Umbau in Tübingen: Grüner macht blau

Das Plakat der Kampagne "Tübingen macht blau".
Quelle: Pressematerial Stadt Tübingen.

15. März 2010
Von Veronika Renkenberger
Bis 2020 soll die Universitätsstadt Tübingen 70 Prozent weniger Kohlendioxid produzieren. Für dieses Ziel dreht der grüne Oberbürgermeister an zahllosen Stellschrauben.

"Tübingen macht blau", heißt eine Kampagne, die in der württembergischen Universitätsstadt jedes Grundschulkind kennt. "Eine Stadt macht blau", heißt auch der Titel des Buchs, das Oberbürgermeister Boris Palmer über sein Tübinger Modell für Politik im Zeitalter des Klimawandels geschrieben hat.
Palmer will weg von Modellprojekten und hin zum Jedermann-Klimaschutz, "denn nur so wird er wirksam". Deswegen trommelt er unermüdlich für Energiesparlampen, energetisches Sanieren, Ökostrom, Carsharing und Spritsparkurse. Und startet ein Projekt nach dem anderen: Öffentliche Gebäude und Schulen werden saniert. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft macht ihren Bestand klimafreundlich. Stadtbusse sind derzeit jeden Samstag kostenlos. Der OB selbst hat keinen Dienstwagen mehr, sondern nutzt Fahrrad und E-Bike. Gute Ideen sind willkommen. So versorgt Tübingen als erste deutsche Stadt ein Schulzentrum mit Wärme, die aus einem Abwasser-Kanal gewonnen wird. Ein simples Wärmetauscher-System im Rohr erschließt die ungewöhnliche Energiequelle.
Palmer ist überzeugt, dass "Tübingen macht blau" die Stadt zukunftsfähig gestaltet: "Spätestens wenn die Preise für fossile Energie explodieren, stehen wir besser da". Dann bleibe im städtischen Haushalt mehr Spielraum, "gerade auch für soziale Leistungen".
In Tübingen rennt der Oberbürgermeister damit offene Türen ein. Mit seinem Klimaschutz-Wahlkampf setzte er sich 2006 im ersten Wahlgang gegen die Amtsinhaberin durch. "Im Gemeinderat finde ich meist breite Mehrheiten für Klimaschutz", berichtet er. Wenn es klemmt, klemmt es aus anderen Gründen. Mietrecht und Steuerrecht beispielsweise sähe Palmer gern geändert. Denn über die Hälfte aller Wohnungen sind Mietwohnungen. "Da wird derzeit kaum energetisch saniert – weil es sich für Vermieter nicht rechnet".
Eine andere Bremse für Palmers Klimaziele ist die Straßenverkehrsordnung. Sie erlaubt nicht, öffentliche Verkehrsflächen für Carsharing zu reservieren. "Das ist das Haupthemmnis für Carsharing", sagt Palmer, denn diese Autos würden nur an zentralen Stellplätzen gut angenommen. Die Stadt macht jetzt aufwendige Winkelzüge für gute Parkplätze und entwidmet öffentliche Fläche.
"Vor zwei Jahren habe ich dem Justizminister in Stuttgart geschrieben", erzählt Palmer. Er wusste von Hausbesitzern, die gern isoliert hätten, aber an der Landesbauordnung scheiterten. Die sah einen Mindestabstand von drei Metern zwischen Wohnhäusern vor. Wurde dies unterschritten, konnten Nachbarn per Einspruch alles verhindern. Da gab es immer wieder Ärger, denn durch Isoliermaterial wächst ein Gebäude pro Hauswand zwischen 15 und 25 Zentimeter. "Damals antwortete mir der Justizminister, die Leute könnten ja auch Innendämmung machen. Doch jüngst habe die CDU ein Einsehen gehabt und die Landesbauordnung geändert".
Nicht immer findet Palmer Wege, um Blockaden zu umgehen. Beispiel Windenergie: 2002 stoppte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel den Windkraft-Aufschwung im Ländle. Weil er die "Spargel in der Landschaft" ablehnte, machte er per Landesplanungsgesetz 99,7 Prozent der Fläche zur Windkraftverbotszone. Auf den übrigen Flächen fehlt Wind. "Dadurch ist das Land bundesweit Schlusslicht", reklamiert Palmer, der qua Amt auch Aufsichtsratsvorsitzender der Tübinger Stadtwerke ist. "Einen Standort für ein Wasserkraftwerk haben wir entdeckt. Aber seit Jahren finden wir landesweit nicht eine Stelle, an der ein Windpark genehmigungsfähig wäre". So investieren die Stadtwerke jetzt in einen Offshore-Windpark.
Palmer fuchst es auch enorm, dass "die städtischen Blockheizkraftwerke Verluste machen, weil die Rahmenbedingungen auf Großkraftwerke und große Konzerne zugeschnitten sind". Für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung werde zu wenig bezahlt, das reiche samt Fördergeldern nicht, um die Investitionen zu erwirtschaften. "Aber wer eine Beteiligung an einem Atom- oder Kohlekraftwerk hat, verdient sich dumm und dämlich".

Veronika Renkenberger ist Freie Journalistin in Tübingen. Sie beobachtet seit 15 Jahren, wie aus Boris Palmer, dem einstigen AStA-Umweltreferenten ihrer Studienzeit, ein Klima-Pionier wurde.

Green New Deal / Great Transformation