Energie in Bürgerhand

Mit neuem Selbstbewusstsein gegen die Stromkonzerne – die Oligopole der Energiewirtschaft geraten mit ihrem Kohle- und Atomstrom unter Druck. Zwei Beispiele: In Südbaden wollen Bürger Teile des Thüga-Konzerns kaufen, in München setzt unterdessen die Stadt auf 100 Prozent regenerative Energie. ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Ökologie und Nachhaltigkeit.

In Südbaden wollen Bürger die E-Werke selbst in die Hand nehmen

Seit Jahren schon hatte Michael Sladek die Thüga im Visier. Denn sie war bislang eine 100-prozentige Tochter des Atomkonzerns E.ON – und damit für den Vordenker der Stromrebellen aus dem Schwarzwaldstädtchen Schönau ein rotes Tuch. Auch auf ihre zahlreichen Beteiligungen warf der Mutterkonzern ein schlechtes Licht, etwa auf den Freiburger Energieversorger Badenova, an dem die Thüga 47 Prozent der Anteile hält: "Von jedem Euro, den die Badenova verdient, gehen 47 Cent in die Kasse des Atomkonzerns", mahnte Sladek immer wieder.

Aber was konnte man schon dagegen machen? Man konnte Kunden zum Wechsel ihres Stromanbieters aufrufen – aber mehr ging einfach nicht. Bis Anfang 2009. Da nämlich kamen plötzlich die Kartellbehörden zu Hilfe und drängten E.ON zum Verkauf der Thüga. Sladek, der zusammen mit anderen Schönauer Bürgern nach Tschernobyl schon einmal Millionenbeträge für den Kauf des örtlichen Stromnetzes gesammelt hatte, definierte daraufhin kurzerhand ein neues ambitioniertes Ziel: "Wir kaufen die Thüga."
Rückblick, Mitte März 2009: Im Rahmen einer Sonntagsmatinée zeigt die Katholische Akademie in Freiburg den neuen Film "Das Schönauer Gefühl", eine Dokumentation der Entstehungsgeschichte der Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Man erlebt, wie eine Bürgerinitiative gegen Atomkraft ihren örtlichen Netzbetreiber ganz forsch vor die Tür setzt und ein eigenes Stadtwerk aufbaut, das mit der Liberalisierung des Strommarktes gar ein bundesweit erfolgreicher Öko-Stromanbieter wird.

Kaum ist der Film zu Ende, schart sich eine Gruppe von Zuschauern um Michael Sladek – und kollektiv beschließt man, die Schönau-Story zu wiederholen. Und zwar zehnfach oder gar hundertfach größer. Walter Krögner, Forstingenieur und Freiburger SPD-Stadtrat, ist einer der Initiatoren. Er war vor drei Jahren mit dabei, als Freiburger Bürger den Verkauf der städtischen Sozialwohnungen per Bürgerentscheid stoppten. So weiß man hier am Fuße der Schwarzwaldberge längst, welche Macht Bürger haben.
Entsprechend flott kommt das Projekt ins Rollen: Nur zwei Tage nach dem ersten Treffen treten die Strategen mit ihrem Ziel an die Öffentlichkeit – 100 Millionen Euro sollen gesammelt werden. Von Anfang an mit dabei ist auch Rolf Disch, der bundesweit bekannte Freiburger Solararchitekt, der Häuser baut, die mehr Energie erzeugen als die Bewohner verbrauchen.

Die Initiative bekommt den Namen "Energie in Bürgerhand", kurz: EiB. Und sie entwickelt eine atemraubende Eigendynamik. Als hätten viele Freiburger auf solch ein Gemeinschaftsprojekt nur gewartet, wird EiB fast über Nacht zum Gegenentwurf einer verkorksten Energiepolitik: Eine Demokratisierung der Energiewirtschaft hat sich EiB auf die Fahnen geschrieben, eine Dezentralisierung der Energieerzeugung, den Ausstieg aus der Atomenergie, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Förderung der Energieeffizienz. Alles zusammen ein großes Ziel, fürwahr.

Binnen weniger Wochen beginnt das Geld auf Treuhandkonten zu fließen, die ein Anwalt führt. Denn EiB hat Zugkraft – es sind die beteiligten Namen, es ist die Chiffre EWS. Längst läuft die Aktion bundesweit, und im Oktober bekam sie mit der offiziellen Gründung einer Genossenschaft auch den nötigen formalen Rahmen. Bis heute haben mehr als 3700 Investoren gut 22 Millionen Euro bereitgestellt.

