Amal Elmohandes: "Eine soziale Epidemie“

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Amal Elmohandes

Vergewaltiger kommen in Ägypten oft ungestraft davon. Das verharmlose sexualisierte Gewalt, sagt Amal Elmohandes. Sie ist Mitglied der Aktivist/innen-Gruppe “Nazra for Feminist Studies” in Kairo und leistet unter anderem medizinische, rechtliche und psychologische Hilfe für Überlebende sexualisierter Gewalt in Ägypten. Trotz neuer Rechte in der überarbeiteten Verfassung sieht sie für Frauen schwere Zeiten bevorstehen.

 

Amal, hat sich die Hoffnung, dass mit den politischen und sozialen Umwälzungen der letzten Jahre ein Ende der sexuellen Belästigung in Ägypten einhergeht, realisiert?

Nein, täglich kommt es zu sexualisierten Angriffen und Vergewaltigungen in Ägypten. Vor einigen Monaten gab der berühmte Popstar Muhammad Mounir ein Konzert, bei dem Frauen von mehreren Männern vergewaltigt wurden. Ich persönlich kenne eine Frau, die letzten Monat von einer Gruppe Männern entführt wurde. Sie hielten sie in einem leeren Haus fest und vergewaltigten sie über einen Zeitraum von zehn Tagen. Auch an Festtagen kommt es regelmäßig zu sexualisierten Gruppenangriffen. Sexualisierte Gewalt in Ägypten ist eine soziale Epidemie.

Wie kommt es, dass regelmäßig Frauen auf dem Kairoer Tahrirplatz angegriffen wurden, nicht aber in Rabaa, dem mittlerweile aufgelösten Protestcamp der Anhänger Muhammad Mursis?

Wir haben auch in Rabaa von sexualisierten Angriffen gehört. Unter anderem waren viele Journalistinnen, die über den Protest dort berichteten, sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Leider wollten die Überlebenden damit nicht an die Öffentlichkeit gehen. Man muss ihren Wunsch nach Anonymität respektieren. Das ist uns bei Nazra sehr wichtig. Wenn Medien nach Telefonnummern von Überlebenden fragen, lehnen wir zum Beispiel generell ab.

Wie gehen die ägyptischen Medien mit dem Thema um?

Medien haben die Tendenz, über diese Verbrechen wie in einem Pornofilm zu berichten. Sie fetischisieren den sexuellen Aspekt, anstatt sich auf den kriminellen zu konzentrieren. Damit verharmlosen sie sexualisierte Gewalt.

Worin sehen sie die Ursachen sexualisierter Gewalt in Ägypten?

Erstens in der Tatsache, dass Sexualdelikte ungestraft bleiben. Das signalisiert den Männern: Ihr könnt Frauen belästigen, sexuell angreifen und sogar vergewaltigen und werdet nicht dafür bestraft. Zweitens kennt das ägyptische Strafrecht weder sexuelle Belästigung noch sexuelle Nötigung. Es definiert Vergewaltigung allein als Penetration der Vagina durch den Penis. Wenn Frauen anal, mit den Fingern oder scharfen Gegenständen vergewaltigt oder zum Oralsex gezwungen werden, dann ist das keine Vergewaltigung. Das wird dann 'unsittlicher Verstoß' genannt. Wir sehen hier eine sehr problematische Verbindung von Sexualverbrechen und der Keuschheit oder Jungfräulichkeit der Frau, was natürlich absolut lächerlich ist.

Wie beurteilen Sie die neue Verfassung, die im Januar per Referendum angenommen werden soll? Ein Fortschritt für die Frauen?

Durch die neue Verfassung bekommen Frauen eine 25-Prozent-Quote in den Lokalräten. Endlich können Frauen Staatsanwältinnen und Richterinnen am Obersten Strafgericht und im Staatsrat werden. Außerdem sieht das Dokument ein Wahlsystem vor, das die Wähler im Grunde genommen zwingt, Frauen zu wählen, da auf den Wahllisten Männer und Frauen vertreten sein werden. Das Problem an der neuen Verfassung ist aber die Militarisierung. Zivilpersonen können vor Militärgerichte gestellt werden. Das Budget des Militärs wird nicht veröffentlicht. Und der Verteidigungsminister, der früher vom Präsidenten ernannt wurde, soll nun vom Präsidenten und dem Nationalen Verteidigungsrat ernannt werden. Nicht mehr der Präsident, sondern der Verteidigungsminister wird künftig die Macht haben. Diese Militarisierung ist eine Katastrophe.

Aber auf die Frauenrechte hat die starke Rolle des Militärs keine Auswirkungen?

Überall auf der Welt ist Militarismus der Erzfeind der Feministinnen. In Ägypten findet aktuell eine heftige Unterdrückung von Aktivistinnen statt. Vor drei Wochen wurden 19 Frauenrechtlerinnen verhaftet, sexuell angegriffen und anschließend mitten in der Wüste ausgesetzt. Der öffentliche Raum wird aber nicht nur für Frauen dichtgemacht, sondern für die gesamte Opposition. Dazu kommt noch die wachsende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft – eine Entwicklung, die schon vor Mursi eingesetzt hat. Frauen haben Angst, auf die Straße zu gehen. Und ich denke, das wird noch schlimmer werden. Ich bin nicht sehr optimistisch.