Rentenpaket der großen Koalition: Mütter und Babyboomer gewinnen – Altersarmut wird zunehmen

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Senior/innen-Badminton in der Kleinstadt Runkst

„Jedes Alter zählt“ hieß der Demografiegipfel der letzten Bundesregierung im Mai 2013. Im Koalitionsvertrag vereinbarten CDU/CSU und SPD: Die derzeit vorhandenen finanziellen Reserven in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von rund 30 Mrd. € werden verteilt.

Steuererhöhungen zur Finanzierung von Investitionen in Bildung, in die ökologische Modernisierung und sozialen Wohltaten werden seitens der großen Koalition völlig ausgeschlossen. Allein die 3 – 4 Mrd. € der kalten Progression wird weiterhin „heimlich“ genutzt, um die höheren Steuereinnahmen aus der Einkommensteuer für die öffentliche Haushalte zu nutzen.

Rund 16 Mrd. € sollen allein alle Rentenversprechen kosten. Diese teuren sozialen Wohltaten können ohne Steuererhöhungen nur bei Annahme stetigen Wachstums des Bruttoinlandprodukts während der vierjährigen Legislaturperiode finanziert werden. Deshalb droht bei unvorhergesehenem Konjunktureinbruch Koalitionskrach und Steuer- und/oder Beitragserhöhungen stünden auf der Agenda. Der Fraktionsvorsitzende Kauder von der CDU/CSU Fraktion hat deshalb schon einmal vorsorglich alles unter Finanzierungsvorbehalt gestellt falls dieser Ernstfall eintritt.

Was in den Jahren nach 2020 mit den im Rahmen des demografischen Wandels dann höchstwahrscheinlich geringeren fiskalischen Möglichkeiten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung passiert interessiert die große Koalition in 2013 überhaupt nicht.

Bekannte Szenarien über steigende Rentenbeitragssätze angesichts des in wenigen Jahren einsetzenden Renteneintritts der Babyboomer-Generation schrecken niemanden von CDU/CSU und SPD. Wenn in Folge dieser großzügigen Wahlgeschenke das Rentenniveau im Verhältnis zum letzen Einkommen zeitlich noch früher als im Jahr 2030 von derzeit rund 50 Prozent in Richtung 43 Prozent weiter gekürzt werden muss, weil die Union weiter ansteigende Rentenversicherungsbeiträge bzw. steigende Lohnnebenkosten beschäftigungspolitisch nicht vertreten will, werden sich Horst Seehofer und Angela Merkel an die überwälzten Kosten zu Lasten künftiger Beitragszahler in die Rentenversicherung nicht mehr erinnern können. Sie werden auch nicht mehr in Amt und Würden sein. Helmut Kohl hat zur Finanzierung der deutschen Einheit vor mehr als 20 Jahren ein finanzpolitisch vergleichbares Manöver gemacht. Steuererhöhungen zu Lasten leistungsfähiger Schichten waren auch damals verpönt, der Griff in die Rentenkasse war damals und ist heute genauso finanzpolitisch unsolidarisch, dafür aber in der Union mehrheitsfähig. Die junge Generation wird die heutigen Rentengeschenke schultern müssen. Generationengerechtigkeit hat keine Lobby!

Jetzt nach der Bundestagswahl -im Gegensatz zum Diskurs auf dem Demografiegipfel der Bundesregierung im Mai 2013- „zählt nicht jedes Alter“ gleich! Jetzt werden wichtige und relativ große Wählergruppen der Generation 50 Plus kräftig belohnt.

Die Mütterrente

Im Rahmen des Rentenpakets bedient die CDU/CSU mit dem größten finanziellen Brocken  die Mütter. 6,7 Mrd. €/Jahr wird der eine Entgeltpunkt pro Kind für Mütter, deren Kinder vor dem Geburtsjahr 1992 geboren wurden, kosten. Die Rentnerin soll pro Kind im Westen 28,14 €, im Osten 25,74 €/Monat mehr Rente erhalten. Rund 9 Mio. Rentnerinnen werden sozialpolitisch davon profitieren. Damit wird jedoch noch keine Gleichstellung mit den Müttern, deren Kindern nach dem Geburtsjahr 1992 geboren wurden, erreicht. Sie bekommen drei Entgeltpunkte pro Kind im Rahmen ihrer Rentenberechnung gutgeschrieben. Drei Entgeltpunkte pro Kind für die Betreuung und Erziehung von Kindern sind sicher für die Lebensleistung der Mütter berechtigt, sonst gäbe es diese Regelung nicht bereits für Mütter mit Kindern ab dem Geburtsjahr 1992.

Allein die Umsetzung der Pläne zur Mütterrente wird nach Ansicht von Herbert Rische, Präsident der Rentenversicherung die Einspareffekte der Rente mit 67 hinfällig machen. Die Finanzierung der 6,7 Milliarden €/Jahr für die Mütterrente sollte deshalb durch Steuern zu Lasten aller Gesellschaftsmitglieder erfolgen und nicht allein zu Lasten der Beitragszahler gehen, die lediglich bis zur Beitragsbemessungsgrenze solidarisch in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Eine Erhöhung der Einkommensteuer und der Erbschaftsteuer jeweils nach der Leistungsfähigkeit der Bürger/innen und Bürger würde sozial gerechter wirken.

Rente mit 63

Seit Beginn des Jahres 2012 können langjährig Beschäftigte nach 45 Beitragsjahren mit Erreichen des 65. Lebensjahres ohne Abschläge in Rente gehen. Jetzt hat die große Koalition vereinbart, dass langjährig Beschäftigte, die 45 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung(einschließlich von Zeiten der Arbeitslosigkeit, geplant ist bis zu 5 Jahren) erbracht haben, ab dem 01.07.2014 mit dem vollendeten 63. Lebensjahr abschlagfrei in Rente gehen können. Die Union profilierte sich als „Bremser“ gegenüber der SPD und setzte durch, dass das Zugangsalter, mit der abschlagsfreie Rentenzugang möglich ist, schrittweise parallel zur Anhebung des allgemeinen Renteneintrittsalters (Rente mit 67) auf das vollendete 65. Lebensjahr angehoben wird. Dieses Rentengeschenk wird in erster Linie zu Gunsten des kontinuierlich arbeitenden männlichen Erwerbstätigen verteilt. Es wird die Beitragszahler in der Spitze 4,4 Mrd./Jahr kosten. Gewerkschaften wie die IG Metall werden diese Rentenleistung als politischen Erfolg feiern, weil die bei Ihnen organisierte Facharbeiterschaft davon in erster Linie profitieren wird.

Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind notwendig und überfällig

Erwerbsminderungsrenten erhalten Menschen aus gesundheitlichen Gründen. Erhielt ein erwerbsgeminderter Neurentner im Jahr 2001 im Schnitt 676 € monatlich, kam er 2012 nur noch auf 607 €. Inzwischen sind 12 Prozent der Rentner, die Erwerbsminderungsrente erhalten zusätzlich auf die Grundsicherung im Alter angewiesen. Bei „gewöhnlichen“ Altersrentnern sind es bisher nur 2,2 Prozent. Im Trend ist festzustellen: Immer häufiger beziehen Rentner/innen Renten unter Grundsicherungsniveau: Die Altersarmut nimmt zu.

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Ab Mitte 2014 sollen die Bezieher von Erwerbsminderungsrenten so gestellt werden, als hätten sie bis zum 62. Geburtstag Rentenbeiträge gezahlt und nicht, wie bisher, bis zu ihrem 60. Für ihre i.d.R. kleinen Renten bedeutet diese Reform im Schnitt ein Plus von 45 €/Monat. Diese Verbesserung nützt gezielt der Armutsbekämpfung und kostet langfristig 2 Mrd. € pro Jahr. In dieser Legislaturperiode aber jährlich nicht mehr als 500 Mio. €. Allein diese Maßnahme ist im Rentenpaket der großen Koalition politisch unumstritten, weil sie längst überfällig ist.

Einführung einer Solidarischen Lebensleistungsrente voraussichtlich bis 2017

Das ursprünglich vorgeschlagene Modell der Zuschussrente von Arbeitsministerin Frau von der Leyen, CDU und das Modell der Solidarrente aus dem Wahlprogramm der SPD mutieren zum Modell der Solidarischen Lebensleistungsrente.

