Politikkohärenz zugunsten von Entwicklung ist das Leitthema des Entwicklungspolitischen Forums 2010 der Heinrich-Böll-Stiftung. Was bedeutet der Begriff Politikkohärenz und was sind die Hintergründe? -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Internationaler Politik.
Von Barbara Unmüßig und Heike Löschmann
Politikkohärenz zugunsten von Entwicklung (Policy Coherence for Development - PCD) ist das Leitthema des Entwicklungspolitischen Forums 2010 der Heinrich-Böll-Stiftung. Dieses Papier dient der begrifflichen Klärung, zeichnet die institutionelle und politische Verankerung dieses Politikansatzes im zeitlichen Rückblick nach, erörtert die Probleme der Umsetzung auf Ebene der deutschen, europäischen oder multilateralen Entwicklungspolitik und weist den Weg über den PCD-Ansatz hinaus in den Reformhorizont eines Verständnisses von Politikkohärenz, die der Zukunftssicherung des globalen Gemeinwohls verpflichtet ist. Sieben Kohärenzsünden aus der aktuellen politischen Realität und Praxis illustrieren, worum es geht.
Was ist Politikkohärenz zugunsten von Entwicklung oder PCD?
Politikkohärenz wird im allgemeinen definiert als die Unterstützung der Entwicklungspolitik durch andere Politikbereiche bzw. das Zusammenwirken verschiedener Politikfelder zur Erreichung übergeordneter Entwicklungsziele oder zumindest die Vermeidung eines politischen Handelns, das entwicklungspolitischen Zielen zuwiderläuft („do no harm“).
Angesichts der Herausforderungen der multiplen Krisen (Finanzen, Wirtschaft, Klima und Ernährungssicherheit) ist die Bearbeitung der negativen entwicklungspolitischen Konsequenzen von Inkohärenz verschiedener Politiken noch dringlicher geworden, und zwar auf der nationalen, der europäischen wie auch der multilateralen Ebene.
Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem PCD-Ansatz wird empfohlen, den Artikel von Guido Ashoff nachzuschlagen.
Lenkt man den Blick auf die Hauptursachen gegenwärtiger Probleme und bestehender Inkohärenz in der Entwicklungszusammenarbeit, wird offensichtlich, dass die Überwindung der Krisen, das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele und eines nachhaltigen klimafreundlichen Entwicklungspfades nicht allein durch steigenden Mitteleinsatz für Entwicklungszusammenarbeit bewältigt werden können, sondern ein abgestimmtes Handeln verschiedener Politikfelder nötig ist. Dadurch können die eingesetzten Mittel mehr Wirkung entfalten. Diese Abstimmung geht allerdings über die rein intersektorale Kommunikation und Koordination von Vorhaben hinaus. Sie muss politisch gewollt, eingefordert werden können und überprüfbar sein. Die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung verweist vor allem im Zusammenhang mit Forderungen, das ODA-Ziel von 0,7% bis 2015 einzuhalten, immer wieder auf die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der bisher eingesetzten Mittel zu erhöhen. Folglich müsste das Interesse an der Umsetzung der PCD -Verpflichtung groß sein. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft aber allzu oft ein großer Graben.
Ein brandaktuelles Beispiel aus der bundesdeutschen Politik verdeutlicht, was Politikkohärenz für Entwicklung im Sinne der oben stehenden Definition nicht ist:
Die Bundesregierung hat vor wenigen Wochen eine neue Rohstoffstrategie vorgelegt, in der die Entwicklungspolitik in den Dienst deutscher Wirtschaftsinteressen gestellt wird. Deutschland will bilaterale Rohstoffpartnerschaften mit ressourcenreichen Ländern abschließen, um - entwicklungspolitisch flankiert - langfristige Lieferverträge und ein günstiges Investitionsklima für deutsche Unternehmen zu schaffen. Gleichzeitig setzen sich Deutschland und die EU in bilateralen Freihandelsabkommen massiv für Vereinbarungen ein, die Entwicklungsländern wichtige politische Handlungsspielräume nehmen, um ihre Rohstoffe für eine nachhaltige und nachholende Entwicklung selber zu nutzen. Die Unterstützung der Bundesregierung für freiwillige Multistakeholder-Initiativen wie die Extractive Industries Transparency Initiative wird damit ausgehebelt, nachzulesen auf der Webseite des BMZ.
