Nationalismus im Bau

In Belgrad steht der Tempel des Heiligen Sava. Er verkörpert mehr als jedes andere christliche Gebäude die Rolle der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Serbien. ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen der Heinrich-Böll-Stiftung.

In Belgrad steht der Tempel des Heiligen Sava. Er verkörpert mehr als jedes andere christliche Gebäude die Rolle der Serbisch-Orthodoxen Kirche in Serbien.

Wenn man sich Belgrad mit dem Auto nähert, ist er schon von weitem sichtbar: Der Tempel des Heiligen Sava. Davor stehend, erschlagen einen nahezu die gigantischen Ausmaße: 70 Meter ist die größte Kirche des Balkans hoch, darauf noch ein 12 Meter hohes vergoldetes Kreuz. Ein weiterer Superlativ: Bis zu 12.000 Menschen finden darin Platz. Sofort erinnert man sich an die Hagia Sophia in Istanbul, der Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und dem heutigen Wahrzeichen der türkischen Metropole.

Der lauschige Park mit Bänken ist fast ein Kontrast zu dem gigantischen Tempel. Sogar Anfang November sind viele Bänke besetzt. Menschen gehen in der Kirche ein und aus, jung und alt. Bevor sie heraustreten, drehen sie sich um, verbeugen sich und küssen die Tür. „Ich komme fast jeden Tag hierher“, sagt eine junge Frau mit einem kleinen Kind an der Hand: „Diese Kirche hat eine besondere Bedeutung für uns Serben.“

Die Wände sind mit Ikonenbildern übersät, sphärische Musik tönt aus versteckten Boxen. Menschen zünden Kerzen an. Eine besinnliche Atmosphäre. Für einen Neuling wird diese jedoch von einem gigantischen Baugerüst zerstört, das die rechte Hälfte des Kirchenschiffs fast komplett ausfüllt.

Mehr als eine Kirche

Ein Gotteshaus ist der Tempel des Heiligen Sava nicht im direkten Sinn. Er ist nicht Sitz eines Bischofs und wird lediglich an besonderen Feiertagen genutzt. Und doch hat er eine fundamentale Bedeutung für die serbische Gesellschaft, er ist mehr als ein religiöses Symbol.  Die Kirche ist auch ein nationales Monument. „Religion ist ein sehr wichtiger Teil unserer Kultur“, erklärt Vladan, 18, Gymnasiast aus Krusevac, einer Stadt zwei Stunden südlich von Belgrad. Er und sein Freund Miodrag, gerade 17, können die komplizierte Geschichte des Namensgebers Sava aus dem Kopf aufsagen. Der Heilige Sava von Serbien alias Rastko Nemanjić war der jüngste Sohn eines Königs. Mit 16 flüchtete der tiefgläubige Rastko nach Athos in Griechenland, heute eine autonome orthodoxe Mönchsrepublik. Er trat in das Kloster Aghios Panteleimon ein, wurde Mönch und von nun an „Sava“ genannt. Sein Vater versuchte vergeblich, den Sohn zurückzuholen. Schließlich entsagte er dem Fürstenthron und folgte Sava ins Kloster. „Beide waren nun Seite an Seite Mönche im Kloster“, erzählt Miodrag. Als die zwei Brüder Savas einen Krieg um die Thronnachfolge beginnen, kehrte Rastko nach Serbien zurück um die Kämpfe zu beenden. Am Grab des Vaters gelang es ihm, Frieden zwischen beiden zu stiften.

Der Heilige Sava gilt als Begründer der Orthodoxen Kirche in Serbien. Während der 400 Jahre langen Herrschaft der Osmanen über die Serben diente er als Symbol nationaler Identität und der Hoffnung auf einen serbischen Staat. „Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Überreste des Heiligen Sava von dem Kommandanten Sinan Pascha auf dem Vračar Hügel verbrannt. Deshalb wurde genau an dieser Stelle die Kirche gebaut.“ Vladan ist immer wieder ergriffen, wenn er davon erzählt. Natürlich sind solche angeblichen Fakten schwierig zu beweisen. Doch das stört nie bei der Konstruktion eines Mythos. So sehr wird „der Hüter der serbischen Nation“ heute verehrt, dass es im Mai 1990 zu einer gewalttätigen Unterbrechung des Theaterstücks „Der Heilige Sava“ am Jugoslawischen Schauspielhaus in Belgrad durch TheologiestudentInnen und AktivistInnen des Serbischen Jugendblocks kam. Angeführt wurden sie vom damaligen Erzbischof.

