Ukraine erneuern - Reforminitiativen unter extremen Bedingungen

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Sergey Tkachenko (Ukrainisches Wählerkomitee), Oksana Nechyporenko (Reanimation Package of Reforms), Walter Kauffmann (Heinrich-Böll-Stiftung), Alexandra Litvinova (Journalistin)

Die militärischen Auseinandersetzungen in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk stehen nicht nur im Fokus der Berichterstattung über die Ukraine. Sie werfen natürlich auch ihren Schatten über die innen- und wirtschaftspolitische Reformagenda. Aber es herrscht kein Stillstand auf dieser "Baustelle", wie auf unserer Abendveranstaltung am 12. Juni 2014 deutlich wurde. Die zivilgesellschaftliche Initiative "Reanimation Package of Reforms" vereint mehr als 200 Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Energie der Maidan-Proteste für konstruktive Reformpolitik nutzbar zu machen.

In mehreren Arbeitsgruppen entwickeln sie Gesetzentwürfe zu verschiedenen Politikbereichen, von denen etliche bereits in der Verkhovna Rada, dem ukrainischen Parlament, behandelt und teilweise auch beschlossen wurden. Oksana Nechyporenko, eine der Koordinator/innen der Initiative, nennt Gesetze zur Lustration im Bereich des Justizwesens und zur Reform der Beschaffung im öffentlichen Sektor. Diese Initiativen verleihen der Reformpolitik zusätzliche Legitimität, denn das Parlament wurde nach dem Machtwechsel in Kiew noch nicht neu gewählt und widerspiegelt die politische Landschaft der Ukraine kaum.

Angesichts fehlender öffentlicher Sicherheit und unsicher Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs findet dagegen in Donezk derzeit keine Reformdiskussion statt. Sergey Tkachenko, Vorsitzender der Organisation Ukrainisches Wählerkomitee im Donezker Gebiet, sieht Umfragen aus der Zeit vor dem Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen aber als Indikator dafür, dass die Menschen in der Region weitgehend die gleichen Dinge als Problem wahrnehmen, wie im Rest des Landes: Korruption, wirtschaftliche und soziale Lage, Gerichts- und Polizeireform. Die mutmaßlich zwischen Ost- und Westukraine verschiedenen politischen Prioritäten wie z.B. die Sprachenfrage sei bei der Nennung der drängendsten Problemlagen erst auf Platz zwölf bzw. 14 gelandet. Die Substanz der gewünschten Reformen ist somit etwas, was die Menschen im Osten und Westen des Landes eher eint als trennt.

Diesen Eindruck bestätigt auch Alexandra Litvinova, russischstämmige Journalistin aus Odessa: Die Einteilung der Protestierer in pro-russisch bzw. separatistisch und pro-ukrainisch hält sie in Odessa für falsch. Es habe sich vielmehr insgesamt ein unerwartet starker Patriotismus gezeigt, ein Bestreben, für ein einheitliches und friedliches Land einzutreten, wobei die neue Regierung und auch die Euromaidan-Bewegung teilweise wenig Vertrauen genieße. Nach den mehr als 50 Todesopfern vom 2. Mai sei die Stadt noch immer fassungslos und im Schockzustand.

Alle drei Gäste unterstrichen die Schwierigkeit, neue politische Akteure zu gewinnen und zu etablieren. Das bislang von Wirtschaftsinteressen eng abgesteckte parteipolitische Feld genießt keinen guten Ruf. Junge politisch Interessierte haben kaum Zugänge zu Parteien. Es fehlt an Wissen, wie man sich politisch engagieren kann. Beispiele für Parteineugründungen, die nicht von einem finanzstarken Akteur gesteuert werden, gibt es kaum. Nur in Kiew hat es eine auf Crowdfunding beruhende Partei mit zwei Abgeordneten ins Stadtparlament geschafft.

Diese und viele weitere Antworten gibt der Mitschnitt der öffentlichen Podiumsdiskussion vom 12. Juni 2014 "Ukraine erneuern. Reforminitiativen unter extremen Bedingungen", gemeinsam organisiert von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Euromaidan Wache Berlin und der International Renaissance Foundation Kiew.

 

 

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