England: Das Mutterland des Fußballs

Frauenfußball ist im Mutterland des Fußballs seit über einhundert Jahren fest verwurzelt. Seit seinen Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts hat er zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt. Das Spektrum reicht von Spielen vor zehntausenden Zuschauern zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum offiziellen Verbot des Frauenfußballs von 1921 bis 1971.

Lesedauer: 9 Minuten

Am 22. Januar 2011 wurde in England eine Debatte um Sexismus und die Rolle von Frauen in der Männerdomäne Fußball losgetreten. Sky Sports Moderator Richard Keys und der ehemalige Fußballprofi Andy Gray redeten sich wegen einer angeblichen Fehlentscheidung der Linienrichterin Sian Massey in der Premier League Begegnung zwischen Liverpool F.C. und Wolverhampton Wanderers in Rage. Die Unterhaltung der beiden Moderatoren war nicht Teil der Live-Übertragung, allerdings wurde ein Audio-Mitschnitt der Presse zugespielt. Keys und Gray zweifelten an, dass Frauen fähig seien, die Abseits-Regelung zu verstehen und sprachen sich vehement gegen weibliche Schiedsrichter in der Premier League aus. Der Vorfall hatte für Gray und Keys personelle Konsequenzen. Sian Masseys Ansetzung für die zwei folgenden Spiele wurde mit der Begründung zurückgezogen, dass das Medieninteresse an Massey von den Spielen ablenken würde. Prominente, z. B. der Nationaltrainer Fabio Capello, schalteten sich in die Debatte ein und unterstützten Massey. Mittlerweile wird Massey wieder im Spielbetrieb der Premier League als Schiedsrichterin eingesetzt. Ihre Entscheidung im Spiel Liverpool gegen die Wolves erwies sich durch die Fernsehbilder als korrekt.

Der Vorfall ist exemplarisch für die heutige Situation des Frauenfußballs in England. Der englische Fußballverband, die „Football Association“ (FA), hat den Frauenfußball seit den Neunziger Jahren verstärkt gefördert - die gesellschaftliche Akzeptanz und Popularität ist jedoch nach wie vor gering.

Die am schnellsten wachsende Sportart in England

Die Begeisterung von Frauen für den Fußball drückt sich vielfältig aus: Heute ist Frauenfußball in England die am schnellsten wachsende Sportart. Die FA gibt an, dass die Zahl der Spielerinnen von 1993 bis heute von 10.400 auf über 150.000 angestiegen ist. Auch auf Verbandsebene hat sich einiges getan: Es gibt weibliche Schiedsrichter in der „männlichen“ Premier League, der höchsten Spielklasse im englischen Männerfußball, die nicht „nur“ als 4. Offizielle fungieren, sondern auch auf dem Platz eingesetzt werden und die Frauen-Nationalmannschaft wird zunehmend erfolgreicher. So standen die „Three Lionesses“ 2009 im Finale der Europameisterschaft – gegen Deutschland - und zählen neben Japan zu den Mitfavoriten auf den Gruppensieg in der Gruppe B der Frauenfußball-WM 2011.

Die Nationalmannschaft der Männer ist von solchen Erfolgen weit entfernt: 1966 stand sie das letzte Mal im Finale eines großen Turniers. Seitdem hangelt sie sich von einem schmerzlichen Misserfolg zum nächsten – Höhepunkte waren zuletzt die gescheiterte Qualifikation für die EM 2008 und die 1:4 Niederlage gegen Deutschland im Achtelfinale der WM 2010.

Frauenfußball ist im Mutterland des Fußballs seit über einhundert Jahren fest verwurzelt. Seit seinen Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts hat er zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt. Das Spektrum reicht von Spielen vor zehntausenden Zuschauern zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum offiziellen Verbot des Frauenfußballs durch die FA von 1921 bis 1971.

1863 legte der erste Fußballverband weltweit - die englische FA - die Regeln des modernen Fußballs fest. Der Fußball wurde im Zuge der erstarkenden Frauenbewegung der Suffragetten zunehmend auch von politisch aktiven Frauen entdeckt. Im Gegensatz zu anderen etablierten Sportarten, wie z.B. Hockey, in dem es bereits seit 1895 einen eigenständigen Verband für Damenhockey gab, war Fußball eine Domäne der Männer.

1894 wurde das erste britische Frauen-Fußballteam, die British Ladies, von Nettie Honeyball gegründet. Die Mannschaft wurde von einem Stürmer von Tottenham Hotspur, J.W. Julian, trainiert. Einnahmen aus öffentlichen Spielen wurden für karitative Zwecke verwendet.

Zur damaligen Zeit kam es auch zu regelmäßigen Begegnungen zwischen Männer- und Frauenmannschaften. 1902 verbot die FA ihren Mitgliedern dann, Spiele gegen Frauenmannschaften auszutragen.
Die Zuschauerzahlen sind im Vergleich zu den heutigen Besucherzahlen im Frauenfußball beeindruckend. Diente Frauenfußball vor Beginn des Ersten Weltkrieges oftmals der öffentlichen Belustigung, erreichte er ab 1915, als der Spielbetrieb im Männerfußball durch die FA eingestellt wurde, seine populäre Hochphase. Die Besucherzahlen stiegen dabei seit Ende des 19. Jahrhunderts stetig an. Spiele vor zehntausenden Zuschauern waren die Regel; dokumentierter Höhepunkt war die Begegnung zwischen den Dick, Kerr’s Ladies F.C. und St. Helen F.C. am 25.12.1920 vor 53.000 Zuschauern.

Während des Krieges gründeten sich viele Frauenmannschaften in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen. Am populärsten waren die „Munitionettes“, Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie, aber auch Frauen aus anderen Industriezweigen sowie Lehrerinnen und Sekretärinnen begeisterten sich für Fußball und gründeten eigene Mannschaften. Die Spiele wurden damals auch in den großen Stadien ausgetragen, etwa an der Stamford Bridge, dem Stadion des Chelsea F.C.

1921: Verbot des Frauenfußballs

Mit Ende des Krieges gab es erste Bestrebungen, die Geschlechterordnung wieder herzustellen.

1921 griffen FA und die Fußball-Liga „Football League“ (FL) - ein und verboten ihren Mitgliedern, Frauenfußballspiele auf ihren Feldern auszutragen und als Trainer oder Schiedsrichter im Frauenfußball tätig zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele männliche Profis Frauenmannschaften als Trainer oder Schiedsrichter unterstützt. Wie in anderen Ländern wurden neben sittlichen auch gesundheitliche Bedenken als Begründung für das Verbot herangezogen. Da der Frauenfußball zu dieser Zeit regelmäßig eine große Anzahl an Zuschauern anzog und die Erlöse wohltätigen Zwecken gespendet wurden, können auch finanzielle Gründe hinter dem Verbot vermutet werden.

Der englische Frauenfußball ist während der Jahre des Verbots kaum dokumentiert. 1921 wurde von mehreren Vereinen eine eigenständige Frauenfußball-Liga, die „English Ladies´ Football Association“ gegründet. Eine der bekanntesten Fußballmannschaften, der Dick, Kerr’s Ladies F.C, war bis 1961 aktiv. Sicher ist, dass Frauen weiterhin unabhängig von FA und FL Spiele organisierten, v.a. in Parks und auf Spielplätzen.

Frauenfußball in England kann heute trotz des wachsenden sportlichen Erfolges nicht mehr mit der Popularität des Männerfußballs mithalten: Männerfußball ist die unumstrittene Sportart Nummer Eins auf der Insel. Die Premier League „The Greatest Show on Earth” (1) ist die weltweit am meisten verfolgte Liga der Welt und gilt als die umsatzstärkste Liga der Welt. Keine Fußball-Liga wird stärker vermarktet und ist zugleich unter Fußballfans umstrittener. Vor allem die zunehmende Übernahme durch Privatinvestoren wird kritisch diskutiert.

Obwohl der Frauenfußball seit den Neunziger Jahren durch die FA verstärkt gefördert wird, ist die höchste englische Spielklasse der Frauen, die FA Women's Premier League (ab April 2011 FA Women's Super League), von diesen Entwicklungen weit entfernt. Trotzdem können immer mehr Spielerinnen hauptberuflich Fußballspielen, da sie mittlerweile besser bezahlt werden und ihren Lebensunterhalt mit dem Sport bestreiten können.
Kritiker werfen der FA vor, in der Vermarktung von Frauenfußball zu sehr auf den „Kournikova-Effekt“ zu setzen. So beklagt Andrea Worrall (2), die Torhüterin des Manchester City Ladies Football Club, dass die FA zur Vermarktung des Frauenfußballs vor allem attraktive Spielerinnen, die eine heterosexuelle Ausstrahlung haben, einsetzt.

Die FA hat allerdings auch dazu beigetragen, dass Frauen im Männerfußball sichtbar werden. So wurde in der Saison 1994/1995 die erste weibliche Schiedsrichterin, Wendy Toms, in die Premier League berufen - in der aktuell laufenden Saison gehören vier Frauen zum Schiedsrichterkader der Liga.

Der zunehmende Erfolg der Nationalmannschaft ist eng mit der Person Hope Powells verbunden. Powell ist seit 1998 als erste vollzeitangestellte Nationaltrainerin tätig. Die ehemalige Nationalspielerin hat als erste Frau überhaupt 2003 die UEFA Pro Licence, die höchste Fußballlehrerlizenz, erworben. Im August 2010 wurde sie von der Zeitung „The Independent“ auf die „Pink List“ der einflussreichsten lesbischen und schwulen Personen in England gesetzt. Sie selbst äußert sich mittlerweile in den Medien nicht mehr zu ihrer sexuellen Orientierung. Powell ist neben der Stürmerin Kelly Smith und der Mittelfeldspielerin Fara Williams das Aushängeschild des Frauenfußballs in England.

Nach einer beeindruckenden Qualifikation ohne Niederlage gelten die Engländerinnen als kleiner Geheimfavorit auf den WM-Titel 2011 - die breite Öffentlichkeit auf der Insel wird der Weltmeisterschaft dennoch kaum Beachtung schenken.

 

....................

Nora Farik hat Politikwissenschaften in Frankfurt/Main und Birzeit, West Bank, studiert. Schwerpunkt ihrer bisherigen Tätigkeiten war u.a. die Analyse zivilgesellschaftlicher Bewegungen. Sie hat für das Brüsseler Büro der Heinrich-Böll-Stiftung die Broschüre „1968 revisited - 40 years of protest movements“ herausgegeben.

 

Endnoten:
(1) Werbeslogan für die Vermarktung der Premier League
(2) Diva Lesbian Magazine „WOMEN IN SPORTS: THE LESBIAN PERIL”

 

Literatur:

  • Hong, Fan und Mangan, J.A. (Hrsg.) (2004). Soccer, Women, Sexual Liberation - Kicking Off a New Era. London.
  • Magee, Jonathan, Caudwell, Jayne, Liston Katie und Scraton, Sheila (Hrsg.) (2007). Women, Football and Europe. Oxford.
  • Pfister, Gertrud, Fasting, Kari, Scraton, Sheila und Vazquez Benidle (2002): Women and Football - a contradiction? The beginnings of women's football in four European countries. - In: Scraton, Sheila und Flintoff, Anne (Hrsg.): Gender And Sport: A Reader. Oxon. S. 66.77
  • Williams, Jean (2003): A Game for Rough Girls? A History of women's football in Britain. Oxon.


Links:

 
 
 

Zur Fußball-WM der Frauen sind wir mit am Ball und erkunden die Fußballkultur der teilnehmenden Länder: Was kosten Eintritt und Stadion-Wurst? Wie viele Fans gibt es in Rio, Abuja und London? Wer hat das Zeug zur Torschützenkönigin? Gleichzeitig schauen wir auch über den Stadionrand hinaus und fragen: Wo birgt der Fußball Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen? Wie wird Fußball für Frauen ein Emanzipationskick? Wir gehen auf Tour in die WM-Austragungsorte und laden ein in die Böll-Arena.