3. Januar 2009
Bis zum 27. Dezember 2008, als die israelische Armee ihre Gaza-Offensive begann, waren die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise ein zentrales Thema in der öffentlichen Debatte. In den ersten Monaten der Finanzkrise herrschte ein relativer Optimismus vor. Die israelischen Banken hatten offensichtlich wenig in den US-amerikanischen Hypothekenmarkt investiert und waren dadurch nicht unmittelbar gefährdet. Im Laufe der Zeit stellte sich jedoch heraus, dass die indirekten Auswirkungen oder Folgeschäden durchaus ernst sind.
Pensionsfonds
Am deutlichsten wurde dies zunächst im Bereich der Pensionsfonds, die in Folge der Krise zwischen einem Fünftel und einem Drittel ihres Werts verloren. Dieser Einbruch gefährdet insbesondere die Existenzgrundlage der Teile der Mittelschicht, die entweder bereits pensioniert sind oder in den nächsten Jahren in Pension gehen. Zwar garantiert die Nationalversicherung eine Altersrente, aber dies reicht kaum zum Überleben aus. Nach dem Stand vom 4. Januar 2008 beträgt die Grundrente 1 213 Shekel (ca. 231 Euro) für eine Person und 1 823 Shekel (ca. 347 Euro) für ein Ehepaar, ab dem 80. Lebensjahr erhält eine Person sowie auch ein Ehepaar 74 Shekel (ca. 14 Euro) zusätzlich.
Wie gering die staatliche Rente ist, wird im Vergleich deutlich. Das gesetzliche Mindestgehalt lag Anfang 2008 bei 3 710 Shekel (ca. 707 Euro) pro Monat und wurde im Juli 2008 auf 3 850 Shekel (ca. 734 Euro) angehoben ; das Durchschnittsgehalt (brutto) lag im September 2008 bei 8 019 Shekel (ca. 1 528 Euro). Da die Rente so niedrig ist, versucht jeder, der/die die finanzielle Möglichkeit dazu hat, sich eine zusätzliche Einnahmequelle für das Alter zu sichern. Für diesen Zweck werden Pensionsfonds durch Steuervorteile und Arbeitgeberbeiträge staatlich gefördert. Ein relativ großer Teil der Bevölkerung kommt allerdings kaum in den Genuss der Förderung. Ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze; und fast ebenso viele verfügen über ein Einkommen, das knapp darüber liegt. Deshalb sind Pensionsfonds hauptsächlich eine Option für die Mittelschicht.
Dies ist nicht das erste Mal, dass Pensionsfonds gefährdet sind
Anfang der 80er Jahre haben solche Sparfonds große Einbußen durch die hohe Inflation und darauf folgenden Währungsreformen erlitten. Die Langzeitfolgen davon und Misswirtschaft brachten die Pensionsfonds der Histadrut (Allgemeine Gewerkschaftsverband) in den 90er Jahren an den Rand des Bankrotts, was die Regierung dazu bewegte diese in von der Histadrut unabhängige Anlagefonds zu überführen (2003). Im Anschluss kam es zu einer weiteren größeren Veränderung, die damals häufig als positiv beurteilt wurde, aber – wie sich nun herausgestellt hat – die Voraussetzungen für die gegenwärtigen Verluste schuf. Als Finanzminister (2003-2005) verfolgte Benjamin Netanjahu eine Liberalisierungspolitik, die unter anderem eine Diversifikation des Finanzmarkts anstrebte. In diesem Zusammenhang mussten die Banken 2005 die Pensionsfonds verkaufen. Die Käufer waren Versicherungsunternehmen und Investmentfirmen. Da die Banken aufgrund ihrer wenig kundenfreundlichen Geschäftspraxis kaum Vertrauen in der Öffentlichkeit genießen, wurde dieser Schritt weitgehend begrüßt. Der „Börsengang“ der Rentenfonds hatte auch zunächst positive Auswirkungen: Bis Anfang 2008 konnten die Rentenfonds einen Gewinn von ungefähr 60 Prozent verbuchen.
