Es war eine terroristische Machtdemonstration: Das Marriott-Hotel ist nur einen Steinwurf von Parlament und Präsidentenpalast entfernt. Es wurden politische Allianzen geschmiedet und es fanden Treffen zwischen internationalen und pakistanischen Entscheidungsträgern statt. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Asien.
Zeitpunkt und Ort des Anschlags legen nahe, dass er der politischen Spitze Pakistans galt und den neuen Präsidenten Asif Ali Zardari schwächen sollte. Dieser hatte nur wenige Stunden zuvor seine erste Rede als Präsident gehalten. Welche Folgen hat der Anschlag für Pakistans neue Regierung?
Gregor Enste: Der Bombenanschlag war eine islamistisch-terroristische Machtdemonstration im Zentrum der Islamischen Republik. Das Marriott-Hotel ist nicht nur einen Steinwurf von Parlament und Präsidentenpalast entfernt, es ist auch ein Ort, wo in Salons und Restaurants politische Allianzen geschmiedet und Treffen zwischen der internationalen Gemeinschaft und pakistanischen Entscheidungsträgern arrangiert werden.
In seiner Antrittsrede im Parlament am Samstag hatte der neue Präsident Zardari den Terrorismus noch als größte Herausforderung Pakistans bezeichnet – und zwei Stunden später machen eine halbe Tonne Sprengstoff zugleich deutlich, wie riesig diese Herausforderung ist und wie wenig gerade diese Regierung zum Kampf gegen den Terrorismus aufgestellt ist: Sie ist einfach zu schwach dafür.
Die Regierung Gilani-Zardari ist weder im politischen Establishment Islamabads verankert, noch verfügt sie über die rückhaltlose, notwendige Unterstützung durch Militär und Sicherheitskräfte. Vor allem steht ihr der mächtige pakistanische Geheimdienst nicht loyal gegenüber. Die neue Regierung ist auch deshalb schwach, weil ihr einziger bekennender Verbündeter die USA sind. Das Ausmaß der Probleme in Pakistan ist also groß, mindestens genauso groß wie die Unerfahrenheit dieser neuen Regierung. Ein drohender Kollaps der Staatsfinanzen, innerer Staatszerfall und Terrorismus, Ernährungs- und Energiekrise – jede Regierung der Welt wäre damit vielleicht überfordert. Und dieser Gemengelage von Problemen in Pakistan steht jetzt eine völlig unerfahrene Regierung gegenüber.
Die Hintermänner des Terrors werden in den halbautonomen Stammesgebieten Wasiristans vermutet, einem Hauptstützpunkt der pakistanischen Taliban. Stehen pakistanische Islamisten hinter dem Anschlag?
Es stehen die gleichen Krafte dahinter, die schon im Dezember 2007 den Anschlag auf Bhutto verübt haben. Es sind die gleichen Kräfte, die seit Monaten auch außerhalb der Stammesgebiete mit Selbstmordattentaten das pakistanische Militär und die pakistanische Polizei angreifen, und die Zentralregierung in Islamabad vorführen. Für viele Anschläge hat der Verband der pakistanischen Taliban Tehrik-e-Taliban Pakistan die Verantwortung übernommen: Dieser Verband hat sich im November 2007 gegründet; sie hatten sogar ein eigenes Büro und einen Pressesprecher in Islamabad. Erst nachdem sie sich offen zu den Anschlägen bekannt haben, wurden sie von der Regierung vor vier Wochen verboten.
Die Professionalität, mit der eine halbe Tonne Sprengstoff mit einem kleinen Lastwagen quer durch Islamabad pünktlich zum abendlichen Fastenbrechen an dutzenden Straßensperren vorbei geschleust wurde zeigt aber auch: Dieser Anschlag trägt die professionelle Handschrift von Al Quaida, die in den Stammesgebieten offen mit den pakistanischen Taliban kooperieren.
