Lokale und internationale Strategien zur Konfliktlösung in der DR Kongo

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Der Preisträger Raphaël Wakenge Ngimbi ist einer der engagiertesten Menschrechtsaktivisten in der DR Kongo. 2010 wurde ihm der Ökumenische Friedenspreis für Zentralafrika verliehen. Foto: Ökumenisches Netz Zentralafrika.

29. Juni 2010
Anlässlich des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) am 30. Juni 2010 veranstalteten das Ökumenische Netz Zentralafrika (ÖNZ)  und die Heinrich Böll Stiftung (hbs) in Berlin eine zweitägige Expertenkonferenz. In vier Panels diskutierten Vertreter von EU, UN, lokalen Menschenrechtsgruppen und Forschungsinstituten mit Teilnehmenden von Hilfswerken, Medien, Ministerien und NRO die wichtigsten Konfliktlinien in der DR Kongo und suchten nach erfolgversprechenden Interventionsansätzen. Kern der Veranstaltung war die Diskussion über das Spannungsverhältnis von Eigenverantwortung der kongolesischen Regierung und internationalen Interventionen.

Schwierigkeiten der EU und UN

Zum Thema Sicherheitssektorreform erläuterte General Jean-Paul Michel, Leiter der EUSEC-Mission in der DR Kongo, die Schwierigkeiten seiner Mission: EUSEC habe eine begrenzte personelle und finanzielle Ausstattung und könne daher nur unterstützend wirken. Die kongolesische Regierung müsse ohnehin den Motor der Reform stellen. EUSECs Erfolg werde aber auch durch die schlechte Koordinierung von Einzelaktivitäten internationaler Akteure gebremst.
Mangelnde Geberkoordinierung und das Fehlen einer kohärenten Strategie gegenüber der kongolesischen Regierung hemmen auch die Leistungsfähigkeit der UN-Blauhelmmission MONUC. Christian Manahl, Leiter der MONUC im Osten der DR Kongo, sieht daher nur einen begrenzten Handlungsspielraum seiner Mission, solange der Reformwille der kongolesischen Regierung nur eingeschränkt vorhanden sei.

Forderungen der kongolesischen Menschenrechtsorganisationen in internationale Organisationen

Vertreter kongolesischer Menschenrechtsorganisationen forderten einen größeren internationalen Beitrag zur Beendigung der systematischen Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen im Land. Die Einrichtung gemischt besetzter Tribunale mit einheimischen und externen Richtern könnte dafür einen Baustein bilden. Reparationen für die Opfer von Überfällen und militärischen Aktionen seien bislang ausgeblieben. Botschaften der EU sollten ihre Mechanismen zum Schutz von Menschrechtsverteidigern und Zeugen von Kriegsverbrechen konsequent anwenden, um zivilgesellschaftlichen Akteuren Schutz vor politischer Verfolgung zu gewähren.

Transparenz im Rohstoffsektor

Die reichen Bodenschätze in der DR Kongo haben in den letzten 50 Jahren nur eine kleine Elite aus Politik, Militär und Geschäftsleuten bereichert und die andauernden bewaffneten Konflikte zwischen der staatlichen Armee, Oppositionsgruppen und illegalen Milizen sowie militärische Interventionen aus den Nachbarstaaten finanziert. Entscheidend sei es, Transparenz im Rohstoffsektor herzustellen, um langfristig die Erlöse aus dem Rohstoffhandel zum Wohle der gesamten Bevölkerung zu nutzen. René Ngongo, Träger des alternativen Friedensnobelpreises, machte zudem deutlich, dass die westlichen Industrienationen ein großes Interesse daran haben sollten, die DR Kongo als wichtigsten Exporteur von mineralischen Rohstoffen und vor allem als Sitz des zweitgrößten intakten Regenwaldes der Erde als stabilen und demokratischen Partner zu gewinnen. Eine erneute politische Krise in Zentralafrika sei weit gefährlicher – und teurer – als alle derzeitigen Stabilisierungskosten.