In Folge des Tel Aviver Börsenkrachs vom Oktober 1983 unterstehen die Banken einer recht weitgehenden Kontrolle in bezug auf ihre Anlagepolitik. Es fehlt allerdings ein entsprechendes Aufsichtssystem für Versicherungsunternehmen und Investmentfirmen, das unter anderem hätte sicherstellen können, dass die Pensionsfonds relativ sicher angelegt werden. Darüber hinaus wurde der Trend zu spekulativen Investitionen dadurch begünstigt, dass die verschiedenen Rentenfonds mit einander konkurrieren. Der einzelne Anleger kann mit seiner Einlage von einem Fond zu einem andern wechseln. Mithin werben die Fonds verschiedener Firmen mit der Höhe ihrer Rendite, was bedeutet, dass die Sicherheit der Anlage nicht im Zentrum der Überlegungen steht. Die großen Verluste der Rentenfonds in den letzten Monaten hat dies überaus deutlich gemacht und die Anleger in Panik versetzt. Nicht zuletzt angesichts der bevorstehenden Wahlen forderten Politiker fast des gesamten politischen Spektrums (mit Ausnahme des Finanzministers) die Errichtung eines Sicherheitsnetzes. Die dennoch bestehenden Differenzen hätten eine diesbezügliche Entscheidung noch länger hinausgezögert, hätte Ministerpräsident Ehud Olmert die Errichtung nicht Anfang Dezember 2008 einfach verkündet.
Obwohl so ein formeller Regierungsbeschluss zum Sicherheitsnetz durchgesetzt werden konnte, ist fraglich, in wie weit die versprochene Sicherheit praktisch etwas verbessert. Formell erstreckt sich das Sicherheitsnetz auf Menschen ab dem 57. Lebensjahr und auf Verluste, die nach dem 1. Dezember 2008 eingetreten sind. Des Weiteren darf von einem „gesicherten“ Pensionsfond bis Dezember 2011 kein Geld abgehoben werden und danach kann das Geld nur in monatlichen Raten ausgezahlt werden. Voraussetzung für die Sicherung ist auch, dass die Gesamtsumme der Ersparnisse einer Person nicht mehr als 1,5 Millionen Schekel beträgt (ca. 286 000 Euro), und auch dann wird nicht die gesamte Summe garantiert, sondern nur ein Teil. So soll die Sicherung 600 000 Schekel (ca. 114 000 Euro) für Ersparnisse zwischen 1,5 und 1,25 Millionen Schekel decken; während der Prozentsatz für niedrigere Ersparnisse etwas höher liegt (zum Beispiel 700 000 Schekel/ca. 134 000 Euro für 1,25 Millionen Schekel/ca. 238 000 Euro). Ein wesentliches praktisches Problem bei dieser Regelung liegt darin, dass die Gesamtersparnisse einer Person in keiner offiziellen Datenbank systematisch erfasst sind. Wenn der Beschluss tatsächlich realisiert werden soll, müsste entweder eine solche Datenbank erstellt werden, was viel Zeit und Mittel erfordert, oder der/die Einzelne wird darauf angewiesen sein, nachweisen zu müssen, was er/sie nicht hat.
Einbruch im Kreditwesen
Obwohl die Frage der Pensionsfonds sehr viel Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte erhielt, handelt es sich dabei nicht um die einzige, und wohl auch nicht die wichtigste Auswirkung der internationalen Finanzkrise. Wie auch andernorts kam es auch in Israel zu einem starken Einbruch im Kreditwesen. Um die Lage zu verbessern, hat die Bank of Israel (die israelische Zentralbank) den Zinssatz schrittweise gesenkt, so dass er ab Januar 2009 bei 1,75 Prozent liegt. Diese Maßnahme führt gewiss zu sehr niedrigen Zinsen für Sparanlagen, aber es ist nicht sicher, in wie weit sie die Kreditsituation tatsächlich verbessert. Wie der Direktor der Zentralbank, Prof. Stanley Fischer, am 23. Dezember in seiner Ansprache bei der Jahresversammlung des Bankenverbands rügte, haben die israelischen Banken auch die vorhergehenden Zinssenkungen mit Hinweis auf das mit Krediten verbundene Risiko nicht an ihre Kunden weitergegeben. Deswegen oder nichts desto trotz hat sich die Zentralbank zu diesen sehr drastischen Schritten entschieden, da angenommen wird, dass dies der Anfang einer umfassenden Wirtschaftskrise ist, deren Folgen erst 2009 voll zu tragen kommen.
