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14. Außenpolitische Jahrestagung: Eröffnungsrede von Ralf Fücks

Lesedauer: 7 Minuten

Wie schon in den letzten Jahren, haben wir auch heute wieder ein sehr interessantes Publikum versammelt: Mitglieder diplomatischer Vertretungen, wiss. Institute, Stiftungen und Nichtregierungs­organisationen, der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums. Nicht zuletzt begrüße ich die Vertreter der Medien – und alle, die als interessierte Bürgerinnen und Bürger hierher gekommen sind.

Lassen Sie mich gleich zu Anfang betonen, wie sehr wir bedauern, dass Repräsentanten der Führungsspitze der Bundeswehr ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt haben – auch wenn die Bundeswehr kein politisches Mandat hat, sollte sie die öffentliche Diskussion über Grundfragen von Krieg und Frieden nicht scheuen.

Gestern hat Präsident Obama vor dem Brandenburger Tor in seiner Rede die Zukunft der transatlantischen Beziehungen skizziert. Auf die Kritik an den amerikanischen Drohneneinsätzen in Pakistan und in Afrika ist er nur en passant eingegangen. Seine Position dazu ist aber kein Geheimnis. Er hat sie erst kürzlich in einer Grundsatzrede zur amerikanischen Sicherheits- und Militärpolitik dargelegt und angekündigt, die Kriterien für den Einsatz von Kampfdrohnen künftig enger zu fassen. Allerdings hat er das aus einer rein nationalen Perspektive heraus getan.

Aus unserer Sicht gehört dieses Thema in die NATO: wir brauchen einen transatlantischen Dialog mit dem Ziel, gemeinsame Prinzipien zum Einsatz dieser neuen Generation von Distanzwaffen zu entwickeln. Diese Forderung kommt auch aus den USA, von Denkfabriken wie Brookings: „It‘s  time for a transatlantic accord on drones, it is time for new rules of war.“ Wir freuen uns deshalb, dass mehrere Referenten und Referentinnen aus den USA an unserer Diskussion teilnehmen.

Zu Beginn der Konferenz wollen wir den Stand der Entwicklung aufarbeiten und fragen, welches Potential in den neuen Technologien steckt: worüber reden wir eigentlich, wenn wir von Drohnen, Kampfrobotern und Cyberwar sprechen?

„Die Zukunft ist schon da“ hat Peter W. Singer seinen Beitrag überschrieben, der in einem informativen Heft der „Internationalen Politik“ erschienen ist. Sie finden den Text auch auf unserer Website www.boell.de. Wir freuen  uns, dass er seine Thesen gleich live darlegen wird.  Ein paar Fakten und Bemerkungen vorweg:

  • Bereits 87 Staaten verfügen heute über „Unmanned Aerial Systems“ = Drohnen. Davon besitzen 26 größere Systeme, die bereits bewaffnet sind oder bewaffnet werden können.
  • Man spricht von einer „Revolution in Military Affairs“, von einer neuen Epoche der Kriegführung, vergleichbar nur mit der Erfindung der Feuerwaffen, der Mechanisierung des Krieges oder dem Aufkommen der Luftwaffe. Schon immer gingen revolutionäre technische Erfindungen und neue Formen der Kriegführung Hand in Hand, vielfach ist das Militär sogar die treibende Kraft bei der Entwicklung neuer Techniken.
  • Wir verzeichnen einen weltweiten Trend zur Digitalisierung des Krieges: unbemannte Waffensysteme, automatisierte Fernüberwachung, Attacken auf die Computersysteme anderer Staaten. Besonderes Unbehagen ruft der Trend zur Automatisierung von Entscheidungsprozessen hervor: treffen Menschen die Entscheidung über das Auslösen von Kampfhandlungen oder werden diese Entscheidungen zunehmend an Computer delegiert? Welche Eskalationsdynamik birgt diese Entwicklung? 
    Sind Drohnen einmal bewaffnet, forciert das die Logik der Automatisierung des Krieges. Bald wird die Reaktionsgeschwindigkeit, mit der Menschen eine Bedrohungssituation erfassen, nicht mehr gegen einen mit Computergeschwindigkeit agierenden autonomen Kampfroboterschwarm ausreichen. Das schiere Volumen an Daten, die von Drohnen übermittelt werden, übersteigt heute schon die Fähigkeit von Menschen, sie zu verarbeiten. Im Jahr 2009 war die amerikanische Drohnenflotte 25.000 Stunden im Einsatz. 2011 waren es bereits rund 300 000 Stunden. Gleichzeitig wurden Kameras und Sensoren immer weiter perfektioniert. Damit steigt die Informationsmenge exponentiell. Ihre Auswertung kann nur noch von Computersystemen bewältigt werden. 
    Die Debatte um die Bewaffnung von Robotern, um Nutzen und Grenzen von maschineller Autonomie und ihre ethischen Implikationen muss geführt werden, bevor diese vermeintlichen Sachzwänge die Grundfesten moralischen Handelns erodieren.
  • Es gibt guten Grund zur Sorge, dass diese Trends destabilisierende Wirkung auf die internationale Ordnung haben. Zwar soll die Fehlerrate bei Einsätzen unbemannter Waffensysteme nicht höher als bei konventionellen Waffen sein. Die Gefahr ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass unbemannte Waffensysteme die Schwelle zum Einsatz militärischer Gewalt senken. Es ist durchaus legitim, in bewaffneten Konflikten die Gefahren für die eigenen Soldaten senken zu wollen. Auch ist die Kriegführung über weite Distanzen keine neue Entwicklung. Sie bewegt sich auf einer langen Linie von der Artillerie bis zur Raketentechnik.  Moralisch lässt sich schwerlich ein Unterschied ausmachen zwischen hoch fliegenden Bombern, die ihre tödliche Fracht auf ganze Städte niederregnen lassen, und unbemannten Drohnen, die sich ihre Ziele selbst suchen. Die Frage ist, wie weit diese neuen Waffensysteme die Militarisierung von Konflikten befördern. 
  • Das gilt allzumal in einer Welt, die zunehmend von asymmetrischen Konflikten gekennzeichnet ist, in denen nicht Staaten gegen Staaten aufmarschieren, sondern nichtstaatliche Akteure als Kriegspartei auftreten. Die rasante Entwicklung der Computertechnik und bei der Miniaturisierung von Bauteilen führt dazu, dass Fernlenkwaffen immer billiger werden. Das Problem der Proliferation liegt auf der Hand. Das gilt erst recht für den Cyberwar: Um eine verheerende Attacke auf die Computersysteme eines Landes zu starten, braucht es zwar viel Know How, aber wenig Geld. 
     

