Wie die Energiewende gelingt

Eine zentrale Aufgabe der Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze. Bild: energiedebatte.ch Lizenz: CC BY 2.0 Quelle: flickr.com

3. Mai 2013
Rainer Baake
Politisch war die Durchsetzung der Energiewende in den letzten Jahrzehnten eine Herkulesaufgabe. Im Vergleich dazu war die technische Seite einfach, was man schon daran sehen kann, dass alle Ausbauziele des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) regelmäßig übertroffen wurden.

Der durch das EEG im Jahr 2000 ausgelöste Technologiewettbewerb hat zwei Sieger hervorgebracht: Wind und Solar. Sie sind absehbar die kostengünstigsten Technologien und haben das größte Potenzial. Eine realistische Alternative dazu existiert nicht. Man muss es so deutlich sagen: Entweder die Wende hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland gelingt auf der Basis von Wind und Solar, oder sie findet nicht statt.

Beide Technologien haben Eigenschaften, die uns zwingen werden, unser Stromsystem neu zu erfinden. Sie sind erstens angebotsabhängig. Sie sind zweitens kapitalintensiv, haben aber so gut wie keine Betriebskosten. Mit der Investition wird der Strom für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte fast vollständig bezahlt. Und drittens ist die Stromproduktion schnell fluktuierend.

In weniger als zehn Jahren wird es fast jede Woche vorkommen, dass die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien die Nachfrage übersteigt. Es wird Zeiten insbesondere im Winter geben, wo die Erneuerbaren phasenweise nur sehr geringe Strommengen produzieren. Die Energiewende ist daher vor allem eine Synchronisationsaufgabe. Wie bringen wir die fluktuierende Produktion von Strom aus Wind und Sonne mit der Nachfrage der Konsumenten zusammen?

Die ersten 20 Prozent erneuerbare Energien hat das alte Stromsystem ohne große Probleme integriert. Bei den nächsten 20 Prozent wird dies nicht mehr möglich sein. Jetzt steht die große Transformation auf der Tagesordnung. Diese betrifft sowohl das technische System als auch das Marktdesign und die staatliche Regulierung. Wind und Photovoltaik (PV) werden zur Basis der Stromversorgung. Das restliche Stromsystem muss um sie herum optimiert werden.

Es geht vor allem um Effizienz

Eine kluge, vorausschauende Politik ist gefragt, die die Ausbauziele sicherstellt und vor allem die Versorgungssicherheit, die Kosten und die Akzeptanz im Blick behält. Da Strom sich wegen der Effizienzverluste über längere Zeit nur teuer speichern lässt, ist es aus Sicht des Gesamtsystems sinnvoll, zuerst die kostengünstigeren Möglichkeiten zu nutzen, um Stromangebot und Nachfrage zu synchronisieren. Mehr Flexibilität ist gefragt. Zum Beispiel bei den konventionellen Kraftwerken. Sie müssen sich in Zukunft nicht nur an die Nachfrage anpassen, sondern zunehmend auch an die fluktuierende Einspeisung von erneuerbaren Energien. Dafür müssen sie schnell hoch- und wieder runtergefahren werden können. Sogenannte Grundlastkraftwerke, die rund um die Uhr laufen, werden nicht mehr gebraucht. «Grundlast » ist eine Nachfragekategorie und meint die 35 bis 40 Gigawatt, die zu jedem Zeitpunkt eines Jahres mindestens gebraucht werden. Die Erneuerbaren werden die konventionellen Kraftwerke zunehmend aus der Grundlast vertreiben.

Eine bislang wenig genutzte Flexibilitätsoption ist das Lastmanagement, vor allem in der Industrie. In vielen Fällen ist es technisch leicht möglich, die Stromnachfrage über einige Stunden zu verschieben, zum Beispiel durch den Bau von Speichern für Zwischenprodukte, Wärme, Kälte oder Druckluft. Die Herausforderungen liegen nicht so sehr in der Technik, sondern in den richtigen Anreizen.

Bei der Nachfrage geht es nicht nur um Steuerung, sondern vor allem um Effizienz. Jede gesparte kWh erfordert weniger Investitionen in neue Erzeugungsanlagen und Infrastruktur.

Von zentraler Bedeutung für die Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze. Je größer das durch leistungsfähige Netze verbundene Gebiet, desto eher gleichen sich Schwankungen bei der Erzeugung von Wind- und PV-Strom gegenseitig aus. Dies gilt innerhalb Deutschlands und auch international. Über Netze kann zudem über größere Entfernungen auf die jeweils kostengünstigsten Optionen zugegriffen werden. So kann zum Beispiel in Zeiten von viel Wind und Sonne Strom an Konsumenten in unseren Nachbarländern verkauft werden. Schon im Jahr 2020 werden in Deutschland in einzelnen Stunden Überschüsse von 22 Gigawatt erwartet. In einem Stromsystem mit hohen Anteilen von Wind- und PV-Strom sind temporäre Überschüsse normal. Es wäre ein Vielfaches teurer, für diese Strommengen Speicher zu bauen. Neue Speichertechnologien wie Power to Gas brauchen wir erst ab einem Anteil der Erneuerbaren von mehr als 70 Prozent. Zunächst sollten wir die kostengünstigeren Optionen ausschöpfen.