Kleiner Exkurs in die Entstehungsgeschichte von Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung als politische Leitlinie der Entwicklungspolitik
Politikkohärenz zugunsten von Entwicklung rückte seit Beginn der 90er Jahre ins Zentrum des internationalen Entwicklungsdiskurses. Zunehmende länderübergreifende Herausforderungen und die kritische Reflexion über die Zukunftsfähigkeit des globalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells waren dafür ausschlaggebend. Die daraus erwachsende Erkenntnis, nachhaltige Entwicklung zum Leitbild von Globaler Governance zu erheben, führte zwangsläufig dazu, zusätzliche Beiträge anderer Politikfelder - jenseits der Entwicklungspolitik - zur Lösung der globalen Herausforderungen einzufordern.
Zu den wesentlichen Impulsgebern für die Umsetzung der Kohärenzagenda seit Anfang der letzten Dekade (2000) zählt der Entwicklungsausschuss der OECD (DAC). Mittlerweile ist die Befolgung entwicklungspolitischer Kohärenz ein wesentlicher Bestandteil sämtlicher Überprüfungen der Entwicklungspolitik der Mitgliedsländer (sog. Peer Reviews). Seit 2005 erstellt die OECD einen jährlichen Bericht zu den Fortschritten in der Umsetzung der Kohärenzagenda und hat in der jüngeren Vergangenheit zusätzliche Aktivitäten initiiert, wie z.B. die Intensivierung der inter-sektoralen Koordinierung, die Erarbeitung eines strategischen Zielkatalogs für die Politikkohärenzagenda in der OECD und die Einrichtung eines „Civil Society Forums“ zu Entwicklungsfragen. Dies wie auch die jährliche Erörterung der entwicklungspolitischen Politikkohärenz soll die Realisierung eines „whole of OECD- approaches“ (gemeinsamer Ansatz der OECD-Mitglieder) befördern und vor allem das Bewusstsein in anderen Politikfeldern für diesen Anspruch stärken. Dazu trägt auch ein zwei-jährlicher PCD-Fortschrittsbericht bei.
Das folgende Beispiel aus der Europapolitik steht im Zusammenhang mit diesem Bericht. Es verdeutlicht die politischen Blindstellen bei der Umsetzung von Politikkohärenz für Entwicklung: In einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom September 2009, die in Auseinandersetzung mit dem zweiten Bericht zur Umsetzung des PCD-Ansatzes in Europa veröffentlicht wurde, wird als erfolgreiches Beispiel für das gute Zusammenspiel der Mitgliedsländer und positive Synergieeffekte zwischen verschiedenen Politikbereichen und in Bezug auf die institutionellen Mechanismen das Klima- und Energiepaket der EU aus dem Jahre 2008 zitiert. Es böte „enorme Möglichkeiten für die Herstellung und Nutzung nachhaltiger Biokraftstoffe in den Entwicklungsländern“, heißt es dort. Die auftretenden kontraproduktiven Konsequenzen der Biosprit-Politik der EU auf die Landnutzung, einschließlich der Risiken der Monokultur, der Bodendegradation, der Landnahme, der Entwaldung und der Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion und ihren Folgen für die Erreichung globaler Entwicklungsziele wie Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung in Entwicklungsländern werden dabei völlig ausgeblendet.
