Die Immobilienkrise in Washingtons Vorstädten: politische Schwarzweißmalerei mit Grautönen

Lesedauer: 9 Minuten

23. Februar 2009
Von Liane Schalatek

Jeden Abend, wenn ich mich aus dem Washingtoner Innenstadtbüro der Böll-Stiftung auf den Weg nach Hause mache, wird die Debatte über die amerikanische Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf die amerikanische Mittelschicht real und persönlich. Dort, wo ich nach einstündiger Pendelzeit ankomme, in Bowie, Maryland, einer der Washingtoner Vorstädte in Prince George’s Conty, zeigt sich das ganze Dilemma - Aufstieg und Zerplatzen - der Immobilienblase.

Sprawl - ausufernde Stadtgebiete

Bis ich in die Auffahrt unseres Hauses im alten Teil der Kleinstadt Bowie (53 000 Einwohner) einbiege - konservativ mit einer 30-jährigen festverzinslichen Hypothek finanziert, danke für die besorgte Nachfrage – bin ich an Meilen ziemlich neuer, ziemlich großer Häuser vorbeigefahren.

“Sprawl” heißt das hier, eine weitflächige Bebauung ohne Rücksicht auf ökologische Verluste mit den so genannten “Cookie-cutter”-Häusern, in den Boomjahren bis 2007 wie mit der Ausstechform gestanzt, alle ziemlich gleich aussehend: Plastikverkleidung, schlecht isoliert; weit weg vom Arbeitsplatz, aber eben bezahlbar.

In Washington selbst mit Familie bezahlbar zu wohnen, das geht für viele Mittelklasseverdiener schon seit Jahren nicht mehr. Längst ist zum “inneren Ring” der Washingtoner Vorstädte der “äußere” dazugekommen. Ohne Auto bist du in den Vorstädten verloren, öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, Gehsteige so gut wie nicht. Der amerikanische Traum hat hier Doppel- oder Dreifachgarage – und eben leider viel zu häufig eine unsolide Finanzierung.

Verkaufsschilder fallen gar nicht mehr auf

Jetzt stehen diese Traumhäuser immer öfter leer, sind zum persönlichen Alptraum ihrer einstmals stolzen, überoptimistischen, vielleicht eine Spur unverantwortlichen Bewohner geworden.Verkaufsschilder fallen gar nicht mehr auf – in meiner näheren Umgebung allein sind es zehn. Eher schon, wenn die Schilder plötzlich weg sind, weil die Häuser nach Monaten ohne einen einzigen Kaufinteressenten wieder vom Markt genommen werden.

Vielleicht ist es ja im Sommer besser. Oder wenn sich vor einigen Häusern plötzlich der Unrat ansammelt. Oder wenn in den Einfahrten der Hausrat liegt. Zwangsversteigerung und Zwangsräumung sind hier mehr als nur theoretische Begriffe, über die man in der Morgenzeitung liest. Dabei gilt Prince George’s County, der Landkreis, in dessen nordöstlichster Ecke Bowie meine derzeitige Heimatstadt liegt, eigentlich als nationales Vorzeigestück. Östlich von Washington gelegen ist Prince George’s in Südmaryland der wohlhabendste, mehrheitlich afroamerikanische Landkreis (mit 62,7 Prozent) in den Vereinigten Staaten. Prince George’s 800,000 Einwohner hat das Platzen der Immobilienblase hart getroffen, stärker als andere Landkreise um Washington herum. Mehr als 1050 Eigenheime sind gerade im Zwangsversteigerungsverfahren.

Blütezeit der Zwangsversteigerungen

Auch wenn die gute Nachricht ist, dass sich im Großraum Washington die Zahl der neuen Zwangsversteigerungen zu stabilisieren scheint – sie liegt derzeit nur geringfügig über dieser von vor einem Jahr – ist die Situation für Prince George’s nicht ausgestanden. Ungezählte weitere Zwangsversteigerungen könnten folgen. Ein wichtiger Grund: Die Hautfarbe der Mehrheit der Hausbesitzer in Prince George’s. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Die Geschichte der Subprime-Hypothekenkrise ist auch die einer offenen Diskriminierung durch US-Banken und Hypothekenmakler. Nicht nur auf der Grundlage niedrigerer monatlicher Einkommen (und somit vermeintlich höherer Risiken), sondern eben auch wegen der Rasse.

Die Wahl von Präsident Barrack Obama hat zu Recht Geschichte gemacht, auch gerade weil mit ihm der erste Afroamerikaner ins Weiße Haus zog. Viel ist in den letzten Monaten über das Anbrechen eines Postrassismus in den USA geschrieben wurden, über ein neues Zeitalter für die Verständigung der Amerikaner verschiedener Hautfarben: eine Hoffnung, eine schöne Vision für ein besseres Amerika.

Höhere Zinssätze für Hypotheken als anderswo

Die Realität sieht in vielen Bereichen anders aus – wie eben auch auf dem Immobilienmarkt in Prince George’s County. Schon vor knapp zwei Jahren ging die Washington Post mit einer Geschichte auf ihrer Titelseite der Frage auf dem Grund, warum Hypotheken für Eigenheime in Prince George’s County höhere Zinssätze verlangen als anderswo im Großraum Washington. 

Fast 43 Prozent der Refinanzierungen im Landkreis waren in sogenannten “high-cost loans”, einem Teil der Subprime-Hypothekensparte, US-weit nur 24 Prozent, und dass, obwohl das Durchschnittseinkommen in Prince George’s weit über dem Landesdurchschnitt liegt. Unterschiedliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Schulden, Kredittilgungsraten, kurz - alles, was unter der amerikanischen “credit history” zusammengefasst ist, mit der die Bonität eines Schuldennehmers bemessen wird, konnte die Differenz nicht erklären.

