7. Um welche Regulierungsbereiche geht es genau?

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Protestgruppe in Maryland gegen Fracking-Vorhaben (März 2013)
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Protestgruppe in Maryland gegen Fracking-Vorhaben (März 2013)

Angestrebt wird von den TTIP-Verhandlungspartnern eine regulatorische Angleichung oder Harmonisierung - etwa bei Lebensmittel- oder Umweltstandards. Kritiker/innen befürchten, dass dann eine Angleichung auf dem jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner zu Lasten der Verbraucher herauskommen könnte.

Ein Grund für die starke Kritik an TTIP ist, dass die USA und die EU in vielen Bereichen unterschiedliche Regulierungsansätze haben. Angestrebt wird von den Verhandlungspartner/innen eine regulatorische Angleichung oder Harmonisierung. Wie diese konkret aussehen soll, ist bis jetzt nicht klar – es gibt dafür verschiedene Modelle. Kritiker/innen befürchten jedoch, dass eine Angleichung auf dem jeweils niedrigeren Niveau, das Ergebnis sein wird; Kritiker/innen von TTIP gehen davon aus, dass Länder versuchen, durch Absenkung von Umwelt- und anderen Schutzstandards unter Verweis auf das Freihandelsabkommen ihrer Wirtschaft Vorteile im internationalen Wettbewerb zu verschaffen. Allerdings äußert sich die EU-Kommission in Bezug auf solche Ängste: „Wir werden unser hohes Schutzniveau aufrechterhalten. In einigen Bereichen sorgen die Vorschriften der EU und der USA für einen ähnlich hohen Schutz und könnten kompatibel sein; in anderen werden wir das unterschiedliche Schutzniveau (PDF, S. 19) beibehalten.

Lebensmittelstandards

In den USA ist der Verkauf von Fleisch von hormon-behandelten Rindern oder von im Chlorbad desinfiziertem Geflügel erlaubt. Auch das Fleisch von geklonten Tieren oder von solchen, die mit gentechnisch verändertem Futter gezüchtet wurden, darf verkauft werden. Hingegen sind in der EU die Vermarktung von Chlorhühnchen sowie von Fleisch von geklonten Tieren oder hormon-behandelten Rindern verboten. Gentechnisch veränderte Futtermittel dürfen nur nach Genehmigung verkauft werden.

Allerdings hat die USA in einigen Bereichen auch strengere Standards als die EU: In den USA ist es beispielsweise verboten, zwischen den Bundestaaten Produkte aus Rohmilch und Rohmilcherzeugnisse zu handeln. Einzelne Bundesstaaten können aber den Verkauf von solchen Produkten innerhalb ihres Gebiets zulassen. Hintergrund ist, dass Bakterien, die in Rohmilchprodukten vorkommen können, zu Listeriose-Erkrankungen führen können; in deren Verlauf kann es z. B. zu Entzündungen im Hirn kommen.

Verboten sind in den USA weiterhin Lebensmittel mit einigen in Europa üblichen Stoffen wie z. B. Cumarin, einem Aromastoff. In den USA hatten schon in den 50er und 60er Jahren Tierversuche nahegelegt, dass Cumarin krebserregend ist. In Europa wird Cumarin beispielsweise als Duftstoff in der Parfümerie genutzt oder kommt in Zimtprodukten vor.

Die Klassiker der US-Verbote für Lebensmittel aus Europa ist das Kinder-Überraschungs-Ei. Wer – wissentlich oder unwissentlich – ein Überraschungs-Ei in die USA einführt, kann mit einem Bußgeld belangt werden. In den USA sind seit 1936 Süßwaren gesetzlich verboten, in die ein "nicht essbares Objekt eingeschlossen ist".

Neben solchen Details gibt es einen ganz grundlegenden Unterschied zwischen dem System der USA und dem der EU: In den Vereinigten Staaten darf verkauft werden, was nicht nachweisbar gefährlich für Mensch oder Umwelt ist. In der Europäischen Union basieren die Vorschriften für die Sicherheit von Nahrungsmitteln und anderen Produkten hingegen auf dem Vorsorgeprinzip. Das bedeutet: Verboten werden kann ein Produkt auch, wenn ein Risiko besteht, dass es schädlich ist – ohne dass dies wissenschaftlich bereits völlig geklärt sein muss. Zudem ist ein zentrales Prinzip des EU-Rechts, dass die EU ein hohes Schutzniveau bezüglich Umwelt und Gesundheit anstrebt. Grundsätzlich werden im EU-Recht meistens die Produzenten oder Importeure verpflichtet, den Beweis zu erbringen, dass ihr Produkt unbedenklich ist, bevor es vermarktet werden darf.

