I wie "Investitionsschutz" in TTIP

Vattenfall-AKW Krümmel
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Seit dem Beschluss zum Atomausstieg ist klar, dass Energiekonzerne ihre Atomkraftwerke in ansehbarer Zeit abschalten müssen. Der Energie-Konzern Vattenfall (auf dem Foto dessen AKW in Krümmel) möchte dafür entschädigt werden

Das "I" in TTIP steht für "investment" – also Investitionen. TTIP soll auch Regeln über den Schutz ausländischer Investitionen beinhalten. Häufig werden in Investitionsverträgen beispielsweise der Schutz der Investorengruppe vor Enteignungen oder das Recht auf eine "faire und gerechte Behandlung" ("fair and equitable treatment") vereinbart. Auf solche Regeln bezieht sich auch das Verhandlungsmandat der EU-Kommission für TTIP; der Modellvertrag der USA für Investitionsverhandlungen sieht ebenfalls entsprechende Regelungen vor. Die EU und die USA werden also voraussichtlich auch darüber verhandeln, ob und welche Regeln zum Investitionsschutz Bestandteil von TTIP werden. 

Daneben geht es aber in den TTIP-Verhandlungen auch darum, wie die vereinbarten Regeln gerichtlich durchgesetzt werden können – eine Regel, die nicht durchsetzbar ist, ist im Konfliktfall nicht viel wert. TTIP ist ein internationales Abkommen zwischen zwei Staaten bzw. im Falle der EU einer regionalen Organisation. Solche Abkommen richten sich in erster Linie an die beteiligten Staaten. Diese sind mit der Ratifizierung verpflichtet, sich gemäß dem Abkommen zu verhalten. Was aber, wenn eine der Parteien diesen Pflichten nicht nachkommt?

Internationale Schlichtungsmechanismen und juristische Schlupflöcher

Zunächst sehen internationale Verträge meistens Möglichkeiten vor, wie ein Vertragsstaat den anderen verklagen kann. In der Welthandelsorganisation (WTO) gibt es beispielsweise für diesen Zweck einen eigenen Streitschlichtungsmechanismus. Aber wie sieht es aus, wenn sich Einzelpersonen oder Unternehmen auf ein internationales Abkommen berufen wollen, weil sie der Meinung sind, dass ihre Rechte verletzt worden sind und nicht warten wollen, bis ihr Heimatland eventuell gegen den anderen Vertragsstaat klagt? Ein reales Beispiel ist der schwedische Energie-Konzern Vattenfall, der in Deutschland verschiedene Kraftwerke, darunter Atomkraftwerke betreibt. Deutschland hat inzwischen den Atomausstieg beschlossen, das heißt Vattenfall wird seine Atomkraftwerke in absehbarer Zeit stilllegen müssen. Der Konzern möchte nun dafür entschädigt werden.

Um die Rechtmäßigkeit eines staatlichen Akts gerichtlich überprüfen zu lassen, kann ein ausländischer Investor oder eine ausländische Investorin grundsätzlich vor ein nationales Gericht ziehen. Wenn ein/ ausländische/r Investor/in z. B. in Deutschland enteignet wird und mit der Höhe der gewährten Entschädigung nicht einverstanden ist, kann er die Enteignungsentscheidung vor einem deutschen Gericht anfechten. Allerdings bietet das nationale Recht nur bestimmte Möglichkeiten: so kann etwa im deutschen Recht ein Unternehmen nur indirekt überprüfen lassen, ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist. Deswegen ist fraglich, ob Vattenfall mit einer Klage gegen den deutschen Atomausstieg vor einem deutschen Gericht erfolgreich wäre. Direkt auf internationale Abkommen können sich Einzelpersonen oder Unternehmen vor nationalen Gerichten und auch vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nur in sehr begrenztem Maße berufen.

Viele internationale Investitionsschutzabkommen bieten deswegen Investoren und Investor/innen die Möglichkeit, ihren Gaststaat wegen der Verletzung des Abkommens direkt vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen. Als Begründung dafür lässt sich grundsätzlich anführen, dass nicht in allen Ländern der Welt ein effizientes, rechtsstaatliches Gerichtssystem existiert. Wo dies nicht der Fall ist, haben Investoren/innen keine Möglichkeit ein Verhalten des Gaststaates, das sie negativ beeinflusst, von einem neutralen Gericht überprüfen zu lassen. Solche mangelnde Rechtssicherheit kann mögliche Investitionen verhindern.

Wie funktionieren internationale Investitionsschutzverfahren?

Für internationale Investitionsschutzverfahren gibt es verschiedene Foren und Prozeduren. Das wichtigste ist das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) der Weltbank.

Über Klagen entscheiden nach ICSID-Regeln drei Schiedsleute, auf die sich entweder die Streitparteien einigen oder die sonst von ICSID ernannt werden. Es sind in der Regel Jurist/innen mit Expertise im internationalen Investitionsrecht. Insgesamt gibt es vergleichsweise wenige Personen, die immer wieder als Schiedsleute ernannt werden. Diejenigen, die in einem bestimmen Fall als Schiedsleute entscheiden, sind häufig auch die Anwält/innen der Investorenschaft in anderen Fällen. Sie haben also unter Umständen ein Interesse daran, streitige Investitionsschutzregeln möglichst investorenfreundlich auszulegen.