Zu diesen gehört auch die Integration des Wärmesektors. Dies ist kein Plädoyer für eine Renaissance der Nachtspeicheröfen, wohl aber dafür, Kraftwärme-Kopplungsanlagen zukünftig nach dem Strombedarf zu betreiben und nicht nach dem Wärmebedarf. Wärme kann einfach und kostengünstig (zum Beispiel in isolierten Wassertanks) gespeichert werden.

Die Energiewende erfolgreich zu gestalten heißt, die Herausforderungen richtig zu analysieren, die technisch möglichen Handlungsoptionen gegeneinander abzuwägen, zu priorisieren und im Anschluss daran einen geeigneten regulatorischen Rahmen zu schaffen. Es sollte der Grundsatz gelten: so viel Wettbewerb wie möglich, so viel Regulierung wie nötig. Es geht darum, marktwirtschaftliche Suchprozesse zu organisieren.

Ich will am Beispiel der Versorgungssicherheit aufzeigen, was ich damit meine. Zu einem Black-out kann es kommen, wenn nicht zu jedem Zeitpunkt ausreichend steuerbare Kapazitäten zur Verfügung stehen, um die Nachfrage zu bedienen. Steuerbare Kapazitäten, das sind Stromerzeugungsanlagen mit Kraftstoffen (wie Kohle, Gas und Biomasse), Speicher und auf der Nachfrageseite verschiebbare Lasten. Dabei sind Netzengpässe zu berücksichtigen.

2021 und 2022 sollen die letzten und größten Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die niedrigen Großhandelspreise für Strom an der Börse verhindern, dass es zu Investitionen in flexible Backup-Kapazitäten für die erneuerbaren Energien kommt. Im Gegenteil, bei vielen existierenden (Gas-) Kraftwerken lohnt sich der Betrieb nicht mehr, so dass mit betriebsbedingten Stilllegungen in erheblichem Umfang zu rechnen ist.

Marktwirtschaftliche Suchprozesse organisieren

Ich halte es für hochgefährlich, darauf zu setzen, dass der Markt es schon richten wird. Bei drohenden Black-outs würde der Atomausstieg in Gefahr geraten.
Eine Reaktionsmöglichkeit ist das « Polizeirecht », eine Verordnung mit dem Kernsatz: « Es ist verboten, ein systemrelevantes Kraftwerk abzuschalten. » Für den Eingriff in sein Eigentum muss dem Betreiber eine Entschädigung gezahlt werden.

Einen marktwirtschaftlichen Suchprozess zu organisieren hieße, stattdessen einen Kapazitätsmarkt zu schaffen. Eine staatliche Stelle definiert die zur Abwehr eines Black-outs erforderliche steuerbare Kapazität und veranlasst eine Ausschreibung für die kostengünstigsten Lösungen. Dabei wird die Nachfrageseite eingebunden. Wenn es kostengünstiger ist, Stromnachfrage zeitlich zu verschieben, als für die wenigen Stunden der Höchstlast ein Kraftwerk vorzuhalten, warum sollte ein solcher Weg nicht gegangen werden?

Auch das EEG wird weiter zu entwickeln sein. Die besonderen Eigenschaften von Wind- und Photovoltaikanlagen verhindern, dass sich diese am Strommarkt zukünftig refinanzieren können – selbst dann, wenn ihre Vollkosten pro kWh demnächst unter denen von Kohle- und Gaskraftwerken liegen werden. Warum? Weil Wind und PV kurzfristige Betriebskosten (sog. Grenzkosten) nahe null haben. Sie machen sich in dem auf Grenzkosten basierten Spotmarkt ihren eigenen Preis kaputt. Dieser Effekt verstärkt sich, je mehr Wind- und PV-Anlagen zugebaut werden. Stehen viel Wind und Sonne zur Verfügung, können sie kein Geld verdienen, weil der Börsenpreis gegen null geht. Wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, können sie keinen Strom verkaufen.

Das ist nun kein Argument für staatlich festgelegte Einspeisetarife « forever ». Es ist ein Argument gegen den Irrglauben, nur die Anlagenpreise für Wind und PV müssten sinken, und dann würde der Markt es schon richten. So wie wir zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit für die konventionellen Anlagen einen weiteren Einkommensstrom schaffen müssen, damit steuerbare Kapazitäten vorgehalten werden, muss es auch für die Erneuerbaren neben den Erlösen am Strommarkt einen zusätzlichen Zahlungsstrom geben, sonst kommt die Energiewende zum Stillstand.

Wir wären nicht nur schlechte Europäer, wir wären auch dumm, wenn wir die Energiewende als einen Akt der Renationalisierung von Energiepolitik begreifen würden. Alle oben genannten Maßnahmen werden einfacher und kostengünstiger, wenn wir sie in enger Abstimmung mit unseren Nachbarländern angehen. Einige von denen verfolgen ähnliche Ziele wie Deutschland. Die Vorrausetzung für Kooperationen (zum Beispiel bei Speichern in Skandinavien oder bei Kapazitätsmärkten) sind Leitungen; diese werden nur gebaut, wenn auf beiden Seiten der Grenze dafür der politische Wille vorhanden ist. Wer die Energiewende zum Erfolg führen will, muss diese Aufgabe offensiv angehen.

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Rainer Baake ist Direktor der « AGORA-Energiewende », einer Initiative der Mercator-Stiftung und der European Climate Foundation, deren Ziel die Bereitstellung von Expertise und die Zusammenführung von maßgeblichen Akteuren ist, um die Energiewende voranzubringen.

Böll.Thema 1/2013: Es grünt

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