Importierte Produkte müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie europäische. Die USA bezweifeln teilweise, dass das europäische Recht, das auf diesen Grundsätzen beruht, mit den internationalen Spielregeln der WTO vereinbar ist. Die WTO-Regeln hat auch die EU akzeptiert. Beispielsweise haben die USA (sowie Kanada) die EU wegen des Verbots des Imports von hormon-behandeltem Fleisch vor der WTO verklagt – und gewonnen. Die WTO-Richter/innen begründeten dies u.a. damit, dass keine hinreichenden wissenschaftlichen Beweise für die Gesundheitsschädlichkeit des hormonbehandelten Fleischs vorlägen, die das Importverbot hätten rechtfertigen können.

Wegen der komplizierten Rechtslage und weil Nahrungsmittel ein politisch sensibler Bereich sind, gab es Vorschläge, den Agrar- und Nahrungsmittelbereich ganz aus den Verhandlungen zu TTIP heraus zu halten. Dagegen stemmte sich aber die US-Agrarlobby. Sie hofft, einen enormen Markt zu erschließen. Dan Mullaney, Verhandlungsführer für die USA, versucht die europäischen Vorbehalte gegen Genfood oder Klonfleisch zu zerstreuen. "Wir haben ebenfalls hohe Standards und wir werden garantieren, dass die hohen Standards in den Verhandlungen auch beibehalten werden", erklärte Mullaney (im Video ab Minute 2:15).

Umweltstandards

Auch bezüglich von Umweltstandards gibt es Unterschiede auf EU und US-Seite. Ein Beispiel ist das Chemikalienrecht: Die europäische Verordnung zur Registrierung, Bewertung Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (EG/1907/2006) – abgekürzt „REACH“ (PDF) – nimmt die Industrie in die Pflicht: Wer einen Stoff in den Verkehr bringen will, der muss ähnlich wie bei Lebensmitteln nachweisen, dass von diesem Stoff keine Gefahren für Mensch und Umwelt ausgeht. Außerdem schreibt REACH vor zu jedem Stoff ein Sicherheitsdatenblatt zu führen, das Benutzer/innen unter anderem über Zusammensetzung und Eigenschaften sowie die richtige Handhabung informiert.

In den USA bestimmt der Toxic Substances Control Act, das Chemikalienrecht: Danach kann die Umweltbehörde Tests von einem Hersteller verlangen, wenn es Anhaltspunkte für Risiken gibt. Unter Umständen kann die Behörde ein vorübergehendes Verbot aussprechen. Anders als in Europa können Hersteller beantragen, dass Informationen über Tests, Einsatzgebiete und Gefahren als "vertrauliche Geschäftsinformation" nicht veröffentlicht werden müssen.

Auch Nanomaterialien fallen in der EU unter das Chemikalienrecht REACH. Aus REACH und anderen EU-Rechtsakten ergibt sich teilweise eine Kennzeichnungspflicht für in Produkten verwendete Nanomaterialien. So müssen z. B. laut der Kosmetik-Verordnung der EU Nanomaterialien, die in Kosmetika verwendet werden, als Bestandteile des Produkts aufgeführt und mit "Nano" bezeichnet werden. In den USA gibt es keine entsprechende Kennzeichnungspflicht. Die europäischen Vorschriften sind deswegen aus Sicht der US-Hersteller/innen ein Handelshemmnis. Deshalb wird in den TTIP-Verhandlungen vorgeschlagen, einheitliche Vorschriften für Nanomaterialien in Europa und den USA zu entwickeln. Allerdings bevorzugen die amerikanischen Verhandler/innen die Empfehlungen des Internationalen Dachverbandes der chemischen Industrie, die von Kritiker/innen als "windelweich" bezeichnet werden. Die EU möchte deshalb auch eigene Definitionen zu Grunde legen.

Klimaschutz-Standards

Auch zum Thema Klimaschutz sind die EU und die USA nicht einer Meinung – das schlägt sich auch in den entsprechenden rechtlichen Regelungen nieder.

Kraftstoffe: Die EU-Kraftstoffqualitätsrichtlinie (2009/30/EG) schreibt vor, dass die Emissionen, die Kraftstoffe über ihren Lebenszyklus hinweg produzieren, bis Ende 2020 um 6 bis 10 Prozent pro Einheit gemindert werden müssen; die entsprechenden Emissionswerte sind in der Richtlinie festgelegt. In den Vereinigten Staaten wird Kraftstoff auch aus Teersanden gewonnen, ein energieintensives und damit auch extrem klimaschädigendes Verfahren. Produzent/innen von Öl aus Teersand waren daher alarmiert, als die EU überlegte einen spezifischen Emissionswert für Öl aus Teersand festzulegen, der die höheren Lebenszyklusemissionen von Kraftstoffen aus Teersand im Vergleich zu Kraftstoffen aus Öl aus konventionellen Quellen berücksichtigt hätte. Dagegen wandten sich Kanada und die USA, die Öl aus Teersand in die EU importieren. Ein höherer Emissionswert für Öl aus Teersand hätte entsprechende Kraftstoffe auf dem EU-Markt weniger wettbewerbsfähig gemacht, weil die Anbieter/innen, welche die Minderungsverpflichtung aus der EU-Richtlinie haben, einen Anreiz hätten, Kraftstoffe mit einem günstigeren Emissionswert zu nutzen. Letztlich enthält die EU-Gesetzgebung nun aber einen einheitlichen Wert für Öl aus konventionellen Quellen und Teersand. Dies wird teilweise zurückgeführt auf Lobbybemühungen (PDF) seitens der USA im Kontext der TTIP-Verhandlungen und Kanadas im Kontext der Verhandlungen zu dem Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen der EU und Kanada.

