Die internationale Atomlobby versucht seit Jahren eine Renaissance der Atomkraft herbeizureden. Die Fakten aber sprechen eine andere Sprache: Fertigungskapazitäten fehlen, die Kosten sind hoch, es mangelt an qualifiziertem Personal, und der Finanzsektor ist skeptisch. Es wird auf absehbare Zeit weltweit keinen Bauboom für Atomanlagen geben. Auch als Retter vor dem drohenden Klimawandel taugt die Atomkraft nicht. Dennoch wird der Atomausstieg in Deutschland in Frage gestellt.
Atomkraft taugt nicht als Retter vor Klimawandel
Bereits am 9. Oktober 1981 titelte die New York Times: „Der Präsident präsentiert Pläne für die Renaissance der Atomenergie.“ Die amerikanische Regierung habe konkrete Schritte angekündigt, um die kommerzielle Atomkraft wiederzubeleben. Der Präsident hieß Ronald Reagan, und zu jenem Zeitpunkt waren allein in den USA noch fast fünfzig Reaktoren im Bau – so viele wie heute weltweit.
Im März 2000 erschien in der Fachzeitschrift atomwirtschaft – atomtechnik ein Beitrag über die Perspektiven der amerikanischen Atomindustrie. Der Autor vertrat darin die These, dass die „Renaissance der Kernenergie in den Vereinigten Staaten zum Teil der Liberalisierung, dem Wettbewerb und der Konsolidierung zu verdanken“ sei (Colvin 2000). Diese Entwicklung sei ein „Lehrbeispiel dafür, mit welchem Erfolg eine entschlossene Branche auf den Wechsel setzt“. Die Realität: In den USA ist seit 1973 kein Atomkraftwerk mehr bestellt worden, dessen Bau nicht hinterher aufgegeben worden wäre. Der Trend scheint zu sein, Betriebsgenehmigungen von Atomkraftwerken zu verlängern.
Kein Comeback der Kernenergie
Weltweit gibt es keine Anzeichen für ein Comeback der Kernenergie (Mez, Schneider, Thomas 2009). Die Zahl der Reaktoren ist von 1989 bis 2009 zwar leicht gestiegen – von 423 auf 436. Aber 2009 werden bereits acht Meiler weniger betrieben als noch 2002. Erstmals seit Beginn der kommerziellen Atomkraft, 1956, ging 2008 weltweit kein neues AKW ans Netz.
Anfang 2010 waren in 30 Ländern 436 Atomreaktoren mit einer Gesamtleistung von 370.120 MW und einem durchschnittlichen Betriebsalter von 25 Jahren in Betrieb. Zwei Drittel des Atomstroms wird in nur sechs Ländern erzeugt, darunter die drei Atomwaffenstaaten USA, Frankreich und Russland. Dazu kommen noch Japan, Deutschland und Südkorea. Von den 192 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen betreiben 161 gar keine Atomkraftwerke. Die große Mehrheit kommt ohne Atomenergie aus. Die meisten der potentiellen Neueinsteiger haben weder die nötigen Fachkräfte, keine Atomaufsicht, noch verfügen sie über das nötige Stromnetz, um große Atomkraftwerke betreiben zu können.
Nur sehr wenige Staaten setzen auf Atomkraft
Im Januar 2010 waren 56 Blöcke offiziell im Bau. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass dreizehn davon schon seit über 20 Jahren, zwei weitere seit zehn Jahren als „im Bau“ in der Statistik erscheinen.
Seit Beginn der kommerziellen Nutzung der Atomkraft wurden 127 Reaktoren mit einer durchschnittlichen Betriebszeit von 22 Jahren geschlossen. Allein im Jahr 2006 wurden insgesamt acht Reaktoren stillgelegt, alle in Europa. Bei einer angenommenen Betriebszeit von 40 Jahren werden bis zum Jahr 2015 weltweit insgesamt 95 Reaktoren und bis zum Jahr 2025 weitere 192 AKW vom Netz gehen. Selbst bei einer Inbetriebnahme aller im Bau befindlichen Anlagen müssten, um die Abschaltungen auszugleichen, bis 2015 etwa 50 und bis 2025 insgesamt zusätzlich rund 250 Reaktorblöcke mit einer Gesamtkapazität von über 200.000 MW geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden. Eine solche Entwicklung ist höchst unwahrscheinlich, eine Renaissance der Atomkraft nicht abzusehen (Mez, Schneider, Thomas 2009).
Klimaschutz durch Atomkraftwerke?
Die Behauptung, Kernkraftwerke stießen keine Treibhausgase aus, ist eine Halbwahrheit. Atomkraftwerke sind keine CO2-freien Anlagen. Sie emittieren bis zu einem Drittel der Menge an Treibhausgasen eines modernen Gaskraftwerks. Die CO2-Emissionen der Atomenergie betragen – je nachdem, wo der Rohstoff Uran gefördert und angereichert wird – bis über 150 Gramm CO2eq pro Kilowattstunde (der Treibhauseffekt wird mit einer Mischung der sechs wesentlichen Treibhausgase in CO2-Äquivalenten – CO2eq – ausgedrückt).