Für die ganze Thüga wird das Bürgergeld am Ende trotzdem nicht reichen, sondern vermutlich nur für einige Prozente. Das Unternehmen ist schließlich annähernd drei Milliarden Euro wert. So stellt sich nun die Frage, ob EiB mit wenigen Prozenten Anteil den Energiegiganten tatsächlich wird umkrempeln können? Krögner ist zuversichtlich: "Wir haben dann immerhin einen Fuß in der Tür."

Und noch eine Frage steht derzeit im Raum: Werden die Bürger überhaupt zum Zuge kommen? Im August hatte E.ON entschieden, die Thüga an rund 50 Stadtwerke zu verkaufen. Somit übernehmen nun Stadtwerke ein Unternehmen, dem sie selbst zum Teil gehören – es ist eine etwas verschachtelte Variante der Rekommunalisierung. In der ersten Runde war EiB nicht dabei.

Aber es soll eine zweite geben. Denn die Stadtwerke haben den Kauf großteils per Kredit getätigt, weshalb sie weiteren Investoren gegenüber aufgeschlossen sind. So hofft "Energie in Bürgerhand" nun, in das Thüga-Konsortium nachrücken zu können. Thorsten Radensleben, der als Chef der Freiburger Badenova den Thüga-Kauf von E.ON mit ausgehandelt hat, sagte bereits, er habe für den Einstieg der Genossenschaft "eine gewisse Sympathie".

Und selbst wenn das Bürgerprojekt am Ende nicht klappen sollte – wovon freilich keiner der Beteiligten ausgeht – wäre es nicht vergebens gewesen. Denn in jedem Fall hat es gezeigt, was Bürgerengagement alles auf die Beine stellen kann. Und es hat zudem dokumentiert, wie sehr der Energiemarkt im Umbruch ist; wie sehr die vier Oligopolisten E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall von Bürgern unter Druck gesetzt werden können.


München setzt auf Offshore-Wind und spanische Sonne

Ähnliches zeigt unterdessen auch der Fall München – wenngleich dieser völlig anders gelagert ist. Die Stadtwerke München (SWM) haben kürzlich das Ziel ausgegeben, ab 2015 alle Haushaltskunden komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen. Die Idee ist grundsätzlich nicht neu, doch München geht noch einen entscheidenden Schritt weiter als andere Stadtwerke: Der Strom soll komplett in eigenen Kraftwerken erzeugt werden. In einem zweiten Schritt bis zum Jahr 2025 soll das Öko-Konzept dann auch auf alle Industriekunden ausgedehnt werden.

"Damit wäre München die erste deutsche Großstadt, die diese Ziele auf dem Gebiet der Energiegewinnung und des Klimaschutzes erfüllt" verkündet stolz die bayerische Landeshauptstadt. Eine aktuelle Studie des Wuppertal Instituts im Auftrag von Siemens mit dem Titel "CO2-freies München" stützt die Vision.
Anders als beim Freiburg-Schönauer Projekt "Thüga-Kauf", das von den Bürgern – also sozusagen von unten – kam, geschieht die Energiewende in München auf politischen Beschluss hin: Die Stadtratsfraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen / Rosa Liste, die zusammen über eine Ratsmehrheit verfügen, haben das Ziel vorgegeben. Da die Stadt München alleinige Gesellschafterin ihrer Stadtwerke ist, muss das Unternehmen die politischen Vorgaben nun umsetzen.

Ein bunter Erzeugungsmix soll zum Ziel führen. Ein Baustein ist die Beteiligung am Offshore Windpark Global Tech 1. Er soll 2011 rund 90 Kilometer nordwestlich von Cuxhaven errichtet werden und aus 80 Anlagen mit zusammen 400 Megawatt bestehen. Allein die Beteiligung der SWM an diesem Projekt mit 24,9 Prozent entspricht dem Jahresverbrauch von rund 140 000 Münchner Haushalten. An Land haben die Stadtwerke zudem bereits fünf deutsche Windparks mit zusammen 25 Anlagen erworben, die weitere 40 000 Haushalte versorgen.

Des Weiteren sind die SWM zu 48,9 Prozent am Parabolrinnen-Kraftwerk Andasol III im südspanischen Andalusien beteiligt. Auf rund 510 000 Quadratmetern werden dort Parabolspiegel aufgestellt, die Sonnenlicht bündeln und mit der Wärme anschließend Strom erzeugen. Der Anteil der SWM an dieser Anlage deckt den Verbrauch von weiteren 30 000 Münchner Haushalten. Das Kraftwerk soll 2011 ans Netz gehen.

