Afrikanische Diaspora in Russland (1985-2005): Selbst- und Fremdbilder

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Svetlana Boltovskaja, Albert Ludwigs Univeristät Freiburg

Die ersten Afrikaner kamen vor mehr als 300 Jahren ins Zarenreich. In der UdSSR studierten ca. 400 000 Afrikaner. Derzeit leben in Russland ca. 50 000 Schwarze Menschen mit unterschiedlichem Status, also Afrikaner aus allen 53 Staaten Afrikas, Menschen mit afrikanischem Erbe aus anderen Erdteilen und Afrorussen (ca. 40 000), die als ein Teil der globalen Afrikanischen Diaspora betrachtet werden können. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind diese Menschen besonders stark vom wachsenden Rassismus betroffen und werden zu einem Indikator aller inneren Probleme Russlands. Die geplante Untersuchung strebt an, folgende Fragen zu beantworten: Welche historisch bedingte Faktoren bestimmen die Situation schwarzer Menschen in Russland? Ist der Rassismus in Russland eine relativ neue Erscheinung oder wie stark ist er in der russischen Geschichte verwurzelt? Welche Bilder des Afrikaners und Afrikas existieren in der russischen Kultur und in der öffentlichen Meinung? Welche Bilder von Russland und den Russen gibt es in der Afrikanischen Diaspora? Wie können bereits vorhandene wissenschaftliche Methoden des deutschen und englischen Sprachraums auf die russischen Fragestellungen übertragen und angewendet werden? Das beabsichtigte Forschungsvorhaben erweitert das Untersuchungsgebiet der internationalen Black European Studies auf Russland, ist aber auch für die Erforschung der Afrikanischen Diaspora in Deutschland relevant, weil die ehemalige DDR eine ähnliche Politik gegenüber afrikanischen Ländern wie die UdSSR betrieb und dabei auch dieselben ideologischen Maßgaben verfolgte. Außerdem leben in Deutschland über drei Mio. Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die nicht selten Vorurteile und Stereotype aus ihrer Vergangenheit in der UdSSR bzw. Russland mitbringen. Die Arbeit würde unter anderem in Deutschland und Europa bislang nicht erschlossenen und wegen der Sprachhindernisse meist vernachlässigten russischen Quellen basieren.

Die Erforschung der afrikanischen Diaspora in Deutschland und Europa wurde in den letzten 30 Jahren zunehmend intensiver betrieben: Ausführliche Monographien werden veröffentlicht, wissenschaftliche Tagungen finden statt, 2004 wurde das Zentrum für Black European Studies in Mainz gegründet. Jedoch Informationen über die Afrikaner in Russland gibt es im amerikanischen und europäischen Raum kaum: Bis jetzt sind nur die Übersetzung der russischen Studie „The Africans in Russia“ L. Goldens (1966) und die Studie „Russia and the Negro: Blacks in Russian History and Thought“ von A. Blakely (1986) erschienen. Über die Afrikanische Diaspora im postsowjetischen Russland sind keine Studien vorhanden. Seit dem Ende der 1950er Jahre wurden in der Sowjetunion wissenschaftliche Einrichtungen für Afrika-Forschung gegründet, jedoch wurde die Afrikanistik den Bedürfnissen der sowjetischen Außenpolitik und Ideologie untergeordnet. Die Situation veränderte sich seit den 1990-er Jahren: Erst 2000 wurde das erste  nichtstaatliche Afrika-Portal www.africana.ru in Moskau gegründet, im Januar 2006 findet die Suchmaschine www.google.ru zum Suchbegriff „Afrikaner in Russland“ bereits über 49 000 „Treffer“. In den letzten Jahren wurden erste wissenschaftliche Aufsätze über die Afrikaner in Russland von A. Davidson, L. Ivanova u.a. veröffentlicht und erste Umfragen der russischen Afrikaner durchgeführt.

Das Promotionsvorhaben beschränkt sich auf die Jahren 1985-2005, eine bedeutende Zeit in der Geschichte Russlands sowie der afrikanischer Länder. In diesem Zeitabschnitt fand eine Transformation des Afrikanerbildes der russischen Bevölkerung statt - von der exotischen Anziehung über paternalistische Unterstützung bis zu Rassismus und zur Beschuldigung der Ausländer bei allen Problemen Russlands. Geographisch wird das Promotionsvorhaben auf Feldforschungen in Moskau und St. Petersburg beschränkt. Folgende Quellen sind für die beabsichtigte Datenerhebung relevant: Dokumente und Programme von Hochschulen und gesellschaftlichen Organisationen, Materialien russischer Forschungszentren für Afrikanistik, statistische Daten, von Afrikanern, Afroamerikanern und Afrorussen herausgegebene Texte, Materialien aus Druckmedien und dem Internet, Video- und Audiomaterialien, eigene Aufnahmen von Interviews und Diskussionen. Methodisch kommen komparative Gesichtspunkte (Vergleich der Afrikanischen Diaspora in Deutschland und in Russland), Methoden von Photo- und Filmanalyse, teilnehmende Beobachtung bei den Veranstaltungen afrikanischer und afrorussischer Vereinen) sowie biographische Ansätze (Aufnahme und Analyse von Lebensgeschichten, Auswertung  von Biographien) in Frage. Erfahrung mit Interviews und anderen Techniken der Feldforschung sowie mit den Recherchen in russischen Archiven und wissenschaftlichen Bibliotheken habe ich aus der Zeit meines Studiums und Arbeit in Russland und aufgrund meiner Magisterarbeit. Als Vorarbeiten habe ich bereits in Deutschland vorhandene Literatur und Internet-Ressourcen ausgewertet, eine Literaturliste und eine vorläufige Gliederung erstellt sowie Radiosendungen zum Thema bei Radio „Dreyeckland“ in Freiburg gestaltet und Vorträge gehalten.

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