Nach Einschätzung der Zentralbank haben die internationale Finanzkrise und die damit einhergehende Drosselung der Weltwirtschaft auch bereits in 2008 Produktion und Handel in Israel beeinträchtigt. Von Juli bis September 2008 hat sich das Wirtschaftswachstum deutlich verringert, und die Daten für die letzten drei Monate des Jahres sprechen für einen Stillstand, wenn nicht sogar für eine negative Entwicklung. So ist der Index der Einnahmen im Bereich von Handel und Dienstleistungen im Oktober um 2,2 Prozent gesunken; der Import von Verbrauchsgütern sank im gleichen Masse und die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer auf israelische Produkte sanken um 4,1 Prozent, während Käufe mit Kreditkarte im November um 0,4 Prozent stiegen. Auf dem Arbeitsmarkt ist in den letzten drei Monaten des Jahres ein deutlicher Rückgang der offenen Stellen im Bereich der Wirtschaft zu verzeichnen. Die Zahl der Entlassungen stieg, während die Zahl der Neueinstellungen sank. Im November stieg die Zahl der Arbeitssuchenden, die sich bei Arbeitsvermittlungen registrierten, um 2,2 Prozent.
Entlassungswellen und Notlösungen
Besonders hart getroffen wurden bisher die führenden Wirtschaftszweige, die besonders stark in den internationalen Markt eingebunden sind. So kam es bereits bis zum Ende des Jahres zu einer größeren Entlassungswelle in der High-Tech Branche, die Finanzminister Roni Bar-On zu einem „kreativen“ Vorschlag animierte: Die arbeitslosen Spezialisten sollen als Lehrer arbeiten. Damit könnte ihr Arbeitslosenproblem gelöst und zugleich das katastrophal niedrige Niveau des Schulunterrichts jedenfalls im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich gehoben werden. Angesichts der Tatsache, dass die High-Tech Branche zu den oberen Einkommengruppen gehört (bis September 2008 lag das Durchschnittsgehalt bei 16 906 Schekel/ca. 3 220 Euro), während sich Lehrer im unteren Spektrum befinden, ist sehr fraglich, ob die Betroffenen Bar-On’s Vorschlag in irgend einer Weise attraktiv finden.
Als ein Zentrum des Diamantenhandels sind auch in Israel die Folgen der sinkenden Nachfrage auf dem internationalen Diamantenmarkt spürbar. Genaue Angaben lassen sich dazu nicht machen, da der Diamantenhandel keiner offiziellen Kontrolle unterliegt. Die Steuerbehörde verlässt sich auf die Angaben der hier ansässigen Firmen, ohne diese zu überprüfen. Die schwierige Situation durch die sinkende internationale Nachfrage wurde im Dezember wohl noch weiter durch einen Betrugsskandal verschärft. Angeblich sollen zwei Israeli, die Eigentümer der israelischen Zweigstelle einer in New York ansässigen Diamantenfirma sind, eine südafrikanische Diamantenfirma um 35 Millionen Dollar betrogen haben.