Wasserkraft gehört unterdessen schon lange zum Münchener Erzeugungsportfolio: Die SWM betreiben bereits zehn Wasserkraftwerke und bauen die Kapazitäten noch ein wenig aus. Außerdem soll die Geothermie ab 2011 mit einem Kraftwerk in Sauerlach bei München einen Beitrag zum Strommix leisten.
In München selbst wird der Ausbau der erneuerbaren Energien nach den Planungen allerdings recht beschränkt sein. "Die Wasserkraft ist weitgehend ausgeschöpft und mit der Photovoltaik ist es nicht ganz einfach, weil es schwer ist, in ausreichender Zahl passende Dächer zu finden", sagt Christian Miehling, Sprecher der Stadtwerke. Deswegen habe man sich entschieden, jeweils dort in die Projekte zu investieren, wo die Bedingungen optimal sind.

So wird auch München zum Symbol einer Energiewende. Bislang nämlich sind die Stadtwerke noch zu 25 Prozent am Atomkraftwerk Isar II beteiligt, das nach dem gültigen Ausstiegsfahrplan 2020 vom Netz gehen soll. An einer Laufzeitverlängerung sei man nicht interessiert, ließ Stadtwerke-Chef Kurt Mühlhäuser bereits wissen – schließlich wollen die Stadtwerke dann längst im Ökosegment etabliert sein.

Der Trend zum eigenen Stadtwerk

Es geht ein Ruck durch die deutsche Stromwirtschaft. Hamburg hat eigene Stadtwerke gegründet, Nürnberg, Frankfurt und Hannover sind neben der Freiburger Badenova Drahtzieher beim Kauf der Thüga durch rund 50 Stadtwerke. Und auch immer mehr kleine Gemeinden entscheiden sich inzwischen wieder für eigene Stadtwerke. Ein Beispiel ist das Regionalwerk Bodensee mit Sitz im württembergischen Tettnang. Dahinter stehen sieben Gemeinden, die den Beschluss fassten, sich von der EnBW zu trennen und die Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen. Zum 1. November 2008 übernahm das neue Unternehmen die ersten Gaskunden, Anfang 2009 startete die Stromversorgung. Und zum 1. Juli 2009 übernahm das Unternehmen in sechs der Gemeinden die Stromnetze. Die sieben Gemeinden Eriskirch, Kressbronn, Langenargen, Meckenbeuren, Neukirch, Oberteuringen und Tettnang mit zusammen 60 000 Einwohnern halten 52 Prozent an dem neuen Unternehmen. Darüber hinaus sind die Technischen Werke Friedrichshafen und das Alb-Elektrizitätswerk Geislingen-Steige mit jeweils 24 Prozent beteiligt.

Der Trend zum eigenen Stadtwerk ist bundesweit unverkennbar – vorbei sind die Zeiten, als die Konzessionen nur eine Formalie waren, als Gemeinderäte das Thema möglichst schnell abhakten. "Konzessionsverträge sind inzwischen zu einem Thema geworden, über das in den Kommunen wieder diskutiert wird", sagt Carsten Wagner vom Verband kommunaler Unternehmen. Diskussionsstoff wird es also noch viel geben: Bundesweit laufen nach Schätzungen des Verbandes in den nächsten zwei Jahren mehr als 2000 Konzessionsverträge aus.

100 Prozent Erneuerbare

Der Verband "100 Prozent" hat sich in Freiburg gegründet und vertritt alle Bereiche einer nachhaltigen Energiewirtschaft: Rohstofflieferanten, Produkthersteller, Handwerksbetriebe, Betreibergesellschaften, Planer und Finanzdienstleister. "100 Prozent" will ein Netzwerk von Unterstützern aufbauen und sucht die Kooperation mit Wirtschaftsverbänden und Umweltorganisationen zur Markteinführung von Energiewende-Technologien, den Abbau administrativer Hemmnisse und Marktzugangsbeschränkungen. Dem Verband steht ein Beirat von engagierten Bürgern und Bürgerinnen und des politischen, öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens und wissenschaftlicher Institutionen zur Seite. "100 Prozent" hat sich in der Solarregion Freiburg konstituiert, operiert aber weit darüber hinaus, initiiert Projekte und unterstützt Initiativen. Informationen: www.100prozentgmbh.de


Bernward Janzing ist Freier Journalist und Buchautor in Freiburg, Breisgau. Sein Interesse gilt dem Grenzbereich zwischen Ökonomie, Ökologie und technischem Fortschritt. Jüngste Veröffentlichung: "Störfall mit Charme. Die Schönauer Stromrebellen im Widerstand gegen die Atomkraft".


Green New Deal / Great Transformation