Trüffelschweine der Immobilienwirtschaft...

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Proteste gegen Verdrängungsprozesse und Gentrification in Hamburg. Auf den Transparenten steht: "I like Gängeviertel" oder "Die Stadt gehört allen". Foto: Arne Bratenstein. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

19. Februar 2010
Trüffelschweine der Immobilienwirtschaft...

...oder Gradmesser für urbane Fortschrittlichkeit und Toleranz? Zwischen diesen beiden Polen bewegte sich eine Veranstaltung der Heinrich Böll-Stiftung, ihrer NRW-Landesstiftung sowie des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Ende Januar in Köln. Knapp 200 Teilnehmende diskutierten über das Leitbild der Kreativen Stadt.

Dahinter steht die Idee, dass das kreative Potenzial der EinwohnerInnen Schlüssel zu Fortschritt und Wohlstand der Städte sei. Die Talente und Kreativen gelte es daher gezielt anzulocken: mit vielseitigen Stadtvierteln, guten Kulturangeboten sowie einem Klima der Offenheit und Toleranz. Präsentiert und diskutiert wurden Beispiele aus deutschen Städten, die sich vor allem. an die Kreativwirtschaft richten. Etwa die Zwischennutzungsagentur in Berlin-Neukölln, welche durch Vermittlung von leerstehenden Ladenflächen an neue Nutzergruppen für die Belebung des Quartiers sorgt. Oder das „Mannheimer Modell“ der Popmusikförderung.

Ein weiteres Beispiel ist die „Dortmunder Mischung“ aus kleinteiliger Ansiedlungspolitik, Mikrokrediten und Vernetzungsangeboten. Es zeigte sich, dass städtisches Wirtschaftswachstum, soziale Inklusion und kulturelle Entwicklung durchaus vereinbar sind. Im abschließenden Streitgespräch wurde jedoch auf die Gefahr hingewiesen, dass hinter dem schillernden Begriff der Kreativen Stadt auch immobilienwirtschaftliche Verwertungsinteressen stehen können. Sie bringen Verdrängungsprozesse in Gang, bei denen die finanziell Schwächeren das Nachsehen haben. Für das Standing der Kulturpolitik habe das Leitbild allerdings viel bewirkt, so die einhellige Einschätzung der KulturvertreterInnen. Und bei den lokalen Wirtschaftsakteuren hätte ein Umdenken begonnen, hin zur Förderung der kleinteiligen Unternehmensstrukturen vor Ort.

Am Ende sind die Kreativen für die Stadt beides: Vorboten der Gentrifizierung und Nachweis städtischer Weltoffenheit. Dass ein Ausgleich gelingen kann, zeigt die jüngere Geschichte des Gängeviertels in Hamburg: Durch Aktionen der Künstler-Initiative „Komm’ in die Gänge“ konnte der Abriss des gründerzeitlichen Viertels verhindert  werden. Darüber hinaus fand hier ein grundsätzliches Überdenken der Stadtentwicklungsziele statt. Der Hamburger Senat hat nun angekündigt, fortan stärker inhaltliche, konzeptionelle Kriterien bei der Veräußerung ihrer Liegenschaften heran zu ziehen und vom Höchstpreisgebot abzusehen.

Von Judith Utz, Referentin für Stadtentwicklung und Kommunalpolitik bei der Heinrich Böll-Stiftung, Berlin


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