Es ist auch wahrscheinlich, dass eine globale Wirtschaftsrezession Israels Tourismus-Branche beeinträchtigen wird, und dies gerade zu einer Zeit als die Anzahl der Touristen wieder deutlich im Steigen begriffen war. Nach Angaben des Tourismusministeriums konnte das vom Ministerium gesetzte Ziel für das Jahr 2008: 2,8 Millionen Touristen, die nach Israel kommen, erreicht werden. Von Januar bis Juli kamen bereits 1,7 Millionen Touristen. Dies waren fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum in 2007. Aber die globale Wirtschaftskrise ist nicht das einzige Problem der Tourismus Branche. Gegenwärtig wird noch darauf gehofft, dass die Auswirkungen der Kriegshandlungen in und um Gaza geographisch beschränkt und kurzfristig bleiben. In wie weit dies eine realistische Einschätzung ist, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Faktor, dessen negative Auswirkungen bereits absehbar sind. Am 20. Dezember 2008 hat die Federal Aviation Administration (Bundes-Flugaufsicht) der USA Israels Einstufung wegen schwerer Mängeln im zivilen Flugverkehr, deren Ursachen nichts mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu tun haben, herabgesetzt. Damit befindet sich Israels ziviler Flugverkehr in der selben Kategorie wie zum Beispiel Flughäfen in Honduras, Indonesien, Haiti, Zimbabwe, Ukraine und Bulgarien. Das ist keine gute Werbung für den Tourismus, erschwert die Erweiterung der Zahl der Flüge und wird wohl auch die Kosten der Flüge erhöhen.
Dienste und Aktivitäten
Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die Finanz- und Wirtschaftskrise schwerwiegenden Folgen hat, sind Dienste und Aktivitäten, die durch Spenden finanziert werden. Die Spenden gehen im In- und Ausland zurück. Die Bekanntmachung der Jewish Agency im Oktober 2008, wonach sie ihr Budget für 2009 um 45 Millionen Dollar wegen „fundraising difficulties“ kürzen musste, ist ein Indikator für die Schwierigkeiten in diesem Bereich. Da viele Sozialleistungen nicht vom Staat sondern durch private, von Spenden finanzierte Organisationen erbracht werden, bedroht diese Entwicklung besonders die schwächsten Teile der Bevölkerung. Diese privaten Organisationen haben bereits in der Vergangenheit kaum ihren stets wachsenden Aufgaben nachkommen können, nun steht das ganze System vor dem Zusammenbruch. So zeigt zum Beispiel eine neue Studie, dass 40 Prozent der Familien in Israel nicht in der Lage sind, das vom Gesundheitsministerium als für eine gesunde Entwicklung erforderlich empfohlene Essen für ihre Kinder zu bezahlen. Die soziale Krise veranlasste Ende November die Oberrabbiner Shlomo Amar und Yona Metzger zu einem Tag des Gebets, der Besinnung und des Spendens aufzurufen. Angesichts der allgemeinen Krise werden wohl auch gesellschaftliche Bewegungen wie zum Beispiel die Umweltbewegung, der bislang insgesamt ca. 10 Millionen Schekel (ca. 1,9 Millionen Euro) jährlich an Spendengeldern aus dem Ausland zur Verfügung standen, beeinträchtigt.
Die Situation der durch Spenden finanzierten Dienste und Aktivitäten wird nicht nur durch die Auswirkungen der allgemeinen Finanz- und Wirtschaftskrise geschädigt, sondern ganz besonders auch durch Bernard Madoffs Betrugsgeschäft, dem Verluste in der Höhe von ca. 50 Milliarden Dollar zugerechnet werden. Zu den Geschädigten gehören unter anderem europäischen Banken, amerikanischen Finanzinstituten, eine Reihe von großen israelischen Versicherungsunternehmen, das Technion in Haifa sowie viele jüdische Investoren, gemeinnützige Vereine und Stiftungen. Das bedeutet wohl, dass in absehbarer Zukunft sehr viel weniger Spenden für die israelischen Organisationen und Institutionen zur Verfügung stehen, als dies bisher der Fall war. Mithin besteht wenig Hoffnung, dass die Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise durch Spenden eingedämmt werden können. Vielmehr wird der durch Madoff-Affäre verursachte Wegfall von Spenden die gegenwärtige Krise wohl noch verschärfen.
Die Darstellung hier gibt eine Übersicht zur Situation bis zu Beginn der Gaza-Offensive (27. Dezember 2008). Ganz abgesehen von allen anderen Folgen wird diese Offensive mit aller Wahrscheinlichkeit keinen positiven Beitrag zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation leisten. Auch lässt sich absehen, dass angesichts des kriegerischen Konflikts die sozialen und wirtschaftlichen Probleme – trotz dem Ernst der Lage – wahrscheinlich kein zentrales Wahlkampfthema bilden werden.
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- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise