„Das Ende der Sorglosigkeit“ - Wie studiert man Wirtschaftswissenschaften in der Krise?

30. März 2009
Von Markus Scholz
Von Markus Scholz

„Kapitalismus am Ende?“ so lautete der Titel von gleich zwei Veranstaltungen die im Frühjahr dieses Jahres in Deutschland stattfanden. Die globalisierungskritische Organisation Attac veranstaltete zusammen mit der die Heinrich-Böll-Stiftung und anderen Partnern im März einen Kongress an der Technischen Universität Berlin. In Hannover lud die Ludwig Erhard Stiftung zu einer Abendveranstaltung mit dem gleichen Thema in die Räume der hannoverschen Sparkasse.

Beide Veranstaltungen zogen ein durchmischtes Publikum, bestehend aus Studierenden, Wissenschaftlern, Arbeitern und auch Bankern, an. In der Gruppe der Studierenden kam ein überraschend großer Teil aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften. „Ob der Kapitalismus am Ende sei“ wollen neuerdings also auch Betriebs- und Volkswirtschaftler wissen. Die künftigen Manager und Ökonomen waren in der Vergangenheit nicht für ihre Kritikfreudigkeit am herrschenden Wirtschaftssystem bekannt. Aber die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nun auch bei ihnen angekommen und mit ihr die Sorge um die eigene (berufliche) Zukunft.

Die Stimmung ist schlecht: Die Finanzkrise betrifft jeden

Die Stimmung auf den Campi und in den Mensen der Wirtschaftswissenschaftler ist düster. Marlene Walk, 28, von der FH Osnabrück studiert Non-Profit-Management an der FH Osnabrück. Sie weiß, dass von der Finanzkrise nicht nur Banken und Autobauer betroffen sind. Auch in ihrem künftigen Arbeitsgebiet gibt es Probleme: „Viele Non-Profit Organisationen haben Ihr Kapital nicht sicher angelegt und leiden jetzt ebenfalls unter der Finanzkrise. Außerdem erhalten sie wesentlich weniger Spenden als vorher. Klar, dass sich das auch auf deren Anstellungspolitik auswirkt. “ Bei den jüngeren Studierenden gibt es deshalb einen Trend erst mal einen Masterabschluss zu machen anstatt gleich ins Berufsleben einzusteigen. „Die warten auf bessere Zeiten“, berichtet die Studentin, die gerade ihre Master-Arbeit eingereicht hat und jetzt promovieren will. „Aber nicht wegen der schlechten Berufsaussichten, sondern weil ich mir eine akademische Karriere wünsche“, fügt sie hinzu.

Die Ursachen der Krise beschäftigen nun auch zukünftige Manager

Die Themen der Wirtschaftswissenschaftler erschöpfen sich aber nicht in der Klage um die sich verschlechternden Jobaussichten für Absolventen. Auch ethische Fragen und die möglichen Ursachen der Finanzkrise werden diskutiert. Die BWL-Studentin und Heinrich-Böll Stipendiatin Lisa Evers, 24, beschreibt die Stimmung auf dem Campus der Universität Mannheim als „das Ende der Sorglosigkeit“. Früher war zumindest für die Absolventen der ökonomischen Fächer der hochrenommierten Universität Mannheim eine Karriere in der Wirtschaft eine sichere Option. Durch die Folgen der Finanzkrise ist diese Option in Gefahr. „Viele Kommilitonen wurden regelrecht wachgerüttelt. Zum Glück machen sie sich nicht nur um ihre eigene Karriere Sorgen, sondern beginnen auch Fragen nach den Ursachen der Krise zu stellen. Und wir machen uns auch Gedanken um unsere eigene Rolle als künftige Manager und die damit verbundene Verantwortung. So gesehen hat die Krise also auch was Gutes. Und wissenschaftlich interessant ist so eine Krise für uns Ökonomen allemal“, berichtet die Studentin. Lisa Evers möchte mehr über die Ursachen der Finanzkrise und auch über die moralische Verantwortung von Managern erfahren. Sie organisiert deshalb zusammen mit einigen Kommilitonen und anderen Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung einen Workshop mit dem Titel „Brauchen wir mehr als einen freien Markt? Ökonomische Krisenanalyse und philosophische Betrachtungen“.

Bedarf nach Vorlesungen über Wirtschaftsethik und Sozialwissenschaften

Viele Studierende teilen dieses kritische Interesse ihrem Fach und wünschen sich z.B. Vorlesungen über Wirtschaftsethik in ihrem Studium. Dieser Nachfrage wird allerdings nur teilweise entsprochen. So wurde an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Leibniz Universität Hannover kürzlich der Antrag auf die Einrichtung einer Professur für Wirtschaftsethik negativ beschieden. Andere Hochschulen schenken diesem Thema eine größere Bedeutung und wollen die Fähigkeit zur kritischen Reflektion ihrer Studierenden noch weiter fördern. Vor allem die Universität Bayreuth, die private Universität Witten Herdecke und die Frankfurt School of Finance and Management bieten zusätzlich zu ihren Wirtschaftsethik Kursen, Seminare oder ganze Programme zur Philosophie der Wirtschaftswissenschaften an. Anders als in den USA und in Großbritannien ist die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften hierzulande eine noch wenig bekannte akademische Disziplin. Dabei ist die Kombination von Philosophie und Ökonomie keineswegs ungewöhnlich oder neu. Als klassisches Beispiel gilt Adam Smith. Dieser „Übervater“ der Wirtschaftswissenschaften war sowohl Philosoph als auch Ökonom und Smiths ökonomische Theorien sind ohne Kenntnis seiner moralphilosophischen Ausführungen nur schwer nachzuvollziehen. Aktuelle Fragestellungen der Philosophie der Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich u.a. mit wirtschaftsethischen und sozioökonomischen Fragen. In einer Zeit der Finanz- und Systemkrise gewinnen diese Themen an besonderer Brisanz.