Kopplung von Finanzhilfe an Demokratisierungsschritte

Das Panel zu den anstehenden Wahlen 2011 zeigte, dass die umfassende Reform der demokratischen Institutionen, die mit den Wahlen 2006 angestoßen wurde, weitgehend ohne Erfolg geblieben ist. So gäbe es noch keine unabhängige Wahlkommission, die faire und transparente Wahlen 2011 organisieren könnte. Die Vertreter der lokalen NRO forderten die internationale Gemeinschaft auf, Finanzhilfen an die DR Kongo an Demokratisierungs- und Dezentralisierungsschritte zu koppeln und die strikte Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. 2011 allein Präsidentschaftswahlen abzuhalten sei nicht genug. Nur wenn der Demokratisierungsprozess auch auf Provinz- und lokaler Ebene verankert wird, können die Bürger ihre Regierung vollständig demokratisch zur Verantwortung ziehen.

Rede von Raphaël Wakenge Ngimbi zum Anlass der Preisverleihung


Verehrte Vertreter aller Länder, die zu diesem Anlass geladen sind, hochachtungsvolle Vertreter der Mitgliedsorganisationen des Ökumenischen Netzwerks, verehrte Eingeladene, meine Damen und Herren,

(…) Süd-Kivu ist eine der elf Provinzen der DR Kongo. Sie grenzt an Rwanda und Burundi, wo die Lage der Menschenrechte aufgrund der zahlreichen Übergriffe gegen Menschenrechtsaktivisten und Journalisten düster aussieht; diese Repression trifft zudem die gesamte Bevölkerung, vorwiegend die vulnerabelsten Schichten, sprich Frauen und Kinder. (…) 
 
In diesem Sinne nehmen wir den Preis an und versprechen ihn unter allen Umständen zu verteidigen, auf dass die Förderung und der Schutz der Menschenrechte, unser Schlachtpferd, auf ewig währen.

Dieser Preis, der heute von einer ökumenischen Organisation für die Verteidigung und Förderung von Menschenrechten verliehen wird, kommt sehr gelegen: zu einer Zeit, in der unser Land, die DR Kongo, mitten in den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten des 50-jährigen Jubiläums der Erlangung nationaler und internationaler Souveränität am 30. Juni 1960 steckt.

Auch wenn die Meinungen darüber auseinander gehen, wie die politischen Akteure, die sich seit der Unabhängigkeit an der Spitze der DR Kongo abwechselten, abgeschnitten haben, so sind sich doch alle einig, dass die Friedensbilanz seit 1994 größtenteils negativ ausfällt. Vor allem im Osten des Landes, in den Provinzen Süd- und Nord-Kivu sowie Orientale, wo das Knattern von Kalachnikovs seit mehreren Jahren das Zwitschern der Vögel ersetzt hat.

Um von etwas anderem zu sprechen: in jüngerer Zeit wurden verschiedene Militäroperationen von den Regierungsautoritäten, mit Unterstützung der MONUC, ins Leben gerufen, um Elemente der FDLR zu aufzuspüren und zu bekämpfen. Sie tragen Namen wie Umoja Wetu (Unsere Einheit), Kimya II (Stille II) und Amani Leo (Frieden Heute). Ihre Auswirkungen auf das Schicksal der zivilen Bevölkerung sind weiterhin der Inhalt kontroverser Debatten. Dies liegt daran, dass die Bevölkerung immer noch Opfer von Übergriffen durch Rebellengruppen und einigen Elementen der FARDC (Forces Armées de la RD Congo) ist. Um Frieden in diesem Teil des Kongo herzustellen, sind die Bemühungen eines jeden unverzichtbar.

Dieser Moment in der Geschichte ist ein wichtiger Augenblick für die DR Kongo und uns, um inne zuhalten und gemeinsam über Zukunftsperspektiven und die Rolle nachzudenken, die wir, die Aktivisten der Zivilgesellschaft, einnehmen sollten.
Dieses Nachsinnen ist für uns eine Pflicht insofern, als wir nicht erklären können wie dieses « paradiesische Land » der Schauplatz von Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art ist. Damit meine ich: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die systematischen Vergewaltigungen, die als Kriegsstrategie eingesetzt werden, Zwangsumsiedlungen der Zivilbevölkerung, die Rekrutierung von Kindersoldaten, das Plündern der natürlichen Ressourcen, das Abbrennen von Hütten und Häusern, bewaffnete Konflikte, eine Zweiklassenjustiz, die Verarmung der Bevölkerung, unbeschreibliches Elend...

