Das beste Mittel für die historische Überlieferung der sozialen Bewegungen besteht in der Förderung der autonomen Archive der sozialen Bewegungen. Ihre Existenz und Arbeitsfähigkeit gilt es zu sichern und zu verbessern. In diesem Sinne hat es in der Vergangenheit immer wieder Kooperationsprojekte mit Archiven sozialer Bewegungen gegeben.

Die Grünen als Bewegungspartei

So wichtig und wertvoll uns die Bestände sozialer Bewegungen als Teil des Grünen Gedächtnisses sind, für die Bedeutung des Grünen Gedächtnisses als Archiv der sozialen Bewegungen sind sie nicht entscheidend. Anders ausgedrückt: das Grüne
Gedächtnis wäre auch ohne die speziellen Archive der sozialen Bewegungen ein Archiv der sozialen Bewegungen. Diese Formulierung ist nicht der Leidenschaft für paradoxe Formulierungen geschuldet, sondern will lediglich darauf hinweisen, dass das Grüne Gedächtnis ein hervorragender Ort ist, um die Geschichte des Bewegungsprotestes seit den 1970 er Jahren zu studieren.

Um das zu ermessen, reicht es aus, daran zu erinnern, wie die Grünen entstanden sind, was eigentlich die Inhalte grüner Politik sind und in welchen Formen Grüne Politik machen. Die Gründung der Grünen aus den sozialen Bewegungen, ihr frühes Selbstverständnis als Anti-Parteien-Partei, die Anerkennung der Erfolge der Grünen als Erfolge der sozialen Bewegungen widersprechen einer doktrinären Gegenüberstellung von grüner Partei und sozialen Bewegungen. Im Gegenteil, in den Grünen versammelten sich Menschen, die den Anliegen der Umwelt- und Friedensbewegung, der Frauen und der Internationalen Solidaritätsbewegung sowie anderer kleinerer Bewegungen dadurch Nachdruck verleihen wollten, dass sie den Protest in die Parlamente hineintrugen.

Die Politik der Grünen in den 1980er Jahren ist der Ausdruck der damaligen sozialen Bewegungen, auch wenn vielleicht nur eine Minderheit den Weg der Parlamentarisierung befürwortet hat. Aber auch die Kritiker der Parlamentarisierung haben versucht, in ihrem Sinne Einfluss auf den Kurs der Grünen zu nehmen und haben sich insofern in die Grünen eingebracht, wie umgekehrt die Grünen bestrebt waren, ihre Legitimität dadurch zu unterstreichen, dass sie die parlamentarische Arbeit als Sprachrohrfunktion der Bewegungen herausstrichen. Die politischen Inhalte der Grünen sind dieselben, die die sozialen Bewegungen, aus denen die Grünen hervorgegangen sind, vertreten haben. Die Grünen waren zu Beginn der 1980 er Jahre keine weitere politische Kraft neben den sozialen Bewegungen,
sondern sie waren eine politische Organisation der sozialen Bewegungen. Das gilt 1989 /1990 für das Verhältnis von Bürgerbewegungen der DDR und dem Wahlbündnis Bündnis 90 in entsprechender Weise.

Der Weg von den Protestbewegungen zur Parteigründung war keine Selbstverständlichkeit. Die Entstehung der Grünen ereignete sich in einem Kontext, der von einem starken Anti-Parteien-Impuls geprägt war. Die in Bürgerinitiativen organisierten Bürgerinnen und Bürger lehnten und lehnen ein Politikverständnis ab, wonach die einen, die Parteien, regieren und die anderen, die Masse, regiert werden.
Mehr Partizipation ist seit nunmehr einem halben Jahrhundert das Losungswort derer, die Demokratie in Deutschland «von unten» erneuern wollen. Die Forderung nach mehr Partizipation ist dabei nicht nur eine Stilfrage. Mehr Partizipation ist auf die Inklusion von neuen gesellschaftlichen Gruppen und von neuen politischen Themen in die öffentliche Debatte gerichtet. Kommunikation mit Initiativen und Debatten über die einzuschlagende Strategie sind der Modus Vivendi zwischen parlamentarischen grünen und außerparlamentarischen Initiativen, der sich tausendfach in den archivierten Unterlagen der Fraktionen und der beteiligten Politikerinnen und Politiker widerspiegelt.

Um nur ein einziges Beispiel anzuführen: Die verstorbene Landesvorsitzende der Berliner Grünen Barbara Oesterheld hat dem Archiv eine Sammlung von Unterlagen hinterlassen, die sich auf ihr langjähriges Engagement zugunsten eines Naturparks auf dem Gelände des sogenannten Gleisdreiecks bezieht. Beim Gleisdreieck handelt es sich um ein riesiges Areal aus aufgegebenen Gleisanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Berliner Stadtzentrum. Der schmale, zehn Signaturen umfassende Aktenbestand ist eine wertvolle Geschichtsquelle, die zeigt, wie sich im Kontext von Bürgerinitiativen parlamentarische und außerparlamentarische Funktionen gegenseitig bedingen und der gemeinsame Kampf am Ende erfolgreich sein kann. In diesem konkreten Fall ist der Austausch über die Ziele und Wege
derart transparent, dass es angemessen erscheint, die parlamentarischen Initiativen von Barbara Oesterheld als Teil desselben Bewegungsengagements zu begreifen, das die Arbeit der beteiligten Bürgerinitiativen geprägt hat.