Religion und Nationalität wurden im Laufe der Jahrhunderte zu einem serbischen Glauben miteinander verschmolzen. Daher auch die Redensart: „Ein Serbe, der nicht orthodox ist, ist kein Serbe.“

Desäkularsierung der Gesellschaft und Sakralisierung der Politik

Die Serbisch-Orthodoxe Kirche, deren Symbol der Tempel des Heiligen Sava ist, nimmt eine zentrale Rolle in der serbischen Gesellschaft und Politik ein. Milan Vukomanovic, Professor und Religionssoziologe an der Universität Belgrad, spricht von einer Desäkularisierung der Gesellschaft seit den späten achtzigerJahren. Ausgangspunkt war ein hochsäkulares Jugoslawien, das jedoch ein teilweise künstliches, von der kommunistischen Führung hochgezüchtetes Projekt war. „Zudem verzeichnen wir eine Politisierung der Religion und Sakralisierung der Politik“, sagt Vukomanovic: „In einem säkularen Staat, der Serbien laut Verfassung ist, zeigt sich der Staat zu kooperativ gegenüber der Kirche.“

Dusan Maljkovic, Mitarbeiter am Center for Queer Studies in Belgrad, geht dagegen nicht von einer gewachsenen Bedeutung der Orthodoxen Kirche aus. „Wir haben es mit einer säkularisierten Orthodoxie, mit einem Post-Orthodoxismus zu tun“, sagt er: „Die Menschen sagen zwar von sich, dass sie religiös sind, verhalten sich aber nicht danach. Vielmehr ist Religion zur Tradition geworden.“

Milan Vukomanovic ist da anderer Meinung. Er sagt: „Im 20. Jahrhundert ist die Serbisch-Orthodoxe Kirche mehr als nationalistisch-politischer Akteur als religiöser aufgetreten.“ So wurde nach Jahrzehnten der Religionsunterricht an staatlichen Schulen Im Jahr 2000 wieder eingeführt. Der Patriarch der Abteilung für religiöse Erziehung der Serbisch-Orthodoxen Kirche erklärte dazu, dass „der Staat seine Essenz und seine Nation beschützen müsse, dazu müsse er die Orthodoxie zur nationalen Religion und sich als orthodoxen Staat erklären“. „Der Minister für religiöse Angelegenheiten Serbiens vertritt trotz seiner Rolle als Staatsbeamter die Interessen der dominanten Religionsgemeinschaft – der Serbisch-Orthodoxen Kirche“, kritisiert Professor Vukomanovic. „Er spricht in Interviews über vier Bereiche der Autorität, die legislative Gewalt, die exekutive, die judikative und die geistliche Gewalt.“

Baufort- und Rückschritte als Messlatte für ein vereinigtes Serbien

Vladan macht einen betrübten Eindruck, als er von der neueren Geschichte der St. Sava Kirche erzählt. „Seit Ende des 19. Jahrhunderts der Plan gefasst wurde, die Kirche auf dem Hügel zu bauen, wo der Leichnam des Heiligen Sava vor etwa 300 Jahren verbrannt wurde, war der Bauprozess eine einzige Niederlage.“ Auf einer Tafel steht, dass der Grundstein erst 1935 gelegt werden konnte. Die Balkankriege,  Erster und Zweiter Weltkrieg sowie zahlreiche Uneinigkeiten unter den Verantwortlichen verhinderten den Bau über lange Zeit. Im Jugoslawien unter Josip Broz Tito, langjähriger Präsident Jugoslawiens, war die Kirche zu marginalisier,t um den Bau fortsetzen zu können. „Erst in den achtziger Jahren wurden die Bauarbeiten endlich fortgesetzt“, erzählt Vladan. Im Zuge der ökonomischen Krise der frühen 90er Jahren und der schrecklichen Kriege seit 1991 stoppte der Bau erneut. Ein neuer Mythos wurde geboren, der davor warnte, die Kirche jemals zu vollenden, da dann alle Serben untergehen würden. 2000 wurden die Arbeiten dann aber doch fortgesetzt. 2004 wurde die Kirche eingeweiht. Doch der Innenraum ist nach wie vor im Rohbau.

Vladan ist glücklich, dass es überhaupt soweit gekommen ist. „Ich hoffe, dass die Bauarbeiten bald abgeschlossen sind. Diese Kirche ist so wichtig für uns Serben.“Mehr als ein Jahrhundert nach der Grundsteinlegung ist der Tempel des Heiligen Sava immer noch nicht fertiggestellt. Die Hoffnungen vieler Serben auf Vereinigung und nationale Größe kann er damit bis heute nicht erfüllen.