Schritte zur Umsetzung von Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung
Die insgesamt nur sehr langsamen Fortschritte der letzten Jahre und die großen Unterschiede zwischen den Geberländern in der Umsetzung des Kohärenzanspruches haben die Aufmerksamkeit verstärkt darauf gelenkt, welche Faktoren und Anreize zur Verbesserung der entwicklungspolitischen Kohärenz zentral sind:
Am Ausgangspunkt für effizientes Kohärenz-Management steht die Festlegung und Priorisierung von Zielen im Falle von Inkompatibilitäten. Politische Willensbildung und Umsetzung in politischen Aktionsplänen („political commitment and policy statements“) sind ganz wesentliche Bausteine für die erfolgreiche Umsetzung des entwicklungspolitischen Kohärenzanspruches. Die Niederlande, Schweden und in einigen Fällen die Europäische Union sind gute Beispiele dafür, wie es gelungen ist, dem entwicklungspolitischen Kohärenzanspruch im Rahmen einer ganzheitlichen Regierungsstrategie einen zentralen Platz einzuräumen. Gesetzliche Grundlagen (Schweden) können die Kohärenzagenda immer dann kraftvoll unterstützen, wenn sie konkrete, kohärente und priorisierte Politikansätze absichern helfen und damit eine Berufungsgrundlage für Parlament, Parteien und Zivilgesellschaft schaffen. Erhält die entwicklungspolitische Kohärenz-Agenda Unterstützung von höchster politischer Ebene (wie in Luxemburg und Großbritannien), und werden politische Blindstellen wir die oben für die Europapolitik genannte überwunden, sind die besten Voraussetzungen gegeben, um sie in konkrete Aktionspläne und Vereinbarungen auf Regierungsseite zu verankern und in Monitoringsysteme einzubauen.
Die Erfahrung auf bundesdeutscher Ebene zeigt, dass weniger die Struktur der Politikkoordinierung für mehr Politikkohärenz ausschlaggebend war, sondern vielmehr Anstrengungen in der interministeriellen Netzwerkbildung wie regelmäßiger Personal- und Informationsaustausch zwischen Ministerien, gewachsene gemeinsame Arbeitsstrukturen, Wirkungsmonitoring, fokussierte und ergebnisorientierte Ressortvereinbarungen und eine signifikante Aufstockung und Qualifizierung der Personalkapazitäten.
Die Einrichtung einer speziellen Regierungsstelle oder eines Referats zur Umsetzung und Erfolgskontrolle von Politikkohärenz anderer Ministerien mit Entwicklungspolitischen Zielformulierungen sowie die Einbindung der Außenstrukturen in diesen Prozess ist eine zentrale Forderung an Entwicklungsminister Niebel für einen kurzfristigen Umsetzungshorizont.
Einrichtung eines Ressortkreises Technische Zusammenarbeit
In der Vorbereitung der Fusion der Durchführungsorganisationen für Technische Zusammenarbeit startete das BMZ einen erneuten Versuch, auch seine Rolle zur Sicherung der entwicklungspolitischen Kohärenz, einer besseren Koordinierung und beim Informationsaustausch zu stärken. Seine Ambitionen konnte das BMZ in der Ressortabstimmung zum Reformkonzept nicht vollumfänglich durchsetzen.
Es heißt nun: „Ein Ressortkreis Technische Zusammenarbeit (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - GIZ) wird für eine bessere Abstimmung der Aktionen in diesem Bereich konstituiert. Der Ressortkreis ist ein Informations- und Abstimmungsgremium. Mit dem Ressortkreis wird allen Ressorts ein Rahmen geboten, eigenen Einfluss auf die Gesamtarbeit der neuen Durchführungsorganisationen zu nehmen. Der Ressortkreis setzt sich aus Vertretern der einzelnen Ressorts zusammen und wird vom BMZ geleitet.“ Dieser Ressortkreis ist ein Fortschritt, scheint aber auf die Ambition zu verzichten, die Abstimmungsmechanismen mit den Agenturen der Finanziellen Zusammenarbeit gleich zu integrieren. Die Reformvision der EZ kann nicht auf die TZ beschränkt bleiben und wird früher oder später die FZ inkludieren.
Ob sich aus dem Gremium ein breiterer Abstimmungs- und Informationsrahmen entwickeln lässt, – so die Hoffnung des Entwicklungsressorts - muss die Praxis zeigen. Dabei existiert bereits ein Beispiel, wie eine solche bessere Koordinierung und Informationsbereitstellung organisiert werden kann. Das „Konzept einer modernen Ressortforschung der Bundesregierung“ aus dem Jahr 2007 und die daraus abgeleiteten 10 Leitlinien verpflichten die Ressorts „ressortübergreifende Synergie-Potentiale auszuschöpfen, am Verfahren der elektronischen Frühkoordinierung teilzunehmen und die Grundsätze und Verfahren für Forschung und Entwicklung (u.a. Vorgaben für die Qualitätssicherung ) zu befolgen“ .
Der politische Rückhalt und die Unterstützung in Parlament und Öffentlichkeit für mehr kohärentes politisches Handeln können nur gewährleistet werden, wenn systematische Prüfungen, Analysen und Berichte („Systems for monitoring, analysis and reporting“) über die Auswirkungen inkohärenter Politiken erstellt und veröffentlicht werden. Hier kommen den regierungsunabhängigen Fachorganisationen, den Stiftungen und Forschungsinstituten, aber auch den Abgeordneten und ihren Fachausschüssen besondere Aufgaben zu, um kritisches Monitoring und Ergebnisanalyse zu betreiben. Sie sollten für diese Aufgaben gestärkt und durch entsprechende finanzielle Ausstattung dafür in die Lage versetzt werden.
Nur so lässt sich ein stetiger Lernprozess im Politikbetrieb aufrechterhalten und die Rechenschaftspflicht der Exekutive hin zu kohärenterem Handeln stärken. Gerade dieser Baustein eines erfolgversprechenden Systems für mehr Politikkohärenz ist aber in fast allen Mitgliedsländern der OECD am schwächsten ausgebildet, so auch in Deutschland.
Über Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung als Ressortkohärenz von Regierungspolitik hinauswachsen
Wir hatten eingangs Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung definiert als die Unterstützung der Entwicklungspolitik durch andere Politikbereiche bzw. das Zusammenwirken verschiedener Politikfelder zur Erreichung übergeordneter Entwicklungsziele.
Dieses Verständnis lässt aber den Wirkungshorizont und die Wirkungsdauer bezogen auf Regierungshandeln offen. Politikkohärenz zugunsten globaler Entwicklungsverantwortung gibt im Kern den Interessen und der Zukunftssicherung des globalen Gemeinwohls Vorrang. Sie muss daher im Zentrum einer Regierungspolitik stehen, die sich über Legislaturperioden hinaus und unabhängig vom politischen Wechselspiel von Koalitionsneubildung zur Erreichung eben dieser „übergeordneten Entwicklungsziele“ verpflichtet. Diese müssen sich einerseits beziehen auf Kohärenz im Interesse der Einhaltung internationaler Konventionen, gleichzeitig aber auch an der Leistungskraft eines Landes orientieren, z.B. der Bundesrepublik oder einer Ländergruppe (OECD), Beiträge zur globalen Zukunftssicherung zu leisten. Nur durch einen mehrjährig verbindlichen Leistungsrahmen würde ein ganzheitlicher Regierungsansatz als Beitrag zum globalen Mehrfachkrisenmanagement tragfähig, nachprüfbar und einklagbar. Eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die das Primat nationaler Interessenpolitik über Verpflichtungen zu globaler Verantwortung stellt, wäre dann ausgeschlossen.
Nur durch Kohärenzverpflichtungen im klaren Bezug auf festgelegte übergeordnete Ziele ersparen wir uns Energieverlust im Streit darüber, was im Kontext einer bestimmten Regierungspolitik und Legislaturperiode als kohärent gilt und was nicht.
Schlussbemerkung
Die globalen Systemkrisen bedeuten für die Entwicklungspolitik, ihr Denken und ihre Ansätze grundlegend zu verändern. Im Kreis der Entwicklungshilfegeber hat sich mittlerweile die Position durchgesetzt, dass die Entwicklungspolitik größere Beiträge zur Bereitstellung globaler Gemeinschaftsgüter wie der Bekämpfung grenzüberschreitender Krankheiten und Konflikte, aber insbesondere zum Klimaschutz und einer nachhaltigen Energieversorgung leisten muss. Entwicklungspolitik muss damit aus einem in der Vergangenheit enger gesetzten Aktionsradius heraustreten und in den Kontext eines ganzheitlichen Regierungsansatzes eingebettet werden.
Eine ganzheitliche, ressortübergreifende Regierungspolitik, die sich in diesem Sinne von Kohärenz als Garant für globale Strukturpolitik versteht, stellt einen Beitrag zu einer Gemeinschaftsaufgabe dar, die sie erfolgreich im Sinne der übergeordneten Zielsetzungen lösen kann. Sie kann dabei im engen Verbund zwischen bi- und multilateralem Handeln, mit Akteuren wie der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft, und in kohärenter Zusammenarbeit mit anderen Politikfeldern erfolgreich sein.