Die Reporterin schaute sich daraufhin zwei Gegenden genauer an: vergleichbar hübsche Einfamilienhäuser gleicher Größe in baumgesäumten ruhigen Straßen sowie vergleichbare Einkommensstruktur der Hausbesitzer, eine in Nordwest Washington, die andere in Prince George’s. Nur fünf Prozent der Hypotheken in Washingtons Nordwesten waren Hochzinssatz-Hypotheken, in Prince George’s waren es mehr als ein Drittel. Der einzige Unterschied, den die Reporterin aufgrund der Volkszählungsdaten ausmachen konnte: Die Bewohner der Wohngegend in Prince George’s waren zu 80 Prozent schwarz, die in Washington zu 80 Prozent weiß.

Produktvermarktung je nach Hautfarbe der Kunden?

Bürgerrechtler haben diese Praxis seit Jahren moniert  Überall in den USA ist Ähnliches passiert. Immer wieder wurde amerikanischen Schwarzen oder anderen Minderheiten von ihren Immobilienmaklern und Banken gesagt, die Hypothek mit der höheren Zinsrate sei für sie die einzig mögliche und beste Option.

Auch Hypotheken, bei denen der Zinssatz anfangs niedrig ist, dann aber nach wenigen Jahren rasant steigt, so genannte adjustable rate mortgages (ARM), sind unter Schwarzen und anderen Bevölkerungsminderheiten häufiger verbreitet. In Prince George’s County machen diese gefährlichen ARMs zwei Drittel aller gegenwärtigen Hypotheken aus. Rund ein Viertel dieser Hypotheken mit variablem Zinssatz werden noch im laufenden Jahr zum Teil um mehrere Prozentpunkte steigen. Und schon jetzt konnten 65 Prozent der Hauseigentümer in Prince George’s in den vergangenen zwölf Monaten ihren monatlichen Scheck an die Bank nur verspätet oder überhaupt nicht abschicken. Der erste Schritt zur möglichen Zwangsversteigerung.

Doch endlich soll den Leuten in Prince George’s und anderswo in den USA, vielen davon in einer unverschuldeten Wohnungsnotsituation, geholfen werden. Lange genug hat es gedauert. Ein neues Programm des Finanzministeriums ist wahrscheinlich wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber seine symbolische Bedeutung ist groß.
Noch vor wenigen Monaten war es der Bush-Regierung wichtiger, insgesamt 700 Milliarden US-Dollar in Rettungspläne für die Banken und Kreditmärkte zu stecken, das sogenannte Troubled Asset Relief Program (TARP). Die “faulen” unbezahlbaren Hypotheken sollten von den Bilanzen der Finanzwelt getilgt werden, aber nicht aus dem Schuldendienst der Hausbesitzer. Für die Rettung der „Main Street“ gab es keine Milliarden, sondern nur ein auf Freiwilligkeit der Gläubiger basierendes Refinanzierungsprogramm für Hauseigentümer, ironischerweise HOPE genannt. In dieser politischen Philosophie waren Familien in der Hypothekenfalle entweder selbst schuld oder für die Lösung der Finanzkrise nicht relevant.

Es gilt Zwangsversteigerungen zu vermeiden

Die Obama-Regierung hat jetzt dagegen ganz klar artikuliert, dass eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihren Ursprung in der amerikanischen Immobilienkrise nahm, nur mit der Stabilisierung des amerikanischen Immobilienmarktes überwunden werden kann. Und dafür müssen - als erste wichtige Maßnahme - weitere Zwangsversteigerungen aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen vermieden werden.

Der neue Stabilisierungsplan für Hauseigentümer, den Finanzminister Tim Geithner mit Präsident Obama vor wenigen Tagen verkündet hat, soll letztlich sieben bis neun Millionen Hausbesitzern helfen, ihre monatliche Hypothekenbelastung auf ein bezahlbares Niveau zu senken (nämlich weniger als ein Drittel des Monatseinkommens). Das soll durch Refinanzierung bestehender Hypotheken oder dank der gezielten finanziellen Unterstützung von Hauseigentümern auf der finanziellen Kippe aus einem neuen 75 Milliarden US-Dollar schweren Stabilitätsfonds geschehen.

Verbindliche Regeln und Kontrolle für die Banken

Vielleicht noch wichtiger: Das Finanzministerium will einheitliche Richtlinien für Kredit- und Hypothekenmodifikationen entwickeln. Diese gelten dann verbindlich für alle Banken, die bislang Geld aus dem staatlichen 700-Milliarden-TARP-Topf  angenommen haben. Und weil Vertrauen gut, aber Kontrolle besser ist, sieht der neue Plan eine strenge Aufsicht durch Regierungsbehörden und regelmäßige Berichtspflicht vor.

Noch ist nicht klar, ob der Plan zu wenig leistet, zu spät kommt oder funktionieren wird. Er ist aber ein wichtiger Schritt auf dem mühsamen Weg, die Schein- und Trugwelt der neuen Finanzierungsinstrumente und der Wall Street wieder mit der Realwirtschaft und der „Main Street“ zu verknüpfen. Und hoffentlich, wenn der Obama-Regierung wirklich Großes gelingt, kann der Finanzsektor auch wieder den Bedürfnissen reeller Menschen untergeordnet werden.

Dann hört vielleicht auch die Schwarzweißmalerei im amerikanischen Immobilienmarkt und in Wohngegenden wie Prince George’s County für immer auf. Es bleiben dann nur noch der “Sprawl” und die schlechte Isolierung viel zu großer Häuser in der amerikanischen Vorstadt.

Liane Schalatek ist Stellvertretende Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, DC und dort unter anderem für globale Wirtschafts- und Finanzpolitikthemen zuständig.