Wer langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war, Beiträge gezahlt hat (40 Jahre, bis zu 5 Jahren Arbeitslosigkeit sollen anerkannt werden) und dennoch im Alter weniger als 30 Rentenentgeltpunkte für die Berechnung des Alterseinkommens erreicht hat, soll durch eine Aufwertung der erworbenen Rentenentgeltpunkte bessergestellt werden (im Westen entspricht dies 844 €, im Osten 756 €). Der Vorschlag soll vor allem Geringverdiener/innen zugutekommen und Menschen, die Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen haben. Während einer Übergangszeit bis 2023 (in dieser Zeit sollen 35 Beitragsjahre reichen) wird eine eigene Zusatzvorsorge nicht verlangt. Danach wird eine zusätzliche Altersvorsorge per Riester- oder Betriebsrente zur Voraussetzung der solidarischen Lebensleistungsrente gemacht.

Jene Menschen, die trotz Aufwertung nicht auf eine Rente von 30 Entgeltpunkten kommen, jedoch bedürftig sind, sollen einen Zuschlag bis zu einer Gesamtsumme von 30 Entgeltpunkten aus Steuermitteln erhalten. Es wird zu Beginn mit rd. 100.000 LeistungsempfängerInnen gerechnet. Bis 2030 sollen die Kosten dann auf 3,2 Mrd. € steigen.

Die sozialpolitische wichtige Frage ist: Kann mit diesem Vorhaben die Bekämpfung von Altersarmut wirklich gelingen?

Die „solidarische Lebensleistungsrente“ kann nur eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten erreichen, andere Gruppen fallen durch die aufgetürmten Voraussetzungen. Erwerbstätige, insbesondere häufig Frauen mit diskontinuierlichen Erwerbsverläufen, Minijobber, Frauen mit längeren Kindererziehungszeiten werden 35 bzw. später 40 Beitragsjahre nicht zusammenbekommen, um eine Lebensleistungsrente oberhalb der Grundsicherung zu erhalten. Viele Geringverdienerinnen haben keine Riesterrente und auch keinen Betriebsrentenanspruch. Soloselbständige werden als Risikogruppe für das Auftreten verstärkter Altersarmut völlig außer Acht gelassen. Auch ostdeutsche Männer mit diskontinuierlichen Erwerbsverläufen in den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands werden verstärkt von Altersarmut erfasst.

Die OECD beklagte im November 2013 zu Recht: „Deutschland vernachlässigt arme Rentner.“

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Vorschlag der Demografie-Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung zur Armutsbekämpfung

Die gesetzliche Rentenversicherung soll als wichtigste Säule zur Altersvorsorge gestärkt werden. Empfohlen wird die schrittweise Einbeziehung von derzeit nicht rentenversicherungspflichtigen Personengruppen, vor allem der Selbständigen. In weiteren Schritten ist die Ausdehnung der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auf Beamte bzw. alle neu eingestellten Beschäftigten im öffentlichen Dienst und weitere Gruppen wie z.B. Abgeordnete anzustreben. Zur Akzeptanzsicherung der GRV und Verringerung des Armutsrisikos müssen sich die während des Arbeitslebens entrichteten freiwilligen und Pflichtbeiträge auf die Höhe des Alterseinkommens auswirken (Äquivalenzprinzip).