Das Öko-Institut hat für ein typisches deutsches AKW (einschließlich der Emissionen durch den Bau), das mit angereichertem Uran aus einem Mix von Lieferländern betrieben wird, eine Emission von 32 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ermittelt. Multipliziert man dies mit der deutschen AKWs produzierten Strommenge, so haben diese im Jahr 2008 den Ausstoß von insgesamt 4,8 Millionen Tonnen CO2 verursacht.
Indirekte CO2-Emissionen durch Uranabbau
Diese indirekten Emissionen könnten in den kommenden Jahrzehnten noch einmal kräftig ansteigen, wenn durch erschwerte Abbaubedingungen wesentlich mehr fossile Energie für den Uranabbau aufgewendet werden muss. Dann werden Atomkraftwerke was den Ausstoß von CO2 angeht keinen Vorteil mehr gegenüber modernen Gaskraftwerken haben (insbesondere wenn diese Kraft-Wärme gekoppelt sind).
Ein weiterer Beitrag von Atomkraftwerken zum Klimawandel ist die Freisetzung radioaktiver Isotope wie Tritium oder Kohlenstoff 14. Unter allen radioaktiven Stoffen ionisiert das Edelgas Krypton 85, ein Produkt der Kernspaltung, die Luft am stärksten. Krypton 85 entsteht im Atomkraftwerk und wird bei der Wiederaufarbeitung massiv freigesetzt. Die Konzentration von Krypton 85 in der Erdatmosphäre hat in den letzten Jahren durch die Atomspaltung stark zugenommen. Obwohl Krypton 85 möglicherweise zum Klimawandel beiträgt (Kollert und Donderer 1994), spielen diese Emissionen bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen bisher keine Rolle.
Der deutsche Atomausstieg – wie lange hält der Atomkonsens?
Am 27. April 2002 trat das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie in Kraft. Damit wurde ein zentrales Projekt der rot-grünen Bundesregierung realisiert. Für die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch betriebenen 19 Atomkraftwerke wurde festgelegt, dass nach der Erzeugung der für jede Anlage vereinbarten Reststrommenge die Betriebsgenehmigung der Anlage erlischt. Die ab dem 1. Januar 2000 noch produzierbaren Strommengen sind in einer Anlage zum Atomgesetz enthalten. Sie waren in der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Betreibern von Atomkraftwerken vom 11. Juni 2001 festgelegt worden und ergeben für jede Anlage eine Betriebszeit von ungefähr 32 Jahren. Ende 2008 betrug die verbleibende Reststrommenge noch 1.241,4 Terrawattstunden (netto).
Im November 2003 wurde mit dem AKW Stade im Zuge des Atomkonsenses das erste Atomkraftwerk abgeschaltet. Im Mai 2005 hat das AKW Obrigheim den Betrieb eingestellt. Vier weitere AKWs – Biblis A und B sowie Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel – hätten in der letzten Legislaturperiode die ihnen zugeteilte Reststrommenge verbrauchen können. Die Betreiber dieser AKWs versuchen jedoch mit verschiedenen Tricks und Anträgen die Abschaltung zu vermeiden.
Energieversorger: Mit Tricks gegen die Abschaltung
Während der Regierungszeit der Großen Koalition wurde die Forderung, die Laufzeiten der AKWs zu verlängern, von einigen Politikern aus CDU/CSU und FDP immer wieder vorgetragen – zum Beispiel um so den Übergang zu erneuerbaren Energien zu erleichtern. Die neue Bundesregierung will zwar die Laufzeiten verlängern, eine Entscheidung wird vor Herbst 2010 jedoch nicht fallen. Argumentiert wird, Atomenergie sei eine „Brückentechnologie“. Dies ist ein Irrweg: Die Vorherrschaft der großen Kraftwerksblöcke würde so verlängert und der Ausbau von dezentralen, kleinen Kraftwerkseinheiten, die sich wesentlich besser mit erneuerbaren Energien kombinieren lassen, behindert.
Atomenergie kann keine nachhaltige, zukunftsfähige Stromversorgung sicherstellen (SRU 2009). Nur ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie erhält den nötigen Innovationsdruck auf die Energiewirtschaft aufrecht und trägt so zu einer raschen Energiewende bei.
Lutz Mez ist Geschäftsführer der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der FU Berlin.
Quellen
- Colvin, Joe (2000): Heutiger und künftiger Stand der amerikanischen Kernenergieindustrie, in: atomwirtschaft – atomtechnik, H. 3, 142–147.
- Kollert, Roland und Donderer, Richard (1994): Klimarisiken durch radioaktives Krypton 85 aus der Kernspaltung. Bremen.
- Mez, Lutz, Schneider, Mycle, Thomas, Steve (eds.) (2009): International Perspectives of Energy Policy and the Role of Nuclear Power, Brentwood.
- Sachverständigenrat für Umweltfragen - SRU (2009): Weichenstellung für eine nachhaltige Stromversorgung, Berlin.
Das Webdossier versammelt zum Teil kontroverse Beiträge von Expertinnen und Experten, die an der Konferenz teilnahmen. Die in den Beiträgen vertretenen Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Sicht der Heinrich-Böll-Stiftung wider.
Dossier
Europäische Energiepolitik
Der Abschied von Kohle, Öl, Gas und Atomkraft ist machbar. Der Übergang ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien muss politisch vorangetrieben werden. Es geht um Investitionsanreize und Zukunftsmärkte, um Energiesicherheit und Machtfragen, um technische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken.Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert.
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