Gefahrengut - Im Zentrum der Ermittlungen gegen Menschenhandel stehen die Opfer

Rund 800.000 Menschen werden jährlich rund um den Globus "gehandelt". Foto: Leonard John Matthews, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

15. Juni 2011
Bärbel Heide Uhl
Von Bärbel Heide Uhl

Die EU  hat Ende 2009  unter schwedischem Ratsvorsitz mit dem „Action-Oriented Paper“ ein Grundlagenpapier verabschiedet. Darin wird festgehalten, was die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit Drittstaaten gegen Menschenhandel unternehmen sollen.

Folgendes wurde beschlossen: Schnell handlungsfähige Teams („Swift Action Teams (SAT)“) – so die Empfehlung–, identifizieren in Drittländern potenzielle Opfer bereits beim Einsteigen in das jeweilige Flugzeug und helfen, sie in Schutzhäuser zu überweisen. Zu diesen Teams gehören auch Sachverständige aus EU-Mitgliedstaaten und Europol, die die zuständigen Behörden in den Herkunftsländern unterstützen. Diese Behörden sollen zudem geschult werden, damit sie  gehandelte Menschen und gefälschten Dokumenten identifizieren können.

Selten wurde in einem politischen Empfehlungspapier so deutlich, wie Ermittlungs- und Strafverfolgungsstrategien unter dem Vorwand des Menschenrechtsschutzes durchgesetzt werden. Vor allem letzte ist eine hoch fragwürdige Empfehlung: Sie suggeriert, dass analog zur Erkennung von gefälschten Pässen auch gehandelte Menschen erkannt werden können und hat zur Folge, dass sie bereits in den Herkunftsländern sprichwörtlich „aus dem Verkehr“ gezogen werden. Sie verletzt damit im völkerrechtlichen Sinne das Recht auf  Bewegungsfreiheit und pervertiert zudem das kriminalistische Werkzeug des „profilings“, das in diesem Fall ausschließlich darauf abzielt, die Opfer zu erkennen - anstatt die Täter.

Stereotype Bilder

Anders als bei ähnlich organisierten Verbrechen wie Waffen- oder Drogenhandel, stehen bei staatlichen und zwischenstaatlichen Interventionen von Menschenhandel fast ausnahmslos die Opfer im Zentrum repressiver Maßnahmen: Präventionskampagnen in den süd- und osteuropäischen Herkunftsländern bedienen sich oftmals stereotyper Bilder, um Menschen als Risikogruppe einzustufen und sie vor Arbeitsmigration zu warnen. In den  Zielländern wiederum werden sie mit Hilfe umfangreicher Indikatoren-Listen als potenzielle Opfer erkannt und registriert. Im besten Fall werden sie dann an Beratungsstellen verwiesen, um anschließend mit Hilfe so genannter freiwilliger Rückführungsprogramme in das Herkunftsland und somit in das Leben zurück gebracht zu werden, das sie gerade hinter sich lassen wollten. Und in vielen Fällen hinter sich lassen mussten.

Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren die „Kollateralschäden“, die der Kampf gegen Menschenhandel für Arbeitsmigrant/innen, Sexarbeiter/innen und andere sozial ausgegrenzte Personengruppen hinterlässt.

Historisch gesehen sind Menschenhandel und staatliche und zivilgesellschaftliche Interventionen kein neues Phänomen. Im 19. Jahrhundert machte die aufkommende Frauenbewegung den so genannten Mädchenhandel öffentlich und brachte ihn in die politische Diskussion ein; in den darauffolgenden Jahrzehnten wurden mehrere internationale Übereinkommen geschlossen, die jedoch vor allem die Prostitution verhindern sollten. Die  Zwangsarbeit, wie wir sie heute verstehen, wurde im 20. Jahrhundert unter anderem durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und deren völkerrechtliche Abkommen thematisiert und definiert. Um einen rechtlichen Rahmen für die Bekämpfung durch den Staat oder die Zivilgesellschaft zu schaffen, kamen Internationale Menschenrechtsabkommen wie die Frauenrechtskonvention (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, CEDAW) und die Übereinkunft zum Schutz der Wanderarbeiter/innen hinzu.

Status als Verbrechensopfer

Mit dem „Palermo Protokoll“ wurde die Bekämpfung von Menschenhandel schließlich in die internationale Sicherheitspolitik integriert. Dieser Vertrag wurde 2000 in der italienischen Stadt unterzeichnet und der UN Konvention zur transnationalen organisierten Kriminalität als eines von drei Protokollen angehängt. Das „Palermo Protokoll“ stand für einen Neuanfang der internationalen Menschenhandelsdebatte, da es den Menschenhandel zum ersten Mal  international rechtlich verbindlich definierte: Zu seinen Merkmalen gehören die Anwerbung, der Transport und die Übergabe von Menschen unter Androhung oder Ausübung von Gewalt und/oder die Täuschung zum Zweck der Ausbeutung. Seither konnten Opfer in ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen identifiziert werden – bei Sexarbeiter/innen, bei Landwirtschafts- und Haushaltshilfen, Pflegekräften, bei Lebensmittel verarbeitenden Arbeitskräften, bei bettelnden oder stehlenden Kindern sowie bei  Organspender/innen.

Nach dem „Palermo Protokoll“ wurde der Kampf gegen den Menschenhandel ein integraler Bestandteil von Politikverhandlungen, wie es zahlreiche Konferenzen, Institutionen, internationale Abkommen und politische Erklärungen dokumentieren. Für die Opfer bedeutet das aber vor allem, dass sie den Status als Verbrechensopfer zugewiesen bekommen und nicht den von Arbeitsmigrant/innen, die des Schutzes bedürfen. Die Vertragsstaaten sind bezeichnenderweise nicht verpflichtet, die  im „Palermo Protokoll“ festgehaltenen Rechtsansprüche umzusetzen.

Mit der Verabschiedung der Europaratskonvention zu Menschenhandel (Convention on Action against Trafficking in Human Beings CETs No.197) und die im März 2011 verabschiedete EU Richtlinie (Directive on preventing and combating trafficking in human beings, and protecting victims, replacing Framework Decision 2002/629/JHA) wurden rechtsverbindliche Opferschutzmaßnahmen eingeführt. Das hat jedoch noch nicht zu einem Umdenken in der Bekämpfung von Menschenhandel geführt. Zu der Einsicht also, dass Im Zentrum dieses Kampfes die Arbeitsmigrant/innen stehen müssen. Und ihr Recht auf Entlohnung, auf körperliche und seelische Integrität, auf nachhaltige menschliche und wirtschaftliche Sicherheit sowie auf den Schutz persönlicher Daten.

Baerbel Heide Uhl ist Politikwissenschafterin und als Beraterin für Menschenhandelsbekämpfungspolitiken für  Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen in Europa tätig. Seit 2008 ist sie die Vorsitzende der EU Expert/innengruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel in Brüssel. Sie ist Mitbegründerin des mittel- , ost- und südosteuropäischen NGO Netzwerkes La Strada und diente jahrelang der Direktorin von La Strada in der Tschechischen Republik. Im Rahmen der EU Erweiterungsprogramme hat sie langfristig Regierungen und Zivilgesellschaft im Bereich der Menschenhandelsbekämpfungspolitik in der Türkei, Kroatien und Rumänien beraten.

Böll.Thema 3/2011

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