Auch in den Fällen, in denen Altersrenten durch Leistungen der Grundsicherung im Alter ergänzt werden, müssen die geleisteten Beiträge zumindest einen proportionalen Ausdruck in der Höhe des Alterseinkommens finden. Das Modell der „solidarischen Lebensleistungsrente“ der großen Koalition wird diesem Erfordernis nicht gerecht, weil sie Mindestzeiten der Versicherung oder lange Beitragsleistungen voraussetzen, und die Eigenbeiträge in der Regel unberücksichtigt lassen. Davon hebt sich vorteilhaft das Modell Rentenzuschuss des Sozialverbands Deutschland (SoVD) und der Gewerkschaft ver.di ab. Nach dem SoVD/ver.di-Modell erhöht sich die Grundsicherung im Alter um einen degressiven Teilbetrag der erworbenen Rentenansprüche (aus der gesetzlichen Rentenversicherung, privater oder betrieblicher Altersvorsorge). Gemäß einer Beispielsrechnung von SoVD und ver.di würden die ersten 100 Euro der eigenen Rente ungekürzt, Beträge zwischen 100 und 200 Euro zur Hälfte und Beträge zwischen 200 und 300 Euro zu 25 Prozent über die Grundsicherungsleistung hinaus gezahlt. Alle, die eigene Rentenansprüche von mindestens 300 Euro besitzen, kämen danach auf einen Gesamtbezug von 855 Euro/Monat.

Dieses Modell würde nicht nur langjährig Versicherten mit unzureichenden Entgeltpunkten gerecht, sondern es gewährte auch Personen mit Versicherungszeiten zwischen fünf und 35 Jahren ein Mindestmaß von Beitragsäquivalenz. Das Fallbeil was im Rahmen der solidarischen Lebensleistungsrente bei weniger als 35 bzw. später bei 40 Jahren droht, entfällt bei 5 Beitragsjahren so gut wie ganz. Gleichzeitig würde die geleistete Eigenvorsorge erkennbar belohnt und der Anreiz zur sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit bleibt gewahrt. Die Bedürftigkeitsprüfung soll in den Grundsicherungsämtern der Kommunen bleiben und nicht wie im Modell der großen Koalition vorgesehen auf die Bürokratie der gesetzlichen Rentenversicherung zukommen. Was diese überfordert. Der vorgeschlagene Rentenzuschuss zur Grundsicherung im Alter soll aus Steuermitteln aufgebracht werden. Er würde alle von Altersarmut betroffenen gesellschaftlichen Gruppen erreichen. Die Beantragung der Grundsicherung im Alter in der Kommune muss für die Bürgerinnen und Bürger so selbstverständlich werden wie die Beantragung der gewöhnlichen Rente bei der Rentenversicherung (vgl. die Handlungsempfehlungen der Demografie-Kommission)

Fazit

Die große Koalition bedient mit ihrem Rentenpaket in erster Linie die ältere Generation. Die Erwerbstätigen der jüngeren Generationen bekommt die langfristigen Folgekosten dieser Rentenerhöhungen aufgebürdet. Wenn in den Jahren nach 2020 das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern im Rahmen des demografischen Wandels verstärkt ungünstiger wird, werden Beitragserhöhungen und/oder Leistungskürzungen drohen. Die Reform der Altersvorsorge der Beamten hat die große Koalition völlig ausgeklammert und tabuisiert. Dabei erhalten Pensionäre systemisch bedingt grundsätzlich viel höhere Alterseinkünfte als Rentnerinnen. Solange die Bemessungsgrundlage für die Berechnung von Pensionen nach der jeweils letzten Besoldungsstufe erfolgt im Gegensatz zur Bemessungsgrundlage der Renten nach Entgeltpunkten entsprechend den sozialversicherungspflichten Bruttoeinkommen über alle Jahre der beruflichen Erwerbstätigkeit ist keine Gerechtigkeit zwischen den zwei Systemen der  Alterseinkünfte heergestellt. (vgl. Grafik) Die Parteien in der Großen Koalition haben ihre Geschenke an die Rentner/innen nicht vorrangig zur zielgerichteten Armutsbekämpfung eingesetzt sondern je nach Klientel die Gießkanne benutzt.

Falls die „solidarische Lebensleistungsrente“ im vierten Jahr der Legislaturperiode (2017) aus Steuermitteln plötzlich für nicht finanzierbar erklärt wird, z.B. angesichts eines abgeschwächten Konjunkturverlaufs, dann würde die Armutsbekämpfung völlig auf der Strecke bleiben.

Dabei muss die Bekämpfung der sich abzeichnenden zunehmenden Altersarmut politischen Vorrang bekommen. Generationengerechtigkeit ist in einer verstärkt sozial polarisierten Gesellschaft kein Selbstläufer.