Der Anschlag zeigt auch, dass die Terroristen Verbindungen zu Geheimdiensten oder lokalen Sicherheitsbehörden haben müssen - wie sonst könnte in dem hoch gesicherten Regierungsviertel ein Anschlag überhaupt möglich sein? Auch die gestrige Entführung des afghanischen Konsuls in Peschawar zeigt, welch unheilbringende Allianzen militante Stammesführer, kriminelle Banden, Al-Qaida-Zellen und pakistanische Taliban in der Nordwestgrenzprovinz mittlerweile eingegangen sind und wie offen sich die Strukturen der Gewalt zeigen.
Der neue Präsident versucht schon seit Wochen zu vermitteln, die pakistanische Regierung kämpfe nicht für die USA, Islamabad bekämpfe die Fanatiker, weil sie eine Gefahr für alle Menschen in Pakistan seien. Könnte der Bombenanschlag, bei dem überwiegend Pakistaner ums Leben gekommen sind, dazu führen, dass sich die pakistanische Bevölkerung verstärkt hinter ihre Regierung stellt und den Anti-Terror-Kampf endlich auch als „ihren Krieg“ wahrnimmt?
Das hoffe ich sehr, habe allerdings auch meine Zweifel. Journalisten sprechen in Kommentaren von Pakistans 11. September. Trotzdem fürchte ich, dass der gesellschaftsübergreifende Wille und das gesellschaftspolitische Eingeständnis, dass der Terrorismus ein ureigenes Problem Pakistans ist, noch weitgehend fehlen. Sie fehlen so lange, bis eine klare Botschaft aus den pakistanischen Moscheen und Madrassen kommt. Zwar gibt es im Islam keinen Klerus und damit keine übergeordnete Instanz, die beurteilen kann, was gut und was böse ist. Trotzdem fehlt eine Stellungnahme der Geistlichkeit in den Freitagsgebeten, in der sie diese Welle von Selbstmordanschlägen als unislamisch verurteilen.
Die Urheber der Anschläge sind gute PR-Strategen – sie haben sich mit dem Marriott ein Hotel ausgesucht, das konservativen Muslimen als Ort der Prunksucht und der Verschwendung gilt. Leider wird daher dieser Anschlag auf ein Symbol des obszönen Reichtums, der Verschwendung und des Säkularismus auf klammheimliche Freude tausender Kämpfer in den Stammesgebieten und vielleicht auch teilweise auf Zustimmung bei der dortigen Bevölkerung stoßen.
Die andauernden Militäroperationen amerikanischer Soldaten in den Stammesgebieten Pakistans haben zu schweren Verstimmungen zwischen Washington und Islamabad geführt und gefährden Zardaris neuen Kurs. Wie wird sich das Verhältnis zu den USA unter Zardari verändern?
Das künftige Verhältnis hängt auch von einer neuen US-Regierung ab: Die US-Demokraten stehen Pakistan wesentlich kritischer gegenüber als Bush. In Pakistan ist mittlerweile aber auch ein Moment der Ernüchterung auf allen Gebieten eingetreten. Es dämmert den Pakistanern langsam, wie abhängig bis erpressbar sie nach sieben Jahren Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus sind. Auch angesichts der fast kollabierenden Staatsfinanzen ist Pakistan so sehr von IWF, finanzieller Förderung durch Saudi-Arabien und den USA abhängig, dass das Land in seinen Möglichkeiten, eine souveräne, eigenständige Politik zu betreiben, immer mehr eingeschrankt ist. Zardari steht und fällt in der Allianz mit den USA. Im Gegensatz zu Musharraf ist er schwach und der Unterstützung durch das Militär nicht sicher.
Die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich, es häufen sich die Anschläge. Droht eine „Irakisierung“ Pakistans?
Es droht keine Irakisierung ganz Pakistans, aber Sicherheit, Recht und Ordnung in einigen Gebieten der Nordwestgrenzprovinz sind fast irreversibel an die - nicht von der Zentralregierung kontrollierten – Taliban, an kriminelle Stammesführer und an Al-Qaida-Zellen übergegangen.
Die Fragen stellten Karoline Hutter und Lisa Münch.
- Siehe auch: Geben wir es zu: Dies ist Pakistans eigener Krieg, Leitartikel, Daily Times, 22. September 2008 (dt. Übersetzung)