Umfrage: Was ist die grüne Erzählung?

Welche ganz eigenen Geschichten haben die Grünen über sich selbst zu erzählen? Was ist die grüne Erzählung etwa von „Freiheit“, von „Gerechtigkeit“, oder von „ökologischer Transformation“? Wir haben uns unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses umgehört, um das herauszufinden.

Fotos: Stephan Röhl

 

Andreas Brandhorst – Referatsleiter im Bundesministerium für Gesundheit

"Bei der grünen Erzählung geht es sehr stark um die Ermöglichung von Selbstbestimmung. Das heißt, es geht gar nicht um eine festgefügte Art, die Welt zu sehen. Sondern es geht letztendlich darum, dass Menschen die Möglichkeit haben, Dinge selbstbestimmt zu tun – jedoch immer in Rücksichtnahme auf andere. Es ist diese ganz eigene Verbindung von Selbstbestimmung und Solidarität, die Grüne von anderen unterscheidet."

 

Lisa Herzog – Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung der Goethe-Universität Frankfurt

"Es gibt sicher viele grüne Erzählungen. Eine, die zu stärken sich lohnen würde, ist die der Bürgerrechtstradition. Elementare Freiheitsrechte müssen heute nicht nur vor dem Zugriff durch den Staat, sondern auch durch unregulierte Märkte geschützt werden."

 

Philipp Jung - Physikstudent

"Die grüne Erzählung hat für mich viel mit der Überlegung zu tun: Wie viel Staat möchte man haben und wo möchte man den Staat haben? Das ist für mich auch die Frage, wie der Staat die Lebensgestaltung des Einzelnen unterstützt. Dabei spielt der Begriff der Inklusion eine Rolle. Das heißt, dass man den Staat nicht als eine abgeschlossene Institution betrachtet, sondern dass man auf die Bürgerinnen und Bürger zugeht und versucht, sie zum Staat zu bringen. Das ist für mich etwas Urgrünes."

 

Antonia Schwarz – Dezernentin für Gesundheit im Bezirk Wilmersdorf / Bündnis 90/Die Grünen

"Die Grünen wurden schon in den achtziger Jahren geprägt von einem kritischen Verhältnis zum Sozialstaat, als einer Institution, die Menschen bevormundet. Deshalb spielt die Selbstbestimmung in der grünen Sozialpolitik eine große Rolle, die in einzelnen Projekten ausbuchstabiert wird. Zum Beispiel unterstützen wir alternative Wohnformen im Alter, die mehr als im Heim auf Selbstbestimmung achten. Das heißt, wir sehen bürgerliches Engagement als etwas an, das man subsidiär unterstützen sollte. Dieser Anspruch zeigt sich an ganz vielen Beispielen in unserem Programm, die im Wahlkampf nicht zentral nach oben gehoben worden sind. Das war vielleicht ein Fehler."

 

Andreas Baumer – Geschäftsführer der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg

"Die grüne Erzählung ist für mich eine Erzählung, die unterschiedliche Bausteine des Sozialen, der Ökologie und des Verhältnisses zum Staat in ein Narrativ verwebt, das dazu dienen könnte, Leute davon zu überzeugen, dass es sich bei den Grünen eben nicht um eine Single-Issue linksbürgerliche Milieupartei handelt. Sondern um eine Partei, die zukunftsfähige Antworten auf alle großen Herausforderungen einer modernen Gesellschaft bietet."

 

Iwona Mayr-Danisz – Stadträtin aus Wertheim

"Die grüne Erzählung ist für mich die Chance, Kontinuität in der grünen Partei herzustellen und die Kommunikation und Information dadurch zu erweitern."

 

 

 

Jürgen Suhr – Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Mecklenburg-Vorpommern

"Ich assoziiere die grüne Erzählung mit zweierlei Dingen: Das hat zum einen mit mir persönlich ganz viel zu tun, weil mir die grüne Erzählung die Möglichkeit geboten hat, dort politisch aktiv zu werden, wo ich mich inhaltlich aufgehoben fühle. Zum anderen hat die grüne Erzählung für mich auch etwas mit dem Begriff politischer Authentizität zu tun. Das heißt, politisch wichtige Dinge zu formulieren, in ein Programm einfließen zu lassen und darauf zu achten, dass in der Umsetzung nicht all zu viel auf der Strecke bleibt."

 

Anna Lena Düren – Neuropsychologie-Studentin / Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung

"Für mich ist die grüne Geschichte eine Erzählung der grünen Kernthemen, an der wir uns orientieren können. Bei Themen wie Atomkraft oder Energie ist diese Erzählung eindeutig, aber bei Themen wie zum Beispiel Freiheit, Soziales, oder Migration, da haben wir nicht so eine Geschichte. Diese Erzählungen zu klären wäre wichtig, damit man nicht andauernd überlegen muss, wo man eigentlich hin will."

 

Bastian Hermisson – Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Brüssel

"Die grüne Erzählung verbindet unterschiedlichste Begrifflichkeiten: Es geht dabei an erster Stelle um Nachhaltigkeit, das heißt, das Denken an zukünftige Generationen auf allen möglichen Ebenen. Es geht dabei um das gute Leben, um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Es geht dabei um Solidarität, also um einen Gemeinschaftssinn und gleichzeitig um die Freiheit des Individuums. Dieses Verhältnis von Gemeinschaft auf der einen Seite und Vielfalt und Individualität auf der anderen - das sind für mich die Kernbotschaften der grünen Erzählung."

 

Gesine Agena - Mitglied im Bundesvorstand und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen

"Im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit finden sich ganz viele Stränge der grünen Erzählung von Freiheit wieder. Die grüne Erzählung von Geschlechtergerechtigkeit ist meines Erachtens eine Erzählung von Gerechtigkeit und von Freiheit und wie wir durch unterschiedliche reformpolitische, aber auch insgesamt geschlechterpolitische Instrumente versuchen, möglichst viel Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu schaffen."

 

Jens Heidingsfelder – Umweltwissenschafts-Student / Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung

"Für mich gibt es nicht die grüne Erzählung im Sinne einer Geschichte mit einem Anfang und einem Ende. Viel passender wäre der Begriff „Tagebuch“ – ein grünes Tagebuch aus ganz vielen Geschichten. Mein persönliches grünes Tagebuch beginnt mit der Anti-Atomkraftbewegung, die mich zu den Grünen gebracht und meine Entscheidung beeinflusst hat, erneuerbare Energien zu studieren. Mein Tagebuch geht weiter mit den Grünen zusammen und ein Ende ist nicht in Sicht."

 

Dorothee Schulte-Basta – Referentin für Sozialpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung

"Meiner Meinung nach gibt es nicht die eine grüne Erzählung. Es gibt viele grüne Erzählungen. Das sind Erzählungen vom anders sein, das sind Erzählungen auch von denen, die eben nicht die oberen zehn Prozent sind und das sind Erzählungen davon, das Feuer weiter zu tragen anstatt die Asche zu konservieren."