Wer davon ausgeht, dass, weil Frauen auf dem Rasen stehen, auch das Publikum weiblich sein müsste, wird sich bei einem Spielbesuch vermutlich wundern. Eine 2009 durchgeführte Marketingstudie erfasste unter den Stadionbesucher/innen eine Geschlechterverteilung von 60 zu 40 %. Und zwar 60 % Männer. Eine teilnehmende Beobachtung von einem Bundesligaspiel.
In der Saison 2010/2011 lag der Zuschauerdurchschnitt bei 836. Nur vier Klubs von zwölf kommen bei ihren Heimspielen auf einen Schnitt von über 1.000 Zuschauer/innen pro Spiel, hinter den großen drei der Liga, den klassischen Frauenfußballvereinen 1. FFC Frankfurt, Turbine Potsdam und der FCR 2001 Duisburg, gelang dies erstmals dem VfL Wolfsburg – möglicherweise ein WM-Standortvorteil. Im Frauenfußball backt man also kleine Brötchen: „Einen Schnitt von 1.000 Zuschauern für alle Vereine, damit wären wir in der Liga schon einen großen Schritt weiter“ – das sagt Claudia von Lanken, die beim Hamburger Sport-Verein für „Teammanagement und Kommunikation Frauenfußball“ zuständig ist. Die HSV-Frauen, die die aktuelle Saison auf Platz 4 beschlossen, spielen zu Hause vor durchschnittlich etwa 350 Zuschauer/innen, damit ist von Lanken „definitiv nicht zufrieden“.
60 Prozent Männer bei den Frauen
Wer davon ausgeht, dass, weil Frauen auf dem Rasen stehen, auch das Publikum weiblich sein müsste, wird sich bei einem Spielbesuch vermutlich wundern. Eine 2009 durchgeführte Marketingstudie erfasste unter den Stadionbesucher/innen eine Geschlechterverteilung von 60 zu 40 %. Und zwar 60 % Männer. Zum Vergleich: Für die Männer-Bundesliga kann man etwa von einem Frauenanteil von 25 bis 30 % ausgehen. Beim Frauenfußball wird die Geschlechterverteilung auf den Rängen also nicht auf den Kopf gestellt, dennoch herrscht hier eine größere demografische Streuung. Darauf deuten die wenigen Untersuchungen zum Thema ebenso hin wie die Auskünfte der Beteiligten: Männer im mittleren Alter und junge Mädchen verbuchen statistisch hohe Anteile.
So sieht es auch Florian Schwarz, der bei Werder Bremen Amateur- und Vereinsangelegenheiten koordiniert und damit auch für den Frauenfußball zuständig ist: „Es kommen viele Mädchen, die selbst spielen und die Gelegenheit nutzen, sich mal höherklassigen Fußball anzugucken.“ Die Frauenfußballabteilung des Vereins wurde erst 2007 gegründet und spielt derzeit in der 2. Bundesliga vor durchschnittlich etwa 150 Zuschauer/innen. Das Team hat auch einen Fanklub mit dem ganz unprätentiösen Namen „1. Offizieller Frauenfußball Fanclub Werder Bremen“, 1 OFFC, der hauptsächlich aus Männern zwischen 30 und 50 Jahren besteht und dessen Website nicht so viel anders aussieht, als bei einem etwas älter gedienten Fanklub beim Männerfußball.
Eine Imagefrage: ehrlich und sympathisch
Atmophärisch vermittelt Frauenfußball in Deutschland ohnehin einiges vom Männerfußball früherer Tage: Es wird eben nicht in Hightech-Arenen gekickt, und es gibt keine aufwendigen Sicherheitskontrollen am Eingang. Auf dem Platz stehen Spielerinnen, die noch einen anderen „echten“ Beruf erlernen und nicht alle von ihrem Sport leben können, schon gar nicht nach dem Ende der Karriere. Das sind Faktoren, die für einige Fans den entscheidenden Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball ausmachen, wie Claudia von Lanken meint: „Wir haben auch Zuschauer, die sich vom gutbezahlten Herrenfußball abgewandt haben, die Frauenfußball schön finden, weil es für sie noch ehrlicher Sport ist.“ Ähnlich erklärt ein männlicher Fan im Interview mit dem Magazin 11freunde seinen Wechsel von Union Berlin zu Potsdam: „Am Anfang hatte ich natürlich auch meine Bedenken, wollte erstmal sehen, wie die Frauen so spielen. Aber das war für mich toller, attraktiver Fußball, und auch die Stimmung im Stadion war sehr familiär, ganz anders als bei den Männern. Das fand ich toll, da hab ich mich sofort wohl gefühlt.“
Ein weiterer Pluspunkt: Die Spielerinnen sind im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weit weniger „abgehoben“ und von den Fans abgeschirmt. Selbst waschechte Nationalspielerinnen gibt es direkt am Spielfeldrand zu sehen, wie etwa Kim Kulig beim HSV. Claudia von Lanken sagt: „Gerade nach der erfolgreichen EM 2009 haben wir schon gemerkt, dass auf einmal mehr Leute wegen ihr kommen. Wir haben viele Mädels, die sich für Frauenfußball interessieren und es toll finden, die Spielerinnen aus der Nähe zu sehen.“
Wachstum an der Spitze
Beim vergleichsweise hohen prozentualen Anteil junger Zuschauerinnen, die selbst spielen, liegt die Annahme nahe, dass dies ein Ergebnis des gewachsenen Zuspruchs für Mädchen- und Frauenfußball im Breitensport ist. Auch für dieses Phänomen gilt wie für die gesamte Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland: Die Basis des Erfolgs ist ganz oben gelegt worden, nämlich durch die Nationalmannschaft: Der Gewinn des Europameisterschaftstitel 1989 im eigenen Land bringt den Spielerinnen nicht nur das immer wieder gerne zitierte Kaffeeservice zur Belohnung, sondern erstmals eine große Fernsehübertragung. Wenige Monate danach beschloss der DFB die Einführung einer zweigleisigen Bundesliga. Die WM-Titel von 2003 und 2007 brachten mit Birgit Prinz, Nia Künzer, Nadine Angerer oder Fatmire Bajramaj auch echte Stars hervor, und für die Heimspiele der Nationalmannschaft wird mittlerweile sehr erfolgreich die Werbetrommel gerührt. Das Länderspiel gegen Brasilien im April 2009 in Frankfurt sahen 44.825 Zuschaue/innen – ein neuer Rekord für den Frauenfußball.
Es gibt also Erfolge in der Zuschauergunst an der Spitze und – nicht zuletzt dank des verstärkten Engagements des DFB unter Präsident Theo Zwanziger – Zuwachs bei den Aktiven an der Basis. Im Alltagsgeschäft der Liga jedoch ist die Entwicklung weniger rasant. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Medien. Es scheint, als wäre nur ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit für Frauenfußball zu verteilen, das sich eben an der nationalen Spitze bündelt. Eine kontinuierliche Berichterstattung abseits einzelner Ereignisse wie Länderspiele oder Turniere gibt es zu wenig.
Ist das Potenzial ausgeschöpft?
Wie mehr Zuschauer/innen kontinuerlich für die Spiele zu interessieren sind, darauf fehlen derzeit noch klare Antworten. Klassische Frauenfußballklubs wie Turbine Potsdam oder der 1. FFC Frankfurt sind in der Professionalisierung sehr weit vorangekommen, dies lässt sich auch an der Unterstützung der Fans und an der Stimmung im Stadion ablesen. Für das verstärkte Engagement von Männer-Bundesligisten geht der Aufbau eines Frauenteams bisher meist noch nicht mit einer Vergrößerung der Fanbasis einher. Noch ungeklärt ist die Frage, worin genau die Zuschauerbindung beim Frauenfußball besteht, ob es hier überhaupt Unterschiede zum Männerfußball gibt oder ob nicht vielmehr Elemente aus der dortigen Fankultur in einen kleineren und im positiven Sinne unprofessionellen Rahmen übertragen werden.
Die WM 2011 wird dabei im Vorfeld immer wieder als Ereignis beschworen, von dem sich der Frauenfußball in Deutschland einen weiteren Schwung erhofft. Wenige Monate vor Anpfiff hat Bernd Schröder, langjähriger Trainer des aktuellen Meisters Turbine Potsdam auch schon zu DDR-Zeiten, diese Hoffnung, die sicher viele Vereine teilen, relativiert. Im Interview mit dem kicker Ende Februar 2011 erklärte er, Frauenfußball in Deutschland sei „ausgereizt“, ein großer Boom nach der WM nicht zu erwarten: „Der Frauenfußball hat sich eingerichtet. Wir haben viel erreicht, aber wir sollten nicht in Sphären schweben, die illusorisch sind.“
Literatur:
- Fechtig, Beate: Frauen und Fußball. Dortmund: edition ebersbach 1995. (Leider nur noch antiquarisch verfügbar).
- Galczynski, Ronny: Frauenfußball von A-Z. Das Lexikon für den deutschen Frauenfußball. Hannover: Humboldt-Verlag 2010.
- Hennies, Rainer, Meuren, Daniel (Hrsg.): Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung. Göttingen: Die Werkstatt 2009.
- Radiate Experience GmbH (Hrsg.): Affinitiy Tracer Frauenfußball 09. Frankfurt am Main: Eigenverlag 2009.
- Sinning, Silke, (Hrsg.). Mädchen- und Frauenfußball – Spannende Entwicklungen einer attraktiven Sportart. Wiesbaden: Landeszentrale für politische Bildung. (in Vorbereitung).