Die Verfahren und Entscheidungen sind häufig nicht öffentlich – anders als bei nationalen Gerichten. Zudem – auch das ist anders als in nationalen Rechtsystemen und teilweise auch bei anderen internationalen Gerichten wie der WTO-Streitschlichtung – gibt es keine Revisionsinstanz: Ein Staat, der unterliegt, kann die Entscheidung also nicht von einer weiteren, unabhängigen Instanz überprüfen lassen. Dies ist eine vielbeklagte Leerstelle im internationalen Investitionsschutzsystem.

Investor/innen klagen regelmäßig auf Schadensersatz. Natürlich ist nicht jede Klage erfolgreich. Nach Statistiken der UNCTAD gab es bis Ende 2012 insgesamt etwas mehr als 500 bekannte Schiedsgerichtsfälle, von denen ungefähr die Hälfte bereits zu Ende ist. Davon wurden ca. 40 Prozent zu Gunsten des Staates und 30 Prozent zu Gunsten der Investor/innen entschieden. In den übrigen Fällen kam es zu einer gütlichen Einigung.

Bei erfolgreichen Klagen sind allerdings unter Umständen die Schadensersatzzahlungen, zu denen ein Staat verurteilt wird, sehr hoch. Die höchste bekannt gewordene Summe in einem ICSID-Verfahren betrug 1,77 Mrd. US-Dollar, die der US Ölfirma Occidental Petroleum in einem Fall gegen Ecuador zugesprochen wurden. Auch hier besteht ein Unterschied zum nationalen Recht: Nationale Gerichte erklären nicht rechtmäßige staatliche Maßnahmen viel häufiger für ungültig als den Staat zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.

Warum werden internationale Investitionsschutzverfahren kritisiert?

Zivilgerichtliche Organisationen kritisieren Investitionsschutzverfahren schon lange scharf. Diese Kritik bezieht sich zum einen auf die Art und Weise, wie diese Verfahren geführt werden. Drei nicht-demokratisch gewählte Personen entscheiden in einem nicht-öffentlichen Verfahren über Maßnahmen demokratisch gewählter Regierungen. Die Investor/innen erhalten, sofern die Klage erfolgreich ist, eine erhebliche Summe an Schadensersatz, die sie nach nationalem Recht nicht bekommen hätten und die auch nationale Investor/innen in vergleichbaren Umständen nicht einklagen können.

Noch mehr Kritik gibt es aber an der möglichen negativen Wirkung von Investitionsschutzregeln auf nationalstaatliche Maßnahmen z. B. im Bereich Umwelt- oder Gesundheitsschutz. Einige in Investitionsschutzabkommen häufig enthaltene Regeln, welche die EU auch für TTIP vorgeschlagen hat, sind von den Schiedsgerichten breit ausgelegt worden. Dies hat in einigen Fällen dazu geführt, dass Staaten für Umweltschutzmaßnahmen oder neue gesetzliche Regelungen zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt wurden. Zu den besonders problematischen Normen gehören dazu Verbote "indirekter Enteignung" und die Verpflichtung zur "fairen und gerechten Behandlung" von Investor/innen. Das Fallrecht ist dabei nicht einheitlich – in einigen Fällen haben Schiedsgerichte auch einen weiten Spielraum von Staaten im Hinblick auf regulatorische Maßnahmen anerkannt.

Durch die uneinheitliche Rechtsprechung, die das Ergebnis vage und breit formulierter Investitionsschutzklauseln ist, besteht aber ein erhebliches Risiko für Staaten zu Schadensersatzzahlungen verurteilt zu werden. Dies kann dazu führen, dass Staaten weniger bereit z. B. sind stringente Umweltschutzauflagen zu formulieren.

Internationale Investitionsschutzverfahren – eine gute Wahl für TTIP?

Neben der EU und den USA setzen sich auch viele Unternehmensvertreter/innen dafür ein, dass Investor/innen in TTIP die Möglichkeit für direkte Klagen erhalten. Gute Argumente dafür gibt es allerdings kaum: Sowohl die USA als auch die EU und ihre Mitgliedstaaten sind rechtstaatlich verfasst und haben effiziente Gerichtssyteme, zu denen auch ausländische Investor/innen Zugang haben. Investitionen aus der EU bzw. den USA machen bereits jetzt die Hälfte der Auslandsinvestitionen in dem jeweils anderen Gebiet aus – auch ohne dass es bisher entsprechende Investitionsschutzregeln und -verfahren gab. Diese sind offensichtlich auch aus Sicht von Investor/innen nicht nötig.
Es spricht also viel gegen Regeln über Investitionsschutzverfahren in TTIP. Wenn sie vereinbart werden, dann aber jedenfalls so eindeutig und eng formuliert, dass damit nicht das Recht von Regierungen beschnitten wird, legitime Politikmaßnahmen zu ergreifen.  


Das Ecologic Institute Berlin hat in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung im Dezember 2013 die Studie "Investor-state dispute settlement under TTIP – A risk for enviromental regulation" (engl.) veröffentlicht.