Fracking: Auch Schiefergas – in Tonsteinen gespeichertes Erdgas, dessen Förderung schwieriger ist als die von konventionellem Erdgas – ist ein Thema für die TTIP-Verhandlungen: In den USA sind die Erdgaspreise sehr stark gefallen, weil durch die Technologie des Hydraulic Fracturing – oder kurz: Fracking – nun jede Menge Schiefergas gefördert wird. Dieses Gas hat den US-Energiemarkt überschwemmt und die Preise gedrückt. Der Export von Gas bedarf aber einer Ausfuhrgenehmigung durch die US-Behörden. Diese für größere Kontingente zu bekommen, fällt potentiellen Exporteur/innen derzeit schwer. Damit entfällt auch die Möglichkeit, dieses Gas in der EU deutlich teurer als auf dem US-Markt zu verkaufen. Dank TTIP könnte diese Handelsschranke fallen; in der Tat möchte die EU in den TTIP-Verhandlungen eine Aufhebung der geltenden US-Exportbeschränkungen (PDF) für Erdgas erreichen (siehe auch Frage 8 „Was wird in TTIP verhandelt – einige Hauptthemen“).

Fracking ist eine sehr umstrittene Technologie. Mehrere unabhängige Gutachten kommen zu dem Schluss, dass die Fördermethode mit gesundheitlichen Risiken, z.B. durch verunreinigtes Grundwasser verbunden ist. Der Versuch, Fracking auf EU-Ebene zu regulieren, ist bisher gescheitert. Sowohl innerhalb der EU als auch in einigen Regionen der USA gibt es jeweils ein Moratorium auf Fracking. Zu den Ländern in der EU mit einem Moratorium gehören neben deutschen Bundesländern (wie z. B. Nordrhein-Westfalen) auch Tschechien oder die Niederlande. In Frankreich und Bulgarien ist Fracking gesetzlich verboten. Für US-Konzerne wie Chevron oder ExxonMobil ist dies ein Problem: ExxonMobil hat beispielsweise bereits etliches Geld in Probebohrungen zwischen Rhein und Ruhr investiert und möchte hier gerne fracken. Kritiker/innen befürchten, dass solche Konzerne auf Grundlage von Investitionsschutzklauseln in TTIP (siehe auch Frage 9 "Schutz von Investoren in TTIP – was ist geplant?") gegen Fracking-Verbote und Moratorien klagen könnten – wie z. B. in Kanada schon geschehen.

Luftverkehr: Größere Auseinandersetzungen zwischen der EU und den USA gab es in den letzten Jahren auch bezüglich der Einbeziehung des Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem der EU; die USA haben kein solches System. Die EU wollte alle Fluglinien, die in der EU starten oder landen, zum Kauf von Emissionszertifikaten verpflichten. Ziel: das Fliegen teurer machen und die Airlines zu mehr Klimaschutz zu bewegen. Auf Proteste von mehreren Ländern hin, darunter auch der USA, setzte die EU 2013 die umstrittene Regelung für internationale Flüge aus. Stattdessen soll nun durch Verhandlungen im Rahmen der International Civil Aviation Organization (ICAO) – unter Beteiligung von USA und EU – bis 2016 eine internationale Lösung gefunden werden.

Technische Standards

"Im Moment produzieren die Maschinenbauer so: einmal für Amerika und einmal für den Rest der Welt", sagt Ulrich Ackermann, Abteilungsleiter Außenwirtschaft des Branchenverbands der deutschen Maschinenbauer VDMA. "Das Ziel ist, dass wir auf diese Unterscheidung verzichten können." Ein weiteres Beispiel: In den USA beträgt die Netzspannung 120 Volt, in der EU 220 bis 230 Volt.

Bei technischen Standards geht es zum einen um die gegenseitige Anerkennung von existierenden Normen. Zum Beispiel sind die Sicherheitsanforderungen an Autos in den USA und der EU sehr unterschiedlich – egal ob es um Vorschriften zu Crash-Tests, Grenzwerte für Emissionen, die Beschaffenheit von Stoßstangen oder Anforderungen geht, die verhindern sollen, dass sich Passagiere den Kopf im Auto anschlagen. Es gibt also Unterschiede, die – ohne gemeinsame Standards – zu unterschiedlichen Zulassungsverfahren führen werden. Die gegenseitige Anerkennung solcher Standards hätte weitreichende Folgen – bis in Gerichtsverfahren hinein. Wenn ein Auto nämlich die geltenden technischen Standards nicht erfüllt, kann das Auswirkungen darauf haben, wer für einen Schaden bei einem Verkehrsunfall haftet.

Aktualisierte Version vom 24. Februar 2016.