Die bessere Verzahnung zwischen den Wirtschafts- und Geistes- bzw. Sozialwissenschaften wünscht sich auch Simon Lohse, 28, Student der Betriebswirtschaftslehre an der Leibniz Universität Hannover: „Es ist ja nicht so, dass ein paar Stunden Wirtschaftsethik ausreichen würden um sich kritisch mit seinem Fach auseinandersetzen zu können. Viel besser wäre eine systematische Verknüpfung der Fachgebiete. Ein „Studium Generale“ im ersten Semester, das vor allem Wissenschaftstheorie, Politik und Wirtschaftswissenschaften enthalten sollte, wäre eine gute Sache.“

Weltweit führende Hochschulen setzen auf eine breite Allgemeinbildung – Nachholbedarf besteht an deutschen Hochschulen

An den führenden Hochschulen der Welt ist ein Überblicksstudium im ersten Jahr an der Hochschule fast obligatorisch. Von den Studierenden der London School of Economics and Political Science wird beispielsweise erwartet, neben ihren fachspezifischen Kursen auch Seminare aus den Bereichen Politikwissenschaft und Philosophie zu belegen. Hierzulande ist ein gegenteiliger Trend zu verzeichnen. Mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses und der damit verbundenen Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse sollen die Studienzeiten verkürzt werden. Diese Verkürzung sieht eine Fokussierung auf die beruflichen Anforderungen, die an die Absolventen gestellt werden vor. Ein Studium der Betriebswirtschaftslehre beinhaltet dann fast ausschließlich die Ausbildung in anwendungsbezogenen Fächern, nicht aber in Politik, Philosophie oder in Wirtschaftethik. Ausnahmen gibt es natürlich auch hier. Die Studierenden der Leuphana-Universität Lüneburg beginnen ihr Studium mit dem sogenannten Leuphana-Semester. „In diesem Semester sollen wissenschaftsethische und wissenschaftshistorische Inhalte sowie historisch-philosophische Grundfragen unserer Zivilisation thematisiert werden“, heißt es auf der Website der Universität.

Aber auch an anderen Hochschulen rührt sich etwas. Die Universität Braunschweig organisierte im Wintersemester 2008/ 2009 spontan eine Vorlesungsreihe zum Thema Wirtschaftsethik. Die Zentrale Einrichtung für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik der Leibniz Universität Hannover veranstaltet im Sommersemester 2009 eine Vorlesungsreihe zur „Philosophie der Wirtschaftswissenschaften“ statt. Und die Universität Mannheim bietet ihre besten Wissenschaftler auf, um gemeinsam mit den Studierenden, im Rahmen einer extra eingerichteten Veranstaltungsreihe  über die Ursachen der Finanzkrise zu diskutieren.

Bei aller Sympathie für diese Veranstaltungen bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht nur um Eintagsfliegen anlässlich der gegenwärtigen Finanzkrise handelt. Die Studierenden der ökonomischen Fächer interessieren sich anscheinend sehr für wirtschaftsethische Fragestellungen, bzw. signalisieren großes Interesse an der Verbindung ihres Faches zu anderen Wissenschaften. Die entsprechenden Veranstaltungen werden sehr gut besucht. Ob die Fakultäten dieser Nachfrage auch in Zukunft systematisch, im Sinne eines erweiterten Curriculums, in dem auch Fächer wie Wirtschaftsethik oder die Philosophie der Wirtschaftswissenschaften enthalten sind, nachgeben werden, bleibt abzuwarten.

Die Frage nach einem moralischen Handeln wird wieder gestellt

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind einige Artikel führender betriebswirtschaftlicher Forscher, die bereits 2005 in international renommierten Fachjournalen erschienen sind. Der inzwischen verstorbene Sumantra Ghoshal, Professor an der englischen Wirtschaftskaderschmiede London Business School, warnte vor der einseitigen Ausbildung an den internationalen Business Schools. Diese Ausbildung würde, so Ghoshal, einen Schlag Manager hervorbringen, der nicht mehr gelernt hätte, moralisch zu handeln. Auch Jeffrey Pfeffer von der Graduate School of Business der Universität Stanford teilt diese Auffassung. In einem Artikel warnt er vor dem sich-selbsterfüllenden Charakter einiger betriebswirtschaftlicher Theorien. Laut Pfeffer gibt es wachsende Hinweise darauf, dass egoistisches Verhalten angelerntes Verhalten ist und dass dieses Verhalten in einer betriebs- oder volkswirtschaftlichen Ausbildung antrainiert wird.

Vielleicht wird die aktuelle Krise, die nicht zuletzt auch auf das moralische Versagen einiger Banker und Manager zurückgeführt werden kann, zum Anlass genommen, um einmal gründlich über die Ausbildung an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten nachzudenken. Es wäre den Studierenden der wirtschaftswissenschaftlichen Fächer zu wünschen. Denn obwohl viele von ihnen bereits im ersten Semester den Eindruck machen, als ob sie sich schon jetzt auf einen Vorstandsposten vorbereiten würden, sind ihre Interessen sicherlich nicht, auf die neuesten Börsenkurse und die aktuelle Damen- und Herrenmode beschränkt.

Markus Scholz studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Philosophie in Hannover und London. Er ist Dozent für Wirtschaftsethik und Philosophie der Wirtschaftswissenschaften sowie Consulting und Management an verschiedenen Hochschulen, schreibt regelmäßig für internationale Magazine  und arbeitet außerdem als Coach und Berater in öffentlichen und privatwirtschaftlichen Projekten. Derzeit ist Markus Scholz Promotionsstipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung.