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Polen: Keine Rechte für die LGBT-Community

Lesedauer: 5 Minuten

Obgleich europaweit und in der ganzen Welt ein Land nach dem anderen gleichgeschlechtliche Beziehungen den heterosexuellen Ehebeziehungen gleichstellt, ist Polen ein Land, in dem Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender nach wie vor wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Seit über 15 Jahren engagieren sich Nichtregierungsorganisationen und neuerdings auch informelle Gruppen von landesweiter und regionaler Bedeutung für die LGBT-Community. Sie leisten nicht nur psychologische Hilfe, sondern unterstützen die Homo-, Bi- und Transsexuellen in gesellschaftlichen und rechtlichen Belangen.

Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften? Nicht in Polen

Dank der Bemühungen der Aktivist_innen, aber auch mit der Hilfe eines bekennenden schwulen Abgeordneten und einer polnischen Parlamentsabgeordneten mit transsexuellem Hintergrund, gelangten Gesetzesentwürfe über eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in den Sejm. Leider wurden diese Gesetzesentwürfe mit den Stimmen der konservativen homophoben Mehrheit im Sejm abgelehnt – unter dem Vorwand, sie seien verfassungswidrig. Gleichzeitig hat die Regierungspartei einen Entwurf des zivilrechtlichen Vertrags über Partnerschaften vorbereitet, in dem das Wichtigste fehlt: die Form der Partnerschaft. Der Entwurf reduziert die Beziehung zwischen zwei Menschen auf einen zivilrechtlichen Vertrag. Diese Lösung verletzt die Ehre der Bürger und ist für die Betroffenen ganz und gar inakzeptabel.

Transgender Menschen sind rechtlos

Auch die Situation von Transgender sieht nicht besser aus. Zur Zeit sind sie völlig rechtlos. Darum ist es nun besonders dringlich, das wurde im politischen Diskurs der letzten Jahre immer deutlicher, die rechtliche Lage für Transgender zu regeln. Die Notwendigkeit, rechtliche Lösungen für die Situation von Transsexuellen einzuführen, die eine gesetzliche und biologische Geschlechtsumwandlung anstreben, wurde dank der Stiftung Trans-Fuzja in die Debatte eingebracht. Gemeinsam mit Trans-Fuzja haben wir einen Gesetzentwurf zur Geschlechtsbestimmung vorbereitet. Dieser wartet nun darauf, zur ersten Lesung ins Parlament zu kommen.

Die Beauftragte für Bürgerrechte, Frau Prof. Irena Lipowicz, hatte sich mit einem Appell an den Justizminister gewandt, eine Gesetzesinitiative zur rechtlichen Regelung der Geschlechtsumwandlung zu starten. Nun wird an einem alternativen „Transgender-Gesetzentwurf“ gearbeitet. Nach unseren Informationen hat der Vorschlag äußerst konservativen Charakter und widerspricht den Bedürfnissen von Transgender. Darum ist es wichtig, dass der Gesetzentwurf oder die von der Regierung vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen gemeinsam mit einer Expertengruppe vorbereitet werden, die sich für Transgender einsetzt und deren Bedürfnisse berücksichtigt.

Polnische Gesetzgebung ist weit entfernt von europäischen Standards

Wir wissen, dass die Gesetzgebung die gesellschaftliche Ordnung eines jeden Landes beeinflusst, dass eine Minderheit von der Mehrheit einer gesellschaftlichen Gruppe beurteilt wird. So verlor in Polen – unmittelbar nach dem Marsch für Gleichheit in Krakau im vergangenen Jahr – einer der Teilnehmer seine Arbeit. Der Grund war lediglich die Teilnahme des jungen Mannes an diesem Ereignis und die Tatsache, dass der Arbeitgeber davon erfahren hatte. Entspräche die polnische Gesetzgebung europäischen Standards, käme es nicht mehr oder zumindest deutlich seltener zu solchen Vorfällen.



Leider schützt das polnische Strafgesetzbuch nach wie vor nicht vor Straftaten und Hassreden gegen die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität anderer, obwohl Organisationen, die sich für die LGBT-Gemeinschaft einsetzen, mehrmals einen Änderungsentwurf im Strafgesetzbuch einreichten. Dabei ging es darum, die Voraussetzungen für den Schutz um weitere, gesetzlich geschützte Merkmale zu erweitern, darunter die sexuelle Identität und sexuelle Orientierung. Leider wartet dieser Entwurf bis heute vergeblich auf seine Untersuchung im Sejm.

Kirche und Politik: eine unheilige Allianz gegen Toleranz

Die gesellschaftliche und rechtliche Lage der LGBT-Personen wird von der dominanten Rolle der katholischen Kirche im Land erschwert, die mit viel Kraft und Energie die Homosexualität verurteilt, gegen das Gleichbehandlungsgesetz zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität sowie gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz mobil macht.



Dazu nehmen homophobe Haltungen und Aussagen von Abgeordneten zu: sowohl von politisch rechten Gruppierungen, als auch von Vertretern der linken Gruppen. Die Parlamentarier/innen sehen und verstehen die Probleme der LGBT-Community nicht, und - was noch schlimmer ist - sie verwenden gegenüber Schwulen, Lesben und Trans-Menschen eine abfällige, voreingenommene Sprache.



Nach einer 2012 durchgeführten Befragung der Kampagne gegen Homophobie, des Verbandes Lambada und der Stiftung Trans-Fuzja, fühlen sich junge polnische Schwule, Lesben, Bi- und Transgender sehr einsam und denken öfter als ihre heterosexuellen Mitmenschen an Selbstmord. Jede_r vierte Schüler_in sieht sich in der Schule homophober Gewalt ausgesetzt. Achtzig Prozent werden wegen ihrer sexuellen Orientierung beschimpft. In der Gruppe der LGBT wird der höchste Prozentsatz an Selbstmorden registriert. Sehr oft sind diese Menschen xenophoben Diskriminierungen und kriminellen Übergriffen ausgesetzt.



Wir können eine derartige Behandlung einer Minderheit nicht tolerieren. Es geht um die Achtung der Menschenrechte, die Beachtung der Gesetze sowie deren Verbesserung und um die richtige Politik, damit die Gleichheit aller Bürger Wirklichkeit wird. Denn wir – Aktivisten, die sich für Menschenrechte einsetzen – fordern vor allem Gleichheit, nicht mehr und nicht weniger.


Übersetzt aus dem Polnischen von Renata Gulde.

Dieser Text entstand als Ergebnis der Veranstaltung „Europäische Familie: Gleichstellungspolitiken für Familie und Ehe bei uns und unseren Nachbarn“ in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. In diesem Rahmen diskutierten am 10. Juni 2013 der deutsche Abgeordnete Volker Beck, die polnische Abgeordnete Anna Grodzka und die französische Anwältin Caroline Mécary.