Damit ist ein weiterer Punkt angesprochen, der für die Archivierung sozialer Bewegungen von größter Bedeutung ist. Das Rückgrat der sozialen Bewegungen der letzten 50 Jahre, insbesondere der Umwelt-, Frieden-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung, aber auch städtischer Protestbewegungen aller Art, ist die Mobilisierung über die massenhafte Gründung neuer lokaler Initiativen. Archivierung sozialer Bewegung geschieht durch Archivierung von einzelnen Initiativen und ihren Netzwerkstrukturen. Erstere haben häufig zwar Kontaktadressen, hinter denen sich Menschen, aber keine Büros verbergen. Solche Initiativen, bzw. das Engagement in solchen Initiativen, können fast immer nur im Rahmen von individuellen Nachlässen überliefert werden. Grüne – und nicht nur Grüne der ersten Stunde – haben, wenn sie sich um Parlamentsmandate auf Landes- und Bundesebene beworben haben, häufig auf ihr Engagement in den sozialen Bewegungen hingewiesen und hierin ihre Qualifikation für das Mandat gesehen. Deshalb ist die Hoffnung begründet, dass ihre Depositarbestände, wenn sie mehr enthalten als Unterlagen aus ihrem parlamentarischen Mandat, mehr oder weniger kräftige Spuren ihres Engagements in Bürgerinitiativen enthalten. Wenn es eine strategische Position des Grünen Gedächtnisses in Bezug auf die Archivierung sozialer Bewegungen gibt, dann ist es die Überzeugungsarbeit bei den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, dass ihr Engagement in den verschiedenen Initiativen und Bewegungen ein integraler Bestandteil grüner Geschichte ist.

Eine Besonderheit der politischen Bewegungen seit den 1970 er Jahren ist, dass sie mit vielfältigen Archivprojekten verbunden waren. Davon zeugt das Netzwerk der Freien Archive. Es gibt ca. 100 lokale und regionale Archive in Deutschland, die man der Szene der freien Archive zuordnen kann und die meistens einer Ausprägung der Neuen Sozialen Bewegungen – Anti-Atom-Bewegung, Alternativbewegung,
Friedensbewegung, Frauen- und Lesbenbewegung, Schwulenbewegung, Internationale Solidaritätsbewegung u.a.m. – besonders nahestehen. Archive der sozialen Bewegungen sind aber auch an Hochschulen und innerhalb grüner Strukturen entstanden.

Hierzu zwei Beispiele: Von den drei Anti-Atom-Archiven im Grünen Gedächtnis sind zwei ursprünglich grüne Archive, das dritte ein typisches Bewegungsarchiv. Von den grünen Archiven wurde das eine von der Bundestagsfraktion zwischen 1983 und 1990 aufgebaut und nach der Wahlniederlage von 1990 an die Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin abgegeben, von wo es vor fünf Jahren an das Grüne Gedächtnis kam. Das zweite Anti-Atom-Archiv wurde von der Fraktion im Umlandverband Frankfurt/Main gepflegt. Es reicht von Anfang der 1980er Jahre bis weit in die 1990er Jahre, während das dritte, das Anti-Atom-Archiv des Umweltzentrums Bielefeld, bis in die Mitte der 1970er Jahre zurückreicht.

Die drei Archive sind grundsätzlich ähnlich aufgebaut und ergänzen sich insofern. Sie bieten jeweils Informationen über einzelne Standorte, Störfälle und Techniken, Aktionen der Anti-Atom-Bewegung und alternative Energiekonzepte. Ähnliches gilt für die Archive der Internationalen Solidaritätsbewegung. Die Archivierung der Arbeit der Dritte-Welt-Gruppen war über die Koordination der Dritte-Welt-Gruppen abgesprochen. Bestimmte Gruppen waren für die Archivierung für einzelne Länder zuständig. Eine Neuordnung der Zuständigkeiten führte dazu, dass die Archive der Guatemala- und El Salvador-Infostellen an das Grüne Gedächtnis abgegeben wurden. Hier werden sie durch die Unterlagen der Fachreferenten der Bundestagsfraktion und die privaten Archive grüner Aktiver innerhalb der Internationalen Solidaritätsbewegung ergänzt. Im Übrigen bietet das Archiv des Internationalen Solidaritätsfonds, den die Grünen bei ihrem Einzug in den Bundestag aufgelegt haben, einen guten Überblick über die Aktivitäten der Solidaritätsbewegung in den 1980er Jahren.

Was bleibt als Fazit für die Archivierung sozialer Bewegungen? Es gilt, die Vielfalt der Bewegungsarchive zu bewahren und für jedes einzelne Archiv zu erkennen, wo seine Stärken liegen.