Völkerrecht und Rüstungskontrolle

Wir wollen mit unserer Jahrestagung auch größere Klarheit bei der völkerrechtlichen Einordnung der neuen High-Tech-Waffen finden, insbesondere mit Blick auf den Einsatz von Kampfdrohnen und Computerattacken. Bisher scheint noch völlig ungeklärt, wann im virtuellen Raum, dem Cyberspace,  ein Angriff vorliegt. Und wie steht es völkerrechtlich um die amerikanische Doktrin, sich bei einem Cyber-Angriff einen Gegenangriff mit konventionellen Mitteln vorzubehalten? Müssen automatisierte Waffensysteme, die sich ihre Ziele selbst suchen, nicht unbedingt mit menschlicher Verantwortung rückgekoppelt werden? Wer ist im Zweifel rechtlich zu belangen, wenn Drohnen oder Kampfroboter ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichten?

Manche Beobachter vertreten die These, der Cyberspace sei bereits der entscheidende Raum, in dem militärische, politische und wirtschaftliche Konflikte ausgetragen werden. Hier verschwimmen Industrie- und Rüstungsspionage mit Angriffen auf die technologische Infrastruktur. Zwischen China und den USA ist das bereits ein ernstes Thema, aber auch die Virenattacken auf das iranische Atomprogramm gehören in dieses Kapitel.

Eine Besonderheit des Cyberwar ist das Problem der Attribution, d.h. die Rückverfolgbarkeit und kausale Zurechenbarkeit von Cyberattacken. Damit wird nicht nur das Prinzip der zwischenstaatlichen Abschreckung unterminiert; es stellt sich auch die Frage, wie weit Staaten für Cyberattacken verantwortlich gemacht werden können, die von zivilen Akteuren ausgeübt werden.

Bedeutet der Übergang zum Cyberwar, dass das große Schlachten, das die Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts kennzeichnete, der Vergangenheit angehört? Oder verschränken sich künftig virtuelle und physische Formen der Kriegführung zu einem Szenario, das an Orwells „1984“ erinnert, einem unübersichtlichen Zustand von permanentem Krieg?

Es scheint uns dringlich, das Völkerrecht auch in diesen Bereichen auf die Höhe der Zeit zu bringen. Es ist in jeder Hinsicht gefährlich, wenn neue technische Möglichkeiten Grauzonen des Völkerrechts entstehen lassen, die eine Entgrenzung militärischer Gewalt befördern. Umgekehrt muss es darum gehen, den langen Weg der Einhegung des Krieges auch unter den neuen Bedingungen fortzusetzen. Alles andere wäre der Weg in Teufels Küche.

Präsident Obama hat gestern eine neue Initiative zur Reduzierung strategischer und taktischer Atomwaffen angekündigt. Das ist gut. Aber Rüstungskontrolle muss sich auch auf die neuen High-Tech-Waffen erstrecken. Das wird schwer zu erreichen sein, aber wir müssen es versuchen.

Diese Konferenz soll keine Eintagsfliege bleiben. Wir werden das Thema auch in Zukunft weiter verfolgen, insbesondere mit Blick auf die rechtliche und politische Einhegung der neuen Technologien.

Nun wünsche ich uns allen eine interessante Konferenz mit vielen Anregungen für die weitere Meinungsbildung zu diesem brisanten Thema. Es steht zu viel auf dem Spiel, um es nur den Experten zu überlassen. Gerade wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht, brauchen wir eine informierte Öffentlichkeit und eine intensive gesellschaftliche Debatte. Dazu wollen wir als Stiftung nicht nur mit dieser Konferenz beitragen.