Diese Überlegungen dürfen sich nicht auf den Kongo beschränken. Jetzt da viel von den Wahlen in Burundi die Rede ist, auch in Rwanda, müssen wir uns dafür interessieren. Denn das Schicksal dieser drei Länder ist eng miteinander verbunden. Es wird keinen Frieden im Kongo geben solange es keinen Frieden in Rwanda und Burundi gibt. 

Meine Damen und Herren,

diese Realität macht uns keinesfalls Angst. Vielmehr bestärkt sie uns in unserem unablässigen Kampf gegen alle Verfehlungen und ihre Folgen, den wir weiter intensivieren werden. Auf diese Weise tragen wir zur Schaffung eines Rechtsstaats bei, eines Staats, in dem die Menschenrechte gesichert sind.
Auf diesem Weg voller Hindernisse, auf dem viele unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen den Tod gefunden haben, zählen wir sehr auf Ihre Unterstützung. 

Wir fordern auf, gemeinsam unsere Waffen für den Frieden aufzunehmen, um die Waffen im Kongo, sowie in ganz Afrika, für immer zum Schweigen zu bringen.   

Es wird keinen nachhaltigen Frieden geben, wenn die nationalen und ausländischen Rebellengruppen sowie die regulären Sicherheitskräfte nicht aufhören, die natürlichen Ressourcen des Landes zu plündern. Um diese Plünderung einzuschränken, sollte mehr Transparenz im Rohstoffsektor eine der Prioritäten für alle sein, die sich wünschen, der Frieden kehre zurück in die Region der Großen Seen.

Es ist wohl kaum nötig, noch weiter zu betonen, wie dringlich es ist, diejenigen vor ein Gericht zu bringen, die in wirtschaftliche Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Solange gewisse Personen von ihnen an der Macht sind oder in der Führung der Armee und der Polizei sitzen, wird die Justiz nicht ihre Arbeit machen können.
Die internationale Gemeinschaft muss sich stärker am Kampf gegen die Straflosigkeit für vergangene Verbrechen beteiligen. Sie könnte zum Beispiel die Einsetzung von gemischten Kammern im kongolesischen Gerichtswesen, in denen nationale und internationale Richter und Magistrate zusammenarbeiten, vorantreiben. 

Ich denke, Sie haben bereits bemerkt, dass wir sehr aufgewühlt sind und dass nicht zur Diskussion steht, ob dies der richtige Zeitpunkt ist. Wir, für unseren Teil, ergreifen die Gelegenheit um unser Engagement für die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte in der DR Kongo und in der Subregion der Großen Seen, in der es in den letzten zwei Jahrhunderten für Aktivisten und Aktivistinnen nicht rosig aussah, zu erneuern.
Dies ist der Moment um alle unsere Kollegen und Kolleginnen zu würdigen, die ermordet wurden, im Exil sind oder für die Sache des Friedens und des Respekts der Menschenrechte in Haft sitzen.

Ich danke Ihnen vielmals.

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Der Preisträger Raphaël Wakenge Ngimbi zählt zu den engagiertesten und erfahrensten Menschrechtsaktivisten in der Demokratischen Republik Kongo. 1966 in Bukavu (Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu) geboren, setzt er sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für ein Ende der bewaffneten Konflikte in der Region und die Wahrung der grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte ein. Wakenge ist Gründer und Koordinator der „Initiative Congolaise pour la Justice et la Paix“ (ICJP), deren zentrales Thema der Kampf gegen die Straflosigkeit im Lande ist. So engagiert sich die ICJP aktuell vor allem gegen die Kandidatur von Kriegsverbrechern bei den Kommunalwahlen und beobachtet die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs.